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Anneliese Drost * 1941
Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)
ANNELIESE DROST
GEB. 23.3.1941
ERMORDET
14.12.1941
Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft
Kinderkrankenhaus Rothenburgsort
Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.
Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:
In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.
Weitere Informationen im Internet unter:
35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009
Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009
Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009
Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009
35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009
Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt
Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999
Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010
Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Anneliese Drost, geb. 23. März 1941 in Jever/Oldenburg, ermordet 14. Dezember 1941 im Kinderkrankenhaus Hamburg-Rothenburgsort
Anneliese Drost wurde am 23. März 1941 als zweite Tochter des Kaufmanns Hans-Wilhelm Drost, geb. 16.10.1894, und seiner Ehefrau Gerda Catharine Sophie, geb. Oetken, geb. 26.2.1905, in Jever in Oldenburg/Friesland geboren. Ihr Vater stand als Rittmeister (Rang wie Hauptmann) Zweiten Weltkrieg im Dienst der Wehrmacht. Anneliese wurde mit einer Spina bifida, einem "offenen Rücken", geboren. Diese Fehlbildung wurde gleich nach ihrer Geburt im Sophienstift in Jever operiert.
Bei der Spina bifida handelte es sich um eine meldepflichtige Behinderung, die dem "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" in der Kanzlei des Führers in Berlin angezeigt werden sollte. Die Hebamme, Gertrud Heikes, füllte am 25. März 1941 den Meldeschein so weit aus, wie es ihr als Hebamme oblag, und reichte ihn an den zuständigen Amtsarzt, Medizinalrat Fritz Hildebrandt, weiter. Die Angaben lauteten: Das Geburtsgewicht habe 3250 g betragen, Anneliese sei drei Wochen zu früh geboren worden, mit einer normalen Geburtsdauer von fünf Stunden nach einem vorzeitigen Blasensprung, ohne Atemstillstand. Ähnliche Fälle von Behinderung seien in der Familie bis dahin noch nicht beobachtet worden.
Anneliese Drost wurde zu ihrer Familie in der Großen Burgstraße 2 entlassen. Der Amtsarzt ergänzte zwei Monate später den Meldebogen an den "Reichsausschuss", auf dem er auch nach seiner "Einschätzung einer zu erwartenden Heilung oder Besserung" gefragt wurde. Zunächst bewertete sie Fritz Hildebrandt als fraglich, dann verneinte er sie. Hinsichtlich der voraussichtlichen Beschränkung "der Lebensdauer des Kindes durch den Zustand" gab er an, dass sie fraglich, aber anzunehmen sei. Was eine bereits erfolgte Behandlung anginge, schrieb er: "Wurde sofort nach der Geburt operiert. Nach der Operation 3 Tage lang Beinlähmung bds., die jetzt zurückgeht." Die detaillierten Fragen nach der bisherigen körperlichen und geistigen Entwicklung beantwortete er als regelrecht und der gegenwärtige Stand entspreche dem Alter. Da war Anneliese Drost zwei Monate alt. Mit dieser positiv lautenden Prognose wurde sie vom Gesundheitsamt für den Landkreis Friesland in Jever, also von Fritz Hildebrandt, dem "Reichsausschuss" gemeldet.
Der nächste belegte Schritt in dem Verfahren ist ein Feldpostumschlag vom 31. Juli 1941 des Vaters an den Rechtsanwalt Friedrich Christians in Jever, dessen Inhalt jedoch fehlt. Die Einbeziehung eines Rechtsanwalts durch den Kindsvater im "Reichsausschussverfahren" war ungewöhnlich. Hier war der besondere Anlass die Tatsache, dass der Vater des Kindes nicht am Ort war. Rittmeister Drost befand sich zu der Zeit in Siedlce, Distrikt Warschau, im Generalgouvernement. Friedrich Christians war ein Schwager des Ehepaars Drost und wurde in der Familie in vielen Fällen um Rat gefragt.
Inzwischen zeigte sich bei Anneliese Drost die Bildung eines Wasserkopfes, eine zweite meldepflichtige Fehlbildung. Der Leiter des Gesundheitsamtes in Jever wandte sich am 12. August 1941 wegen einer Einweisung Annelieses in eine "Kinderfachabteilung" (KFA) an den "Reichsausschuss" und erhielt mit Schreiben vom 28. August 1941 den Hinweis, Annelieses Aufnahme in der Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg Langenhorn könne jederzeit nach Absprache mit dem dortigen Abteilungsleiter, Friedrich Knigge, erfolgen. Das Schreiben war unterzeichnet von Richard von Hegener, dem Hauptstellenleiter in der Kanzlei des Führers und Mitinitiator des "Reichsausschussverfahrens". Am 1. September bat Medizinalrat Hildebrandt Friedrich Knigge um einen Aufnahmetermin.
Friedrich Knigge stammte aus Jever. Da er nur fünf Jahre älter als Anneliese Drosts Mutter war, ist davon auszugehen, dass sich beide kannten.
Der Bruder des Rechtsanwalts Friedrich Christians, Rudolf Christians, war zu der Zeit Generalstaatsanwalt in Oldenburg. Er nahm am 23. April 1941 an der geheimen Konferenz des Reichsjustizministeriums in Berlin teil, deren Ziel es war, die Justiz in die "Aktion T 4" einzubinden und jede strafrechtliche Verfolgung der Morde zu unterbinden. Rudolf Christians wurde 1965 von dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wegen Beihilfe zum Mord an etwa 80.000 behinderten Menschen angeklagt.
