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Käthe Vollmers
Käthe Vollmers
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Käthe Vollmers * 1900

Schanzenstraße 28 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
KÄTHE VOLLMERS
JG. 1900
EINGEWIESEN 1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 8.3.1945

Käthe Vollmers, geb. am 3.9.1900, aufgenommen am 16.5.1935 in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, Tod am 8.3.1945

Schanzenstraße 28

Käthe Vollmers lächelt freundlich und selbstbewusst von ihrem Foto auf dem "Ausweis für Erwerbslose", der sie zu Fahrpreisermäßigungen bei der Hamburger Hochbahn AG berechtigte. Sie hatte ihr eigenes Geld als Dienstmädchen und Arbeiterin verdient, 100 Reichsmark (RM) auf ihrem Sparbuch eingezahlt und wollte auch, nachdem sie bereits erkrankt und erwerbsunfähig geworden war, wieder berufstätig sein. Die Beschäftigungen, zu denen sie in den Anstalten angehalten wurde, befriedigten sie nicht und führten zu Konflikten mit dem Pflegepersonal. Da war sie eine 33-jährige selbstbewusste Frau, die jedoch ihrer Krankheit ausgeliefert war.

Am 3. September 1900 war Anna Käthe Adolfine Vollmers unehelich als Tochter der Arbeiterin Metta Margaretha Adelheid Vollmers, geboren am 22. Dezember 1869 in Stade, in der Wohnung des Handelsmanns Lübbe – vermutlich der Arbeitgeber ihrer Mutter – in Stade zur Welt gekommen. Am letzten Septembertag 1900 wurde sie getauft und danach in Pflege gegeben. Die Pflegschaft dauerte, bis die Mutter am 19. November 1905 den Arbeiter Johann Christian Varberg, geboren am 7. November 1873 in Tondern/Dänemark, heiratete, dessen Familiennamen Käthe erhielt. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Käthes Familienname änderte sich noch einmal, als sie bereits in Hamburg lebte und durch Verfügung der Senatskommission für die Justizverwaltung vom 9. April 1925 wieder den Namen Vollmers zu führen hatte.

Käthe besuchte in Stade kurze Zeit die Volksschule, nach dem Umzug nach Hamburg die Hilfsschule in der Eppendorfer Landstraße. Das neunjährige Mädchen wurde als "moralisch minderwertig" bezeichnet, weil es völlig unangepasst war. Mit zwölf Jahren jedoch hatte sie sich nach dem Urteil des Klassenlehrers "befriedigend entwickelt". Sie erfüllte ihre Schulpflicht von acht Jahren und wurde aus der sechsten Klasse entlassen. Am 28. März 1915 wurde sie in der St. Johanniskirche in Hamburg-Eppendorf konfirmiert und galt hinfort als erwerbsfähig. Wie ihrer Mutter stand ihr ein Leben als Dienstmädchen oder Arbeiterin offen, allerdings in Hamburg und nicht in einer Kleinstadt wie Stade. Sie blieb aber die nächsten zwei Jahre im Hause bei ihrer Mutter.

Ihre Erwerbstätigkeit begann sie in einer Korbflechterei, wo sie zusammen mit ihrer Mutter arbeitete. Schon im folgenden Jahr musste Käthe Vollmers im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf behandelt werden. Wie sich später herausstellte, war das der erste einer Reihe von Krankenhausaufenthalten. An der rechten Hand hatte sich eine Phlegmone gebildet, eine eitrige Entzündung, die sich auszubreiten drohte.

Ein richtiges Zuhause erlebte Käthe Vollmers danach nicht mehr, da ihre Mutter im Alter von nur 49 Jahren an einem Schlaganfall starb. Käthe kam in das damalige Werk- und Armenhaus in Farmsen und von dort ins Mädchenstift Elim; die Elim-Gemeinden waren freikirchlich orientierte Glaubensgemeinschaften. In Farmsen erhielt sie Geld für ihre Arbeit, in Elim nicht. Sie wechselte auf einen Bauernhof, blieb auch dort nicht lange und wurde nach ihrer Rückkehr vom Hamburger Jugendamt im städtischen Mädchenheim Alstertwiete untergebracht. Dort geriet sie mehrfach in Erregung, beschuldigte Mitbewohnerinnen des Diebstahls und wurde aggressiv. Als sie sich in einem solchen Zustand nicht beruhigen ließ, wurde sie am 26. Januar 1921 in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen.

