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Dr. Erich Brill * 1895
Brahmsallee 47 (vor der Wiese) (Eimsbüttel, Harvestehude)
Inhaftiert 1937 - 1941 KZ Fuhlsbüttel
Deportiert 1941 Riga
Ermordet 26.03.1942
Dr. Erich Brill, geb. am 20.9.1895 in Lübeck, inhaftiert 1937, am 6.12.1941 deportiert nach Riga, dort am 26.3.1942 ermordet
Brahmsallee 47 und
Jungfernstieg 42
Name und Werk des Malers Erich Brill sind heute fast vergessen. Alles, was wir über ihn wissen, verdanken wir den intensiven Recherchen der Kunsthistorikerin Maike Bruhns, die sich dem Aufspüren der von den Nationalsozialisten als "entartet" angeprangerten Kunst widmete. Sie machte Erich Brill wieder sichtbar und verschaffte ihm einen Platz unter Hamburgs bedeutsamen Künstlern.
Erich Brills Vater, der Holzhändler Wolf Brill, stammte aus Königsberg, seine Mutter, die Lehrerin Sophie, geb. Morgenstern, kam aus Rumänien. 1897 zog die Familie aus Lübeck, wo 1895 der älteste Sohn Erich geboren wurde, nach Hamburg in die Brahmsallee 47. Wolf Brill baute zusammen mit seinem Bruder Gustav einen Holzgroßhandel im Hafen auf, der bis zum Ersten Weltkrieg florierte. Erich wuchs mit seinen drei jüngeren Geschwistern Fritz, Irma und Otto in wohlhabenden Verhältnissen auf. Nach dem Besuch des Wilhelm- und des Heinrich Hertz-Gymnasiums begann er im väterlichen Betrieb eine kaufmännische Lehre. Seiner schwachen Gesundheit wegen wurde er bei der Mobilmachung 1914 vom aktiven Kriegsdienst befreit. Eigenen Angaben zufolge diente er bei dem Ersatz-Infanterie-Regiment 76 in Hamburg. Seine Neigung galt der Kunst, aber sein Vater bestand darauf, dass er einen die Existenz sichernden Beruf erlernen müsse und dies umso mehr, als das Unternehmen der Gebrüder Brill wegen der Kriegsfolgen 1919 in Konkurs ging. Erich studierte an der Universität Frankfurt Nationalökonomie und Philosophie und promovierte dort 1919. Neben dem Studium besuchte er Kunstkurse. Am nachdrücklichsten prägte ihn Richard Luksch, 1907 bis 1936 Professor an der Hamburger Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld. Als begabter Maler fiel Erich Brill führenden Vertretern der deutschen Kunstszene auf. Der alte Max Liebermann ermutigte ihn, Karl Schmidt-Rottluff wurde sein Förderer. Mit Gustav Pauly, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, war er befreundet.
1920 mietete Erich Brill ein Atelier in der Lübecker Straße und begann dort, als freischaffender Künstler Ausstellungen zu arrangieren. Mut und Erfolg des Fünfundzwanzigjährigen beeindruckten die ein Jahr ältere Journalistin Martha (Marte) Leiser. Sie hatte in Heidelberg studiert und mit einer Arbeit über die indischen Baumwollarbeiterinnen promoviert. In Hamburg arbeitete sie am Weltwirtschaftsarchiv, schrieb für das "Hamburger Fremdenblatt" sowie andere Zeitungen und war Mitarbeiterin der Touristenzeitung der "Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft". Allseits war sie hoch geachtet. Am 28. September 1920 heirateten Martha Leiser und Erich Brill, am 20.12. des Jahres wurde die gemeinsame Tochter Alice geboren. Am 21. Oktober 1921 erfolgte die Scheidung. Erich Brill wollte sich nicht binden, sondern frei sein, um sich weiter künstlerisch zu entwickeln, zu reisen und Eindrücke zu sammeln. Das Paar blieb aber freundschaftlich verbunden. Erich Brill war am Ort mit der Künstlerschaft vernetzt und wurde Mitglied des Hamburger Künstlervereins. Er unternahm Studienreisen nach Italien, Ägypten und Palästina. Die orientalische Atmosphäre zog ihn an. In Jerusalem malte er jüdische Motive. In Paris besuchte er Kurse der Académie Colarossi, die sich bewusst der herrschenden konservativen Richtung der Ecole des Beaux Arts entgegensetzte. Offen für alle Neuerungen wollte er keinem ausgeprägten Kunststil angehören. Seine Bilder, anfangs impressionistisch gemalt, gewannen an expressivem Ausdruck. Oft arbeitete er im Freien und suchte neue Wege, um "das Durchsichtige, unendlich Farbige der Landschaft" zum Ausdruck zu bringen. Aber auch seine Neugier auf Menschen schlug sich in vielen Porträtstudien nieder.1926 musste er wegen eines tuberkulösen Augenleidens eine Kur in Davos antreten. Da er in dieser Zeit nicht malen durfte, stellte er mit beachtlichem Erfolg aus Stoff Charakterpuppen her. Danach lebte er einige Zeit in der Künstlerkolonie Ascona, die charakterisiert war durch friedensbewegte Gesinnung und ein ganzheitliches Weltbild. Man praktizierte ein naturgemäßes Leben mit vegetarischer Ernährung und Freikörperkultur. Symbol und Wallfahrtsort der Gruppe war der "Monte Verità", der Berg der Wahrheit. In Locarno unterrichtete Brill als Mal- und Zeichenlehrer, in Positano lebte er gelegentlich mit Martha Brill und Tochter Alice zusammen.
