Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Sophie Cohn * 1873

Lübecker Straße Ecke Steinhauer Damm (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
SOPHIE COHN
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1944 IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Lübecker Straße Ecke Steinhauer Damm:
Heinz Alexander, Bernhard Lewinsohn

Sophie Cohn, geb. am 23.12.1873 in Werl/Kreis Soest, deportiert am 19.7.1942 in das Getto Theresienstadt, am 15.5.1944 in das KZ und Vernichtungslager Auschwitz deportiert, dort ermordet

Lübecker Straße/Ecke Steinhauerdamm (Steinhauerdamm 3)

"Sehr geehrter Herr Dr. Plaut,
verzeihen Sie bitte wenn ich mir erlaube an Sie zu schreiben. Ich habe sonst keine Verwandten noch Freunde mit denen ich correspondieren könnte, deshalb würde ich mich freuen von Ihnen zu hören. Ich habe 4 Jahre unter Frau Gurwitsch in der Volksküche gearbeitet, auch gehöre ich der Religionsgemeinschaft an. Ich erbitte ehestens von Ihnen zu hören.
Grüßend Ihre Sophie Cohn"

Diese Postkarte schickte die 69-jährige Sophie Cohn zwei Tage vor Beginn des Chanukka-Fests 1943 und fünf Tage vor ihrem 70. Geburtstag aus dem Getto Theresienstadt an den Leiter der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Max Plaut. Die Einsamkeit und Verlorenheit, die aus dem kurzen Schreiben spricht, und die Sehnsucht nach Kontakt zur Welt außerhalb des Gettos, lassen ahnen, wie trostlos die Zustände dort für sie gewesen sein müssen. So trostlos, dass sie jemanden um Zuwendung bat, der sie gar nicht kannte und dem sie nur in seiner Funktion als Leiter des Jüdischen Religionsverbandes begegnet war (der im November 1942 in der Reichsvereinigung aufging).

Sophie Cohn stammte ursprünglich aus Werl in Westfalen. Ihre Eltern waren David Cohn und Nettchen, geborene Cossmann. 1936 verzeichnet die Hamburger jüdische Gemeinde Sophies Eintritt. Sie war nicht verheiratet und hatte ab 1936 auch kein Einkommen mehr, auf das sich Kultussteuer erheben ließ. 1938 wohnte sie zur Untermiete bei einer Familie Hoppen am Steinhauerdamm 3. E. Hoppen betrieb in dem Haus ein Restaurant, vermutlich half Sophie Cohn dort gegen Kost und Logis aus. Ab 1939 lebte sie bei ihrer Schwester, die auch für ihren Unterhalt sorgte. Von 1938 an arbeitete sie zugleich in der Volksküche der Deutsch-Israelitischen Gemeinde an der Schäferkampsallee 27. Geleitet wurde diese Volksküche von jener Charlotte Gurwitsch, geborene Baruch, die Sophie Cohn in ihrer Karte an Max Plaut erwähnte. Das Haus neben dem Gebäude mit der Volksküche, die Nummer 29, hatte die Deutsch-Israelitische Gemeinde bereits 1898 erworben, um dort ein Siechenheim einzurichten. 1928 kaufte sie das Nebengrundstück mit den bis dahin vermieteten Doppelhäusern Nr. 25 und 27 hinzu. Sie nutzte die Gebäude für wechselnde karitative Aufgaben, so für ein Jüdisches Jugendheim, einen Kinderhort oder eben ab 1933 für eine Volksküche. Berufsverbote durch den "Arierparagrafen", Aufrufe zum Boykott jüdischer Geschäfte, Kanzleien und Arztpraxen, die Entlassung jüdischer Angestellter durch "arische" Betriebe, die Sperrung von Vermögen und darauf folgende Enteignung sowie die "Arisierung" jüdischer Firmen führten zu einer zunehmenden Verarmung der jüdischen Bevölkerung, welche die Deutsch-Israelitische Gemeinde mit sozial­fürsorgerischen Maßnahmen aufzufangen versuchte. 1941 etwa gab die Volksküche in der Schäferkampsallee rund 73.000 Portionen Mittagessen aus, also rund 207 Mahlzeiten pro Tag. 1942 musste sie schließen.

