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Hersch Hermann Rotmensz * 1888

Bernstorffstraße 159 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
HERSCH HERMANN
ROTMENSZ
JG. 1888
"POLENAKTION" 1938
ZBASZYN
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Bernstorffstraße 159:
Fella Fajgla Rotmensz, Rosa Rotmensz, Gitla Gisa Rotmensz

Fella Fajgla Rotmensz, geb. Zgnilek, geb. am 29.4.1889, ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938, ermordet in Auschwitz
Gitla Gisa Rotmensz, geb. am 22.4.1920, ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938, inhaftiert im Internierungslager Zbaszyn bis Sommer 1939, ermordet in Auschwitz
Hersch Hermann Rotmensz, geb. am 3.3.1888, ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938, ermordet in Auschwitz
Rosa Rotmensz, geb. am 10.7.1922; ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938, ermordet in Auschwitz

Bernstorffstraße 159

Die polnisch-jüdische Familie Rotmensz wurde 1938 nach Polen abgeschoben. Zwei Söhnen gelang die Rückkehr nach Deutschland und die Ausreise in die USA. Die Eltern, zwei Töchter und ein weiterer Sohn wurden in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Familie Rotmensz lebte in Altona in der Adolphstraße 159 (heute Bernstorffstraße). Hersch Hermann Rotmensz stammte aus Wolbrom (deutsch Wolfram) in der polnischen Woiwodschaft Kielce, damals unter russischer Herrschaft, wo er am 3. März 1888 geboren worden war. Seine Frau Fella Fajgla, genannt Jetta, geborene Zgnilek, war am 29. April 1889 im nahe gelegenen Sosnowiec (deutsch Sosnowitz) geboren worden.

Um 1900 vergrößerte sich die Altonaer Jüdische Gemeinde durch Zuzug osteuropäischer Familien. Nach der Volkszählung von 1925 waren mehr als die Hälfte der Altonaer Juden Zuwanderer aus dem östlichen Europa ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die vor dem Antisemitismus im Osten Mitteleuropas geflohen waren, etwa dreißig Prozent von ihnen kamen aus Polen. Viele jüdische Einwanderer aus dem Osten lebten im Viertel um die Johanniskirche in Altona Nord, einer gutbürgerlichen Wohngegend, wo Gewerbetreibende und Kaufleute aus dem Mittelstand, Ärzte und Rechtanwälte wohnten. Es gab zwei kleine ostjüdische orthodoxe Bethäuser in der Wohlersallee 62 (heute Wohlers Allee) und in der Adolphstraße 69 (heute Bernstorffstraße).

Hermann und Fella Rotmensz wanderten vor 1912 aus Polen nach Altona ein. Ihr erster Sohn Julius kam dort am 8. April 1912 zur Welt. Anfangs wohnte die Familie in der Kleinen Berg-straße 26, bis sie in die Adolphstraße 159 zog. Das Ehepaar bekam fünf weitere Kinder: Bernard am 17. Januar 1913, Adolf am 19. Januar 1915, Moritz am 26. April 1918, Gisa (Gitla) am 22. April 1920 und Rosa am 10. Juli 1922.

Hermann Rotmensz war Schneider; in der Adolphstraße 159 führte er eine Schneiderei mit Stofflager. Seine Frau versorgte als Hausfrau die Familie.

