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Rena Drehmel, geb. Emanuel, um 1918
Rena Drehmel, geb. Emanuel, um 1918
© Privat

Renata Rahel Drehmel (geborene Emanuel) * 1903

Gärtnerstraße 117 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
RENATA R. DREHMEL
GEB. EMANUEL
JG. 1903
EINGEWIESEN 1943
"HEILANSTALT" LANGENHORN
"VERLEGT" 15.4.1943
JÜDISCHES KRANKENHAUS
BERLIN
TOT 11.6.1943

Renata Rahel Drehmel, geb. Emanuel, geb. am 9.5.1903, am 15.4.1943 aus der "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn ins Jüdische Krankenhaus nach Berlin verbracht, dort gestorben am 11.6.1943

Gärtnerstraße 117

Als ihr Ehemann Fritz am 14. April 1942 im Alter von nur 49 Jahren plötzlich starb, geriet Renata Rahel Drehmels Leben komplett aus den Fugen. Wenige Monate später beging sie, 39-jährig, einen Selbstmordversuch. Am 3. August 1942 wurde sie in das Hamburger Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee eingeliefert, Diagnose: Schlafmittelvergiftung. Erst im Februar 1942 hatte sie kurz nacheinander ihre beiden Schwestern Rosa und Frieda verloren (siehe Familie Emanuel). So dokumentiert es jedenfalls die Krankenakte, die bei ihrer Einlieferung ins Israelitische Krankenhaus angelegt wurde. Schon diese Ereignisse hatten Rena, wie sie allgemein genannt wurde, stark zugesetzt. In der Akte findet sich zudem die Angabe, sie habe bereits in früheren Jahren an "Veitstanz" gelitten. Dieser damals noch übliche Begriff für die Huntingtonsche Erkrankung bezeichnet eine erbliche Nervenkrankheit, zu deren Symptomen Bewegungsstörungen und psychische Veränderungen gehören. Auch soll Rena "stets leicht erregbar" gewesen sein und öfter "Nervenanfälle mit Wein- und Schreikrämpfen" gehabt haben.

Renata Rahel war als zweitälteste Tochter der jüdischen Familie Emanuel in Hamburg zur Welt gekommen. Ihr Vater Iwan, geboren 1876 in Hamburg, war Uhrmacher und hatte 1901 die knapp ein Jahr ältere Franziska Horwitz geheiratet. Seine Eltern hießen Philipp und Bertha, geborene Kreiner; Franziska war die Tochter des jüdischen Händlers Samuel Horwitz und seiner Frau Hendel aus der Familie Weinberg. Nach der Heirat zog sie, die bis dahin bei den Eltern gewohnt hatte, zu ihrem Mann in die Mathildenstraße 15 im heutigen Karolinenviertel. Kurz hintereinander brachte Franziska drei Töchter zur Welt: Bertha Beate, Renata Rahel und Hertha. Doch Franziska und Iwan Emanuels Ehe verlief nicht glücklich. Nach rund acht Jahren wurde sie am 22. Dezember 1909 rechtskräftig aufgelöst, wenige Tage nach der Geburt von Iwans erstem Sohn, Paul Philipp.

Schon am 20. Dezember 1909 heiratete der inzwischen 32-jährige Iwan Emanuel ein zweites Mal: die zwei Jahre jüngere Lea Andrade, genannt Ella. Er wohnte bereits mit ihr zusammen in der Bellealliancestraße 41. Die Tatsache, dass er zwei Tage lang in bigamischer Ehe lebte, war offenbar der Bürokratie geschuldet. So nennt das Heiratsgeneralregister als Datum seiner zweiten Heirat den "20./22.12.1909". Zusammen mit seiner zweiten Frau bekam Iwan Emanuel noch drei Töchter, Renas Halbschwestern Rosi, Frieda und Irmgard. Auch Renas Mutter heiratete ein zweites Mal: im Mai 1910 den Kaufmann Joseph Andrade. Drei Jahre später verlor Rena ihre Mutter. Franziska Andrade, geschiedene Emanuel, starb im September 1913 im Hamburger Israelitischen Krankenhaus.