Im selben Jahr erhielt Sophie Cohn einen Deportationsbefehl. Am 19. Juli 1942 wurde sie zusammen mit rund 1000 anderen, überwiegend älteren Hamburger Jüdinnen und Juden in das Getto Theresienstadt verbracht. Dort wies die SS ihr eine Unterkunft in der Westgasse 12/4 zu. Die Situation der deutschen Jüdinnen und Juden beschreibt der österreichische Historiker H. G. Adler, ein Theresienstadt-Überlebender, in seinem Standardwerk "Theresienstadt. Antlitz einer Zwangsgemeinschaft": "Die vielen alten Menschen überfluteten den Ort, in dem sie sich nicht zurechtfanden. Sie vergaßen fast alles in peinlicher Verwirrung oder verdrängten die unerträgliche Gegenwart durch Amnesien und wußten nicht ihr Quartier, oft nicht einmal ihren Namen anzugeben."

Als Sophie Cohn nach Theresienstadt gebracht wurde, war das generelle Postverbot bereits aufgehoben. Gleichwohl gab es Regeln, die die Schreibenden befolgen mussten. Der Text – einschließlich Anrede und Unterschrift – durfte nicht mehr als 30 Wörter umfassen, innerhalb eines in den "Tagesbefehlen" des Lagers veröffentlichten Zeitraums konnte jede bzw. jeder nur eine Postkarte verschicken. Zeitweise war es zudem verboten, mehr als einen Personennamen zu erwähnen, man durfte mitteilen, dass man Pakete bekommen konnte, aber keine Wünsche über den Inhalt äußern. Nach einiger Zeit kam dann der Zensor, sammelte alle Karten ein, las sie durch und nahm die Exemplare mit, die den Vorschriften entsprachen. Diese gelangten dann aber noch nicht auf direktem Weg an die Adressaten, sondern über Sammelsendungen erst nach Berlin, wo sie erneut kontrolliert wurden, und dann erst über die Reichsvereinigung an die Empfänger. Wieviel Zeit bereits zwischen dem Schreiben und der Genehmigung durch den Zensor liegen konnte, zeigt die zweite Karte Sophie Cohns aus Theresienstadt, die noch erhalten ist. Am 1. April 1944 hatte sie sie verfasst, genehmigt wurde sie am 16. Mai 1944, also fast sechs Wochen später – und damit einen Tag, nachdem sie nach Auschwitz deportiert worden war. Mit der Karte bedankte Sophie Cohn sich bei einem "Sehr geehrten Herrn Katz" für ein Päckchen und bat ihn, Grüße an Frau Rosa Kwiatkowski in der Michaelisstraße auszurichten. Bei dem "Herrn Katz" handelt es sich um einen Fritz Katz, der zu dem Zeitpunkt im "Judenhaus" in der Bornstraße 22 wohnte.

Trotz der Seuchen, trotz Kälte und Hunger gelang es Sophie Cohn, fast zwei Jahre in Theresienstadt zu überleben. Dann jedoch wurde sie am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert. Dabei handelte es sich um einen der Transporte in das Vernichtungslager, die im Rahmen der "Verschönerungsaktion" Platz schaffen sollten. Danach sollten nicht nur die Straßen und Häuser des Gettos überholt werden, sondern auch die Unterkünfte. Einziger Zweck der Maßnahmen war es, eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes, die am 23. Juni 1944 eintreffen wollte, über die wahren Zustände im Getto zu täuschen. Sophie Cohn gehörte zu den 7500 Menschen, die im Zuge dieser "Verschönerungsaktion" nach Auschwitz deportiert wurde. Sie wurde dort ermordet.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden Abl. 1993/01, Ordner 15; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 992 d Steuerakten Bd. 5; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden Nr. 992 e 2 Bd. 25, Transport nach Theresienstadt am 19. Juli 1942; Adler, Theresienstadt, S. 161f., S. 165ff. u. Stadtplan; Hamburger Adressbücher; Institut Theresienstädter Initiative/Nationalarchiv Prag, Datenbank der digitalisierten Dokumente, Sophie Cohn, online unter: www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/8380-sophie-cohn (letzter Zugriff 10.1.2015); Jörg Berkemann, Beate Meyer, Jüdisches Leben zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung (1933–1945), in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, online unter: www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdisches-leben-zur-zeit-der-nationalsozialistischen-verfolgung-1933-1945 (letzter Zugriff 10.1.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang