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Manfred Berger * 1923

Kalischerstraße 20 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
MANFRED BERGER
JG. 1923
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN

Weitere Stolpersteine in Kalischerstraße 20:
Debora Berger, Chaim Isaak Berger

Debora (Dvora) Berger, geb. Kornreich, geb. am 23.11.1887 in Neu Sandez (Nowy Sacz), ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938
Isacher (Yitzkhak) Berger, geb. am 24.2.1884 in Buchach (Buczacz), ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938
Manfred (Moshe) Berger, geb. am 10.1.1923 in Hamburg, ausgewiesen nach Zbaszyn am 28.10.1938

Kalischer Straße 20 (früher: Feldstraße 30)

Debora und Isacher Berger stammten aus zwei jüdischen Elternhäusern im damaligen Galizien, der östlichsten Provinz des Kaiserreiches Österreich-Ungarn. Wie in anderen Gebieten Osteuropas war der jüdische Bevölkerungsanteil (11%) auch in dieser Grenzregion der Donaumonarchie sehr hoch. Die Mehrheit der galizischen Juden lebte in armen Verhältnissen und zeichnete sich durch eine ausgeprägte kulturelle und religiöse Identität aus. Sie sprachen untereinander zumeist Jiddisch und bekundeten in Glaubensfragen eine stark orthodox geprägte Haltung. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft verließen viele galizische Juden in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg ihre Heimat in Richtung Westen. Wann genau Debora und Isacher Berger nach Harburg gelangten, bleibt bis auf weiteres unklar.

Sie waren keineswegs die einzigen jüdischen Zuwanderer, die sich in diesen Jahren in der Nachbarschaft der Großstadt Hamburg niederließen und zu einem starken Zuwachs der jüdischen Bevölkerung Harburgs beitrugen. Auch das jüdische Gemeindeleben blieb davon nicht unberührt. Es gab Spannungen zwischen den alteingesessenen, meist gutsituierten jüdischen Familien der Stadt, die vielfach die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen und eine weitgehende Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft anstrebten, und den osteuropäischen Zuwanderern, die größeren Wert auf jüdische Riten und Traditionen legten. Diese Differenzen waren aber angesichts des bereits vor 1933 stark zunehmenden Antisemitismus von geringerer Bedeutung.

Debora und Isacher Berger ließen sich im Phoenixviertel der Stadt Harburg häuslich nieder. Dieses Neubaugebiet war in den letzten Jahres des 19. Jahrhunderts auf dem südlich der Wilstorfer Straße gelegenen Krummholzberg erschlossen worden. Der Name dieses neuen Stadtteils geht auf die am Fuße des Berges errichteten Harburger Phoenixwerke zurück. In den neuen, mehrgeschossigen Mietshäusern wohnten vornehmlich Familienväter, die in dieser Fabrik arbeiteten.

Debora und Isacher Berger wohnten mit ihren vier Kindern zunächst in der Mittelstraße (heute: Beckerberg) und dann in der Feldstraße (heute: Kalischerstraße). Isacher Berger dürfte zu den osteuropäischen Zuwanderern zählen, die es in den 1920er und 1930er Jahren durch Klein- und Kleinsthandel zu einem bescheidenen Wohlstand brachten. Im Großen Schippsee in der Harburger Innenstadt betrieb er ein kleines Fachgeschäft für Tapetenhandel. Ob er auf diese Weise allein für den Lebensunterhalt der Familie sorgen konnte oder ob seine Frau wie in vielen anderen osteuropäischen Zuwandererfamilien mit arbeiten musste, wissen wir nicht.

Wie brüchig diese existentielle Grundlage war, zeigte sich auch in Harburg beim Beginn der Weltwirtschaftskrise und bei der nach 1933 einsetzenden staatlichen Judenverfolgung. Die negativen Folgen waren nicht unerheblich. Auch Isacher Berger war davon betroffen. Wann er sein Fachgeschäft für Tapetenhandel aufgab und mit seiner Familie ins Hamburger Grindelviertel zog, lässt sich nicht genau sagen.

Ebenso wenig wissen wir darüber, ob noch weitere Kinder der Familie – außer Manfred Berger – mit ihren Eltern am 28. Oktober 1938 im Zuge der staatlich organisierten "Polen-Aktion" mit über 1.000 anderen Hamburger Juden an die deutsch-polnische Grenze bei Neu Bentschen verfrachtet und dort ihrem weiteren Schicksal überlassen wurden. Die polnische Regierung protestierte in aller Schärfe gegen diese Provokation und internierte die Abgeschobenen zunächst in mehreren Lagern im Grenzgebiet. Dort blieben sie bis zu deren Auflösung im Sommer 1939, sofern sie nicht vorher eine Erlaubnis zur Ausreise ins Ausland oder eine Einladung zum Verbleib bei polnischen Verwandten vorweisen konnten.

Ob die drei älteren Kinder Debora und Isacher Bergers diese letzte Gelegenheit zur Flucht in ein sicheres Exilland nutzen konnten – wenn sie ihnen nicht schon vorher gelungen war –, lässt sich nicht mehr klären. Ihre Eltern und ihr Bruder Manfred waren noch in Polen, als das Land im Herbst 1939 von deutschen Truppen überfallen und besetzt wurde. Über das weitere Schicksal der Ausgewiesenen ist nur wenig bekannt. Ihre Spuren verlieren sich in einem der unzähligen Gettos, die kurz danach im ganzen Land von den deutschen Besatzungsbehörden errichtet wurden.

Debora, Isacher und Manfred Berger überlebten diese Zeit der Judenmorde nicht. Über die genaueren Umstände ihres Todes ist nichts weiter bekannt.

Stand Dezember 2015

© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Staatsarchiv Hamburg, Magistrat Harburg-Wilhelmsburg, 430-5 Religionswesen, Synagogen-gemeinde; Matthias Heyl, Vielleicht steht die Synagoge noch. Jüdisches Leben in Harburg 1933–1945, Norderstedt 2009; Kurt Horwitz, Erinnerungen eines jeckischen Akademikers, o. A.; Das Phoenix-Viertel in Harburg, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg 1981; U. Becher, W. Borodziej, R. Maier (Hrsg.), Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert, Bonn 2004.

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