Rena Emanuel wuchs in Eimsbüttel auf. Als sie am 9. März 1928 im Standesamt Eimsbüttel an der Weidenallee 14 den kaufmännischen Angestellten Fritz Hermann Karl Drehmel heiratete, wohnten beide bei Renas Vater und seiner zweiten Frau Ella in der Margaretenstraße 15. In diesem Haus hatte Iwan Emanuel seit 1917 auch ein Ladengeschäft als Taxator besessen, als An- und Verkäufer von Möbeln, Hausrat und Waren aller Art. Seine gelernte Tätigkeit als Uhrmacher hatte er schon seit 1908 aufgegeben. In dem Jahr, in dem seine Tochter heiratete, schloss er jedoch auch das Geschäft in der Margaretenstraße und begann als über 50-Jähriger im Hamburger Hafen als Kaiarbeiter: Mit einer Sackkarre transportierte er Stückgut von den Schiffen zu den Kaischuppen.

Fritz Drehmel, der "keiner Kirche angehörte", war rund elf Jahre älter als seine Ehefrau. Auch für ihn war es die zweite Ehe. Aus einer ersten Verbindung hatte er einen Sohn namens Horst, geboren am 20.9.1920. Anders als Rena stammte er nicht aus Hamburg, sondern aus Klein Mantel – einem Dorf in der Nähe von Stettin, das heute zu Polen gehört und Metno Male heißt. Dort lebten damals auch seine Eltern, Fritz Drehmel und Minna, geborene Zäpernich.

Rund neun Monate nach der Heirat, am 31.1.1929, kam Rena und Fritz Drehmels gemeinsamer Sohn Werner Ivan in Klein Mantel zur Welt. Als Werner zwei Jahre alt war, begann Rena Drehmel in Hamburg als Verkäuferin zu arbeiten – bis zur Einschulung ihres Sohnes und mit so geringem Verdienst, dass es sich wohl um eine stundenweise Beschäftigung handelte. Ab Ostern 1935 besuchte Werner drei Jahre lang die Talmud Tora Oberrealschule am Grindelhof. Das bedeutete einen recht langen Schulweg, denn Familie Drehmel wohnte mittlerweile in der Gärtnerstraße 117. Vielleicht brachte ihn seine Mutter ins Grindelviertel und holte ihn auch wieder ab. Im Frühjahr 1938 ließen die Eltern ihn umschulen, wohin, ist nicht bekannt. Vermutlich wollten sie ihn aus den jüdischen Zusammenhängen herausnehmen und mit Beginn des neuen Schuljahrs auf eine nichtjüdische Schule geben. Als "Mischling" war ihm dies noch erlaubt, während jüdische Kinder und Jugendliche seit November 1938 keine öffentlichen Schulen mehr besuchen durften.

Ende des Jahres scheinen zwei Ereignisse Rena Drehmel noch weiter beunruhigt zu haben: der Novemberpogrom und die wenige Tage später erfolgte Verhaftung ihrer Schwester Frieda, die wegen "Rassenschande" ins KZ Lichtenburg gebracht wurde. Beides veranlasste Rena dazu, Ende November 1938 aus der Jüdischen Gemeinde auszutreten und sich zudem im Juni 1939 von der Gemeinde bescheinigen zu lassen, dass auch ihr Sohn dort kein Mitglied sei. Generell war sie durch die Ehe mit einem nichtjüdischen Mann vergleichsweise wenig gefährdet. Ab Dezember 1938 wurde ihre Ehe als "privilegierte Mischehe" definiert, sie musste also später keinen Judenstern tragen und war, ebenso wie ihr minderjähriger Sohn, noch vor der Deportation geschützt.

Drei Jahre lang – von der 4. bis zur 6. Klasse – konnte Werner Drehmel eine andere Hamburger Bildungseinrichtung besuchen, doch im August 1941 kehrte er an die Talmud Tora Schule zurück. Dort blieb er bis zur Schließung aller jüdischen Schulen am 30. Juni 1942. Unter "Bemerkung" stand in seinem Abgangszeugnis: "Versetzt nach Klasse 8".

