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Bereits verlegte Stolpersteine



Johanna Töpfer mit ihren drei Töchtern
Johanna Töpfer (l.) und ihre Töchter Gretel, Annemarie und Gertrud, vermutlich Sylvester 1936
© Privat

Johanna Töpfer (geborene Sukowski) * 1891

Sartoriusstraße 31 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
JOHANNA TÖPFER
GEB. SUKOWSKI
JG. 1891
VERHAFTET 1933
MEHRERE KZ
1939 RAVENSBRÜCK
"VERLEGT" 1942
BERNBURG
ERMORDET 28.3.1942

Weitere Stolpersteine in Sartoriusstraße 31:
Hans Sukowski

Johanna Töpfer, geb. Sukowski, geb. am 4.12.1891 in Hamburg, 1933–1939 mehrfach verhaftet, vom KZ Ravensbrück in die "Heil- und Pflegeanstalt Bernburg" verlegt, dort am 27.3.1942 ermordet

Sartoriusstraße 31

Margaretha Johanna Töpfer, geb. Sukowski, wurde als drittes von fünfzehn Kindern am 4.12.1891 in Hamburg geboren. Ihre Eltern waren um die Jahrhundertwende aus Polen zugewandert. Die Familie lebte am Alten Steinweg 27 im Hinterhaus in tiefster Armut, sechs Kinder starben früh an Hunger und Kinderkrankheiten. Der Vater August Sukowski arbeitete als Schmied, die Mutter Maria, geb. Dmuchowski, war Köchin. In der Familie wurde viel gesungen, angeblich hatte Johannas Stimme einen glockenhellen Klang.

1899 eingeschult, besuchte sie bis zur 4. Klasse die Schule Neustädter Straße. 1908 wurde sie zu einer Strafe in Höhe von 10 Mark verurteilt, weil sie Jahre nach der Schulentlassung mit einer Mitschülerin angeblich ihre Lehrerin verfolgte. Die Zeiten waren schlecht, mit 12 Jahren stand Johanna Schmiere, wenn andere Kohlen klauten. Oft schickte ihre Mutter sie los, um etwas Essbares zu erbetteln. Johanna war die Kleinste, die Schmächtigste, ihr gaben die Menschen manchmal etwas. Auch zum Krämer wurde Johanna geschickt, um "anschreiben" zu lassen. Früher eine gängige Zahlungspraxis: die Lebensmittel wurden beim Kaufmann notiert und bezahlt, wenn es in der Familie wieder Geld gegeben hatte.

1908 fand Johanna Arbeit, zunächst arbeitete sie in Tag-Stellen, dann ein halbes Jahr in der Kantine der Deutschen Bank. Trotzdem wurde Johanna 1909 in ein Erziehungsheim überwiesen, wo sie zum Schluss als Stationsmädchen arbeitete.

Am 5. Juli 1912 brachte Johanna ihren Sohn Reinhold Rudolf Hans zur Welt. Sie wohnte damals in der Marktstraße 107. Der Vater des Kindes hieß Max Schaller. Johanna handelte mit Bleistiften, ging von Tür zu Tür, um sich und den Sohn über Wasser zu halten. Ein Jahr später wurde Tochter Gertrud-Grete geboren. Ob Max Schaller auch deren Vater war, geht aus den Akten nicht hervor. Johanna und Max Schaller lebten kurze Zeit zusammen, bis er zum Militärdienst eingezogen wurde. Er wurde 1917 im Ersten Weltkrieg getötet.

1922 wurde Johanna wegen Diebstahls vom Amtsgericht Altona zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Angeblich hatte sie im Winter 1920 beim Hausieren mit Bleistiften aus der Stube eines Händlers ein Stückchen Zigarillo entwendet.

Weitere schwere Jahre folgten. Johanna pflegte ihre Mutter, die einen Schlaganfall erlitten hatte. Maria Sukowski starb 1927, der Vater bereits 1924 in Kiel, die Eltern waren mittlerweile geschieden. 1928 lernte Johanna den zehn Jahre jüngeren Ernst Friedrich Karl Töpfer kennen. Die beiden heirateten. Er arbeitete auf der Werft Blohm und Voss als Hilfsschreiber. Die Familie lebte nun in der Sartoriusstraße 31.

