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Henny Ehrlich (geborene Bernhard) * 1883

Wexstraße 16 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
HENNY EHRLICH
GEB. BERNHARD
JG.1883
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Henny Ehrlich, geb. Bernhard, geb. am 10.11.1883 in Frankfurt am Main, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Wexstraße 16 (Wexstraße 10)

Henny Ehrlich war am 10. November 1883 in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Ihre Eltern hatten dort im selben Jahr geheiratet. Ihr Vater, der Buchhalter Martin Bernhard (geb. 14.3.1856), stammte aus der Hafenstadt Randers in Jütland und war dänischer Staatsbürger. Die Mutter Anna, geb. Goldschmidt (geb. 15.8.1856), war in Paris geboren worden.

1920 heiratete Henny in Köln den in Hamburg ansässigen Kaufmann Isak Ehrlich (geb. 4.2.1867). Isak Ehrlich stammte ursprünglich aus Gródek, bei Lemberg in Ostgalizien (heute Ukraine) und besaß die österreichische Staatsbürgerschaft. Etwa seit 1888 betrieb er in Hamburg ein Manufakturwarengeschäft, das im Laufe der folgenden Jahre zu einem Warenhaus auf zwei Etagen in der Wexstraße 10 erweitert wurde.

Seine erste Frau Zielie/Cilli, geb. Heilbronn (geb. 21.4.1874 in Segeberg), war mit nur 43 Jahren, am 10. Januar 1918 verstorben. Aus dieser Ehe stammten die Kinder: Rosa (geb. 30.11.1899), Gertrud (geb. 5.12. 1900) und Alfred Leon (geb. 11.4. 1903). Die Geschwister wuchsen in "standesmäßiger Atmosphäre" auf, hatten höhere Schulen besucht und waren im väterlichen Geschäft tätig. Rosa bezeugte später, dass ihre Familie in gesicherten Verhältnissen lebte. Sie besaßen ein "Automobil" der amerikanischen Marke Flint, ein "absoluter Luxus" in der Zeit.

Isak Ehrlich hatte große Pläne, 1921 erwarb er das Haus in der Wexstraße 10 und die angrenzenden hinteren Häuser Langergang 24/26, um an der Stelle ein modernes Warenhaus zu errichten. Da sein Einbürgerungsantrag bereits im Jahre 1907 abgelehnt worden war, übernahm Isaks Schwager Siegmund Wallach (geb. 7.9.1884 in Schiefbahn), der mit Hennys jüngerer Schwester Elsa (geb. 21.6.1888) verheiratet war, die Treuhänderschaft.

Am 22. August 1924 wurde Hennys und Isaks gemeinsamer Sohn Kurt geboren. Mittlerweile waren auch Hennys Eltern in die Gerhofstraße 16 nach Hamburg gezogen, wo Martin Bernhard am 2. Dezember 1925 verstarb. Seine Witwe Anna Bernhard lebte bis zu ihrem Tod am 12. Februar 1932 in der Familie ihrer Tochter Henny, die unter der gleichen Adresse Wexstraße 10 eine große Doppelwohnung bewohnte. Um den Haushalt kümmerte sich eine Hausangestellte, für Kurt sorgte ein Kindermädchen.

Kurz nach Kurts erstem Geburtstag, am 28. August 1925, wurde in der Familie eine Doppelhochzeit gefeiert. Seine Halbschwester Rosa heiratete den Berliner Kaufmann Wilhelm Paul Blandowsky (geb. 16.9.1895), ihre Schwester Gertrud den Hamburger Bruno Aron (geb. 22.2.1902, gest. 1990 in Berlin). Der Schauspieler, Tänzer und Choreograph, unter dem Künstlernamen Bruno Arno bekannt, hatte seine künstlerische Laufbahn bereits als Kind am Hamburger Thalia Theater begonnen. Die Schwestern folgten ihren Männern nach Berlin. Bruno Arno war am Theater in der Kommandantenstraße als Ballettmeister beschäftigt. 1929 übernahm er die künstlerische Leitung des "Haus Vaterland". Rosa und ihr Mann Paul Blandowsky wohnten in Berlin-Charlottenburg, in der Bismarckstraße 111.

