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Porträt Oswald Behrens
Oswald Behrens ca. 1958
© Hamburger Abendblatt 15.2.1958, S. 9

Oswald Behrens * 1901

Lessingstraße 24 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
OSWALD BEHRENS
JG. 1901
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
1939 ZUCHTHAUS
BREMEN-OSLEBSHAUSEN
DEPORIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 1.2.1943

Herbert Oswald Behrens, geb. am 15.11.1901 in Hamburg, verhaftet am 15.2.1938, ab 31.3.1938 Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, ab 23.6.1939 Zuchthaus Bremen-Oslebshausen, von dort am 13.1.1943 in das KZ und Vernichtungslager Auschwitz deportiert, am 1.2.1943 ermordet
Lessingstraße 24

"Ich glaube, erst durch die dringlichen Briefe unseres Bruders aus der Gefangenschaft wurde uns klar, dass wir auswandern mussten. Es ist mir ein schwerer Entschluss gewesen". Das schrieb Oswald Behrens ältere Schwester Lily in den 1950er-Jahren im Rahmen ihres Wiedergutmachungsverfahrens. Sie, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester Helen hatten die Shoah in der Emigration in England überlebt. Ihr Bruder und Sohn, der Musiker Oswald Behrens, konnte sich nicht retten. Er wurde von den Nationalsozialisten ermordet.

Oswald Behrens war der Sohn des jüdischen Ehepaars Richard Philipp und Thecla Behrens, geborene Heyman. Thecla Behrens stammte aus der englischen Industriestadt Manchester; dort war sie am 22. September 1869 zur Welt gekommen. Ihre gut situierten Eltern Hermann S. und Helene Heyman, geborene Oppenheimer, konnten ihr eine umfassende Bildung ermöglichen. Von 1876 bis 1885 besuchte sie in England das Ellerslie Ladies‘ College, danach das Owens College für Literatur und Geschichte. Anschließend studierte sie Kunst mit dem Nebenfach Musik und bestand das Klavierexamen mit Auszeichnung. Nach dem Tod des Vaters 1896 zog Theclas Mutter mit ihr nach Deutschland, nach Köln. Von dort aus setzte Thecla ihr Kunststudium fort und studierte Malerei in Düsseldorf.

Am 15. Oktober 1898 heiratete sie in Köln den Baumwollmakler Richard Behrens. Er war als Sohn des Papierhändlers Bernhard Behrens und der Hamburgerin Recha, genannt Emma, Warburg, in Lüneburg zur Welt gekommen, lebte und arbeitete aber mittlerweile in Hamburg. So zog Thecla nach der Hochzeit zu ihm an die Elbe. Knapp zwei Jahre später, am 15. Juni 1900, kam in Hamburg ihr erstes Kind zur Welt, ein Mädchen. Die Eltern nannten sie Lily Emma. Ihr folgte anderthalb Jahre später Herbert Oswald. Das dritte Kind, auch ein Mädchen, wurde am 16. Juni 1903 geboren und erhielt die Vornamen Helen Alice. Ab Mitte März 1908 lebte die Familie in einem eigenen, 12 Zimmer großen Haus in der Lessingstraße 24, Ecke Uhlandstraße.

Alle drei Kinder hatten von ihrer Mutter die künstlerisch-kreative Begabung geerbt. Doch während Lily und Helen sich erst in dieser Richtung orientierten, um anschließend – wie der Vater – eine lebenspraktischere kaufmännische Ausbildung zu absolvieren, ging Oswald den umgekehrten Weg. Lily Behrens ließ sich nach dem Besuch des Lyzeums im Malen und Zeichnen auf der Staatlichen Kunstgewerbeschule ausbilden, der heutigen Hochschule für bildende Künste. Obwohl sie "mehr schöngeistig als praktisch" erzogen worden war, wie sie später selbst einmal formulierte, ging sie anschließend noch auf die Handelsschule. Da sie an starker Kurzsichtigkeit litt, hatte sie allerdings Probleme, nach dem erfolgreichen Abschluss 1922 eine Anstellung zu finden. Weil die Mutter Thecla oft leidend war, die Eltern aber zugleich ein offenes Haus mit vielen Geselligkeiten führten, kümmerte sie sich überwiegend um den Haushalt der Familie.