1929 wurde Tochter Annemarie geboren. Nach langer Krankheit fand Johannas Mann keine Arbeit mehr. Er ging von Haus zu Haus und verkaufte Zeitungen, um die Familie zu ernähren, doch das Einkommen war sehr gering. 1930 wurde Johanna wegen Diebstahls zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Sie erhielt mildernde Umstände, weil sie hochschwanger war. Der Richter berücksichtigte zudem die Notlage der sechsköpfigen Familie. Johanna legte Berufung ein. 1931 wurde ihre Tochter Gertrud geboren. Am 26. März 1931 fällte das Landgericht Hamburg den Beschluss, ein medizinisches Gutachten über Johanna einzuholen. Im April 1931 mischte sich die Gesundheitsbehörde ein, Abt. Psychiatrische Fürsorge. In der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg wurde ein ärztliches Gutachten erstellt. Prof. Dr. G. erklärte, die Angeklagte sei "geistig schwach veranlagt und daher minderwertig"! Das Gericht urteilte: In Hinblick auf die Minderwertigkeit vier Jahre Zuchthaus. Die Gerichtshilfe für Erwachsene schrieb an die Staatsanwaltschaft: "Ernst Töpfer erklärt, das er mit seinen zwei Kindern aus dem Leben scheiden will, wenn man sie für immer trennen würde." So wurde Johanna – sie war seit dem 7. August 1933 im Zuchthaus Fuhlsbüttel – in die Haftanstalt Lübeck-Lauerhof eingewiesen. Die Anstaltsärztin erklärte: "Johanna ist nach wie vor als beschränkt zurechnungsfähig und als haftfähig zu bezeichnen." Am 4. September 1935 wurde sie ins Gefängnis Kiel verlegt. Am 7. September 1935 durfte Johanna endlich zurück zu ihrer Familie. Auch ihr Sohn Hans geriet in die Mühlen der Justiz, er wurde wegen Diebstahls verhaftet, bestritt aber die Tat. Daraufhin wurden alle Mitglieder der Familie Sukowski wegen ihres Lebenswandels beobachtet. Hans Reinhold Sukowski war homosexuell, was die Situation noch schwieriger machte.

Im Dezember 1936 reichte Ernst Töpfer die Scheidung ein. Damit verlor Johanna jeden Halt. Arbeitslos lebte sie nun in der großen Wohnung Sar­toriusstraße mit ihren drei Mädchen Gretel (24 Jahre alt), Annemarie (8 Jahre alt) und Gertrud (6 Jahre alt) von der Wohlfahrt und erhielt monatlich 27 Reichsmark (RM), zu wenig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Am 9. März 1937 wurden im ganzen Reich Verhaftungen durchgeführt, auch Johanna war betroffen. Die Aktion umfasste etwa 2000 Männer und Frauen, die schon mehrfach inhaftiert gewesen waren. Im Verständnis der nationalsozialistischen Ideologie bzw. "Volksgemeinschaftsidee" galten sie als Berufs- bzw. Gewohnheitsverbrecher.

Johannas nächste Leidensstation war das KZ Moringen. Arbeit, Hunger, Kälte und die Schikanen der Wachmannschaft setzten den Frauen zu. Das Schlimmste war jedoch die Ungewissheit über das Schicksal der Kinder. Mittlerweile war für den Fall Johanna Töpfer die Reichskriminalpolizei Berlin zuständig. Am 15. September 1937 wurde Johanna vom KZ Moringen zurück nach Hamburg gebracht, wo erneut ein Prozess stattfand, in dem sie zu weiteren fünf Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Auch dieses Mal billigte das Gericht der Angeklagten, weil sie aus wirtschaftlicher Not gehandelt und für sich und die Kinder fast nichts zu essen hatte, mildernde Umstände zu, verlängerte aber mit dem Urteil die Haftzeit. Nach dem Prozess sagte sie leise: "Ich möchte nur zurück zu meinen Kindern!"

Nach der Gefängnishaft wurde Johanna am 15. Februar 1938 erneut ins KZ Moringen gebracht. Der dortige Direktor erstellte eine Rechnung für die Fahrkosten über 48,90 RM an das Amtsgericht Hamburg. Einen Monat später, am 21. März 1938, wurde das KZ Moringen aufgelöst und Johanna mit dem dritten Transport ins KZ Lichtenburg verschleppt. Doch auch Lichtenburg war nicht das Ende ihres Leidens.