Zu Hause herrschten Trauer und Angst. Nach der Mutter hatte Rena Drehmel bereits im Mai 1939 auch ihre Stiefmutter und Iwan Emanuel seine zweite Frau verloren: Ella Emanuel starb im Israelitischen Krankenhaus an den Folgen einer Krebserkrankung. 1941 war Renas Halbschwester Rosa wegen "Rassenschande" ins KZ Fuhlsbüttel gebracht worden, im November desselben Jahres ihr Vater Iwan Emanuel nach Minsk. Noch einen Tag vor der Deportation hatte er zum dritten Mal geheiratet, die Jüdin Margarethe Heimann, verwitwete Levor. Anfang 1942 erhielt Rena die Nachricht vom Tod Friedas und Rosas. Beide hatte man über das KZ Lichtenburg zunächst nach Ravensbrück und dann in die NS-Tötungsanstalt Bernburg verschleppt, wo sie im Februar 1942 als "Ballastexistenzen" im Zuge der "Aktion 14 f 13" im Gas erstickt worden waren.

Zwei Monate später, am 14. April 1942, erlitt Rena Drehmels Mann Fritz früh am Morgen einen Herzinfarkt und starb noch in dem Krankenwagen, der ihn ins Hafenkrankenhaus bringen sollte. Damit war Rena Drehmels Schutz durch ihren nichtjüdischen Mann erloschen. Zwar war sie durch ihr minderjähriges, unversorgtes Kind noch eine gewisse Zeit geschützt – doch wurde dies hinfällig, sobald Werner als jüdisch betrachtet wurde, weil er eine jüdische Schule besucht hatte. Die existentielle Bedrohung, unter der sie und ihr Sohn nun standen, konnte Rena Drehmel psychisch nicht verkraften. Vier Monate nach dem Tod ihres Mannes versuchte sie sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Nach der Einlieferung ins Hamburger Israelitische Krankenhaus Anfang August 1942 notierten Ärzte und Pflegepersonal, dass sie oft von ihrem Mann spräche und nicht glauben wolle, dass er nicht mehr lebe – obwohl sie neben ihrem nun auch seinen Trauring trug. Sie verlangte vielmehr, ihn zu benachrichtigen, damit er sie besuchen käme. Immer wieder verkroch sie sich unter ihrem Bett. Die "übliche Dosis" Morphium, welche die Ärzte ihr zur Ruhigstellung verabreichten, löste schwere Herzbeklemmungen mit Atemstillstand aus, so dass man sie längere Zeit mit Sauerstoff versorgen musste.

Ende August 1942 wurde Rena Drehmel mit der Diagnose "Psychose/man. Erregungs­zu­stände" in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" überwiesen. Sie hatte aus dem Fenster springen wollen und das Personal im Israelitischen Krankenhaus sah sich nicht in der Lage, sie ununterbrochen zu "bewachen". Zwei Wochen später schickte man sie aus Langenhorn nach Hause, doch bereits einen Monat danach wurde sie erneut eingewiesen. Diesmal hatte sie versucht, sich mit Gas das Leben zu nehmen.

Bis Mitte April 1943, also insgesamt acht Monate lang, befand sich Rena Drehmel mehrfach über Wochen in Langenhorn. Zuletzt war sie am 10. März entlassen, aber noch am selben Tag wieder aufgenommen worden. Offenbar hatte sie zu Hause – das seit November 1942 das "Judenhaus" Rutschbahn 25 a war – den Aufruf zur "Aussiedlung" für sich und ihren Sohn vorgefunden. Am gleichen Tag noch hätten beide nach Theresienstadt verbracht werden sollen.

Am 15. April 1943 wurde Rena Drehmel aus Langenhorn ins Jüdische Krankenhaus Berlin gebracht, wo sie wenige Wochen später, am 11. Juni, starb. Über die Todesursache ist nichts bekannt. Fünf Tage später sollten zahlreiche Patientinnen und Patienten aus dem Krankenhaus nach Theresienstadt deportiert werden. Am 17. Juni 1943, sechs Tage nach ihrem Tod, wurde sie auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin begraben; das Grab im Grabfeld H6, Reihe 1, hat keinen Grabstein.