Isaks Sohn Alfred trat 1926 nach einer kaufmännischen Ausbildung im Warenhaus Friedmann in Bielefeld in das Geschäft seines Vaters ein. Sie beschäftigten mehrere Angestellte. Eine von ihnen war die nichtjüdische Elise Fiencke (geb. 3.12.1912), Alfreds spätere Ehefrau. Sie heirateten am 25. April 1934.

Die Lebensverhältnisse verschlechterten sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Zunächst führten die vom NS-Regime umgesetzten Sanierungspläne des Gängeviertels zu einem Geschäftsrückgang. Bereits 1933 begannen die Abrissarbeiten im Rademachergang, Breiter Gang und Kornträgergang, etwa 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner, potenzielle Kundinnen und Kunden, mussten ihre bisherigen Wohnungen verlassen und wurden in die Außenbezirke umgesiedelt.

Isaks Tochter Gertrud entschloss sich 1935 Deutschland zu verlassen, Bruno Arno konnte als Jude in Deutschland nicht mehr arbeiten. Das Ehepaar Arno emigrierte in die Schweiz, später nach Argentinien. Elise und Alfred Ehrlich emigrierten im März 1936 in die USA. Alfreds Eltern konnten zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Lehrmädchen im Warenhaus beschäftigen. "Es wurde zur Lebensaufgabe der Eltern, die drei nebeneinander stehenden Häuser, das Geschäft und die Wohnung zu erhalten." Durch die zunehmenden antijüdischen Verordnungen und Kampagnen, wie den Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte, gingen die Einnahmen des Warenhauses Ehrlich weiter rapide zurück, bis es in Zahlungsverzug geriet.

Als ein Zwangsverwalter wegen rückständiger Steuerzahlungen eingesetzt wurde, erlitt Isak Ehrlich am 13. September 1937 infolge der Aufregung einen Gehirnschlag und verstarb noch in seiner Wohnung in der Wexstraße. Über den Tod ihres Vaters berichtete Rosa Blandowsky, die zur Beerdigung aus Berlin nach Hamburg kam, er habe nicht nur sein Lebenswerk zerstört gesehen, sondern auch die persönlichen Bedrohungen und antisemitischen Schmierereien auf der Fensterfront hätten ihn in ständige Aufregung versetzt.

Am 28. September 1937 ersteigerte die "Hamburger Sparkasse von 1827" (heute Hamburger Sparkasse AG, Haspa) das Grundstück in der Wexstraße 10 mit den vorgebauten Geschäftsräumen, der sich im Erdgeschoss befindenden 3½-Zimmerwohnung und den im ersten bis zum dritten Stockwerk liegenden großen 8½-Zimmerwohnungen für eine Summe von 35.500 Reichsmark (RM). Im darauffolgenden Jahr verkaufte die Sparkasse die Immobilie weiter an die Hansestadt Hamburg für 27.000 RM. Die Häuser Langergang 25/26 wurden ab März 1939 von der "Hamburgischen Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft von 1938" verwaltet, was einer Enteignung gleichkam. Henny Ehrlich konnte über die Mieteinnahmen nicht mehr frei verfügen. Nach erzwungener Wohnungsaufgabe zog sie mit ihrem Sohn Kurt zu ihrer Schwester Elsa Wallach in die Isestraße 59, bis das Ehepaar Wallach am 2. Januar 1939 in die USA emigrierte. Auch Rosa Blandowsky nahm am 12. Januar 1939 am Hamburger Hauptbahnhof von ihrer Stiefmutter Abschied, sie folgte ihrem Bruder Alfred, mit Mann und Tochter Ilse, in die USA, wo sie ihren Nachnamen in Bland änderte.