Der Sohn Julius war, nachdem er von 1918 bis 1927 die Israelitische Gemeindeschule in Altona besucht und anschließend eine Schneiderlehre bei Schneidermeister Levy in Hamburg, Heinrich-Barth-Straße 3, absolviert hatte, zunächst als Geselle, später als Mitinhaber in der väterlichen Schneiderei tätig.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war auch Hermann Rotmensz von den Maßnahmen zur Verdrängung jüdischer Gewerbetreibender betroffen. Am 1. April 1933 wurde ein öffentlicher Boykott jüdischer Geschäfte organisiert. Doch der Aufruf "Kauft nicht bei Juden!" wurde in Altona nicht zur Zufriedenheit der Parteispitze befolgt; offenbar blieben selbst Parteimitglieder weiterhin Kunden bei ihren angestammten jüdischen Geschäften. In einem Rundschreiben des Altonaer NSDAP-Kreisleiters Piwitt vom 2. September 1935 zur "Judenfrage" wurden die "Parteigenossen und deren Frauen" aufgefordert, nicht länger Einkäufe in jüdischen Geschäften und Warenhäusern zu tätigen oder jüdische Ärzte oder Rechtanwälte aufzusuchen, sondern den "Anordnungen unseres Führers" zu folgen.

"Es nützt nichts, wenn ich täglich in wilder Art in Judenfragen mache, aber mein Geld doch zum Juden trage, oder tragen lasse. […] In Zukunft werde ich ohne Rücksicht gegen jeden Parteigenossen und gegen jedes Mitglied der Gliederungen dementsprechend vorgehen."

Die Ortsgruppen erhielten eine Liste mit jüdischen Geschäften, auf der unter der Rubrik "Damen- und Herrenschneider" auch das Geschäft von Hermann Rotmensz in der Adolphstraße 159 auftauchte.

Im Oktober 1938 beauftragte das Auswärtige Amt die Polizei, Juden polnischer Herkunft aus dem gesamten Reichsgebiet nach Polen auszuweisen. Am 28. Oktober wurde Julius Rotmensz zusammen mit seiner Ehefrau Sara, geb. Spiegel, und der 1937 geborenen Tochter Marion aus der nahe gelegenen General-Litzmann-Straße 19 (heute Stresemannstraße), wo das Ehepaar seit der Heirat 1935 wohnte, nach Polen abgeschoben.

Max Plaut, damaliger Leiter des Jüdischen Religionsverbandes Hamburg, gab am 20. August 1964 als Zeuge im Verfahren von Angehörigen der Familie Rotmensz beim Amt für Wiedergutmachung an: "Die damalige Aktion vom 28. Oktober 1938 betraf nur Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die im Besitze eines gültigen polnischen Passes waren. Die staatenlosen Juden waren von vorneherein den deutschen Juden gleichgestellt und daher ganz erheblich benachteiligt. Die Juden polnischer Nationalität standen demgegenüber viel besser da, da sie sogar bis zum Jahre 1938 ihre Geschäfte weiter betreiben durften.

Die Aktion vom 28. Oktober 1938 hing damit zusammen, dass der polnische Staat sich weigerte, die Pässe der in Deutschland lebenden Polen jüdischer Nationalität über den 1. November hinausgehend zu verlängern und sie aufgefordert hatte nach Polen zurückzukehren."

Recha Ellern, damals Leiterin des jüdischen Wohlfahrtsamtes, wurde am Tag der "Polenaktion" früh morgens vom Leiter der Fremdenpolizei, Kommissar Pelzer, in Kenntnis gesetzt, bekam eine Liste und suchte mit einem Hilfskomitee die Familien auf, die abgeschoben werden sollten. Am 22. Februar 1965 schilderte sie: "Bei einer Anzahl von Familien waren die Wohnungen bereits verschlossen, eine Anzahl fanden wir noch vor. Der Aufbruch musste so eilig erfolgen, dass wir später beim Öffnen der Wohnungen noch Töpfe mit Essen auf dem Herd fanden. Es war erlaubt, Schmuck, Silberwaren, Geld und Kleidung mitzunehmen. Die Wohnungsschlüssel wurden teils der Polizei, teils der Gemeinde übergeben. Die meisten polnischen Familien wohnten in Altona, sie wurden in ein öffentliches Gebäude bis zum Abtransport gesperrt. Das Hilfskomitee sorgte für Verpflegung während des Tages, Reiseproviant, Wolldecken, warme Kleidung. […] Der Transport ging am Abend ab, Herr Möller [der damalige Vorsitzende] und ich waren am Bahnhof bis zum letzten Moment. Es waren grauenhafte Stunden und die Verzweiflung der Menschen war unbeschreiblich. Das Bahnhofspersonal hat sich korrekt benommen, die Polizei hat je nach der Einstellung des Polizisten die Situation verschärft. […] Die Familie Rotmensz war mir gut bekannt, soweit ich mich erinnere, waren die Kinder noch nicht erwachsen, als die Familie abtransportiert wurde."

