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Benjamin 'Benno' Engländer * 1901
Lerchenstraße 115 (Altona, Sternschanze)
HIER WOHNTE
BENJAMIN ’BENNO’
ENGLÄNDER
JG. 1901
EINGEWIESEN
’HEILANSTALT’ LANGENHORN
1940 LANDESANSTALT
BRANDENBURG
ERMORDET
Benjamin Engländer, geb. am 2.1.1901 in Altona, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Stolperstein in Hamburg-Sternschanze, Lerchenstraße 115 (ehemals Nachtigallenstraße 2)
Benjamin Engländer kam am 2. Januar 1901 in Altona als jüngstes von neun Kindern der Eheleute Juda Berl und Gela Rosa Engländer, geborene Mantel, zur Welt. Die Familie war einige Jahre zuvor aus Polen nach Altona gekommen. Der älteste Sohn Israel war am 11. August 1877 noch in Rzeszow, einer Kleinstadt in Galizien (im Südosten Polens), geboren worden, deren Bevölkerung fast zur Hälfte jüdisch war. Danach hatte die Familie einige Zeit in Brzeczkowice, in der Nähe von Katowice gelebt, wo am 3. Mai 1884 die Tochter Chane Neche, später Anna genannt, zur Welt kam. Die Tochter Feitsze wurde am 16. Dezember 1890 schon in Altona geboren, wo sich die Familie zunächst in der Kleinen Gärtnerstraße (heute: Stresemannstraße), später in der Nachtigallenstraße (heute: Lerchenstraße) niedergelassen hatte. Feitsze nannte sich später Fanny.
Benjamin Engländer besuchte von 1907 bis 1916 die Talmud Tora Schule, wo ihm nach eigener Aussage das Lernen leichtfiel. Ob er anschließend eine Ausbildung begann oder einer regelmäßigen Arbeit nachging, ist unklar. Auf dem Abgangszeugnis der Talmud Tora Schule findet sich unter "Bemerkungen" der Eintrag "Geschäft" und in einer Krankenakte von 1938 wird als Beruf "Kaufmann" angegeben. Benjamin Engländer hingegen trug auf dem "Autoanamnese-Bogen" auf die Frage "Welchen Beruf haben Sie gewählt?" die Bemerkung "Kein!" ein. Vermutlich unterstützte Benjamin seine Mutter in ihrem Geschäft. Diese versuchte nach dem Tod ihres Mannes, der 1917 einem Magenleiden erlegen war, mit dem Verkauf von "Bijouteriewaren" (Schmuckwaren) den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Zwei Brüder von Benjamin waren noch vor dem Vater verstorben, ein weiterer starb 1925.
Benjamin litt wahrscheinlich schon seit seiner Jugend an epileptischen Anfällen, die 1923 offiziell diagnostiziert wurden. Im August bescheinigte man ihm eine "psychische Veränderung", weshalb er einige Wochen stationär in der Psychiatrischen Abteilung des Altonaer Krankenhauses betreut wurde. Von dort wurde Benjamin Engländer am 7. Oktober 1930 nicht nach Hause entlassen, sondern in die Landes- Heil- und Pflegeanstalt Neustadt in Holstein eingewiesen, wo er fast vier Jahre verbrachte. Diese Einrichtung war 1893 als "Pflegeanstalt für Idioten" in den Gebäuden einer in Konkurs gegangenen Zuckerfabrik geschaffen worden.