Nach dem Tod seines Vaters kehrte Erich Brill 1927 zu seiner Mutter nach Hamburg zurück. Hier erhielt er von der Jüdischen Gemeinde den Auftrag, den künstlerischen Umbau der Neuen Dammtorsynagoge zu leiten. Die im orientalisierenden Stil erneuerte Synagoge stand in ihrer religiösen Orientierung zwischen strenger Orthodoxie und moderner Liberalität. Erich Brill war Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde, fühlte sich aber religiös nicht gebunden. Als Künstler war er sich seiner jüdischen Wurzeln bewusst, was auch aus den Berichten und Essays spricht, die im "Israelitischen Familienblatt" und anderen jüdischen Organen erschienen. Gleichzeitig war er Redakteur der "Allgemeinen Künstlerzeitung". Bis 1933 erbrachten 25 Ausstellungen in Hamburg, Berlin, München, Jerusalem wechselnde, zum Teil verblüffende Erfolge. 1929 wandte er sich an den Hamburger Senat mit der Bitte um Unterstützung für eine Kunstreise. Dafür konnte er auf zahlreiche anerkennende Besprechungen seiner Bilder in Berliner und Hamburger Zeitungen verweisen. Martha Brill schrieb in dem autobiographischen Roman "Schmelztiegel": "Er kannte alle europäischen Hauptstädte: Das Parkett der Empfangssäle und das Pflaster der Straßen. Überall hatte man ihn gefeiert, verwöhnt, vergöttert, überall hatte man ihm den Sieg leicht gemacht. Er war seines Erfolgs sicher."
Seit 1931 mehrten sich jedoch hämische Bemerkungen gegen seine "Judenkunst". Von den an die Macht gelangten Nationalsozialisten wurde der Maler als "entartet" qualifiziert. Das von ihm gemalte Porträt des Malers Hermann Struck wurde durchlöchert, das von Albert Einstein zerstört, das von Oberrabbiner Joseph Carlebach verschwand. Der seit 1933 zunehmend judenfeindlichen Atmosphäre entfloh Erich Brill nach Amsterdam, wo sein Bruder Fritz lebte. Dort organisierte der Kunsthändler Peter de Boer Ausstellungen und den Verkauf der Bilder von Erich Brill.
