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Norbert Deutsch * 1909

Grindelhof 61 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 61:
Anneliese Deutsch, Fritz Heinz Deutsch

Anne Liese (Anneliese) Sara Amalie Deutsch, geb. Weil, geb. am 18.10.1910 in Frankenthal/Bayern, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet
Friedrich "Fritz" Heinz Deutsch, geb. am 7.12.1936 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet
Johann Norbert Deutsch, geb. am 13.12.1909 in Altona, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet

Grindelhof 61

Norbert Deutsch kam als zweiter Sohn des Ehepaars Alfred Deutsch (geboren am 3. April 1880 in Wien) und Henriette, geborene Pogerselsky (geboren am 5. November 1879 in Rawitsch/Posen; für beide s. a. www.stolpersteine-hamburg.de), in Altona, Jacobstraße 72, zur Welt. Alfred Deutsch war 1900 von Wien nach Altona gezogen und hatte dort 1907 Henriette geheiratet. 1911 zog die junge Familie nach Hamburg und Alfred Deutsch machte sich als Altwarenhändler selbstständig – bei den Altwaren handelte es sich in diesem Fall um "getragene Herren-Garderoben". Das Geschäft und zugleich der Wohnort der Familie befanden sich von 1914 bis 1932 in der Desenißstraße 42 in Barmbek.

Norbert hatte einen zwei Jahre älteren Bruder Walter Erich, geboren am 31. Oktober 1907 in Altona, und eine sechs Jahre jüngere Schwester Anne-Liese Bringfriede, geboren am 3. Juli 1915 in Hamburg. Im November 1931 musste Alfred Deutsch einen Unterstützungsantrag bei der Wohlfahrtsbehörde stellen, nachdem seine Umsätze immer weiter zurückgegangen waren. Die sich anschließenden Prüfungen der familiären Verhältnisse durch die Behörde liefern wichtige Informationen zur beruflichen Entwicklung und finanziellen Situation der drei Kinder.

Walter Erich Deutsch wanderte um 1927 in die USA aus, nahm die amerikanische Staatsangehörigkeit an und änderte seinen Namen von "Deutsch" in "Dodge". Er arbeitete Anfang der 1930er-Jahre als Kellner in Brooklyn, New York City, und konnte seine Eltern nicht unterstützen. Er heiratete eine US-Amerikanerin und beide bekamen am 3. September 1944 einen Sohn, den sie Alfred Norbert nannten. Er war erst sechs Jahre alt, als sein Vater im Januar 1950 starb.

Anne-Liese Deutsch hatte Kontoristin bei der Papierhandlung Alex. Loewenberg, Bleichenbrücke 10, gelernt, die Lehre schloss sie am 1. April 1933 ab. Seit dem 1. Juli 1937 war sie bei Oscar Hartig tätig, einer Vertretung für Rauchwaren – noch nicht verarbeitete Felle – in der Mönckebergstraße 7, und verdiente 100 Reichsmark (RM) im Monat. Am 28. September 1938 konnte sie in die USA auswandern und lebte nach ihrer Heirat mit Lewis Wolff als Ann Wolff, geborene Deutsch, in Kalifornien. Ann Wolff und ihr Neffe Alfred Norbert Dodge stellten 1960 gemeinsam einen Wiedergutmachungsantrag für Alfred und Henriette Deutsch.

Norbert Deutsch arbeitete 1931 als kaufmännischer Angestellter in Berlin bei der Firma Heinrich Sober, Kommandantenstraße 6. Er verdiente monatlich 180 RM und bewohnte ein möbliertes Zimmer in der Maurerstraße 3, für das er 43 RM Miete bezahlte. Die Wohlfahrtsbehörde entschied nach eingehender Prüfung seiner Verhältnisse, dass er 12 RM monatlich an die Eltern zahlen. 1933/34 ließ sich Norbert Deutsch als selbstständiger Vertreter seiner Berliner Firma in Holland nieder, kehrte aber bereits im Januar 1935 nach Deutschland zurück und setzte seine reisende Tätigkeit als Vertreter für das Berliner Unternehmen fort. Verstärkt hielt er sich nun in Frankenthal in der Pfalz auf, denn dort besuchte er seine zukünftige Ehefrau Anneliese Weil und wohnte bei seinen Schwiegereltern in spe. Annelieses Vater Josef Weil, geboren 1873 in Frankenthal, hatte 1908 in Kirchheimbolanden in der Pfalz Elisabeth Schwarz (geboren 1886) geheiratet. Anneliese war das älteste von drei Kindern des Ehepaars. Josef Weil und seine Brüder Jakob und Viktor waren bereits 1898 in die von ihrem Vater Aron Weil gegründete Firma in Frankenthal eingetreten. Zu dieser gehörten ein Schuh- und Bekleidungsgeschäft sowie eine Möbelhandlung. Nach Aron Weils Tod 1908 führten die Brüder das Unternehmen allein weiter. Im Ersten Weltkrieg nahmen sie intern eine Geschäftsaufteilung vor: Jakob Weil übernahm das Schuh- und Bekleidungsgeschäft, Josef und Viktor die Möbelhandlung.