Möglicherweise hatte sich Generalstaatsanwalt Rudolf Christians dank seiner vielfältigen Verbindungen dafür eingesetzt, dass Anneliese Drost nicht in eine niedersächsische "Kinderfachabteilung" eingewiesen wurde, sondern zu Friedrich Knigge in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in Hamburg käme.
Anneliese Drost war nach unserem heutigen Kenntnisstand nicht das erste "Reichsauschusskind" aus dem Landkreis Friesland, das in eine Hamburger Kinderfachabteilung eingewiesen wurde. Schon vor ihr war Hermann Beekhuis aus Weener im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort beobachtet und behandelt worden. (s. derselbe)
Anneliese Drost kam zunächst in das Kinderheim Rüstringen in Wilhelmshaven, Banter Weg, das von Wilhelm Arkenau geleitet wurde. Dem Heim war eine Kinderklinik angeschlossen, wo sie möglicherweise behandelt wurde oder werden sollte. Das Aufnahmebuch gibt darüber keine Auskunft.
Statt in Langenhorn wurde Anneliese Drost am 10. September 1941 im privaten Kinderkrankenhaus Rothenburgsort aufgenommen, vermutlich auf Empfehlung eines Freundes der Familie Drost. Der Beigeordnete für die Gesundheitsverwaltung, Senator Friedrich Ofterdinger, wies am 8. September 1941 Medizinalrat Fritz Hildebrandt an, das Kind in das Kinderkrankenhaus Rothenburg einweisen zu lassen. Auch für diese Wendung dürfte Friedrich Knigge verantwortlich gewesen sein. Es ist anzunehmen, dass er das Aufnahmegespräch mit der ihm aus Jever bekannten Mutter vermeiden wollte. Außerdem hatte Friedrich Knigge als Psychiater in seiner Abteilung nicht dieselben diagnostischen Möglichkeiten wie sein Kollege Wilhelm Bayer im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Beide kooperierten seit Bestehen der Langenhorner "Kinderfachabteilung", Knigge kannte also Bayers Umgang mit den "Reichausschusskindern". Dieser verfügte über alle professionellen Möglichkeiten der Kinderheilkunde, die er zur Beobachtung und Behandlung einsetzte, andererseits zögerte er im Gegensatz zu Knigge nicht lange, die Ergebnisse zur Begutachtung an das Büro des "Reichsausschusses" in Berlin weiter zu leiten und nach Erhalt der Genehmigung der "Behandlung", also der Tötung, das Kind ermorden zu lassen.
Bereits einen Tag nach ihrer Aufnahme wurde Annelieses Vater die Rechnung für Kostgeld für die Zeit vom 10. bis 19. September in Höhe von 47,50 RM zugestellt. Er reichte sie wegen der Kostenübernahme an das Gesundheitsamt weiter, das sich seinerseits an den "Reichsausschuss" wandte. Dieser verwies auf den letzten Runderlass der RMdI (Reichsministerium des Innern) vom 30.5.1941, wonach die Fürsorge zuständig sei. Diese lehnte ihre Zuständigkeit ab, woraufhin sich Medizinalrat Hildebrandt am 3. Oktober 1941 erneut an den "Reichsausschuss" wandte und unter Hinweis auf die Tätigkeit von Annelieses Vater als Hauptmann bei der Wehrmacht um Kostenübernahme bat. Ausnahmsweise erklärte sich daraufhin von Hegener bereit, die Hälfte der "Gesamtkosten zunächst bis zur Dauer eines halben Jahres" zu übernehmen.
Über Anneliese Drosts Ergehen in Rothenburgsort existieren keine Unterlagen. Anneliese kam auf die Station der Ärztin Ursula Petersen. Diese verabfolgte ihr, drei Monate nach ihrer Aufnahme, eine Überdosis Luminal, an deren Folgen sie eine Lungenentzündung entwickelte, die zu ihrem Tod am 14. Dezember 1941 führte. Als Todesursachen gab Ursula Petersen "Multiple Missbildungen, Kreislaufschwäche, Bronchopneumonie" an. Annelieses Mutter meldete ihr Ableben zwei Tage später beim Standesamt Rothenburgsort. Dort wurde als Todesursache lediglich "Kreislaufschwäche" eingetragen. Anneliese Drost wurde neun Monate alt. Sie war nicht getauft. Sie wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beerdigt.
Stand: März 2020
© Hildegard Thevs und Beate Christians
Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht NSG, 0017-001; 332-5 Standesämter, 1145+503/1941; 352-5 Gesundheitsämter – Todesbescheinigungen, Sta 4b 503/1941; Mitteilungen von Gerhard Genters, 3.5.-27.6.2016; Matthias Nistal und Dr. Wolfgang Henninger, Niedersächsisches Landesarchiv, Gesundheitsämter Rep 630 Akz. 2009/009 Nr. 1, E-Mail 11.5.2016; Ingo Harms, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, E-Mail vom 12.5.2016; 80 Jahre Paul-Hug-Kinderheim. Ursula Aljets, Arbeitskreis Banter Geschichte, 2007; Aufnahmebuch Kinderheim Rüstringen, 1941, lfd. Nr. 407, Gemeinnützige Gesellschaft für Paritätische Sozialarbeit Wilhelmshaven (GPS); Hanno Loewy / Bettina Winter (Hrsg.) NS-"Euthanasie" vor Gericht, Campus Verl. 1996; Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Findbuch, Dezember 1941, lfd. Nr. 9464.