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Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Sprecherin: Melanie Struve
Amtlicher Sprecher: Detlev Tams
Hermann da Fonseca-Wollheim mit seinem Sohn Friedrich
© Prrivatbesitz Friedrich da Fonseca-Wollheim

Dr. Hermann da Fonseca-Wollheim * 1893

Bahrenfelder Marktplatz 19 (Altona, Bahrenfeld)


HIER WOHNTE
DR. HERMANN DA
FONSECA-WOLLHEIM
JG. 1893
VERHAFTET 27.8.1943
KZ FUHLSBÜTTEL
1944 BUCHENWALD
ERMORDET 13.5.1944

Dr. Hermann da Fonseca-Wollheim, geb. am 22.8.1893, ab 27.8.1943 im KZ Fuhlsbüttel, ab 17.3.1944 im KZ Buchenwald, dort umgekommen am 13.5.1944

Bahrenfelder Marktplatz 19

"Weil er aus seiner Meinung über das Hitlerregime überhaupt keinen Hehl machte, haben wir ihn wiederholt gebeten, doch etwas vorsichtiger zu sein, aber das entsprach überhaupt nicht seinem Temperament. Er hat uns viel über die russischen Männer und Frauen in dem Barackenlager im Volkspark erzählt, vor allem über die Frauen, die unter unvorstellbar harten Bedingungen in den Altonaer Fabriken arbeiten mussten. Dr. Wollheim musste sie ärztlich betreuen und hat das wohl zu gut getan, [ …] jedenfalls wurde er plötzlich verhaftet."
So erinnerte sich Hilde Kuhlmann, eine alteingesessene Bahrenfelderin, an ihren Hausarzt Dr. Hermann da Fonseca-Wollheim.

Geboren wurde Hermann da Fonseca-Wollheim als Sohn des Arztes und Sanitätsrats Dr. Maximilian (genannt Max) da Fonseca-Wollheim und seiner Frau Luise, geb. Hansen. Er stammte aus einer seit vier Generationen in Hamburg und später in Altona-Bahrenfeld ansässigen Familie. Sein jüdischer Urgroßvater Hirsch Wollheim war von Breslau nach Hamburg gekommen, wo er Lotterie-, Bank- und Kommissionsgeschäfte betrieb. Sein Grab liegt auf dem jüdischen Friedhof Königstraße. Dessen Sohn Hermann, der als Eisenbahningenieur bei dem Bau der Berlin-Hamburg-Verbindung beschäftigt war, ließ sich taufen. Dessen Sohn Max da Fonse-ca-Wollheim war Arzt in Bahrenfeld und der Vater von Hermann da Fonseca-Wollheim.

Nach Absolvierung des Christianeums 1912 studierte Hermann da Fonseca-Wollheim Medizin. Als junger Medizinstudent zog er 1914 freiwillig in den Ersten Weltkrieg und wurde mit dem Eisernen Kreuz zweiter und erster Klasse ausgezeichnet. Eine patriotische und staatsloyale Gesinnung zeichnete seine Familie aus. Nach dem Studium der Medizin und einer Zeit als Assistenzarzt im Krankenhaus Altona arbeitete Hermann da Fonseca-Wollheim viele Jahre als Schiffsarzt und lebte später in der persischen Stadt Sultanabad in der Nähe Teherans, wo er die deutsche Kolonie ärztlich betreute und, was ihm sehr am Herzen lag, die ärmere Landbevölkerung medizinisch versorgte.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland übernahm er 1933 die Arztpraxis seines Vaters am Bahrenfelder Marktplatz 19. Seine beiden Söhne vermuten später, dass die Familie nach der nationalsozialistischen Machtübernahme fürchtete, der NS-Staat würde dem Vater als "Halbjuden" die Kassenberechtigung entziehen und dieser müsse dann die Praxis aufgeben. Der Sohn als "Vierteljude" schien weniger gefährdet zu sein. Offenbar erfuhr Max da Fonseca-Wollheim erst jetzt von der jüdischen Abstammung.

Im selben Jahr heiratete Hermann da Fonseca-Wollheim im Alter von vierzig Jahren die junge, bei Mary Wigmann ausgebil-dete Ausdruckstänzerin Käthe Engelke, deren Eltern in der Nähe der Palmaille in Altona ein Lotsenrestaurant betrieben. Am 8. Mai 1934 wurde der Sohn Hermann geboren, am 7. November 1938 folgte der Sohn Friedrich. Die Familie wohnte in der Villa am Bahrenfelder Marktplatz, die Hermanns Vater 1892 hatte bauen lassen. Dort befand sich auch die Arztpraxis.