Friedrich Schulze, ein Nachbar aus der Adolphstraße, legte am 26. Februar 1964 einen Bericht vor: "Die Familie Rotmensz wohnte in dem Haus in der Wohnung unter uns, als wir 1937 einzogen. Herr Rotmensz betrieb in seiner Wohnung eine Schneiderei. Ich habe mir dort einen Anzug arbeiten lassen und war zum Maßnehmen im Vorderzimmer, das, wie ich mich erinnere, nach meinem Eindruck verhältnismäßig gut eingerichtet war für die damaligen Verhältnisse. In der Schneiderwerkstatt standen mehrere Nähmaschinen […] Ich weiß noch, daß, als ich eines Spätnachmittags nach Hause kam, mir meine Frau erzählte, mit Rotmenschs sei etwas passiert. Sie waren abgeholt worden. Darüber herrschte im Hause ziemliche Aufregung, weil wir sie als anständige und gute Mieter kannten, auch die Söhne waren sehr freundliche, ordentliche und fleißige Menschen. Ob die Wohnung versiegelt war, kann ich nicht sagen. Ich hörte nur von meiner Frau später, daß eine Frau aus der Frauenschaft in die Wohnung eingewiesen worden war."

Die Nachbarin Paula Schulze bezeugte: "Nach meinem Eindruck unterhielt Herr Rothmensch eine gut gehende Schneiderei. Die Personen, die bei ihm ein- und ausgingen, machten einen seriösen Eindruck. [...] Der eine Sohn heiratete später und wohnte mit seiner Frau, Kind und Schwiegermutter in der Wohnung neben uns. […] Die männlichen Mitglieder der Familie Rothmensch sind im Herbst 1938 morgens sehr frühzeitig abgeholt worden. Wir hörten den Lärm, der dabei entstand. Später wurden dann auch die beiden Großmütter mit dem Kind geholt und schließlich ist die neben uns wohnende junge Frau dann weggegangen. Daran erinnere ich mich noch genau, weil sie ziemlich laut weinte. Ich weiß genau, daß nach dieser Aktion an der Wohnungstür Rothmenschs ein Streifen klebte. M. E. war die Wohnung versiegelt. Sie muss auch geräumt worden sein."

Durch die "Polenaktion" wurde der größte Teil der "Ostjuden" aus der Gegend um die Wohlers Allee vertrieben. Mit einem Zug der deutschen Reichsbahn gelangten etwa 1.000 polnische Juden und Jüdinnen aus Hamburg vom Bahnhof Altona an die polnische Grenze. Im "Niemandsland" zwischen den Grenzen sammelten sich rund zehntausend aus Deutschland abgeschobene Juden, weil die polnischen Behörden die Einreise zunächst verweigerten. Später kamen sie provisorisch im polnischen Grenzstädtchen Zbaszyn unter.

Nachdem sich die polnischen Grenzposten darum bemüht hatten, die Ausgewiesenen zu registrieren bzw. ihre Pässe zu kontrollieren, konnten viele von ihnen innerhalb der ersten zwei Tage ins Landesinnere weiterreisen. Max Plaut schätzte, etwa zehn Prozent der abgeschobenen Juden hätten nach Deutschland zurückkehren können. Diejenigen allerdings, die nicht von Angehörigen in Polen aufgenommen wurden oder denen man die Einreise verweigerte, wurden schließlich in einem Sammellager in Zbaszyn interniert. In diesem Internierungslager lebte auch Familie Rotmensz bis zur allmählichen Auflösung des Lagers im Sommer 1939.

