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Porträt Edith Birnberg
Edith Birnberg
© NAB, Foreigners‘ files

Edith Birnberg (geborene Weitz) * 1901

Haeckelstraße 10 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
EDITH BIRNBERG
GEB. WEITZ
JG. 1901
UMZUG 1930 BELGIEN
INTERNIERT MECHELEN
DEPORTIERT 1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Edith Birnberg, geb. Weitz, geb. am 22.2.1901 in Harburg, Umzug nach Belgien 1930, interniert im Lager Mechelen 1943, deportiert nach Auschwitz am 20.9.1943, ermordet

Stadtteil Harburg-Altstadt, Haeckelstraße 10 (früher: Marthastraße 10)

Edith Weitz erblickte als Kind ihrer jüdischen Eltern Carl (*18.2.1876) und Ella (*6.12.1880) Weitz das Licht der Welt. Drei Jahre später wurde ihr Bruder Fritz Weitz geboren. Die Familie wohnte in der Wilstorfer Straße 54, die die Harburger Altstadt mit dem Stadtteil Harburg-Wilstorf verband und an den Phoenix-Werken, dem größtem Arbeitgeber der Stadt, vorbeiführte.

Carl Weitz gehörte zu den vielen Mitgliedern der Harburger Synagogengemeinde, die am Ende des 19. Jahrhunderts ihre Heimatstadt Kolomea in der österreichischen Provinz Galizien (heute: Ukraine) in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Fremde verlassen hatten. In der aufstrebenden Industriestadt Harburg/Elbe glaubte er, den richtigen Ort für die Realisierung seiner Wünsche und Träume gefunden zu haben. Dass er eine gute Wahl getroffen hatte, zeigte sich bald. Mit unglaublichem Fleiß und kühnem Mut brachte er es schnell zu beachtlichem Ansehen und stattlichem Wohlstand. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg eröffnete er in der Wilstorfer Straße 42 – unweit seines privaten Wohnsitzes - ein Möbel- und Bekleidungsgeschäft. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Soldat in den Reihen des deutschen Heeres.

Die Eltern ermöglichten ihren Kindern eine gute Schulbildung. Edith legte das Abitur ab und erwarb dann die beruflichen Qualifikationen für die Arbeit als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Am 16. Oktober 1923 heiratete sie den ebenfalls jüdischen Kaufmann Baruch Symon Birnberg (*24.12.1899). Auch seine Eltern hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg dazu entschlossen, Kolomea zu verlassen und woanders ein neues Leben zu beginnen.

Das junge Ehepaar bezog eine eigene Wohnung in der Marthastraße 10 (heute: Haeckelstraße) im Süden der Harburger Synagoge. Hier erblickte Miriam Birnberg am 31. Juli 1924 das Licht der Welt.

Am 4. Mai 1930 emigrierten Baruch Symon und Edith Birnberg mit ihrer nunmehr sechsjährigen Tochter nach Belgien, wo sie mit Hilfe von Verwandten Fuß zu fassen hofften. Dabei dürfte auch Baruch Symon Birnbergs Einschätzung der politischen Lage im Deutschen Reich eine Rolle gespielt haben, wie seine Tochter später vermutete. Angesichts der Wahlerfolge der NSDAP sei ihr Vater, wie sie schrieb, zu der Erkenntnis gekommen, dass man "als Jude ... in Deutschland nicht mehr lange ruhig leben" könne.

Doch der Neuanfang war schwerer als gedacht. Baruch Symon Birnberg fand trotz vieler Anläufe angesichts der relativ hohen Arbeitslosigkeit in der neuen Heimat keine Anstellung als kaufmännischer Angestellter. Bald sah er sich gezwungen, auch kurzfristige Stellenangebote in anderen Branchen wie im lederverarbeitenden Gewerbe, im Hotelwesen und in der Lagerhaltung anzunehmen, denn er musste froh sein, wenn er überhaupt eine Beschäftigung fand.

Edith Birnberg sprach kein Französisch und hatte deshalb auf dem Arbeitsmarkt noch weniger Chancen. Nach der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wagte sie sich aus verständlichen Gründen immer seltener aus dem Haus. Die Bedrohung wuchs, als auch in Belgien alle Juden ihre Kleidung in der Öffentlichkeit mit dem `Gelben Stern´ kennzeichnen mussten und immer mehr `Sternträgerinnen´ und `Sternträger´ arbeitslos wurden, was zur Folge hatte, dass sie in ein Lager eingewiesen und zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Wer sich nicht meldete, wurde in der Wohnung oder bei Razzien auf offener Straße verhaftet und in das große belgische Sammellager für Juden überführt, das in der Kleinstadt Mechelen zwischen Antwerpen und Brüssel inzwischen errichtet worden war.

Mit achtzehn Jahren schloss Miriam Birnberg sich einer illegalen Jugendgruppe an, die im Untergrund gegen die deutschen Besatzer agierte. Mit falschen Papieren geriet sie im Juli 1943 in eine Polizeikontrolle. Für dieses Vergehen wurde sie wenig später von einem Gericht zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

Ihre Eltern wurden 1943 verhaftet und in das Lager Mechelen gebracht, das die deutschen Besatzungsbehörden inzwischen zur Drehscheibe für die Deportationen aus Belgien `in den Osten´ umfunktioniert hatten. Am 19. April 1943 musste Baruch Symon Birnberg einen Zug besteigen, der ihn nach Auschwitz bringen sollte. Dieser wurde unterwegs von belgischen Widerstandskämpfern gestoppt, die einige Wagentüren aufbrechen und die Eingesperrten befreien konnten. Baruch Symon Birnberg gehörte zu den Geretteten und überlebte die verbleibenden Monate der deutschen Besatzungszeit im Untergrund.

Edith Birnberg war dieses `Glück´ nicht beschieden. Der Zug, der sie am 20. September 1943 von Mechelen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz beförderte, erreichte sein Ziel zwei Tage später ohne Zwischenfall. Bei der anschließenden Selektion gleich nach ihrer Ankunft wurden 550 arbeitsfähige Männer und Frauen mit Nummern versehen und als Häftlinge zur Arbeit in das Lager eingewiesen, während die anderen 875 Menschen den Weg in die Gaskammern antreten mussten. Die Frage, ob Edith Birnberg zu dieser Gruppe gehörte oder später in Auschwitz-Birkenau umkam, ist nicht mehr zu beantworten. Unbestritten ist, dass sie den Holocaust nicht überlebte. Ihr Mann Baruch Symon Birnberg und ihre Tochter Miriam Birnberg warteten nach dem Zweiten Weltkrieg vergeblich auf ein Wiedersehen.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Gedenkbuch. Hamburger Jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2002; Staatsarchiv Hamburg 351-11_46838, Wiedergutmachung; Kazerne Dossin, Edith Weitz, Transport XX und XXVI; Harburger Adressbücher; Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, Reinbek 1989; Linde Apel, Keine Zuflucht. Verfolgungserfahrungen deportierter Hamburger Juden, in: Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Hamburg 2006; Marion Schreiber, Stille Rebellen. Der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz, Berlin 2002.

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