In den Jahren 1934/1935 führte der "Friedrichsberg-Langenhorner Plan" zu Massenverlegungen von psychiatrischen Patienten und Patientinnen im Hamburger Raum. Wir wissen nicht, ob Benjamin Engländer aus Neustadt direkt oder aus Hamburg im September 1934 in die "Ricklinger Heilstätten für Nerven- und Alkoholkranke" im Kreis Segeberg überstellt wurde, wo er in verschiedenen Teileinrichtungen – zunächst in Falkenhorst, ein Jahr später in Thetmarshof – untergebracht war und wahrscheinlich, wie die meisten Patienten, in der Landwirtschaft arbeiten musste, soweit es seine Erkrankung zuließ. Denn laut Krankenakte traten in regelmäßigen Abständen epileptische Anfälle auf, die begleitet wurden von "zahlreichen Wahnvorstellungen". Sein allgemeiner Zustand wurde als "geistig stark verlangsamt, gehemmt, ohne Kontakt und Antrieb, allgemein stumpf" beschrieben.
1938 versuchte die Leitung der Ricklinger Anstalten, die dort lebenden jüdischen Patienten gegen nichtjüdische "auszutauschen". Angeblich befürchtete die Anstaltsleitung, den Status der Gemeinnützigkeit und damit verbundene Steuervergünstigungen zu verlieren, "wenn nicht ausnahmslos deutsche Patienten bei uns aufgenommen werden." Daraufhin wurden vier männliche Patienten in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt, unter ihnen Benjamin Engländer. Die – soweit bekannt – einzige jüdische Bewohnerin in Rickling, Paula Fraenkel, blieb von der Verlegungsaktion ausgenommen (siehe dort). Gründe dafür sind nicht bekannt.
Am 22. April 1938 erfolgte Benjamin Engländers Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, doch auch an diesem Ort blieb er nur kurze Zeit. Bereits am 9. Mai 1938 wurde er in die Heilanstalt Strecknitz in Lübeck verlegt, wo aufgrund der überfüllten Hamburger Einrichtungen immer wieder Hamburger Patientinnen und Patienten untergebracht wurden. Der Bericht über ihn vom November 1938 fiel nicht gerade positiv aus, möglicherweise beeinflusst auch davon, dass Benjamin Engländer sich nicht in die auferlegte Ordnung einfügte: "Der Versuch, ihn in Arbeit zu bringen, misslang, weil der Kranke sich von dem Kolonnenführer nichts sagen liess und weil er untätig herumstand und nichts leistete. Er ist dauernd etwas gereizt und hat bei der Visite immer irgendwelche Klagen und Beschwerden über die Anstalt in nörgelndem und etwas ironischem Tone vorzubringen. Mit den anderen Kranken hat er wenig Kontakt, kommt aber gelegentlich durch seine Reizbarkeit und Rechthaberei, sowie durch seine pedantischen Gewohnheiten in Streitigkeiten."
Es ist wenig darüber bekannt, ob Benjamin Engländer während seiner Zeit in den verschiedenen Anstalten in Verbindung mit seiner Familie stand oder sogar von ihr besucht werden durfte. Seine Mutter war 1935 verstorben, und seine Schwester Anna hatte seine Pflegschaft übernommen. Da diese jedoch die polnische Staatsangehörigkeit besaß, wurde sie am 28. Oktober 1938 mit etwa tausend anderen Hamburger Jüdinnen und Juden nach Bentschen/Zbąszyń abgeschoben und konnte nur noch brieflich Kontakt zu ihm halten. Seine Langenhorner Krankenakte enthält eine Freipostkarte, die er vermutlich Ende 1939 im Auftrag seiner Schwester an seine Familie schrieb und die seine Verbundenheit deutlich zum Ausdruck bringt: "Meine Lieben, vor allem hoffe ich, daß es Euch allen gut geht!! Bei mir ist alles beim alten! Ich wünsche Dir liebe Fanni zu deinem Geburtstag ein glückliches Geburtstagsfest!! Am besten schreibt ihr zu Willi (sein Bruder, Anm. die Verf.) nach Hbg ... Sonst schreibt ihr mir damit ich Bescheid weiß und beruhigt bin!! Ich weiß Euch sonst nichts zu schreiben als herzliche Grüße & Küsse an Alle, Benno Engländer."
Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.
