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Leo Bornstein * 1899

Bramfelder Chaussee 316 (Wandsbek, Bramfeld)


HIER WOHNTE
LEO BORNSTEIN
JG. 1899
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
RAASIKU BEI REVAL

Leo Bornstein, geb. 7.9.1899 in Berlin, 24./26.9.1942 deportiert von Berlin nach Raasiku (bei Reval/Estland), dort im Oktober 1942 ermordet

Bramfelder Chaussee 316 (Lübecker Straße 42)

Leo Bornstein wurde als Sohn von Michael Bornstein und Margarete Bornstein, geb. Luft, in Berlin geboren. Am 15. Mai 1923 heiratete er in Hamburg Gertrude Rita Cohen, die Tochter einer alteingesessenen jüdischen Familie. Leo Bornstein arbeitete als Kaufmann für seinen Schwiegervater Louis Joseph Cohen (1872–1948), der dem jungen Paar ein Haus in der Lübecker Straße 42 (heute Bramfelder Chaussee 316) im damals noch preußischen Bramfeld schenkte. Kurze Zeit später kamen die Töchter Helga und Ursula (geb. 1924) zur Welt. Nach Angaben der Tochter Ursula wurde die Ehe der Bornsteins 1926 geschieden. Leo Bornstein kehrte vermutlich 1925 nach Berlin zurück, denn im Bramfelder Wahlregister von 1925 ist vermerkt, er sei verzogen. Gertrude Bornstein blieb mit den Kindern in Bramfeld. Der Kontakt zwischen den Eheleuten brach ab.

In einem Interview mit dem Stadtteilarchiv Bramfeld erzählte Ursula Bornstein 1998, Leo Bornstein sei Sozialdemokrat gewesen und habe nach 1933 in Berlin für eine Untergrundzeitschrift geschrieben, sei verhaftet und 1942 bei Reval erschossen worden.

Leo Bornsteins Eltern stammten aus jüdischen Familien. Sein Vater war Kaufmann. Leo Bornstein hatte das Realgymnasium besucht und sein kaufmännisches Wissen im Geschäft seines Stiefvaters erworben. Mit 18 Jahren wurde er 1917 zur Reichswehr eingezogen, an der Westfront eingesetzt und kehrte 1919 nach Kriegsende nach Berlin zurück, wo er in unterschiedlichen Stellungen, zuletzt als Lohnbuchhalter, arbeitete. Seine kurze Ehe und die Zeit in Hamburg finden in den Akten aus den 1930er und 1940er Jahren keine Erwähnung, außer dass er 1925 in Hamburg zu einem Monat Gefängnis wegen versuchten Betrugs verurteilt wurde. Er musste die Haft jedoch nicht antreten und wurde 1929 begnadigt. 1925 hatte er sich evangelisch taufen lassen.

In den Berliner Adressbüchern von 1928 bis 1935 findet sich kein Eintrag zu Leo Bornstein, d. h., er konnte sich in dieser Zeit keine eigene Wohnung leisten und wohnte zur Untermiete, zuletzt in der Kaiser-Friedrich-Straße 52 im Stadtteil Charlottenburg. Leo Bornstein geriet in den Folgejahren immer wieder ins Visier der NS-Verfolgungsbehörden, weil er – tatsächlich oder vermeintlich – gegen die antijüdischen Gesetze und Verordnungen verstieß: 1937 – so eine Strafakte – habe er sich unter Vorspiegelung einer "arischen" Abstammung eine Stelle erschlichen und wurde vom Landgericht Berlin wegen Unterschlagung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er befand sich bis zum 11. Juni 1938 in Haft. Im selben Jahr wurde er kurzzeitig unter dem Verdacht der "Rassenschande" festgenommen. 1941 erhielt er erneut zwei kurze Haftstrafen, weil er die Kennkarte für Juden nicht vorgelegt hatte.

Am 26. Februar 1942 verurteilte ihn das Sondergericht II Berlin wegen eines Verstoßes gegen das "Heimtückegesetz". Damit hatten sich die Machthaber eine juristische Handhabe geschaffen, NS-Kritiker zu inhaftieren. So warfen sie Bornstein vor, er habe sich "fortgesetzt staatsfeindlich geäußert", z. B. dass "der Führer Kanonen gebaut habe; ihm wäre Butter lieber gewesen", und: "Das Volk im Sportpalast brüllt, weil alles Parteigenossen sind. Er (Hitler) spricht im­mer dasselbe, es fällt einem langsam auf die Nerven. Alle, die ich kenne, sind mit dem Regime nicht einverstanden." Vier Denunzianten beglaubigten diese Anschuldigungen. Strafverschärfend, so das Sondergericht, sei, dass er "offensichtlich nicht gewillt ist, sich den Sondergesetzen, denen die Juden in Deutschland unterworfen sind, zu fügen", weil er sich "in einen Rüstungsbetrieb eingeschlichen" habe, um dort "zu hetzen und zu schüren".

Die Strafe von einem Jahr und sieben Monaten Gefängnis wurde 1942 mit einer weiteren Anklage vor dem Landgericht wegen "fortgesetzter Rassenschande" zu einer vierjährigen Zucht­hausstrafe zusammengezogen. Das Urteil wurde am 16. Juni 1942 gefällt, während er sich bereits in Gefängnishaft im Strafgefängnis Plötzensee befand. Mit Schreiben vom 18. August 1942 wurde er am 3. September 1942 ins Zuchthaus Brandenburg/Havel-Görden verlegt und von dort am 26. September 1942 mit einem Koppeltransport nach Estland deportiert. Eigentlich wäre seine Haftentlassung für den 25. September 1943 vorgesehen gewesen. Vermutlich wurde er aber aufgrund eines Erlasses, nach dem Gefängnisse und Zuchthäuser im "Altreich" "judenfrei" gemacht werden sollten, einer Großdeportation zugeteilt.

Der Transport ging am 24. September mit 237 jüdischen Menschen von Frankfurt am Main nach Berlin, wo am Güterbahnhof Putlitzstraße ein Zug mit 812 weiteren jüdischen Häftlingen angekoppelt wurde. Insgesamt 1049 Menschen wurden in diesem Zug deportiert, 895 Frauen, 354 Männer, darunter 108 Kinder unter zehn Jahren. Auf den Transportlisten steht zwar als Datum des Transports der 3. Oktober 1942, richtig aber ist (nach Angaben der Historikerin Diana Schulle) der 26. September 1942. Von diesem Transport haben nur 26 Menschen überlebt. Raasiku bei Reval (heute Tallinn) war eine Tötungsstätte. Die Ankommenden wurden dort entweder sofort erschossen oder in umliegende Arbeitslager gebracht, um Ölschiefer abzubauen.

Leo Bornstein soll nach Angaben aus Yad Vashem, die seine Tochter Helga 1995 dort hinterlegt hatte, im Oktober 1942 bei Reval gestorben sein. Über das Schicksal von Leo Bornstein in der Zeit zwischen 1925 und 1942 haben wir nur die wenigen Angaben aus den Strafakten gefunden. Hinweise, dass er am organisierten politischen Widerstand beteiligt war, gab es dort nicht; Anfragen beim Archiv der Friedrich Ebert-Stiftung und dem SPD-Parteivorstand blieben ergebnislos. Die beiden Bornsteintöchter waren 2007 für unsere Nachfragen nicht mehr zu erreichen.