Am 23. April 1936 heiratete Norbert Deutsch Anneliese Weil in Mannheim. Das Paar entschloss sich, nach Hamburg zu gehen, und fand im August eine Wohnung im Grindelhof 61. Es handelte sich um eine Teilwohnung, die aus zwei Zimmern und einer Notküche bestand. Die Miete betrug 40 RM. Für die Wohnungseinrichtung und den Hausstand sorgte Annelieses Vater Josef Weil, der auf den Fundus seines Möbelgeschäfts zurückgreifen konnte. Von der Wohnung aus versuchte Norbert Deutsch seinen "Mützenvertrieb en gros" aufzubauen. Durch die seit April 1933 propagierten Judenboykotte, die sich Mitte der 1930er-Jahre noch verschärften, konnte die Geschäftsentwicklung keinen positiven Verlauf nehmen. Die Familie geriet in finanzielle Not: Die Kosten für die Entbindung von Norbert und Annelieses Sohn Friedrich Heinrich (Heinz) Sam am 7. Dezember 1936 übernahm die Wöchnerinnenhilfe der Jüdischen Gemeinde. Zwecks Erstattung weiterer Krankenhauskosten für seine Frau stellte Norbert Deutsch einen Antrag bei der Wohlfahrtsbehörde. Im Juli 1937 bat er um die Befreiung von der Unterstützungsleistung für seine Eltern, da "sein Geschäft mit einer Mützenkonfektion erst im Aufbau begriffen" sei und er "durch Konkurse von Kunden schon einige hundert Mark eingebüßt" habe. Das Ende seines Handelsgeschäfts kam im November 1937: Er war zahlungsunfähig und veranlasste seinen Bücherrevisor Otto Kronberger in Altona, einen Vergleich mit den Gläubigern anzustreben.

Seit dem 1. Juli 1937 wohnte Norbert Deutsch mit Frau und Kind in der Rappstraße 10. Da für die Wohnung Grindelallee 61 noch eine Mietschuld von 20 RM bestand, hatten die Gläubiger die Wohnungseinrichtung in Höhe von 360 RM gepfändet. Wie er gegenüber der Wohlfahrtsbehörde angab, wurde die Familie von den Eltern seiner Frau monatlich mit 20 RM unterstützt und auch andere Verwandte schickten ab und zu Geldbeträge. Eine undatierte Liste jüdischer Fürsorgeempfänger dokumentiert den sozialen Abstieg von Norbert Deutsch: Dort wurde er neben seinem Vater Alfred als Fürsorgeempfänger aufgeführt; es handelte sich vermutlich um den Zeitraum von 1938/39 bis zur Deportation. 1940/41 erschien im Adressbuch als Berufsbezeichnung von Norbert Deutsch "Erdarbeiter"; wahrscheinlich musste er diese meist schwere körperliche Arbeit als "Pflichtarbeiter" zwangsweise leisten, weil er Fürsorge bezog.

Am 11./12. November 1938 nahm die Gestapo Norbert Deutsch in "Schutzhaft" und brachte ihn ins KZ Fuhlsbüttel. Hintergründe dieser Verhaftung ließen sich nicht ermitteln. Nach einem Bericht der Wohlfahrtsbehörde, die einen Hausbesuch bei seinen Eltern durchgeführt hatte, war er am 3. Januar 1939 noch in Haft; seine Entlassung am 11. Januar 1939 findet sich ebenfalls in den Akten. Noch im selben Monat wurde er als "politischer Jude" in das KZ Sachsenhausen gebracht. Auch hier ist der Grund für seine Inhaftierung nicht bekannt. Seine Frau Anneliese war vom 16. März bis zum 28. April 1939 wegen "versuchten Betruges" im Frauengefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert.

Norbert und Anneliese Deutsch wurden zusammen mit ihrem vierjährigen Sohn Friedrich Heinrich ("Fritz Heinz") und Norberts Eltern Alfred und Henriette Deutsch am 8. November 1941 in das Getto Minsk deportiert und dort ermordet.

Anneliese Deutschs Vater Josef Weil überlebte den Holocaust, kehrte nach Frankenthal zurück und führte dort das Möbelgeschäft A. Weil weiter. 1950 stellte er einen Wiedergutmachungsantrag auf Rückerstattung der Wohnungseinrichtung, die er seiner Tochter in die Ehe mitgegeben hatte. Norbert und Anneliese Deutschs Hausstand war nach ihrer Deportation mit einem Erlös von 1262 RM versteigert worden, der an die damalige Hamburger Finanzbehörde ging.

Für Norberts Eltern Alfred und Henriette Deutsch liegen Stolpersteine vor dem Haus Rentzelstraße 7 im Grindel.

Stand: Juli 2017
© Ute Harms

Quellen: 1; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident Fvg 4791; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident 1998/1, J2/174/175/177; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident 47 UA 3-9; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident 26; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e 2 Bd. 2; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 4608; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge Abl. 1999/2; StaH Meldewesen II, Hauskartei, K 2435; StaH 213-13 Landgericht Hamburg 7316; StaH 242-1 Gefängnisverwaltung II, Abl. 13; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht Abl. 2, 451 a E1 1c; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Band 2, Transport nach Minsk am 8. November 1941, Liste 1; Information Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Oranienburg vom 1.7.2013; E-Mail-Korrespondenz mit Herbert Baum, Förderverein für jüdisches Gedenken Frankenthal, Dez. 2017; Hamburger Adressbücher 1936–1941; Familie Aron Weil, online: http://juden-in-frankenthal.de/j%C3%BCdische-familien/weil/ (Zugriff 25.12.2016); mit freundlicher Unterstützung von Herbert Baum, Werner Schäfer und Paul Theobald vom Förderverein für jüdisches Gedenken Frankenthal.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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