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Friedel Franke * 1934

Vierländer Damm Ecke Lindleystraße (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


HIER WOHNTE
FRIEDEL FRANKE
JG. 1934
EINGEWIESEN 14.8.1943
’HEILANSTALT’
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 16.12.1943

Weitere Stolpersteine in Vierländer Damm Ecke Lindleystraße:
Amandus Hartung, Franz Reetz, Anni Schwarz, Chaim Max Schwarz

Friedel Franke, geb. 3.9.1934 in Hamburg, ermordet am 16.12.1943 in der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien"

Billhorner Röhrendamm/Ecke Lindleystraße (Billhorner Röhrendamm 40)

Die Fürsorgerin beschrieb am 9. September 1935 das Verhalten der einjährigen Friedel Franke: "In der Entwicklung zurück. Angehörige kümmern sich nicht. Sitzt stundenlang im Stuhl, schaukelt mit dem Körper hin und her und greift mit den Händen um sich. Stößt häufiger mit dem Kopf gegen die Wand. Nur Breikost."

Friedel Franke war als zweites Kind von Paul Franke, geb. 16. Februar 1899 in Schwende, und Elsa Murr, geb. 9. September 1910 in Mannheim, zur Welt gekommen. Es war eine leichte Geburt. Ihre Mutter stillte sie zehn Tage lang; dann bekam sie die Flasche.

Paul Franke ließ sich im November 1926 nach seiner Wanderschaft durch Deutschland in Hamburg nieder, wo er Arbeit als Portier, auf dem Bau und im Hafen fand, aber zwischendurch wiederholt erwerbslos wurde. Er lebte mit Elsa Murr zusammen, die 1933 einen Sohn zur Welt brachte, der jedoch nach fünf Wochen starb. Zehn Wochen nach Friedels Geburt heirateten Paul Franke und Elsa Murr. Beide waren wegen "Geistesschwäche" entmündigt.

Friedel Franke wurde eine Woche nach ihrer Geburt in der Kinderklinik des AK St. Georg in der Baustraße (heute Hinrichsenstraße; das Kinderkrankenhaus wurde inzwischen aufgegeben) aufgenommen und ein Viertel Jahr lang wegen Lues congenita, einer Syphilis, mit der sie geboren wurde, behandelt. Es war die erste von drei Kuren, dem damaligen Therapie-Standard entsprechend. Am 10. Dezember 1934 konnte sie nach Hause. Ende Januar 1935 verließ Elsa Franke ihren Mann und das Kind. Paul Franke versuchte, Friedel zu versorgen, fühlte sich dem aber nicht gewachsen. Als er vermutete, dass das Kind Keuchhusten bekäme, brachte er Friedel wieder in das Kinderkrankenhaus, wo man sie jedoch nicht lange behielt.

Die Fürsorgerin stellte bei ihrem Besuch kurze Zeit später eine erhebliche Vernachlässigung fest. Nachdem Friedel Franke ab 27. April 1935 die zweite Kur absolviert hatte, entschied das Fürsorgeamt, dass sie durch das Jugendamt zu betreuen und dem Waisenhaus Hamburg zu übergeben sei. Am 16. Mai 1935 wurde den Eltern das Sorgerecht entzogen, die Lehrerin Luise Sell aus der Billstraße 22 übernahm die Vormundschaft. Friedel wurde im Kleinkinderhaus des Jugendamts am Winterhuder Weg 11 untergebracht. Ihre dritte Kur begann am 9. September 1935. Das zu dem Zeitpunkt von der Fürsorgerin beschriebene Verhalten Friedels wies auf schweren Hospitalismus hin. Im Juli 1936 empfahl das Jugendamt Friedels Unterbringung in den damaligen Alsterdorfer Anstalten.

Am 23. September 1936 wurde Friedel Franke dort aufgenommen. Sie schrie beim Baden und Windeln und musste gefüttert werden. Das Jahr 1937 begann für sie mit einem dreitägigen Urlaub bei ihrem Vater. Im Laufe der nächsten Monate bewegte sie sich selbstständiger, rutschte auf dem Boden umher und versuchte zu gehen. Ihr Interesse an der Umwelt wuchs. Sie summte einfache Melodien vor sich hin und war vergnügt. In den folgenden Jahren ließen sich keine wesentlichen Fortschritte bei ihrer Selbstständigkeit erkennen. Von 1940 bis 1942 durchlebte sie mehrere Infektionskrankheiten. Über ihr Verhalten gab es nur wenige, jedoch positive Bemerkungen: Sie sei ruhig und freue sich über Zuwendung.

Am 19. Dezember 1942 hieß es über die inzwischen Achtjährige, sie sei ein unselbstständiges Kind, das wenig und unverständlich spreche, unmotiviert schreie und immer vor sich hinsage: "Ich bin bange." Ihre Augen guckten dann ganz starr auf einen Fleck, ohne dass man die Ursache dafür finden könne. Sie freue sich sehr, wenn sie saubere Kleidung und ihr Sonntagskleid angezogen bekomme und halte sich auch sehr reinlich. Ihr Essen bestehe immer noch aus Breikost, die sie unter Aufsicht allein zu sich nähme.

Am 16. August 1943 wurde Friedel Franke mit dem Transport von insgesamt 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" verbracht. Ihr Vater gab ihr seine Anschrift mit. Am 21. Oktober 1943 erging seitens der Anstalt die Meldung Friedel Frankes an den "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung angeborener und erworbener schwerer Behinderungen" in Berlin (s. dort), der über ihr Leben oder ihren Tod zu entscheiden hatte. Die ursprüngliche Altershöchstgrenze von drei Jahren für Kinder, die in seine Zuständigkeit fielen, bestand nicht mehr.

Friedel wurde am 24. November 1943 in die "Kinderfachabteilung" "Im Spiegelgrund" auf dem Gelände der Wiener Anstalt verlegt. Ab 11. Dezember 1943 wurden in ihrem Krankenblatt die Temperaturen eingetragen: 38,6 bis 40 Grad, am 16. Dezember 1943 starb sie angeblich an "tuberkulöser Pleuritis und katarrhischer Lungenentzündung" – tuberkulöser Rippenfellentzündung und schleimreicher Lungenentzündung. Das Sektionsprotokoll gab als Grunderkrankungen "Schwachsinn hohen Grades, vermutlich erblich; Lues congenita" an und sprach von allgemeinem Marasmus, körperlicher Auszehrung, und bestätigte die Lun­gen- und Rippenfellentzündungen. Der Marasmus weist auf Tötung durch Verhungern, die Bronchopneumonie mit den Temperaturangaben auf die Ermordung durch eine absichtlich herbeigeführte Lungenentzündung, z. B. durch eine hohe Dosis von Luminal, hin. Mit der Luminalspritze am 11. Dezember war Friedel Frankes Schicksal besiegelt.

Die Assistenzärztin schrieb an ihren Vater: "Ihr Töchterchen Friedel ist seit gestern an einer fiebrigen Grippe erkrankt. Da sie heute dazu noch eine linksseitige Lungenentzündung entwickelt, erscheint der Zustand bedrohlich." Der Vater wurde damit auf das nächste Schreiben vorbereitet: "Zu meinem Bedauern muss ich Sie hiervon in Kenntnis setzen, dass Ihr Kind Friedel heute um 1.45 Uhr von seinem unheilbaren Leiden durch einen sanften Tod erlöst wurde."

Luise Sell, Friedels Vormund, erfuhr erst nach Kriegsende von dem Schicksal ihres Mündels.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 351; Jenner, Meldebögen; Wunder, Abtransporte; ders., Exodus.

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