Im Mai 1939 wurden die Frauen des KZ Lichtenburg nach Ravensbrück gebracht, auch Johanna. Wie es ihr dort erging, in welchen Block sie kam, ob sie Freundschaften schloss, bleibt offen. Ihre Häftlingsnummer war 564, sie war jetzt 48 Jahre alt, Haftkategorie B.V. jüdisch stand in den Unterlagen. Doch war sie weder Berufsverbrecherin noch Jüdin. Gleichwohl geriet sie auf die Liste mit der Bezeichnung "14f13", auch bezeichnet als Häftlings-Euthanasie.

Die Häftlinge kamen aus Ravensbrück, Buchenwald, Flossenbürg, Neuengamme, Sachsenhausen und anderen Lagern. Die Liste enthielt die Namen von Alten, Kranken und nicht mehr arbeitsfähigen Häftlingen. Johanna Töpfer, geborene Sukowski, starb nicht in Ravensbrück, sie wurde wie etwa 1.600 andere Frauen zwischen März und April 1942 eines Morgens aus dem Bett geholt. Es muss um den 27. März 1942 herum gewesen sein, als die Wachmannschaften des Lagers sie und andere auf Lastkraftwagen verfrachteten. Das Ziel der Reise war die "Heil- und Pflegeanstalt" Bernburg. Die Frauen mussten sich sofort nach der Ankunft im Keller entkleiden und wurden vergast. Die Leichen wurden verbrannt. Währenddessen lief der Krankenhausbetrieb nebenan ganz normal weiter. Manchen wurden von einem Arzt zu medizinischen Versuchszwecken die Gehirne entnommen.

Berichte aus dem KZ Ravensbrück von Überlebenden bezeugen die Ereignisse. Das wohl be­kannteste Opfer der Aktion war die Kommunistin Olga Benario. Einer der Täter, Heinrich Friedrich Karl B., Arzt in Brandenburg und Bernburg, wurde 1986 vom Landgericht Frankfurt wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 11.000 Fällen zu drei Jahren Haft verurteilt. Es konnten ihm "nur" 9.200 Fälle nachgewiesen werden.

Anfang April 1942 bekamen die Töchter den Bescheid aus Ravensbrück, dass ihre Mutter am 27. März 1942 verstorben sei. Grete, die Älteste, schrieb nach Ravensbrück, um den Trauring ihrer Mutter zu erhalten. Antwort: "Sie hatte nie einen Trauring, aber sie können die Urne haben."

Ob die Urne tatsächlich Johannas Asche enthielt, ist fraglich. Ebenso wie das genaue Sterbedatum wurde auch verschleiert, wo sie starb und vor allem, durch wen!

Am 17. Juni 1942 wurde Johannas Urne auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Grab ihrer Mutter beigesetzt. Es wird als Kriegsgrab geführt. In den Friedhofsunterlagen steht die Nummer 165 und der Name des Krematoriums Ravensbrück.

Johannas Sohn Hans wurde wegen mehrfachen Diebstahls und wegen Verstoßes gegen den § 175 im Februar 1941 zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren und neun Monaten Zuchthaus mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Ein Zellengenosse hatte ihn als Homosexuellen denunziert. Vom KZ Bremen-Oslebshausen wurde er am 6. November 1943 ins KZ Neuengamme verschleppt, wo sich seine Spur verliert. Seine Familie sah ihn nie wieder, ob er überlebte, ist bis heute unklar. Tochter Annemarie ging 1948 nach England, wo sie 1950 heiratete. 1960 verließ auch die Tochter Gretel Hamburg und ging ebenfalls nach England.

© Elisabeth Sukowski

Quellen: StaH 213-11 Landgericht Staatsanwaltschaft, 02174/38; StaH 213-11, 4448; StaH 332-5 Standesamt 2, Sgn. 4998; Sven Langhammer, Die reichsweite Verhaftungsaktion; Nachlass aus der Familie; Auskünfte 2011/2012 aus Gedenkstätte Bernburg; Gedenkstätte KZ Lichtenburg; KZ-Gedenkstätte Moringen; KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; ITS Arolsen; Bundesarchiv Berlin, Liste des Reichskriminalpolizeiamtes; Staatsarchiv Bremen; Paul Harald Sukowski, Meine Tante Annusch, Privatdruck.

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