Benno Engländer wurde am 16. September 1940 aus Strecknitz "im Sammeltransport der jüdischen Patienten nach Langenhorn verlegt" und von dort nach sieben Tagen, am 23. September 1940, gemeinsam mit 135 weiteren Patienten in die Tötungsanstalt Brandenburg gebracht, wo er noch am selben Tag ermordet wurde. Dieser Transport war der erste "Euthanasie"-Transport und die erste Deportation jüdischer Bürger aus Hamburg direkt in eine Gaskammer. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).
Auf dem Geburtsregistereintrag von Benjamin Engländer wurde – versehen mit einem Fragezeichen – notiert, dass das Standesamt Chelm II seinen Tod unter Datum 31. Januar 1941 und der Nummer "303 ?" registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.
Die Schicksale der Geschwister von Benjamin Engländer sind nur teilweise bekannt.
Sein ältester Bruder Israel, der in Leipzig lebte, war 1936 in die Niederlandeemigriert und wurde am 21. Oktober 1942 in Auschwitz ermordet.
Wolf Leib Engländer, geboren am 24. Mai 1893 in Altona, den Benjamin in dem oben zitierten Brief "Willi" nannte, starb ebenfalls in Auschwitz.
Seine 17 Jahre ältere Schwester Anna Reiss, die zuletzt in der Kleinen Gärtnerstraße 134 in Hamburg wohnte, war im Oktober 1938 als polnische Staatsangehörige nach Zbąszyń abgeschoben worden. Mit Anna Reiss wurden auch ihre Kinder, Cäcilie Kiczales, geboren am 1. Juli 1907, Gerda, geboren am 27. April 1910, und Jacob Reiss, geboren am 18. August 1912, zwangsweise an die polnische Grenze gebracht. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Anna Reiss’ Ehemann Sender, später Jacob genannt, soll vor 1933 gestorben sein. Anna Reiss wurde später für tot erklärt. Feitsze, genannt Fanny, konnte rechtzeitig nach England flüchten. Sie starb 1967 in London als Fanny Brown. Über die Lebensläufe der Geschwister David, Hermann Marcus, Adolf Siegmund und Isaak Engländer ließen sich keine Informationen ermitteln.
Ein Stolperstein in Hamburg-Sternschanze, Lerchenstraße 115 (ehemals Nachtigallenstraße 2) erinnert an Benjamin Engländer.
Stand: November 2017
© Gunhild Ohl-Hinz
Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 6267 Geburtsregister Nr. 4076/1890 Engländer Feitsze, 6274 Geburtsregister Nr. 972/1892 Engländer Hermann Marcus, 6280 Geburtsregister Nr. 1583/1893 Engländer Wolf Leib, 6289 Geburtsregister Nr. 1323/1895 Engländer Adolf Siegmund, 6289 Geburtsregister Nr. 1324/1895 Engländer Isaak, 13676 Geburtsregister Nr. 107/1901 Engländer Benjamin, 1070 Sterberegister Nr. 66/1937 Engländer Wolff, 770 Sterberegister Nr. 362/1917 Engländer, Berl Juda, 5398 Sterberegister Nr. 159/1935 Engländer, Rosa Gelle (Gela); 351-11 Amt für Wiedergutmachung, Nr. 15447 Wolf Leib Engländer; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Nr. 24885 Benjamin Engländer; 362-6/10 Talmud Tora Schule, TT 12; 424-111 Amtsgericht Altona 5068 Anna (Chane Neche) Reiss, Todeserklärung; Landesarchiv Schleswig, Abt. 377 Nr. 5587 Benjamin Engländer. Delius, Peter, Das Ende von Strecknitz. Die Lübecker Heilanstalt und ihre Auflösung 1941, Kiel 1988. Jenner, Harald/Klieme, Joachim (Hrsg.), Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen und Einrichtungen der Inneren Mission, Reutlingen 1997, S. 201f. Sutter, Peter, Der sinkende Petrus. Rickling 1933–1945, Rickling 1986 S. 173f., 247.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".