Julius Rotmensz gelang es im August 1939, mit seiner Familie nach Hamburg zurückzukehren, um die Auswanderung in die USA in die Wege zu leiten. Die Familie war in dem unter Kontrolle der Gestapo stehenden "Judenhaus" Rutschbahn 15 einquartiert.

Bei Kriegsbeginn im September 1939 wurde Julius Rotmensz verhaftet. Vom 8. September 1939 bis 15. März 1940 saß er im Konzentrationslager Fuhlsbüttel ein, wo er geschlagen und misshandelt wurde. Von einem Wachmann, einem SS-Mann, wurde er verprügelt, bis er ohnmächtig wurde; da er dabei einen Schlag auf das linke Auge erhielt, war seine Sehkraft links danach stark beeinträchtigt.

Seine Frau Sara und die Tochter Marion wohnten zuletzt in einem möblierten Zimmer in der Grindelallee 24 bei Goldschmidt. Nach der Freilassung von Julius Rotmensz im Frühjahr 1940 reiste die Familie mit der Eisenbahn nach Genua, von dort mit dem Dampfer "New York" nach Amerika.

Auch Adolf und Moritz Rotmensz konnten aus Polen nach Hamburg zurückkehren. Sie wohnten ebenfalls in der Grindelallee 24 und bereiteten ihre Ausreise in die USA vor. Adolf Rotmensz erhielt von der Devisenstelle Mitte August 1939 die für die Ausreise unerlässliche "Unbedenklichkeitsbescheinigung". Moritz Rotmensz, der ledig war, gab bei der Devisenstelle am 2. August 1939 an, seine Aufenthaltsfrist laufe in Kürze ab, er wolle unverzüglich die Auswanderung antreten. Zu seinem aufgelisteten Umzugsgut gehörten eine kleine Taschenapotheke, ein Geschenk des Zbaszyner Hospitals, und drei Anzüge, deren Mitnahme er rechtfertigen musste: "Mein Vater ist Schneider". Doch die Ausreise der Brüder verzögerte sich offenbar. Laut Eintrag in den Kultussteuerkarten waren beide 1941 noch in Hamburg und bezogen Wohlfahrtsleistungen. Ab 24. Februar 1940 waren beide im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Moritz (Moris oder Morys) war dort am 17. Oktober 1941 im Krankenrevier gemeldet. Offensichtlich überlebten die Brüder und emigrierten nach dem Krieg in die USA. Von dort reisten beide anlässlich des Wiedergutmachungsverfahrens nach Deutschland.

Die Spuren der nach ihrer Zwangsausweisung in Polen verbliebenen Juden verlieren sich zumeist in einem der von den Deutschen errichteten Gettos und Lager, wohin sie mit ihren Familienangehörigen oder Bekannten, bei denen sie Zuflucht gefunden hatten, deportiert wurden. Zu vielen Opfern der "Polenaktion" lassen sich bis heute keine genauen Aussagen treffen.

Bernhard Rotmensz war zuletzt bis zu seiner Befreiung am 5. Mai 1945 im österreichischen KZ Mauthausen. Wahrscheinlich war er nach Auschwitz deportiert und bei der Evakuierung des Vernichtungslagers im Januar 1945 auf den Todesmarsch nach Mauthausen getrieben worden. Er überlebte. Bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel legte er 1995 Gedenkblätter für seine Eltern Hermann und Fella Rotmensz und seine Schwestern Rosa und Gisa an. Er bezeugte, sie seien 1943 in Auschwitz ermordet worden.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 2 (FVg 5407, Rotmensz, Adolf, FVg 5409, Rotmensz, Moritz); 4; 5; 8; AB Altona; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 37612 (Rothmann, Julius); Michelsen, Gedenkraum Wohlersallee; Auskunft von Dr. Diana Schulle, 25.10.2014; Auskunft des Archivs der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen zu Moris und Adolf Rotmensz, 15.12.2014.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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