Während ihr Vater in Berlin lebte, besuchte Ursula Bornstein die Schule am heutigen Bramfelder Dorfplatz. Ihre Erinnerungen an Bramfeld sind geprägt von antisemitischer Diskriminierung: "Auf dem Weg von der Schule nach Hause musste ich jeden Tag an der Polizeiwache vorbei, und da war ein Baum vor dem Polizeihaus. Und die Jungens in meiner Klasse, wahrscheinlich auch andere, ich kann mich nicht genau erinnern, haben immer so gerufen – und das passierte jeden Tag: ‚Ursula Bornstein, jüdisches Schwein, muss nach Palästina hinein.‘ Wir waren in einem Dorf außerhalb Hamburgs und ich glaube, dass solche Sachen schon damals viel früher anfingen. Es muss ungefähr 1933 gewesen sein, denn am 1. Mai 1934 sind wir weggefahren. Die letzten drei Monate war ich nicht mehr in der Schule. Also muss es vorher gewesen sein."

Im Gespräch mit dem Stadtteilarchiv erzählte sie 1998 außerdem, dass Mitschüler über sie getuschelt hätten und dass selbst ihre beste Freundin nicht mehr mit ihr gesprochen habe. Ihre Mutter habe sich in Bramfeld einsam gefühlt und sei mindestens einmal in der Woche zu den Großeltern nach Eppendorf gefahren. Offenbar nutzte sie ihr Elternhaus auch als Zufluchtsort für sich und ihre Töchter, wenn sie sich in Bramfeld bedroht fühlte. "Ich denke, jedes Mal wenn ein politischer Umzug war, wurden wir von irgendjemandem gewarnt. Und einmal wurden wir gefragt, eine Fahne herauszuhängen. Und meine Großmutter hatte eine irische Fahne, sie war Irin. Und da hat meine Mutter diese Fahne herausgehängt. Und als wir zurückkamen, hing in jedem Fenster eine Nazifahne. Unsere Fenster im Wohnzimmer waren zerbrochen und drinnen war auch viel zerbrochen. Und jedes Mal, wenn da eine Prozession war, sind wir nach Eppendorf gefahren [...]."

Die Mutter von Gertrude Bornstein, geb. Cohen, war Irin. 1934 ging sie nach England und nahm ihre Enkeltöchter mit. Ursula Bornstein war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt. Ihren Vater sah sie nie wieder. Erst nach dem Krieg erfuhr sie durch das Rote Kreuz und Yad Vashem, dass er verhaftet und 1942 in einer Schiefermiene bei Reval erschossen worden sei. Gertrude Bornstein folgte ihrer Familie 1938 nach England. Ihr Vater, Louis Joseph Cohen, war zu dieser Zeit in Dachau inhaftiert. Nach seiner Entlassung emigrierte er 1939 ebenfalls nach England.

1973 wurde das ehemalige Grundstück der Familie Bornstein in Bramfeld geteilt, die alte Bebauung abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Für die Stolpersteinverlegung wurde der Standort des Bornstein-Hauses anhand von alten Bramfelder Karten rekonstruiert.

© Britta Burmeister, Ulrike Hoppe

Quellen: 5; Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Freie Universität Berlin, Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung, Berlin 1995; Gedenkstätte deutscher Widerstand, Häftlingskartei Plötzensee, Nr. 2582, 2586 und 2588; Ulrike Hoppe, Stadtteilarchiv Bramfeld, Interview mit Ursula Bornstein, 1998. Yad Vashem, Central Data Base of the Shoa, Gedenkblatt für Leo Bornstein; Monica Kingreen/Wolfgang Scheffler, Die Deportationen nach Raasiku bei Reval, in: Buch der Erinnerung, Hrsg. Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Berlin 2003, S. 865–871; Auskunft Dr. Diana Schulle/ GDW vom 7. u. 8.9.2011; Archiv Friedrich Ebert-Stiftung, Auskunft Dr. Christoph Stamm 3.1.2011; Parteivorstand SPD, Auskunft Elie-Lukas Limbacher vom 17.12.2010; StHH, 423-3/3 I A III 5 Wählerliste1925; Bundesarchiv Berlin, Bestand Ergänzungskarten für Angaben über R 1509 Abstammung Volkszählung 1939; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akte 213, Akte 213/1 Leo Bornstein 7.9.1899.

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