Nach einer schwierigen Eingewöhnungszeit, in der sie mehrfach den Wunsch äußerte, nach Farmsen zurückzukehren, wurde sie ruhiger und erledigte die ihr übertragenen Arbeiten sorgfältig. Inzwischen war sie volljährig. Nach 15 Monaten in der Anstalt Friedrichsberg wurde Käthe Vollmers entlassen und ging in "Stellung" auf dem Land. 1925 stellten sich bei ihr erstmals Rücken- und Leibschmerzen ein, die sich durch die Arbeit verschlimmerten.

Bei ihrem ersten Aufenthalt im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg im Sommer 1927 wegen einer akuten Darmerkrankung wurde Käthe Vollmers gründlich auf die Ursachen ihrer vielfachen Beschwerden untersucht. Gefunden wurden heilbare Rückgratverkrümmungen und Muskelrheumatismus, für den es keine Heilung gab. 1929 traten bei ihr Krämpfe auf. Als deren Häufigkeit zunahm, wurde Käthe Vollmers auf Epilepsie hin beobachtet. Behördlicherseits sollte geklärt werden, ob sie entmündigt werden müsse, doch sah der behandelnde Arzt dafür keinen Anlass. Ohne eindeutige Diagnose wurde sie im Januar 1930 als "etwas gebessert" entlassen.

Eine andere Stellung ging Käthe Vollmers durch ein Unglück verloren. Bei der Arbeit hatte ihr eine Frau versehentlich mit einem Beil auf den Kopf geschlagen, weshalb sie erneut ins Krankenhaus St. Georg kam. Obwohl keine Gehirnerschütterung vorlag, dauerte es drei Wochen, bis sie entlassen werden konnte. Danach wurde sie im Marthahaus, einer Stiftung zur Ausbildung und Stellenvermittlung von Dienstmädchen in der damaligen Baustraße (heute Hinrichsenstraße) untergebracht.

Käthe Vollmers war nicht nur arbeitslos, sondern erhielt auch ab August 1932 ein Jahr lang keine Arbeitslosenunterstützung. Dennoch erschien sie wöchentlich mit ihrer Stempelkarte beim Arbeitsamt zur Vermittlung und wohnte währenddessen im Asyl in der Bundesstraße 23. Als sie wieder Arbeitslosenunterstützung erhielt, mietete sie sich für 4 RM die Woche bei der Witwe Lucie Tholeikes in der Schanzenstraße 28 ein. Am 18. Dezember 1933 stürzte sie, womit ihre relative Freiheit endete. Bei einem Besuch des Warenhauses Tietz am Jungfernstieg (heute Alsterhaus) war sie plötzlich umgefallen, aber noch allein in ihre Wohnung gelangt. Zu ihrem eigenen Schutz wurde sie am nächsten Tag wieder ins Allgemeine Krankenhaus St. Georg gebracht, wo sie der renommierte Neurologieprofessor Heinrich Pette untersuchte. Zuerst widersetzte sie sich der Untersuchung, erteilte dann aber Auskünfte über sich selbst und ihre Familie. Daraus schloss Heinrich Pette, sie leide an einer erblichen Epilepsie und zeige "typisch epileptische Charakterveränderungen". Am 5. Januar 1934 wurde sie als "gebessert" entlassen.

Nach nur elf Tagen wurde sie als dringlich in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen, zwölf Jahre, nachdem sie zum ersten Mal dort war. Im Aufnahmegespräch äußerte sie Phantasien von Gift, das ihr ihre Wirtin ins Bett oder ins Essen gestreut habe. Am 29. Januar 1934 erlitt sie einen epileptischen Anfall, dem weitere folgten. Auch die Vergiftungsideen hielten an, und sie war meist gereizt. In diesem Zustand wurde sie in das Mädchenheim Alstertwiete entlassen. Von dort gelangte sie am 16. Mai 1935 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, wo sie die nächsten zehn Jahre verbringen sollte.

Käthe Vollmers gewöhnte sich ein, wurde ruhiger und zugänglicher und geriet nur gelegentlich außer sich. Dann wurde sie vorübergehend isoliert. Sie achtete auf ihre Körperpflege und half bei Hausarbeiten. Wegen ihres geringeren Pflegebedarfs wurde der niedrigere Satz der Pflegestufe II festgesetzt, für deren Kosten die Fürsorgebehörde aufkam.

