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Max Karfunkel * 1872

St. Georgs Kirchhof 7 (Hamburg-Mitte, St. Georg)


HIER WOHNTE
MAX KARFUNKEL
JG. 1872
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
SACHSENHAUSEN
ENTLASSEN 1938
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 21.1.1943

Max Karfunkel, geb. 10.3.1872 in Lomaz, 1938 inhaftiert im KZ Fuhlsbüttel und KZ Sachsenhausen, deportiert 15.7.42 nach Theresienstadt, Tod 21.1.1943

St. Georgskirchof 7 (Hamburg-Mitte)

Im Alter von acht Jahren kam Max Karfunkel, geb. 10.3.1872, mit den beiden älteren Schwestern Lea, geb. 25.12.1867, und Anna, geb. 5.4.1870, und mit den Eltern Simon und Sarah, geb. Friedmann, geb. 15.2.1836, nach Hamburg. Simon Karfunkel war am 1.5.1835 in Gütersloh in Westfalen zur Welt gekommen, die Kinder wurden wie ihre Mutter in Lomaz geboren. Lomaz oder Lomazy in der Provinz Siedlce im heutigen Ostpolen gehörte damals zum Russischen Reich. Die Familien Karfunkel und Friedmann waren jüdisch. Simon Karfunkel konvertierte vor 1880 zum Christentum. Über sein Leben davor lässt sich nur vermuten, dass er Händler für Holländische Waren wurde, in Lomaz tätig war und dort eine Familie gründete. Er kehrte nach Westfalen zurück und zog Anfang 1881 nach Hamburg. Bei seinem Zuzug legitimierte er sich mit einem Heimatschein aus Wiedenbrück vom 29. Dezember 1880.

Anlass für die Übersiedlung nach Hamburg war Simon Karfunkels Anstellung beim "Comite für Judenmission". Getaufte Juden hießen Proselyten, und einige von ihnen wurden selbst Judenmissionare. Simon Karfunkels Aufgabe war die Vorbereitung von Kandidaten für die Proselytenprüfung, für den Übertritt zur lutherischen Kirche. Die Rheinisch-Westfälische Judenmission und die Hamburger Edzardi-Stiftung finanzierten seine Stelle mit 1200 Mark, deren Kosten mit mindestens 2000 Mark veranschlagt worden waren. Die Differenz musste das "Comite" aufbringen.

Wann und wo Simon Karfunkel getauft wurde und sich für die Tätigkeit als Missionar unter Juden entschied, ließ sich nicht klären. Seine Ehefrau Sarah blieb jüdisch, die Kinder wurden lutherisch.

Simon Karfunkel ließ sich in der Schäferstraße 13 in Eimsbüttel nieder, in der Nähe der presbyterianischen Jerusalem-Gemeinde, deren Anliegen die Judenmission war. Zunächst lebte die Familie von seinem Einkommen als Missionar, doch reichten die Mittel oft nicht aus. Das "Comite" legte ihm nahe, seinen Lebensunterhalt wie seinerzeit der Apostel Paulus selbst zu verdienen und ehrenamtlich zu missionieren. 1885 machte er sich mit einem Handel Holländischer Waren am Hammer Steindamm 23/25 in Hamburg-Hamm selbstständig und verlegte ihn 1887 von dort in die Wandsbeker Chaussee 136 in Eilbek. Ob die Kinder die städtischen Volksschulen oder Privatschulen besuchten, ist nicht belegt. Dass Max eine gute Ausbildung genossen hat, ergibt sich aus seiner Handschrift und den geschliffenen Formulierungen seiner späteren Briefe, die in der Fürsorgeakte überliefert sind.

Am 31. Dezember 1888 starb Simon Karfunkel in Altona. Die Umstände seines Todes und seine Begräbnisstätte sind nicht bekannt. Lea war gerade volljährig geworden, Anna war 18 Jahre und Max 16 Jahre alt. Simon Karfunkels Witwe Sarah führte offenbar die Firma noch einige Jahre weiter, bis sie 1894 in den Borstelmannsweg in Hamm zog.

Tochter Anna verdingte sich als Dienstmädchen in der Nähe der Mutter, aber auch außerhalb Hamburgs. Sie kehrte zwischen ihren Anstellungen immer wieder zu ihrer Mutter zurück. Lea zog 1894 nach Holstein, womit sich ihre Spur verliert.

Max Karfunkel verließ ebenfalls Hamburg. Er wurde im April 1889 in Wittenburg in Mecklenburg von einem Schöffengericht wegen Diebstahls in fünf Fällen zu sechs Monaten Gefängnishaft verurteilt. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg wurde er erneut straffällig. Das Landesgericht Hamburg verurteilte ihn am 9. Dezember 1892 wegen Urkundenfälschung und Betrugs zu zwei Jahren Zuchthaus und zwei Jahren Ehrverlust. Bis 1909 fehlen Belege für seinen Aufenthalt und für Kontakte zu seiner Mutter und den Schwestern.