Doch schon bald hatte Hermann da Fonseca-Wollheim unter Boykottmaßnahmen zu leiden. Die nationalsozialistischen Machthaber begannen, Mediziner jüdischer Herkunft aus dem Berufsleben zu drängen. Seine Schwester Elfriede war schon 1933 "aus rassischen Gründen" als Röntgenschwester aus dem Allgemeinen Krankenhaus Altona entlassen worden.

Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges wäre Hermann normalerweise als Arzt eingezogen worden. Damit hätte er Offiziersrang erhalten. Es war aber "arischen" Soldaten nicht zu-zumuten, Befehle von einem "Vierteljuden" zu erhalten.

Im Krieg wurde Hermann da Fonseca-Wollheim zunächst als Luftschutzarzt verpflichtet. Doch dann wurde er aus der ärzt-lichen Betreuungsstelle beim Sicherheits- und Hilfsdienst wieder entlassen. Danach übernahm er die ärztliche Betreuung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen im Industriegebiet Bahrenfeld. Deportiert aus den besetzten "Ostgebieten", vor allem aus der Ukraine, waren sie u. a. in firmeneigenen Lagern kriegswichtiger Rüstungs- und Lebensmittelbetriebe in der heutigen Schützenstraße, Stresemannstraße und Ruhrstraße untergebracht. Hermann da Fonseca-Wollheim sollte ihre "Arbeitsfähigkeit" sichern. Er versuchte zu helfen, wo er konnte, ergänzte die Lagerapotheke um Bestände aus seiner Arztpraxis und ge-wann das Vertrauen der Ukrainer und Ukrainerinnen. Sein Sohn Hermann begleitete seinen Vater oft in die Lager und erinnert sich, dass mindestens zwei davon Lager für ukrainische Zwangsarbeiterinnen waren.

Die Praxis seines Vaters war viel besucht. Im Krieg waren viele Ärzte an der Front und das Verbot für Mediziner jüdischer Herkunft, Kassenpatienten zu betreuen, ließ sich offenbar nicht immer aufrechterhalten. Auch Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen kamen zur Behandlung in die Praxis. Der Sohn Hermann erinnert sich, dass es im Flur, wo die Patienten, die im Wartezimmer keinen Platz mehr gefunden hatten, warteten, immer stark nach Knoblauch roch, einem Geruch, der ihm bis dahin unbekannt gewesen war.

Am 27. August 1943 wurde Hermann da Fonseca-Wollheim von der Gestapo, die die Lager überwachte, verhaftet.

Seine Nichte Elisabeth Schülke, geb. Bülck, erinnert sich, dass sie nach einem Anruf von ihrem Büro zum Bahrenfelder Marktplatz eilte, wo sie bei den Großeltern oben im Haus wohnte. Hermann da Fonseca-Wollheim war schon verhaftet und saß in einem vor dem Haus geparkten Wagen. Mehrere zivil gekleidete Gestapobeamte durchsuchten das Haus. Es war "volles Haus", wie sie sagte, viele Patienten waren da, die sich zunächst gegen die Festnahme von Hermann da Fonseca-Wollheim empörten, dann aber nach und nach gingen, wohl auch aus Angst.

Bis zum 14. März 1944 blieb er im Konzentrationslager Fuhlsbüttel interniert, von wo er mehr-fach zu Vernehmungen in das Gestapo-Hauptquartier am Dammtorwall transportiert wurde. Bei dieser Gelegenheit sah ihn seine Frau zum letzten Mal.

Es wurde kein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet. Doch seine Frau erfuhr bei Vernehmungen durch die Gestapo von den Vorwürfen gegen ihren Mann: Er hätte verbotenen Umgang mit den Ukrainerinnen betrieben, sich russische Sprachkenntnisse angeeignet und staatsfeindliche Verbindung zur Sowjetunion herstellen wollen – Hauptbeweisstück war ein Schreiben, in dem ukrainische Patienten ihre Dankbarkeit ihm gegenüber als ihrem Arzt zum Ausdruck brachten. Die Gestapo unterstellte, da Fonseca-Wollheim habe diesen Brief als Zeugnis für sich bei einer sowjetischen Besetzung Deutschlands verwenden wollen. Belastet hatte ihn die Leiterin des Ukrainerinnenlagers der Altonaer Wellpappenfabrik in der Schützenstraße und nach dessen Ausbombung im Juli 1944 Leiterin des Russinnenlagers auf dem Gelände der Hansa Motorenwerken in der Kruppstraße, der heutigen Ruhrstraße. Sie überwachte die Post der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, arbeitete als Dolmetscherin und leistete – nach Aussagen von Zeugen – Spitzeltätigkeit für die Gestapo. Hermann da Fonseca-Wollheims Sohn erinnert sich, dass die Ukrainerinnen immer in Begleitung dieser Frau in die Praxis seines Vaters gekommen waren.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelte 1949 gegen den ehemaligen Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann wegen Mitverantwortlichkeit für Verbrechen der Gestapo. In dem Zusammenhang ging es auch darum, wer die Einweisung von Hermann da Fonseca-Wollheim ins Konzentrationslager veranlasst und wer ihn denunziert hatte. Die Staatsanwaltschaft befragte Verwandte, Altonaer Firmenangehörige und die Leitung der Zwangsarbeiterlager. Nicht vernommen wurden hohe NS-Justizbeamte, die immer noch als Richter amtierten. Die Fragen wurden nicht geklärt; zu einem Prozess gegen Kaufmann kam es nie.

