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Heinz Dessau * 1930

Rutschbahn 39 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
HEINZ DESSAU
JG. 1930
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
RIGA

Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 39:
Else (Elsa) Dessau

Elsa Dessau, geb. Wolff, geb. am 21.1.1898 in Celle, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, dort ermordet
Heinz Dessau, geb. 13.4.1930 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, dort ermordet

Rutschbahn 39 / Martin-Luther-King-Platz 3

Elsa wurde als jüngstes Kind von Anna (geb. Cussel) und Michael Wolff in Celle geboren. Ihr Vater (geb. 11.3.1854) stammte aus Friedrichstadt in Schleswig Holstein, ihre Mutter (geb. 14.2.1857) aus Celle. Elsa hatte sieben Geschwister, drei Schwestern und vier Brüder. Die älteste war Bella (geb. 10.4.1885), es folgten Julius (geb. 9.8.1886), Willi (geb. 5.4.1888), Adolf (geb. 22.10.1891), Paula (geb. 14.1.1893), Johanna (geb. 3.4.1896) und Georg (geb. 29.9.1894).

Der Vater Michael wurde von der Familie nur Max genannt. Er arbeitete als Schlachthofaufseher in Hannover, verlor diese Stelle jedoch nach Beginn des Ersten Weltkriegs. Am 12. April 1915 zog das Ehepaar Wolff mit Paula und Elsa nach Hamburg, denn Max hoffte, hier leichter einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Doch dem war nicht so, und er musste von nun an von seinen erwachsenen Kindern unterhalten werden. Über die Kindheit von Elsa ist nichts bekannt. Als junge Frau erlernte sie das Schneiderinnenhandwerk. Die Familie lebte in Hamburg in beschränkten Verhältnissen. Am 3. Juni 1928 verstarb Elsas Mutter Anna im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg.

Elsa wurde bereits in jungen Jahren als "nervenschwach" gewesen ärztlich behandelt. Ein Arzt soll ihr geraten haben zu heiraten, es würde dann "mit den Nerven besser gehen". Am 31. Oktober 1929 heiratete sie John Dessau (geb. 16.10.1895), einen Schneider. Das Paar zog in die Rutschbahn 39. John Dessau war seit dem 12. Dezember 1927 erwerbslos. Er beantragte deshalb am 23. Februar 1928 Wohlfahrtsunterstützung. Im September 1930 wurde der gemeinsame Sohn Heinz geboren. Sofort danach ging John Dessau "auf Wanderschaft", um irgendwo eine Arbeitsstelle zu finden. Den Kontakt zu Frau und Kind brach er ab. Elsa, in Hamburg auf sich allein gestellt, beantragte nun selbst Wohlfahrtsunterstützung. Von ihrem Mann hörte sie nichts mehr und polizeiliche Nachforschungen blieben erfolglos. Dennoch wollte sie sich nicht scheiden lassen. Sie zog zurück zu ihrem Vater und ihrer Schwester Paula in den Grindelhof 89 HS (Hinterhaus) 2I.

In einem ärztlichen Gutachten vom 9. April 1931 wird Elsa Dessau als 169 cm groß, 54 kg schwer beschrieben. Ihre Krankenakte war umfangreich. Sie litt, so die Ärzte, unter Psychosen und nervöser körperlicher Erschöpfung und war daher arbeitsunfähig. Als Schneiderin konnte sie nicht mehr arbeiten und auch ihrer Schwester im Haushalt kaum Hilfe leisten. In der Wohnung im Grindelhof lebten die drei Erwachsenen und der kleine Heinz von Paula Wolffs Gehalt, die bei Karstadt als Verkäuferin tätig war. Hinzu kamen die Wohlfahrtsgelder von Elsa.

Im Mai 1933 verlor Paula ihre Arbeitsstelle aus "rassischen Gründen". Die Familie zog nun in die Rutschbahn 39. Von der neuen 4 1/2 Zimmer Wohnung vermieteten sie zwei Räume. Ständig statteten nun Fürsorger der Familie Hausbesuche ab, da insbesondere Elsa und Heinz weiter Unterstützung benötigten. Sie notierten, dass Elsa unruhig und unkonzentriert sei und hielten sie für suizidgefährdet. Elsa hatte 1932 bereits einen Vergiftungsversuch mit Gas unternommen.