Helen entschied sich nach dem Lyzeum zunächst für eine Ausbildung zur Reklamezeichnerin auf der Staatlichen Kunstgewerbeschule. Doch danach besuchte sie ebenfalls die Handelsschule und arbeitete anschließend erst im Kontor des Vaters, später in verschiedenen Firmen als kaufmännische Angestellte.

Oswald wiederum ging zunächst auf das Realgymnasium des Johanneums. Anders als die Gelehrtenschule des Johanneums bereitete es seine Schüler nicht auf ein Universitätsstudium vor, sondern auf praktische Berufe im kaufmännischen und handwerklichen Bereich. Doch beide Richtungen entsprachen nicht dem, was Oswald wollte. Er zog vielmehr zu Beginn der 1920er-Jahre nach München und widmete sich den Studien der Philosophie an der Universität und der Musik an der Akademie der Tonkunst. So studierte er Komposition bei Siegmund von Hausegger und lernte bei dem Dirigenten Hans Knappertsbusch. Zu seinen Lehrern gehörten außerdem der Musikwissenschaftler Adolf Sandberger und der Komponist Joseph Haas. Zusätzlich nahm er Privatunterricht in den Fächern Kontrapunkt, Partiturlesen und Korrepetition bei dem ebenfalls an der Akademie wirkenden Karl Blessinger. Ab April 1924 war er für ein Jahr lang als Notenlektor für die Mandruck AG für Notendruck und Notenstich in München tätig, wo er neben Korrekturarbeiten auch Arrangements von manchen der dort gedruckten Kompositionen erstellte.

Im Frühling 1925 kehrte Oswald Behrens nach Hamburg zurück, um dort wenige Monate später eine Stelle als Klavier- und Theorielehrer an dem von Raphael Seligmann-Ferara geleiteten Brahms-Konservatorium anzutreten. Am 25. November 1925 heiratete er in der Hansestadt Margarete (auch Margareta) Emmy Luise Hoff. Sie war am 1. März 1897 in Karlsruhe zur Welt gekommen. Ihr Vater war der Porträt- und Genremaler Karl Heinrich Hoff, ihr Großvater, Karl H. Hoff, Professor an der Karlsruher Kunstakademie. Ursprünglich hatte Margarete Kindergärtnerin gelernt, schrieb aber mittlerweile Bühnenstücke. Zur Zeit der Hochzeit lebte das Paar zusammen zur Untermiete in Hamburg-Barmbek, in der Lortzingstraße 18. Auch in den folgenden Jahren lebten Margarete und Oswald Behrens weiter zur Untermiete. Eine erste eigene Wohnung bezogen sie Ende 1928/Anfang 1929 in Eimsbüttel in der Moltkestraße 50b.

Am 4. Februar 1929 wurden Oswald und Margarete Behrens Eltern, ihren Sohn nannten sie Thomas Joachim. Mit Unterstützung von Raphael Seligmann-Ferara hatte Oswald Behrens bereits eine vorläufige Unterrichtsgenehmigung erhalten; im Mai 1929 legte er erfolgreich das Staatsexamen ab. Um an zusätzliches Einkommen zu gelangen, gab er Privatunterricht, trat in Nachtlokalen auf und war von 1928 bis 1930 zudem Kapellmeister des St. Georger Orchestervereins von 1862. Mit diesem gab er Konzerte im kleinen Saal der Musikhalle und im Hamburger Conventgarten, dem großen Veranstaltungssaal an der Fuhlentwiete in der Neustadt.

Gleichwohl war die finanzielle Situation der kleinen Familie sehr schwierig. Deshalb bat Margarete Behrens zunächst den damaligen Hamburger Schulrat für das Berufsschulwesen, Johannes Schult, das Honorar ihres Mannes zu erhöhen – doch vergebens. Schult konnte ihr nicht helfen, da es sich bei dem Brahms-Konservatorium um eine private Einrichtung handelte. In ihrer Not wandte sich Margarete daraufhin an den damaligen Hamburger Senatsrat Friedrich Bauer. Sie schilderte ihm "die geradezu traurigen Verhältnisse, unter denen mein Mann gezwungen [ist], zu leben und zu arbeiten. Wie er – der siebenundzwanzigjährige – um überhaupt das Notwendigste für Frau und Kind herbeizuschaffen, Nächte hindurch, in irgendwelchen obskuren Lokalen spielen [muss], nachdem er tagsüber – durch den Unterricht im Konservatorium und einigen Privatstunden schon genügend abstrapaziert [ist]." Für seine "Sonate für zwei Klaviere", die unter Mitwirkung der Komponistin und Pianistin Ilse Fromm-Michaels in der kleinen Musikhalle uraufgeführt wurde, gewährte die Senatskommission für Kunstpflege Oswald Behrens daraufhin tatsächlich im September 1930 ein einmaliges Stipendium von 500 Reichsmark. Bald darauf wurde er zudem als Mitglied des Hamburger Tonkünstlervereins in dessen Jury berufen.

1932 erlitt Oswald Behrens Vater Richard einen Schlaganfall und musste sich aus seinem Geschäft zurückziehen. Das bedeutete erhebliche finanzielle Einschränkungen für die Familie, deren finanzielles Rückgrat er gewesen war. Ein Teil des Hauses in der Lessingstraße wurde vermietet. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Oswald und Margarete Behrens in jener Zeit zusammen mit ihrem kleinen Sohn Thomas mehrfach umziehen mussten – von der Moltkestraße in den Uhlenhorster Weg 15, dann in die Birkenau 16 und Ende 1932/Anfang 1933 an den Mundsburger Damm 41 –, war auch ihr Lebensmittelpunkt das Haus in der Lessing-straße. Dazu schrieb Oswalds Behrens Enkelin Beatrice einmal: "Wenn mein Vater [Thomas Behrens, Anm. d. Verf.] sprach, dann sprach er immer vom Behrenschen Stammhaus in der Lessingstraße, wie wunderbar dieses Haus war. Seine Erinnerungen spiegeln wahrscheinlich eine glückliche Kindheit dort wieder. (…) In der Lessingstraße hat mein Großvater wirklich gelebt, dort war aller Zuhause." Die Beziehung zwischen Oswald und Margarete Behrens gestaltete sich gleichwohl kompliziert. Am 11. Januar 1933 ließen sie sich scheiden.

Nicht einmal vier Wochen später, am 30. Januar 1933, ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Damit kamen die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich. In der Folge musste Oswald Behrens zunächst sein Amt als Mitglied des Hamburger Tonkünstlervereins niederlegen; seine Arbeitszeit am Konservatorium schrumpfte zudem auf drei bis zehn Wochenstunden. Vermutlich verlegte er sich deswegen stärker auf das Komponieren. So entstanden in jener Zeit einige Werke wie ein 18-teiliger Liederzyklus nach Texten Max Dauthendeys sowie zahlreiche Stücke für den Frauenchor am Brahms-Konservatorium.

Im Dezember 1933 starb Oswald Behrens’ Vater Richard. Daraufhin musste sich seine Familie noch mehr einschränken. Lily Behrens suchte nun eine Anstellung als Haushälterin, was sich schwierig gestaltete. Sie durfte als Jüdin nur noch in jüdischen Haushalten arbeiten und angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Ausplünderung der Jüdinnen und Juden konnten immer weniger Familien noch Hausangestellte bezahlen. Hinzu kam eine erste große Emigrationswelle von Jüdinnen und Juden direkt nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Schließlich bewohnten Lily und ihre Mutter Thecla nur noch zwei Zimmer des großen Hauses an der Lessingstraße, die restlichen Räume hatten sie untervermietet, unter anderem an zwei Pianistinnen. Helen war bereits einige Jahre zuvor ausgezogen. Auch sie hatte zunehmend Probleme, Arbeit zu finden. Lange Zeiten ohne jede Beschäftigung wurden nur kurz unterbrochen von Aushilfstätigkeiten bei jüdischen Firmen, deren Besitzer ebenfalls vor der Emigration standen. Eine Fortbildung scheiterte, weil, so das damalige Hamburger Arbeitsamt, sie als Jüdin nicht mit anderen Schülerinnen und Schülern in einem Raum sitzen dürfe. Eine Stelle beim damaligen Rundfunk (ab 1934 Reichssender Hamburg) bekam sie nicht, weil er, so der Sender, eine Strafe von 1000 Reichsmark zahlen müsse, würde er eine Jüdin beschäftigen.