Kurt, der bis 1936 die private Bertram-Schule am Harvestehuder Weg besucht hatte, hatte seine Schulzeit an der Talmud Tora Schule beenden müssen. Da er als Jude in Deutschland kein Technikstudium mehr beginnen konnte, schickte ihn seine Mutter 1938 zu Verwandten nach Holland, damit er vor seiner Auswanderung nach Palästina zumindest eine landwirtschaftliche Ausbildung erhielt. Kurt lebte zunächst in Rotterdam, bis er nach der deutschen Besetzung der Niederlande von den Behörden nach Arnheim "verschickt" wurde. 1942 wurde Kurt ins Durchgangslager Westerbork eingeliefert. Von dort gelang ihm eines Nachts die Flucht. Mithilfe einer Untergrundbewegung gelangte er illegal über Frankreich nach Spanien und von dort 1944 weiter nach Palästina, wo er sich einem Kibbuz anschloss.

Seine Mutter Henny blieb allein in Deutschland zurück. Sie fand Aufnahme bei ihrer Tante Fides Bernhard, geb. Wolf (geb. 7.7.1877 in Mainz), in der Sierichstraße 152. Fides Bernhard, die Witwe von Siegmund Bernhard (geb. 12.6.1857, gest. 15.9.1925), dem Bruder von Hennys verstorbenem Vater, war durch ihre Heirat dänische Staatsbürgerin geworden und wurde als ausländische Jüdin nicht gezwungen, den "Judenstern" zu tragen. Sie überlebte das spätere Kriegsende in Dänemark.

Henny Ehrlich erhielt in der Sierichstraße ihren "Evakuierungsbefehl", wie es hieß, sollte sie in den Osten zum Arbeitseinsatz "umgesiedelt" werden. Fides Bernhard berichtete später, sie habe ihre Nichte am 6. Dezember 1941 noch zum Hannoverschen Bahnhof, dem Gelände des heutigen Lohseplatzes begleitet. Dort wurde Henny Ehrlich, noch bevor sie den Deportationszug Richtung Riga besteigen konnte, so Fides Bernhard, im strengen Winter der Pelzmantel vom Leibe gerissen. Offensichtlich hatte sie diesen nicht weisungsgemäß abgeliefert.

Der Hamburger Transport wurde umgeleitet ins nahe bei Riga gelegene Außenlager Gut Jungfernhof. Ob Henny Ehrlich den ersten Winter in den unbeheizten Viehställen und Baracken überlebte, ist nicht bekannt. Ein Großteil der Deportierten wurde während der "Aktion Dünamünde" im März 1942 erschossen, die Überlebenden im Frühjahr 1943 ins Getto Riga eingewiesen. Henny Ehrlich wurde Anfang 1947 für tot erklärt.

In der Wexstraße 10 erinnert nichts mehr an das Warenhaus Ehrlich, das Gebäude wurde bei einem Luftangriff komplett zerstört. Die Straße Langergang, die vom Kornträgergang über die Wexstraße bis zur Stadthausbrücke verlief, wurde nach dem Krieg teils mit Bürohäusern überbaut.


Stand: September 2019
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 6; 9; StaH 351-11 AfW 43404 (Tron, Lieselotte); StaH 351-11 AfW 27546 (Ehrlich, Alfred); StaH 351-11 AfW 37981 (Ehrlich, Alfred); StaH 351-11 AfW 46699 (Ehrlich, Kurt); StaH 213-13_5278; StaH 314-15 Abl. 1998, E 259; StaH 213-13 Landgericht Hamburg- Wiedergutmachungssachen 5278; StaH 332-5 Standesämter 13177 u 4083/1899; StaH 332-5 Standesämter 790 u 33/1918; StaH 332-5 Standesämter 3506 u 487/1925; StaH 332-5 Standesämter 3506 u 488/1925; StaH 332-5 Standesämter 897 u 647/1925; StaH 332-5 Standesämter 1069 u 280/1937; StaH 332-5 Standesämter 992 u 42/1932; StaH 332-5 Standesämter 1069 u 280/1937; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 d Band 3; StaH 241-1I Justizverwaltung 943; 314-15 OFP, R 1938/2704; Lange: Architektur, S. 68; http://de.wikipedia.org/wiki/Randers (Zugriff 5.6.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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