Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Andreas Ahlemann * 1941

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


ANDREAS AHLEMANN
GEB. 22.1.1941
ERMORDET 17.12.1941

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
©


Andreas Ahlemann, geb. 22.01.1941 in München, ermordet am 17.12.1941

Der Säugling Andreas Ahlemann kam von weit her nach Rothenburgsort. Klinikleiter Bayer erklärte später vage, sein "Leibfuchs" im Studentischen Akademischen Ruderclub Berlin, ein späterer Arzt, sei mit dem Vater von Andreas befreundet gewesen, und vielleicht sei Andreas auf dessen Empfehlung hin in die Kinderklinik gekommen.

Möglicherweise hatten auch Kollegen aus der Charité Andreas´ Eltern empfohlen, ihn nach Hamburg zu bringen. Jedenfalls war seine Aufnahme ungewöhnlich, und der Aufnahmebogen enthält irreführende Angaben. Andreas traf, von seiner Pflegerin begleitet, in der Klinik ein. Wie sich mehrere Schwestern erinnerten, kam er aus "höheren Kreisen": Er wurde am 22. Januar 1941 (lt. Sterberegister am 20. Januar 1941) als erstes Kind seiner Eltern Heinz Helmuth und Marie Ahlemann geboren.

Der Vater, Doktor der Chemie und Sohn des NSDAP-Reichstagsabgeordneten Georg Ahlemann, war zum Zeitpunkt von Andreas Geburt 42 Jahre, die Mutter Marie Luise, verw. Lukaschek, geb. Rieger, 40 Jahre alt. Für beide Eltern war es die zweite Ehe. Die Mutter hatte von ihrem verstorbenen Mann das gepflegte Rittergut Karbow mit Jagdrevier in Vorpommern geerbt, auf halbem Wege zwischen Greifswald und Wolgast gelegen. Dort lebte das Ehepaar. Andreas wurde aber nicht dort geboren, sondern kam in der Frauenklinik München-Nymphenburg zur Welt, eine Zangengeburt mit einem Gewicht von 4000 g.

Seiner Pflegerin, die ihn im Alter von zehn Monaten nach Rothenburgsort brachte, fiel "von Anfang an" auf, dass Andreas sehr ruhig war, auf nichts reagierte, dabei aber gut trank. Die große Fontanelle habe sich bereits im Alter von drei Monaten geschlossen (normalweise nach ca. einem Jahr). Als der Junge sieben Monate alt war, merkte auch die Mutter, dass er "nicht ganz normal" sei. Die Eltern konsultierten den Direktor der Universitätskinderklinik Greifswald, Hans Bischoff. Ohne dem "Reichsausschuss" eine Meldung zu erstatten, veranlasste dieser die Einweisung in die Universitäts-Kinderklinik Charité in Berlin, wo ebenfalls keiner der Ärzte den "Reichsausschuss" informierte. Von der Charité wurde Andreas am 4. November 1941 mit der Diagnose "Mikrocephalus, Hydrocephalus internus (kleiner Kopf mit verstärkter Ansammlung von Hirnflüssigkeit in den Innenräumen) und Pertussis (Keuchhusten)" als Nebendiagnose in das Hamburger Kinderkrankenhaus Rothenburgsort verlegt.

Die Ärztin Helene Sonnemann nahm ihn auf ihrer Station auf. Sie beschrieb ihn als einen ziemlich langen, aber untergewichtigen Säugling, der keinen schwer kranken Eindruck machte, aber nicht sitzen konnte und seinen Kopf in die Kissen bohrte. Sein Gesichtsschädel sei im Verhältnis zum Hirnschädel groß, die Stirn niedrig. Sie bestätigte die Einweisungsdiagnose und meldete Andreas wurde mit der Diagnose "Mikrocephalus, Hydrocephalus internus, Idiotie" im Alter von zehn Monaten am 20. November 1941 dem "Reichsausschuss".

In den ersten Tagen seines Aufenthalts in Rothenburgsort wurde Andreas stundenweise in den Luftschutzkeller gebracht, vermutlich zur Erleichterung der Keuchhustenanfälle. Auf eine medikamentöse Behandlung zu ihrer Dämpfung gibt es keine Hinweise. Als eine Bronchitis hinzutrat, wurden die Fieberanfälle hingegen mit fiebersenkenden Wickeln behandelt. An­dreas erlitt dann weniger Hustenanfälle, aber sie blieben heftig. Unter diesen Bedingungen wurde nach einem Monat Klinikaufenthalt ein Encephalogramm (s. o. Erklärungen) erstellt, das krankhafte Veränderungen des Gehirns zeigte. Zur Linderung der mit diesem Eingriff verbundenen Komplikationen erhielt Andreas eine Injektion von 1ccm Luminal. Er vertrug die "Encephalographie" ohne die befürchteten Kreislaufschwierigkeiten. Welchem Ziel diese Untersuchung diente, geht aus der Krankenakte nicht hervor. Der "Reichsausschuss" hatte möglicherweise eine weitere Beobachtung angeordnet. Gleichwohl traf Mitte Dezember 1941 die "Genehmigung zur Behandlung" (Tötung) ein. Die Verlaufsnotizen endeten mit folgenden Eintragungen, unterzeichnet von Helene Sonnemann:
" 15.12. seit gestern Nachmittag Verschlechterung, Untertemperatur, schläft, Atmung ganz langsam mit Pausen, Puls kaum fühlbar, trinkt nicht mehr.
16.12. keine … Lebenszeichen vernehmbar
17.12. Exitus letalis an Atemlähmung"

Helene Sonnemann hatte die tödliche Luminal-Spritze verabfolgt. Ob eine Krankenschwester assistierte, ist unklar. Sonnemann gab später an, sie habe regelmäßig eine Schwester hinzugezogen, um zu verhindern, dass die Kanüle abbrach, wenn sich das Kind wehrte. Als akute Todesursache Andreas’ gab Sonnemann auf der Todesbescheinigung "Kreislauftod bei Pneu­monie" an.
Nur sechs Wochen hatte sich Andreas, den die Schwestern "den Reichstagsabgeordneten" nannten, im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort befunden. Für eine Einwilligung der Eltern zur "Behandlung" gibt es keinen Anhaltspunkt.

Erst ca. drei Wochen nach Andreas’ Tod erfolgte der Eintrag im Sterberegister des Standesamts Rothenburgsort. Ilse Vogeler, eine ältere Säuglingsschwester, hatte ihn mündlich angezeigt, ohne die sonst üblichen Angaben zur Religion und zur Todesursache zu machen. Trotz dieser Unregelmäßigkeit wurde die Leiche freigegeben, über ihren Verbleib ist nichts bekannt. Andreas wurde elf Monate alt.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht – NSG, 0017-001, 0017-002; 332-5 Standesämter, 1158+2/42; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 63 UA 3; Internet http://www. gacke.de/Familie/Karbow1800bis1945.html, Zugriff am 6.7.2009.

druckansicht  / Seitenanfang