Martha Brill, seine geschiedene Frau, verlor sofort ihre Stellung und damit ihre Existenzgrundlage in Hamburg. Mit Tochter Alice verbrachte sie einige Zeit auf Mallorca und versuchte dann vergeblich, in Florenz oder Rom Arbeit zu finden. Um in Brasilien einen neuen Start zu versuchen, brachte sie Alice zum Vater nach Amsterdam und fuhr allein nach Rio. Die Schwierigkeiten, sich als alleinstehende Frau in einer fremden Sprache im Ausland zu behaupten, schilderte sie im Roman "Der Schmelztiegel". Schließlich fand sie eine ihrer sozialen Einstellung entsprechende Arbeit bei einer Flüchtlingsorganisation und konnte nun ihren Ex-Mann bitten, Alice nach Brasilien zu bringen. Im August 1934 kamen Vater und Tochter in der "Traumstadt" Rio de Janeiro an. Brill war fasziniert von der tropischen Landschaft Brasiliens, lebte und malte einige Zeit auf der kleinen Insel Paquetá bei Rio. Er führte auch Tochter Alice in die Malerei ein. Sie erinnerte sich später daran, wie er ihr eingeprägt habe, natürlich und naturgemäß zu leben und zu malen. Dann zog Erich Brill nach Sao Paulo, wo er sich in der Kunstszene einen Namen machte und mehrere Ausstellungen veranstalten konnte. Martha Brill schrieb im "Schmelztiegel": "Empfänge, Cocktail-Partys, blendende Kritiken – der Ruhm eines Tages. Kein Bild wurde verkauft. Die Deutschen kauften nicht, weil er Jude war, und die Juden mieden seine Ausstellung, weil sie in einem deutschen Club stattfand. Wovon sollte der Maler leben?" Zwar waren angesichts der niederschmetternden Berichte aus Deutschland Brills Lebensbedingungen in Brasilien vergleichsweise günstig. Aber sein unruhiger Geist trieb ihn fort. Er habe ungeheures Heimweh nach Europa und nach Deutschland gehabt, erinnerte sich Tochter Alice.
Allen Warnungen zum Trotz fuhr Brill im März 1936 zunächst nach Amsterdam, wo er seine nach südamerikanischen Motiven gemalten neuen Bilder ausstellte. Wieder verhalf ihm de Boer zu gutem Verkaufserfolg. Nun wollte Brill sein großes Atelier am Jungfernstieg in Hamburg auflösen und noch ausstehende Gelder in Berlin eintreiben. Sein Bruder Fritz beschwor ihn, unter keinen Umständen Deutschland zu betreten. Trotzdem reiste Erich Brill im November 1936 nach Hamburg. Er glaubte an das Gute im Menschen, war politisch naiv und ließ sich von seinen Gefühlen und Sehnsüchten leiten. So urteilten Martha Brill und Menschen, die ihn näher kannten.
Es ist nicht bekannt geworden, wer ihn wegen "Rassenschande" denunzierte. Am 1. Februar 1937 wurde Erich Brill in Berlin verhaftet und am nächsten Tag in das Straf- und Gerichtsgefängnis Berlin-Charlottenburg Kantstraße 79 (Moabit) verbracht. Als nächste Angehörige erhielt seine Mutter, Witwe Brill in Hamburg, Brahmsallee 47, die Nachricht. Am 16. Februar 1937 wurde Erich Brill auf Antrag des Oberstaatsanwalts aus Berlin Moabit nach Hamburg überführt. In der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt Am Holstenglacis 3 wartete Brill nun 14 Monate lang auf seine Aburteilung. Durch die Lektüre von Gerichtsakten arbeitete er sich in die ihm bis dahin völlig fremde Rechts- und Gerichtsmaterie ein. Er berichtete der Mutter im Brief von seiner Romanlektüre und schickte ihr Beispiele von Tiergedichten, die er im Stil von Morgenstern verfasst hatte. Mit Zeichnungen versehen wollte er sie unter dem Titel "Tiersalat" nach seiner Freilassung veröffentlichen. Das Beispiel einer Strophe aus "Krokodilstränen" veranschaulicht, wie er versuchte, seine Lage mit Galgenhumor zu ertragen: "Ein Krokodil lag wie ein Vorweltdrache / Am heißen Ufer nah dem Weißen Nil, / Sann unbeweglich stundenlang auf Rache / Mit grünen Augen starrend auf ein Ziel. / Im Schlamm begann es dann nervös zu wühlen / um sich des Kummers wegen abzukühlen." Die Isolation setzte dem geselligen Maler zu. Der Mutter gestand er: "Vor zehn Jahren wollte ich in ein Kloster gehen, aber das Zellenleben ist auf die Dauer kein Idealzustand, selbst bei äußerster geistiger Konzentration." Im April 1938 war endlich sein Urteil in Sicht. Er riet der Mutter, sie solle nicht zu viel an ihn denken. "Ich werde schon selber mich wieder aufrappeln, wenn alles vorüber ist. Einmal muss es doch vorbei sein."