Sarah Karfunkel zog am Jahresende 1897 nach St. Georg in die Borgeschstraße 13 und eineinhalb Jahre später in den Wichernsweg 6. Wovon sie als Witwe lebte, ist nicht bekannt. Fünf Jahre später, im Oktober 1904, zog sie in die Horner Landstraße 172, wo sie bis zum Ende ihres Lebens wohnte, am Schluss zusammen mit ihrer Tochter Anna. Sarah Karfunkel starb am 22. Februar 1908 im Israelitischen Krankenhaus auf St. Pauli. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf beigesetzt.

Anna Karfunkel nahm nacheinander Stellungen in der Borgfelderstraße 50 und im Borstelmannsweg 17 ein. Als Max Karfunkel 1909 nach Hamburg zurückkehrte, wurde er mit der dortigen Adresse als Kaufmann geführt. Nach seinen späteren Angaben bei der Fürsorge war er bis zur Revolution als selbstständiger Kaufmann in St. Petersburg im Metall- und Werkzeughandel tätig gewesen. Sein Tätigkeitsbereich habe sich bis nach Finnland erstreckt.

Statt als "Dienstmädchen" verdiente Anna Karfunkel eine Zeitlang ihren Lebensunterhalt als Zimmervermieterin, ließ sich dann aber im Oktober 1914 bei Krökel in der Wendenstraße 358 anstellen. Am 28. Dezember 1914 heiratete sie ihren Arbeitgeber, den Witwer Robert Krökel, geb. 5.9.1865 in Magdeburg, einen Schriftsetzer und Buchdrucker. Beide waren lutherisch und blieben lange ein Halt für Max Karfunkel.

Anfang der 1920er Jahre kehrte Max Karfunkel erneut nach Hamburg zurück und bezog eine Parterrewohnung im Normannenweg 3 in Borgfelde. Nach 1922 war er als Auslandsvertreter bedeutender Automobilfirmen in Finnland und seinen Nachbarländern tätig, zuletzt als Auslandsvertreter der Werkzeugmaschinenfabrik Alfred Eriksen, Hamburg. Er meldete sich beim Arbeitsamt, erhielt als ehemals Selbstständiger aber keine Arbeitslosenunterstützung. Sein unstetes Leben hatte es ihn versäumen lassen, sich um die Einbürgerung in Hamburg zu bemühen.

Wirtschaftlich fasste Max Karfunkel nicht wieder Fuß. Seine Schwester Anna und ihr Ehemann unterstützten ihn mit einem Mittagstisch und kleinen Zuwendungen, waren aber selbst in einer bedürftigen Situation. Als seine Ersparnisse aufgebraucht und er Schmuck und Kleidungsstücke versetzt hatte, wandte er sich 1929 an die Fürsorge. Er besaß keinerlei Barmittel mehr, um Miete, Wäsche, Abendbrot, Briefmarken zu bezahlen und beantragte Wohlfahrtunterstützung mit dem Ziel, wenigstens sein Obdach zu sichern. Darüber hinaus plante er, wieder nach Skandinavien zu gehen – als Vertreter deutscher Firmen, mit denen er Verträge abgeschlossen habe, und als Importeur von Kronsbeeren und Wild. Basis dafür sollte Riga in Lettland sein.

Auf Geschäftspapier aus seiner Zeit in Finnland – "Helsingfors, Import-Agenturen – Maschinen Eisen Stahl Bleche Draht Fahrräder und -teile Metallwaren" schrieb er im März 1930 an die Fürsorge, er benötige 610 RM für Reisespesen – die Auslösung der versetzten Kleidung, Zahlung rückständiger Miete und Lebensunterhalt. Ihm wurden 200 RM bewilligt. Das Vorhaben zerschlug sich jedoch, die Weltwirtschaftskrise versperrte auch diesen Ausweg. Er wohnte zunächst bei Schwager und Schwester für 8 RM wöchentlich. 1931 zerstritt er sich endgültig mit ihnen bei einer Auseinandersetzung um einen Teil des mütterlichen Erbes.

Als Wohlfahrtsempfänger war er berechtigt und verpflichtet, seinen Möglichkeiten entsprechend zu arbeiten. Max Karfunkel war keine schwere körperliche Arbeit gewohnt und litt unter Herzbeschwerden, weshalb er nur eine sitzende Tätigkeit ausüben konnte. Sein erster Einsatz begann am 13. August 1931 bei der Wohlfahrtsbehörde als Notstandshelfer und endete schon bald, weil die Arbeit eingeschränkt wurde.