Oswald Behrens fand nach der Trennung von seiner Frau in Ilse Harmsen eine neue Partnerin, mit der er sich verlobte. Zur Vermählung kam es allerdings nicht, weil Margarete und er sich bis Ende 1935 doch wieder versöhnten. Der erneuten Heirat standen nun aber die "Nürnberger Gesetze" im Weg. Sie traten am 15. September 1935 in Kraft und verboten Eheschließungen zwischen Jüdinnen/Juden und nichtjüdischen Partnern. Außerdem stellten sie den außerehelichen Sexualverkehr zwischen Jüdinnen/Juden und nichtjüdischen Partnern unter Strafe. Oswald Behrens war Jude, Margarete stammte aus einer nichtjüdischen Familie.

Ab Juli 1935 arbeitete Oswald Behrens an der von der Tänzerin und Choreographin Erika Milee neu gegründeten Milee-Schule am Rothenbaum als Musiktheorielehrer. Wahrscheinlich aus Geldnot musste er ab August 1936 zusätzlich einen Arbeiterposten in der Metallfabrik Missing & Co. annehmen. Auch gab er privaten Klavierunterricht und spielte gelegentlich in einem Café, das eine ihm bekannte Familie betrieb.

Darüber hinaus war er für den Jüdischen Kulturbund Hamburg tätig. Streng kontrolliert von den NS-Behörden, ermöglichte es dieser jüdischen Künstlerinnen und Künstlern, sich nach ihrem Ausschluss aus dem deutschen Kulturbetrieb 1933 einem ausschließlich jüdischen Publikum zu präsentieren. So schrieb Oswald Behrens anlässlich einer vom Kulturbund und der Hamburger Zionistischen Vereinigung veranstalteten Chanukka-Feier 1936 die Musik zu der chorischen Tanzfeier "Der Sieg der Makkabäer" – eine Hommage an den Tänzer Rudolf von Laban. Zusätzlich hatte er die musikalische Leitung inne, die Gesamtleitung lag bei Labans ehemaliger Schülerin Erika Milee. Eine Ausbildungsklasse und eine Kindertanzgruppe der Milee-Schule sowie ein Laienchor wirkten ebenfalls mit.

1937 übernahm Behrens zudem zusammen mit Fritz Berend und Lutz Proskauer die musikalische Leitung des Schauspielensembles des Hamburger Jüdischen Kulturbundes. Mit Kurt Behrens (der nicht mit ihm verwandt war) zeichnete er teilweise für die Klavierbegleitung im Bereich Bühnenmusik verantwortlich. Des Weiteren komponierte er Musik zu "Romeo und Julia" sowie zu Scholem Alejchems Schauspiel "Amcha (Dein Volk) oder das große Los", das der Jüdische Kulturbund in der Spielzeit 1937/1938 unter Regie von Hans Buxbaum auf die Bühne des Conventgartens brachte. Gastspiele führten ihn unter anderem nach Leipzig, Breslau und Dresden.

Am 1. April 1937 wurde das Brahms-Konservatorium "arisiert" und Oswald Behrens entlassen. Nun verdiente er nur noch etwas Geld als Arbeiter bei Missing & Co. Dort verhaftete ihn die Gestapo am 30. März 1938 und brachte ihn in die Untersuchungshaftanstalt Fuhlsbüttel. Jemand hatte ihn wegen seiner Beziehung zu Margarete denunziert. Außerdem hätte er am Brahms-Konservatorium ein zu enges Verhältnis zu einer seiner Schülerinnen gepflegt und damit das Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt. Auch Margarete wurde festgenommen und für einige Tage inhaftiert.