Im Laufe der Jahre hörten die schweren epileptischen Anfälle auf, aber der Schwindel wurde stärker. Mit ihren schwachen Kräften arbeitete Käthe so gut sie konnte.

Nach der Beschädigung der damaligen Alsterdorfer Anstalten durch alliierte Bombenangriffe Anfang August 1943 ließ Direktor Pastor Friedrich Lensch Hunderte von Patienten und Patientinnen in "luftsichere" Anstalten verlegen. Am 16. August 1943 reisten 228 Mädchen und Frauen in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, den früheren Steinhof, ab. Unter ihnen war auch Käthe Vollmers.

Käthe Vollmers war "kein schwerer Fall". Im Aufnahmegespräch wusste sie, wer und wo sie war, wusste, dass sich die Anfälle durch Schwindel ankündigten und durch Brom unterbunden werden konnten und dass sie sich bis dahin bei Anfällen nie schwer verletzt hatte. Dass sie wieder mehr Anfälle habe, erklärte sie damit, dass die Oberschwester ihre Uhr gestohlen habe. Dass sie überhaupt Anfälle habe, liege daran, dass man ihr "in Hamburg immer auf den Kopf geknallt" habe. In der Anstalt in Wien werde sie Nacht für Nacht geschlagen.

In den folgenden Tagen und Jahren äußerte sie sich oft unzufrieden. Einmal geriet sie so außer sich, dass sie mit einer Schutzjacke gebändigt wurde. Zur Behandlung ihrer paranoiden Ideen und epileptischen Geistesstörung unterzog man sie einer zehntägigen Malariakur, deren Ergebnis nicht dokumentiert ist. Im Januar 1944 wurde ein Rorschach-Test mit ihr durchgeführt, mit unbekanntem Ergebnis. Käthe Vollmers erlitt in den ersten drei Monaten des Aufenthalts in Wien nur einen epileptischen Anfall. Wenn ihr Befinden es erlaubte, arbeitete sie in der Nähstube.

Am 2. März 1944 füllte die Anstaltsleitung den Meldebogen 1 für die T4-Zentrale in Berlin aus. Darin wurde vermerkt, Käthe Vollmers bekomme keinen Besuch, ihre Arbeitsleistung sei mäßig – zwei Kriterien für die Entscheidung über Leben oder Tod. Ob der Bogen je abgeschickt wurde, ist unbekannt. Am 7. des Monats fand eine Besprechung mit ihr statt, in der sie die früheren Behauptungen, sie werde viel geschlagen und von ihrer Wirtin vergiftet, wiederholte, ebenso ihre Forderung, ihr Eigentum zurückzubekommen.

Beim nächsten Quartalsbericht hieß es, sie halte sich im Tagesraum auf und werde mit Flickarbeiten beschäftigt, sei unverändert leicht reizbar. Pflege, Appetit und Schlaf seien gut. Warum Käthe Vollmers am 20. Oktober in die Pflegeanstalt verlegt wurde, geht aus der Krankenakte nicht hervor. Dort wurde sie wiederum als gut orientiert, auch politisch, zugänglich und ruhig beschrieben und es hieß, sie gebe verständige Antworten, sei allerdings leicht reizbar. Negativ wurde festgehalten, dass sie nicht arbeiten wolle, wenn sie kein Geld bekomme, und täglich abnehme – ein Hinweis auf die Hungerrationen.

Im März 1945 war Käthe Vollmers so geschwächt, dass sie bettlägerig und desorientiert war. Zudem litt sie an Durchfall. Die Anstalt verschickte eine Verschlechterungsmeldung – an wen, ist unklar, denn Angehörige waren nicht bekannt. Sechs Tage später, am 8. März 1945, starb Käthe Vollmers angeblich an Lungenentzündung und Darmkatarrh. Bei der Ankunft in Wien hatte sie 47,5 kg gewogen, bei ihrem Tod weniger als 35 kg. Käthe Vollmers wurde 44 Jahre alt.

Stand September 2015

© Hildegard Thevs

Quellen: Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, V 219; Stadtarchiv Stade, Geburts-, Heirats-, Auskunft über Melderegistereinträge, 24.3.2014; Wunder u.a., Auf dieser schiefen Ebene, S. 189-201.

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