Der Leidtragende dieser Situation war Sohn Heinz. Die Fürsorger betonten zwar, dass es Elsa nicht an Liebe und gutem Wille fehle, sie aber dennoch ihren Sohn Heinz nicht betreuen oder ganztägig um sich haben könne. So verbrachte Heinz bereits im Alter von wenigen Monaten ein paar Tage in der Woche in der Krippe bzw. einem Säuglingsheim, später im Kinderhort der jüdischen Gemeinde in der Johnsallee 54. Dort erhielt er täglich drei Mahlzeiten, für deren Kosten (25 Reichspfennig pro Tag) die Wohlfahrt aufkam. Ab 12. Januar 1936 lebte Heinz im Paulinenstift, während seine Mutter Elsa sich zeitweise in der Anstalt Friedrichsberg befand. Im April kehrte er auf Wunsch der Mutter wieder in die Familie zurück. In diesem Jahr wurde er auch in die Talmud-Tora-Schule eingeschult.

Am 25. September 1936 erhielt Heinz einen Vormund, Ludwig Freudenthal von der jüdischen Gemeinde. Heinz lebte nun im Paulinenstift und hielt sich immer wieder für einige Tage bei der Familie auf. Sein Großvater Max wünschte sich, dass er ganz ins Paulinenstift ziehe, da dieses "Hin und Her" für ihn nicht gut sei. Inzwischen zog die Wohlfahrtsbehörde Elsa zur Pflichtarbeit für Fürsorgeempfänger heran.

Elsas ältere Schwester Paula heiratete 1937 den erwerbslosen Otto Behr und verließ die Wohnung in der Rutschbahn, so dass Elsa mit ihrem 83-jährigen Vater und ihrem 6jährigen Sohn (wenn er sich gerade bei ihr aufhielt) alleine in der Wohnung leben und sich um den Haushalt kümmern musste, was sie überforderte und ihren Zustand erneut verschlechterte.
Glück im Unglück hatte sie, als sie im Oktober 1939 während eines Pflichtarbeitseinsatzes in einen Konflikt geriet und den Platz, auf dem sie arbeiteten, mit den Worten "Der Krieg wird euch alle vernichten" verließ. Ein ebenfalls pflichtarbeitender "Volksgenosse" nahm daran Anstoß und schlug ihr ins Gesicht. Ihr Ausruf hätte sie vor Gericht oder direkt ins Konzentrationslager bringen können. Da aber der Vorarbeiter sich einschaltete und den Schläger ermahnte, gelangte nur eine Meldung an die Wohlfahrtsbehörde, die sie nicht an die Polizei/Gestapo weiterleitete, sondern Elsa brieflich rügte. So blieben weitere Sanktionen aus.

Der NS-Staat entledigte sich 1939/1940 seiner Verpflichtung zur Sozialfürsorge Jüdinnen und Juden gegenüber und bürdete diese den jüdischen Gemeinden auf. Von dort erhielt Elsa Dessau nun 27 RM Unterstützungszahlung. Zu weiterer Pflichtarbeit wurde sie nicht mehr herangezogen, da sie ihren nun schwerkranken alten Vater pflegen und um den 10-jährigen Heinz kümmern musste.

In der Rutschbahn konnte Elsa nicht bleiben, sondern musste in die Bundesstraße 35, ein Judenhaus, übersiedeln. Heinz lebte inzwischen im Papendamm 3, dem Knaben-Waisenhaus. Mutter und Sohn wurden gemeinsam mit Elsas Brüdern Georg und Willi am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert. Keiner von ihnen kehrte zurück.

Ihr Vater Michael/Max wurde mit 88 Jahren am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt und von dort am 21. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet.

Elsa Dessaus Schwestern Johanna und Paula strengten nach dem Krieg ein Wiedergutmachungsverfahren an, in dem Elas auf den 8.Mai 1945 für tot erklärt wurde. Die beiden Schwestern waren nach England emigriert und überlebten dort den Holocaust.

Elsas Mann John, den sie nie wieder sah, wurde am 5. Juni 1942 von Frankreich nach Auschwitz deportiert und am 2. August 1942 ermordet.

Stand Februar 2015

© Karolin Harder

Quellen: StaHH, 351-11-10245, Wiedergutmachungsakte Willy Wollf; ebd., 351-11-13693 Wiedergutmachungsakte Adolf Wolff; ebd., 351-11-16886 Wiedergutmachungsakten Georg Wolff; ebd., 351-11-639, Fürsorgeakte Michael Wolff; ebd., 332-5-940, 235/1928, Sterbeurkunde; Scheffler, Wolfgang/Schulle, Diana: Buch der Erinnerungen. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, Band II: München 2003. S. 609; www.bundesarchiv/gedenkbuch; http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_15716.php; Benzian, Gertrud: Gertrud Bezian und das Paulinenstift (1920–1934). In: Wamser, Ursula/Weinke, Wilfried (Hrsg.): Ehemals in Hamburg zu Hause. Jüdisches Leben am Grindel. Fulda: VSA-Verlag 1991, S. 58.

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