Brill beklagte sich bitter darüber, dass ihm vor den Verhören und Gegenüberstellungen keine ausreichende Anwaltshilfe gewährt wurde und dass der ihm letztlich zugeteilte jüdische Anwalt Manfred Heckscher durch seine harsche und suggestive Art mehr geschadet als genützt habe. Der Verteidiger Heckscher sprach von den "unglückseligen Rassegesetzen", musste sich aber sofort dafür entschuldigen, das sei ihm so "herausgerutscht". Ein halbes Jahr später wurde Heckscher selbst der "Rassenschande" bezichtigt und unterlag in einem äußerst schwierigen Prozess.
Am 5. Mai 1938 wurde endlich das Urteil in der Strafsache Erich Brill verkündet. Er wurde "wegen Verbrechen gegen §§ 2, 5 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Rassenschande) und wegen Vergehen gegen §§ 218, 49 St.GB (Beihilfe zur Abtreibung)" zu vier Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von nur 5 Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Das Strafmaß fiel unerwartet hoch aus. Als Tag der Haftentlassung wurde der 10. Dezember 1941, 12.30 Uhr festgesetzt. Drei Tage nach der Urteilsverkündung schrieb Brill an seine Mutter: "Dass die Götter sich so sehr gegen mich wenden würden, habe ich selbst bei pessimistischer Auffassung nicht für möglich gehalten und dass fatale Fehler in der anormalen Verfassung, in der ich mich befand, so schwer ins Gewicht fallen würden."
Die "fatalen Fehler", so stellte der Verurteilte im Nachhinein fest, hatten in der Unfähigkeit bestanden, seine Lage realistisch einzuschätzen. Der Anwalt hatte ihn nicht davor bewahrt, sich vor den nationalsozialistischen Justizbeamten Blößen zu geben und sich in Widersprüche zu verwickeln. Das Gericht fand die von Brill am Ende vorgetragene Version des Geschehenen nicht glaubwürdig. Sie sah so aus: 1932 hatte er die kunstbegeisterte "arische" Gertrud Jarick kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Sie begleitete ihn auf Reisen und bewies großes Interesse für seine Kunst. Brill machte ihr möglicherweise Hoffnung auf eine Heirat. Sie war aber nicht die einzige Frau, auf die der Maler anziehend wirkte. Auch andere interessierten sich für ihn und seine Kunst. Als er 1936 nach zwei Jahren aus Brasilien zurückkehrte, besuchte ihn seine Freundin Jarick im Boardinghaus Schulterblatt 26, wo er wohnte. Ein gemeinsames Wochenende auf Helgoland schloss sich an. Die junge Dame schien Brill nun ernstlich an sich binden zu wollen und stellte sich vor, er werde mit ihr nach Brasilien ausreisen, wo die Verbindung zwischen einem Juden und einer "Arierin" nicht unter Strafandrohung stand. Brill seinerseits strebte die Trennung an. Im Spätsommer 1936 wurde Gertrud Jarick schwanger. Brill reagierte verärgert, als sie ihm nach Berlin folgte, wo er Geschäftliches zu erledigen hatte und einer anderen früheren Freundin, "Fräulein" Schiele, für ihre Vermittlertätigkeit beim Bilderverkauf eine Provision erstatten wollte. Es stellte sich heraus, dass "Fräulein Schiele" gut bekannt war mit einem Arzt, der unerwünscht Schwangeren "helfen konnte". Eine weitere Freundin, ebenfalls schwanger, kam hinzu. Brill hielt sich von den "Frauengeschichten" fern und ließ geschehen, was diese unter sich ausmachten. Erst als "Fräulein" Schiele Brill bat, Gertrud Jarick vom Arzt abzuholen, der die "Ausräumung" vollzogen hatte, zeigte er sich hilfsbereit und pflegte seine Freundin noch fünf Tage lang. Dass ihm nun nach langer und widersprüchlicher Zeugenbefragung "Beihilfe zur Abtreibung" angehängt wurde, empfand er als ungerecht. Subjektiv fühlte er sich in dieser Sache schuldlos, musste allerdings hinnehmen, dass der Strafe für "Rassenschande" weitere eineinhalb Jahre für "Beihilfe zur Abtreibung" hinzugefügt wurden.
Zur Haftverbüßung wurde Erich Brill am 12. Mai 1938 ins Zuchthaus Fuhlsbüttel eingeliefert, jedoch bereits am 22. Mai in die Vollzugsanstalt Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verlegt, wo sein Kontakt mit der Außenwelt strengster Kontrolle unterlag. Mit Gertrud Jarick durfte er überhaupt nicht korrespondieren, mit Familienangehörigen und Anwälten nur in vorgeschriebenen zeitlichen Abständen. Noch seltener wurden Besuche erlaubt. Entzug von Schreib- und Besuchserlaubnis wurde manchmal als Strafe eingesetzt. Es scheint so, als ob die Vollzugsbeamten alles unterbinden wollten, was zur Hafterleichterung des Gefangenen hätte führen können.