Er wohnte für wenig Miete bei einem älteren Herrn, den er zugleich pflegte. Im November 1931 machte er sich ehrenamtlich bei der Winterhilfe nützlich. Die "Wohle" zahlte seine Miete von wenigen Mark wöchentlich und einen geringen Beitrag zur laufenden Unterstützung. Für Schuhreparaturen und Gesundheitskosten kam sie ebenfalls auf. Max Karfunkel gelang es, äußerlich seinen Status als gepflegter Kaufmann aufrecht zu erhalten. Deshalb bestand er auch darauf, dass seine Post von der Fürsorge und die Besuche der Fürsorger nicht als solche zu erkennen waren.

1933 scheiterte ein weiterer Versuch, alte Geschäftsverbindungen nach Finnland neu zu beleben.

Im Juni 1934 wurde Max Karfunkel eine Tätigkeit in der Bücherhalle Kohlhöfen zugewiesen, an drei Tagen die Woche zu einem Tagessatz von 75 Pfennig. Als sie nach einem Jahr endete, schloss sich im Juli ein Einsatz als Unterstützungsarbeiter beim Weltwirtschaftsarchiv (WWA) an. Die dortige Leitung erhielt den Auftrag zu prüfen, ob er als "Nichtarier" (Jude), gebürtiger Russe und Vorbestrafter, wenn auch vor langer Zeit, für diesen Arbeitsplatz in Frage komme. Sie entschied gegen ihn und beendete sein Arbeitsverhältnis bereits am 13. August 1935.

Am 8. Dezember 1934 trat er in die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg ein, ohne sich an die zugehörige Kommission für das Wohlfahrtswesen zu wenden. Er wollte mit der Gemeinde nichts zu tun haben und gab vor, väterlicherseits "arischer" Abstammung zu sein, aber der Nachweis fehle noch.

In die Aktion "Arbeitsscheue" wurden im Juni 1938 auch Juden einbezogen, vornehmlich solche, die vorbestraft waren. Max Karfunkel wurde am 22. Juni 1938 in Vorbeugungshaft genommen – Vorbeugung gegen Verbrechen. Die einzigen Straftaten, die er bis dahin begangen hatte, datierten vom Ende des 19. Jahrhunderts. Nach zweieinhalb Monaten Haft im KZ Sachsenhausen kehrte er am 6. September 1938 in seine frühere Wohnung zurück, musste sie aber wegen der hohen Miete aufgeben. Der nun folgende Umzug war der 15., wie die Fürsorge zählte. Mit jedem war für sie ein großer Aufwand verbunden, während Max Karfunkel nur die neue Adresse mitzuteilen hatte, Umzugsgut hatte er schon lange nicht mehr. Von der jüdischen Gemeinde, die nun "Jüdischer Religionsverband" hieß, erhielt er einmalig 10 M und Essenskarten für die Zeit vom 14. Oktober bis 16. Dezember 1938. In diese Zeit fiel der Novemberpogrom, von dessen Verhaftungen er jedoch verschont blieb.

Die Fürsorge richtete eine Sonderdienststelle für Juden ein, an die Max Karfunkel am 20. Januar 1939 überwiesen wurde. Dann entledigte sich der deutsche Staat dieser Aufgabe und die Sonderdienststelle B übergab seine Akte am 24. November 1939 dem Jüdischen Religionsverband, der für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1939 Barunterstützungen von RM 108, dazu 4,85 RM für ärztliche und zahnärztliche Behandlungen leistete. Hinfort war der Jüdische Religionsverband für ihn verantwortlich.

Der evangelische Max Karfunkel musste aufgrund seiner Abstammung das Schicksal der Juden teilen. Im Juli 1942 wurde er zur Übersiedelung in das Altersgetto von Theresienstadt aufgerufen. Zur Deckung der Kosten des als Altersheim deklarierten Gettos mussten die Deportierten ihr Vermögen, und sei es noch so gering, einbringen. Max Karfunkel hatte nichts beizutragen. Der Transport verließ Hamburg am 15. Juli 1942. Als er in Theresienstadt eintraf, war das Getto überfüllt, Krankheiten grassierten. Max Karfunkel überstand sie, starb dann aber mit 70 Jahren am 21. Januar 1943 an einer Herzmuskelentartung, wie die Ärztin Franziska Frankl bescheinigte. Er wurde am Nachmittag des 23. Januar 1943 beerdigt.

Anna und Robert Krökel wurden im Juli 1943 total ausgebombt und fanden Zuflucht in Mecklenburg. Robert Krökel starb am 20. August 1943 in Lübtheen, Anna am 15. September 1943 in Hagenow.


Stand: September 2019
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 3; 4; 5; 7; 9; Hamburger Adressbücher; StaH, 351-14 (Wohlfahrt), 1357; 611-20/28, (Archiv der Vormals Edzardi’schen Jüdischen Proselyten-Anstalt,) B 13 (Judenmission in Hamburg) S. Karfunkel, 1880–1886; 332-5/606/133, StA 2a/1908, Melderegister K 6350.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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