Rena Drehmels Sohn Werner hatte in Hamburg dem Deportationsbefehl nach Theresienstadt folgen müssen. Er war gerade vierzehn Jahre alt geworden. Am 12. März 1943 erreichte der Transport das Getto. Kinder und Jugendliche bis fünfzehn Jahre lebten dort, nach Geschlechtern getrennt, in separaten Heimen – bis zu Vierzig in einem Raum. Wer arbeitsfähig und mindestens dreizehn Jahre alt war, musste täglich zehn bis zwölf Stunden lang arbeiten.

Rund 20 Monate später, am 6. Oktober 1944, kam Werner mit dem Transport EO nach Auschwitz – zusammen mit seiner Cousine Marion und seinem Cousin Wölfi (s. Familie Emanuel), die ebenfalls in Theresienstadt gewesen waren. Die beiden Kleinen wurden ihm direkt bei der Ankunft in Auschwitz aus den Händen gerissen und ermordet. Nach der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 durch sowjetische Truppen gelangte er am 1. Mai 1945 mit dem Evakuierungstransport Nr. 20 zurück nach Theresienstadt. Von den zirka 15.000 Kindern, die das Getto Theresienstadt durchliefen und weitertransportiert wurden, überlebten etwa 100. Werner Dreh­mel gehörte dazu.

Mittlerweile war er 16 Jahre alt. Nach der Befreiung Theresien­stadts wurde das jüdische DP-Lager Deggendorf in Bayern seine nächste Station. Von dort wanderte er in die USA aus. An der Boston University studierte er Sozialpädagogik, leitete von 1962 bis 1968 das Stanford Center for Autistic Children und arbeitete dann bis zu seiner Pensionierung unter anderem als Familientherapeut. Im Rahmen einer Ausstellung in San Francisco zu Kindern, die den Holocaust überlebt hatten, besuchte "Vern" Drehmel, wie er mittlerweile genannt wurde, als Zeitzeuge zahlreiche Schulen und erzählte von seinen Erlebnissen. Bis zu seinem Tod am 1. November 2008 lebte er zusammen mit seiner zweiten Frau Robin in San Mateo, Kalifornien. Beide hatten drei Kinder und drei Enkelkinder. In einem Nachruf im "San Francisco Chronicle" war über ihn zu lesen: "Er war lieber optimistisch als pessimistisch, lieber mit Freunden zusammen als allein, lieber voller Hoffnung als voller Angst."

© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 3165; ebd., 17935; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1995/1, 30421; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e 1 Bd 5; Auskunft Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück/Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zu Frieda und Rosa Emanuel per E-Mail am 7.3.2011; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule, StaH 741-4 Fotoarchiv Sa 1248; Auskunft Dr. Michael Wunder/Dr. Harald Jenner zu Rena Drehmels Überweisung nach Berlin und ihrem Tod dort per E-Mail am 17.6.2008; von Rönn u. a., Wege in den Tod; Klee, "Euthanasie" im Dritten Reich; Marek Poloncarz, Die Evaku­ierungstransporte nach Theresienstadt, in: Theresienstädter Studien und Dokumente, Prag, 1999; "Aufbau", 3.8.1945, 24.8.1945 u. 12.10.1945; Theresienstadt Lexikon, www.ghetto-theresienstadt.de/terezin ghetto.htm#leben, Zugriff 3.1.2012; www.ushmm.org/museum/exhibit/online/dp/map. htm, "Deggendorf"; San Francisco Chronicle 16.11.2008, S. Z-99; "Children’s Holocaust exhibit in S. F.: Students are ,freaked out‘, saddened by ,Daniel’s Story‘", Zugriff 4.1.2012; www.jweekly.com/includes/print/8243/article, 15.5.1998, Zugriff 4.1.2012; Telefongespräch mit Peggy Parnass (Nichte von Renata Drehmel) am 21.8.2012; Auskunft Dr. Diana Schulle am 28.8.2012; E-Mail-Auskunft Jüdischer Friedhof Weißensee vom 10.9.2012.

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