Brills Konzentration richtete sich nun auf eine Revision des Urteils, wovon er sich eine Minderung des Strafmaßes versprach. Er sammelte alles, was seiner Entlastung dienen konnte. Unterstützt von seiner Schwester, führte er den Nachweis, dass drei seiner Großeltern nicht jüdisch geboren seien, er also allenfalls zu 50 Prozent jüdisch sein könne. Darauf nahm das Gericht keine Rücksicht. Es ignorierte auch Brills Argumentation, bei Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze im Jahr 1935 habe er in Brasilien gelebt, einem Staat von Mischrassen. So sei ihm bei seiner Rückkehr nach Deutschland zunächst gar nicht bewusst gewesen, dass er durch seine Beziehung zu einer "Arierin" straffällig geworden sei. Mildernde Umstände wurden ihm nicht zugestanden. Zwar wurde er kurzzeitig vom 14. Oktober bis 5. November 1938 noch einmal "zwecks Vernehmung" ins Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt verlegt. Es ist aber nicht dokumentiert, ob dort bei der mit "Rassenschande" befassten 6. Strafkammer Brills akribische Aufzeichnungen berücksichtigt wurden. Zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kam es jedenfalls nicht. Ein Gnadengesuch, das Sophie Brill am 1. Januar 1939 für ihren Sohn an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht stellte, wurde negativ beschieden. Er habe sich nicht in der Lage gesehen, so lautete der Bescheid des Oberstaatsanwalts, "auf Grund der mir vom Herrn Reichsminister der Justiz im § 17/I der Gnadenordnung erteilten Ermächtigung einen Gnadenerweis zu gewähren". Fortan richtete Brill seine Hoffnung auf eine Auswanderung. Seine Schwester Irma war inzwischen mit ihrer Familie nach Amerika emigriert und versuchte, ein Visum für ihn zu beschaffen.
Währenddessen litt Brill Tag für Tag unter den Haftbedingungen. Einträge auf dem Personalbogen geben Auskunft darüber, dass er sich nicht widerstandslos ergab. Da sind Strafen verzeichnet, weil er "durch lautes Verhalten in der Zelle die Ruhe und Ordnung gestört" habe, weil er "ohne Erlaubnis Schachfiguren hergestellt", weil er "in der Zelle ein Stück Bleistift und zwei Stahlfedern versteckt und damit gearbeitet" habe. Die Strafe bestand meist aus "ein Tag Wasser und Brot". "An vier Tagen Wasser und Brot" gab es für folgendes Delikt: "Verfasste ein auf Hauptw. Schmidt gemünztes Gedicht und klebte dieses auf ein Stück Pappe".
Der Gesundheitszustand des Inhaftierten wurde ständig kontrolliert. Dabei spielte eine Rolle, ob und wann er "moorfähig" war, d.h., ob er den Außenarbeiten zugeteilt werden konnte. Er selbst bat darum, in der Werkstatt beschäftigt zu werden, weil er körperlich nicht leistungsfähig sei. Zwar war er untergewichtig, sonst aber litt er nur gelegentlich an Halsschmerzen und einmal unter Furunkulose. Wegen zunehmender Augenschwäche wünschte er eine Brille. Über das Essen beschwerte er sich nicht. Mehr als materielle Entbehrungen und Zwänge quälte ihn die Kontaktsperre. Sophie Brill durfte vor ihrer Ausreise nach Holland im August 1939 nicht mehr mit ihrem Sohn sprechen, wohl aber einen Koffer mit Ausstattungsstücken, der ihm nach seiner Entlassung ausgehändigt werden sollte, bei der Gefängnisverwaltung abstellen.
Im Januar 1940 wurde Erich Brill in die Haftanstalt Celle, im August des Jahres ins Zuchthaus Hameln verlegt. Noch immer glaubte er an die Möglichkeit einer Rückkehr nach Brasilien oder Auswanderung in ein anderes Land. Vom 1. Februar 1940 datiert ein Schreiben der Zuchthausverwaltung Celle: "Eine weitgehende Vergünstigung vermag ich aus Gerechtigkeitsgründen gegenüber allen anderen hier einsitzenden jüdischen Gefangenen, die auch auszuwandern beabsichtigen, nicht zu erteilen." Der "Konsulent" Scharlach setzte sich für ihn ein, wurde aber von der Gefängnisverwaltung nicht zu einem Besuch zugelassen, sondern musste alles schriftlich erledigen. Inzwischen im Zuchthaus Hameln, bat Brill am 13.September 1940 "betr. Vorbereitung der Auswanderung" um Aushändigung aller erforderlichen Unterlagen. Er wurde beschieden, er habe ja noch über ein Jahr Zeit. Im Augenblick sei in Auswanderungsfragen ohnehin nichts zu unternehmen. Er solle sich in einem Jahr wieder melden. Pünktlich nach einem Jahr, im September 1941, bat Brill um die Ausstellung einer Kennkarte, um die Anfertigung von Passbildern und ein ärztliches Attest, denn nun war er im Besitz eines Visums für Cuba, das ihm seine Schwester in den USA für 500 $ besorgt hatte. Am 20. Oktober 1941 stellte der Gefängnisarzt Brandt das Zeugnis aus: "Der Zuchthausgefangene Erich Brill ist haft- und transportfähig, frei von ansteckenden Krankheiten. Er kann zu dauernden landwirtschaftlichen Arbeiten aller Art herangezogen werden." Am 22. November 1941 wurde die Haft kurz vor Ablauf unterbrochen, Erich Brill für das 23. Kriminalkommissariat ins KZ Fuhlsbüttel ("Polizeigefängnis") überstellt und von dort am 29. November 1941 entlassen. Er war "frei" – zur Deportation.
Vorübergehend zog er in das der Jüdischen Gemeinde gehörende Nordheimstift. Auf einer nach Amsterdam adressierten Postkarte schrieb er: "Mein innigst geliebtes Muttchen, seit heute mittag in Freiheit! Freue Dich mit mir, wenn es auch wieder zu spät ist zur Erfüllung unserer alten Pläne! Das herrliche, wertvolle Cuba-Visum ist leider nicht benutzbar. … Ich habe alles versucht … Wenn kein Ausweg möglich, müssen wir eben tapfer sein, mein Muttchen. Es hat keinen Zweck, gegen sein Schicksal anzurennen, wenn es noch so schwer ist." Brills letzte Briefe aus Hamburg kreisten nur noch um seine Deportation. Sie war auf den 4. Dezember 1941 mit dem Ziel Minsk angesetzt, verzögerte sich aber wegen Transportschwierigkeiten der Reichsbahn. Brill nutzte die gestundete Zeit, um alte Freunde zu besuchen. In der Brahmsallee 47 wurde er von den Nachbesitzern sehr herzlich aufgenommen; in diesem Fall waren die "Arisierer" gut befreundet mit den jüdischen Vorbesitzern. – Eine Freundin der Familie Brill war überrascht, als Erich plötzlich vor ihr stand. In einem eiligen Brief schrieb er: "Denk Dir, mein Muttchen, wen treffe ich hier und unterhalte mich famos von vergangenen und zukünftigen Zeiten?" – "mich, Ilse Karlsberg", fuhr diese fort. "Wir wollen ihm diese Tage so angenehm und nett wie eben heute und unter diesen Umständen möglich ist, machen", versicherte sie. – Brill suchte den befreundeten Bauer auf: "Wenn ich nur noch Zeit fände, nochmals hinzugehen, wo ich in schönen kultivierten Räumen unter meinen Bildern sitzen darf". – Auch Carlebachs waren hoch erfreut über Brills Erscheinen. Oberrabbiner Joseph Carlebach hatte Brill als Gefängnisgeistlicher besucht und von ihm eine kleine, aus Brotresten geknetete und mit Schuhwichse schattierte Skulptur geschenkt bekommen. Miriam Gillis-Carlebach erinnerte sich in ihrem Buch "Jedes Kind ist mein Einziges": "Mit teuflischer Absicht wurden ihm Papier und Bleistift verweigert, und in seinem unbezwingbaren Künstlerdrang verzichtete er auf seine tägliche Brotration und formte