Aus dem Gefängnis schrieb Oswald Behrens seiner Mutter und seinen Schwestern die eingangs erwähnten Briefe. Ende 1938 musste Thecla Behrens das Haus in der Lessingstraße mitsamt der noch vorhandenen Einrichtung zwangsverkaufen; 1943 wurde es bei einem Bombenangriff fast ganz zerstört. Im Dezember 1938 floh Thecla Behrens aus Deutschland nach England, im Februar 1939 folgten ihr die Töchter Lily und Helen. Lily hatte die letzten sechs Monate vor der Ausreise als Hausdame bei Elsa Hartogh gearbeitet und dort auch eine Unterkunft bekommen (für Elsa Hartoghs Mann Emil liegt ein Stolperstein in der Claudiusstraße in Marienthal, s. www.stolpersteine-hamburg.de); Helen wohnte die letzten beiden Monate bei verschiedenen Bekannten. Jede von ihnen durfte nur 10 Reichsmark an Bargeld ausführen, Thecla Behrens zudem noch wenige Möbel und etwas Hausstand. Außerdem konnten sie Kompositionen von Oswald mitnehmen und damit vor der Zerstörung retten.

Auch Margarete und Oswald Behrens’ Sohn Thomas, der nach den Kategorien der Nationalsozialisten als "Mischling ersten Grades" galt, sollte aus Deutschland fliehen und mit einem Kindertransport nach Schweden fahren. Doch eine Blinddarmentzündung verhinderte dies. Als Thomas wieder gesund war, gab es durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs keine Ausreisemöglichkeit mehr und es war wohl auch kein Geld mehr dafür vorhanden.

In England verkauften Thecla Behrens, Lily und Helen noch den wenigen geretteten Hausstand, um einen Verteidiger für Oswald bezahlen zu können. Doch es half ihm nichts. Am 27. Februar 1939 erging das Urteil: Wegen Unzucht unter Verletzung eines Abhängigkeitsverhältnisses "in zwei Fällen" und wegen "Rassenschande" in fünf Fällen verurteilte das Hamburger Landgericht Oswald Behrens zu dreizehn Jahren Zuchthaus sowie anschließenden zehn Jahren Ehrverlust und fünf Jahren Berufsuntersagung als Musiklehrer.

An jenem Tag sah Margarete Behrens ihren Mann auch zum letzten Mal. Mehr als 20 Jahre später, immer noch entsetzt über Oswald Behrens’ damalige Verfassung, beschrieb sie diesen Anblick mit den Worten: "Sein volles schwarzes Haar war weiß geworden, seine Augen vollständig starr, seine Sprache stockend. Mir ging es durch den Kopf: ,Wie muss er behandelt worden sein, um so auszusehen!‘ Danach liegt die Vermutung nahe, dass sie ihn geprügelt haben – wie einen Hund." Bis zum 23. Juni 1939 war er im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, dann wurde er in die Strafanstalt Bremen-Oslebshausen überstellt. Vermutlich komponierte er auch im Gefängnis, denn er ließ sich immer wieder Notenpapier bringen. Allerdings sind alle Aufzeichnungen aus dieser Zeit verloren.

Ab Ende 1942 sollten die deutschen Strafanstalten "judenfrei" gemacht werden. So wurde Oswald Behrens am 13. Januar 1943 von Bremen-Oslebshausen in das KZ und Vernichtungslager Auschwitz verlegt. Margarete Behrens erhielt später die Nachricht, dass er dort am 1. Februar 1943 "gestorben" sei, sprich, ermordet wurde.

Margarete Behrens berichtete später auch, wie schwer die NS-Zeit für ihren Sohn Thomas gewesen sei. So wurde er vor allem von Klassenkameraden mehrfach "schrecklich misshandelt". Erst als sich ein größerer Junge aus der Nachbarschaft für ihn einsetzte und ihn zur Hitlerjugend brachte, war er vor den Übergriffen eine Zeitlang geschützt. 1944 musste er die Hitlerjugend wieder verlassen (obwohl eigentlich bereits seit 1941 jüdische "Mischlinge ersten Grades" ausgeschlossen wurden). Auch durfte er als "Mischling" nur die Volksschule und keine weiterführenden Schulen besuchen. 1944, mit 15 Jahren, begann er eine Lehre in der Hamburger Drogeriefirma Becker, Bauer & Co. Im selben Jahr wurde er in das Gestapo-Hauptquartier im Hamburger Stadthaus an der Stadthausbrücke bestellt. Die Gestapo wollte ihn in das KZ Neuengamme bringen. Doch im Stadthaus, so erzählte er später einmal seiner Tochter Beatrice, sagte jemand zu ihm, "Junge, geh nach Hause, dass hier ist sowieso bald vorbei", und schickte ihn wieder weg. Das rettete ihm das Leben.

Anfang der 1950er-Jahre wurde Oswald Behrens’ Verurteilung weitestgehend für nichtig erklärt. Die Eheschließung mit Margarete wurde als rechtskräftig anerkannt und als Tag der Wiederverbindung der 31. Januar 1943 festgelegt. Margarete und Thomas Behrens erhielten als Oswalds Erben eine Entschädigung für dessen erlittenen Schaden an Körper und Gesundheit.

Thecla, Lily und Helen Behrens lebten nach ihrer Flucht in England in großer Armut. Thecla Behrens war schon zu alt, um noch eine reguläre Anstellung zu finden. So versuchte sie, durch privaten Sprachunterricht und das Malen kleiner Bilder etwas Geld zu verdienen. Die Töchter arbeiteten zunächst als Dienstmädchen. Lily fand Ende 1943 eine Stelle in einer medizinischen Bibliothek, Helen bei einer Druckerei. Beide unterstützten ihre Mutter. Thecla Behrens starb am 20. Februar 1956, Lily Behrens am 15. November 1977 und Helen Behrens am 2. Juli 1993. Alle drei lebten bis zu ihrem Tod in London.

Zu Ehren des Komponisten und Pädagogen Oswald Behrens fanden 1958 mehrere Gedenkveranstaltungen in Deutschland und England statt. So kam es zu einer Radioaufführung der "Sonate für zwei Klaviere" im NDR sowie zu einem Konzert im kleinen Saal der Musikhalle Hamburg, in dem unter anderem zwei von Behrens’ ehemaligen Schülerinnen, die Altistin Käthe Geyer und die Pianistin Gerda Berthold, mitwirkten.

Stand: Mai 2016
© Tobias Knickmann, Frauke Steinhäuser

Quellen: StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II Amtsgericht Hamburg 10940; StaH 332-5 Standesämter 6640 u. 666/1925; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1488; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 19213; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 23610; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 25202; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 25267; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 27271; StaH 361-2 II Oberschulbehörde II 18 Höheres Schulwesen, Brahmskonservatorium; StaH 363-2 Senatskommission für Kunstpflege Eb 27; Diercks, Dokumentation Stadthaus, S. 26; o. A., Oswald Behrens zum Gedenken in: Hamburger Abendblatt v. 15.2.1958 (StaH 731-8 Zeitungsausschnittssammlung A 752 Oswald Behrens); E-Mail-Wechsel mit Frau Beatrice Behrens, März–Juli 2015; Tobias Knickmann, Oswald Behrens, in: Claudia Maurer Zenck u.a. (Hrsg.), Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, online unter: www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00004768 (letzter Zugriff 20.8.2015); Hamburger Adressbücher; Barbara Müller-Wesemann, Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund in Hamburg 1934–1941, Stuttgart, 1996, zugl. Diss., Hamburg, 1995; dies., Jüdischer Kulturbund Hamburg, in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, online unter: www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-kulturbund-hamburg (letzter Zugriff 12.1.2015).

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