Landgerichtsdirektor Runde aus Lübeck, von seiner Verwandten Käthe da Fonseca-Wollheim gebeten, sich für ihren verhafteten Mann einzusetzen, berichtete von seinem Versuch, bei Albert Schweim, dem Leiter des Hamburger Gestapo-Ausländerreferats vorzusprechen: "Der Beamte sagte mir weiter, der Kommissar Schweim habe geäußert, er nähme Besuche in der Sache Wollheim nicht mehr an, der Mann komme ins KZ. […] Übrigens tat Thesenvitz [Behördenvorstand] folgende Äußerung: Infolge der Zerstörung Hamburgs sei ein derartiger Defätismus in der Hamburger Bevölkerung […] ausgebrochen, dass diese sich in auffälliger Weise bemühten, sich mit den russischen Kriegsgefangenen und Arbeitern gut zu stellen. Insbesondere hätten Ärzte der Gestapo Veranlassung gegeben, ihr Verhalten gegenüber der Bevölkerung zu beanstanden. Aus diesem Grunde habe die Gestapo sich zu einigen scharfen Maßnahmen gezwungen gesehen."

Eduard H., Erster Staatsanwalt a. D., schilderte, dass Karl Kaufmann in dem Fall Fonseca-Wollheim persönlich interveniert habe: "Kaufmann hatte [nach da Fonseca-Wollheims Verhaftung] voller Entrüstung bei einer Kundgebung im Rathaus vor Beamten den Fall erzählt und zum Schluss erklärt: ‚Für solche Leute ist natürlich in Deutschland kein Platz’. Das war allgemein richtig verstanden worden. Mir wurde beispielsweise auf dem Gericht am folgenden Tag darüber in der Form berichtet: ‚Die Tage von Dr. Wollheim sind gezählt‘."

Am 17. März 1944 wurde Hermann da Fonseca-Wollheim in das KZ Buchenwald überführt. Dort musste er als Gefangener "Polit. Mischl. 2. Grad." offenbar im Steinbruch arbeiten. Nur knapp zwei Monate nach seiner Überführung erhielt seine Frau aus Buchenwald die zynisch formulierte Nachricht von seinem Tod:
"Sehr geehrte Frau da Fonseca-Wollheim!
Am 13. Mai 1944 verstarb Ihr Ehemann Hermann da Fonseca-Wollheim im hiesigen Krankenhaus. Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus und versichere Ihnen, dass er hier in guter Pflege war. Trotz Anwendung bester Medikamente und ausgezeichneter ärztlicher Hilfe war es nicht möglich, der Krankheit Herr zu werden. Irgendwelche letzten Wünsche hat Ihr Ehemann nicht geäußert.
Gez. Unterschrift SS-Standartenführer
Weimar-Buchenwald, den 14.5.1944 "

Käthe da Fonseca-Wollheim erhielt nach Kriegsende Besuch von einem ehemaligen KZ-Insassen aus Buchenwald, der sie darüber aufklärte, dass unmenschliche Arbeitsmethoden und schlechte Ernährung die Ursache für den Tod von Hermann da Fonseca-Wollheim waren. "Besonderen Anteil an dem Tod meines Mannes hatte der SS-Arzt des Lagers, der gegen ihn eingestellt war." In den Akten des KZ Buchenwald wurde als Haftgrund genannt: "Ausländerfreundlichkeit."

Eine Urne wurde Frau da Fonseca-Wollheim zugesandt. Sie brachte sich und die Kinder unter großen Entbehrungen durch die Kriegs- und Nachkriegszeit und starb 1967.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 15397 und 31260 (Käthe da Fonseca-Wollheim); StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 12790 – 57; Wolff, Spaziergänge, S. 101–115 (zugrunde liegen Gespräche mit Friedrich da Fonseca-Wollheim, der Bahrenfelderin Hilde Kuhlmann und Ella Neumann, einer Freundin der Familie); Melanchthongemeinde, Ausstellung; Möller, Ein verdrängtes Kapitel, S. 74–95; Stadtteilarchiv Ottensen, Bestand Zwangsarbeit in Altona; Informationen von Hermann und Friedrich da Fonseca-Wollheim, Mai und September 2007; Gespräch mit Hermann da Fonseca-Wollheim und Elisabeth Schülk, 17.10.2007.

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