daraus eine kleine hockende Frauenfigur." Das Schicksal wollte es, dass die Eltern Carlebach und vier ihrer neun Kinder demselben Transport wie Brill zugeteilt wurden. In der Sammelstelle, der Provinzialloge Niedersachsen an der Moorweidenstraße, mussten die zum Transport Aufgeforderten die Nacht verbringen. Am nächsten Tag, dem 6. Dezember 1941, startete der Zug mit 756 Hamburgern vom Hannoverschen Bahnhof. Unterwegs nahm er weitere Juden aus Bad Oldesloe, Kiel, anderen kleinen Orten und schließlich aus Danzig auf, sodass die Zahl der Transportierten 964 betrug. Brill wurde während der dreitägigen Fahrt zum "Obmann" des 12. Wagens bestimmt. Anstelle von Minsk war am Ende Riga das Ziel. Das überfüllte Getto in der Stadt konnte die Masse nicht fassen. In den baufälligen Scheunen und Häusern des nicht mehr bewirtschafteten Guts "Jungfernhof" sollten sich die Ankommenden eine "neue Heimstatt" errichten. Aus dem Brief, den Erich Brills Schwester nach dem Krieg von dem überlebenden jüdischen Arzt Ludwig Elsäßer erhielt, erfuhren die Angehörigen, dass Erich eine Funktion als Schreiber übernahm und so nicht zu sehr unter der schweren Arbeit leiden musste. Einer anderen Erinnerungsspur folgte Miriam Gillis-Carlebach in "Menora und Hakenkreuz". Bei den Bemühungen ihres Vaters, die Kinder im Jungfernhof zu unterrichten, habe der Maler Brill sie dazu angeleitet, Figuren aus Schnee zu formen. Im Frühjahr wurden Frauen, Kinder und nicht arbeitsfähige Männer zur "Aktion Dünamünde" aufgefordert. In einer Fischfabrik würden sie leichte Arbeit und bessere Lebensbedingungen vorfinden. Am 26. März 1942 wurden unter diesem Vorwand 1600 Personen mit Lastwagen in den Wald von Bikernieki gefahren und dort erschossen, unter ihnen auch Erich Brill. Es war die erste der in diesem Wald, heute Stadtgebiet, durchgeführten Massenerschießungen, deren Gesamtzahl auf bis zu 46.000 geschätzt wird. Durch den Zeugen Elsäßer gibt es ein genaues Todesdatum von Erich Brill: am 26. März 1942 traf ihn eine Kugel seiner Mörder.
Seine Mutter konnte zu ihrer Tochter und deren Mann Bruno Tyson nach New York emigrieren, ebenso die Schwägerin aus Amsterdam mit ihrer Familie, während der Bruder Fritz Brill während der Verfolgung einen Herzschlag erlitt und daran starb. Brills Ex-Frau Martha (Marte) lebte bis zu ihrem Tod 1969 in Sao Paulo. Tochter Alice blieb mit Ehemann Czapski und drei Kindern in Brasilien. Sie verwaltet den künstlerischen Nachlass ihres Vaters und korrespondierte darüber ausführlich mit Dr. Maike Bruhns. Zum 100. Geburtstag von Erich Brill veranlasste die Tochter eine Ausstellung der Bilder ihres Vaters. Sie wurde selbst eine bekannte Künstlerin, besonders ihre Fotografien wiesen neue Wege des Sehens. Marlen Eckl würdigte Alice Brill Czapski zum 90. Geburtstag 2010 unter dem Titel "Kunst als das wahre Leben."
Stand: September 2016
© Inge Grolle
Quellen: 1; 4; 5; 6; 8; 9; StaH. 331-1 II Polizeibehörde II Ablieferung 15 Band (Auskünfte von Ulf Bollmann); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung _15976, _44076; 363 _EB 57 Senatsakten; Sta Hannover Hann.86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 3697 Gefangenenpersonalakte Erich Brill; Sta Hannover Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 146 Gefangenenkarteikarte; Bruhns, Geflohen aus Deutschland, S. 29f.; Dies., Kunst S.87–90; Allgemeines Künstler-Lexikon, Band 14, S. 231; Der neue Rump. Lexikon der Künstler Hamburgs, S. 64f.; Bruhns, Akte Brill, Mail von Maike Bruhns v. 3.3.2014; Brill, Der Schmelztiegel; Gillis-Carlebach, Jedes Kind, S. 177f.; Dies. In: Paul/Gillis-Carlebach (Hrsg.), Menora, S. 558; Brief von Thomas Mann zu dem Roman von Marte Brill, 8.9.1941; Robinsohn, Justiz.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen."