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Porträt Gertrud Hess, Juli 1939
Gertrud Hess, Juli 1939
© Privat

Gertrud Hess (geborene Levy) * 1871

Bogenstraße 27 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1942 Theresienstadt
1944 weiterdeportiert nach Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Bogenstraße 27:
Else Bernstein, Kätie Bernstein, Rosa Heilbut, Siegfried Kleve, Erna Kleve

Gertrud Hess, geb. Levy, geb. am 22.12.1871 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, ermordet am 15.5.1944 in Auschwitz

Bogenstraße 27

Gertrud Hess war 70 Jahre alt, als sie im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Zu dieser Zeit war sie gezwungen, im "Judenhaus" Bogenstraße 27 zu leben.

Gertrud Hess war die Tochter von David und Henriette Levy, geb. Berg. In zweiter Ehe war Gertruds Mutter Henriette mit dem 1849 geborenen Hausmakler Anton Emden verheiratet, der 1926 verstarb. Die jüdische Familie Emden spielte in der Hamburger Wirtschaft eine wichtige Rolle. Als Gertrud Levy am 30. April 1889 den Hausmakler Julius Hess (geb. 1853) heiratete, lebte sie mit ihrer Mutter und dem Stiefvater Anton Emden in der Rothenbaumchaussee 171. Ihr Ehemann Julius Hess wohnte damals am Schlump 3. Die Schwiegereltern von Gertrud hießen Levin Jacob Hess – zum Zeitpunkt der Heirat seines Sohnes bereits verstorben – und Henriette, geb. Blumenthal. Zwischen 1890 und 1894 wurden drei Söhne geboren: Lothar, Richard und Felix. 1896 kam noch die Tochter Ilka hinzu. Die wachsende Familie hatte im Stadtteil Rotherbaum erst in der Eichenallee 12 gewohnt. (Die Eichenallee existiert nicht mehr. Sie ging ab von der Bornstraße. 1889 wurde dann von der Eichenallee zum Grindelhof führend die Rappstraße angelegt.) Dann zog sie in den Alsterkamp 13, Ende 1904 in die Abteistraße 14 und schließlich dort in Nr. 53. Julius Hess war bis 1907 Teilhaber der Firma Anton Emden & Julius Hess, Hausmakler, Große Bleichen 46. Vermutlich hatten sich Gertrud und Julius durch die geschäftliche Verbindung von Anton Emden und Julius Hess kennengelernt.

Gertrud Hess wurde 1915 geschieden. Ihr Ehemann Julius Hess wohnte nach Angaben der Familie zuletzt in der Beseler Straße in Othmarschen und starb 1935 eines natürlichen Todes. Keines der Kinder von Gertrud und Julius Hess hat die Zeit des Nationalsozialismus überlebt. Lothar starb bei einem Unfall. Felix wählte nach der Pogromnacht 1938 den Freitod und Richard starb am 21. Mai 1939 in Hamburg in der Untersuchungshaft. Für Felix Hess liegt ein Stolperstein in der Isestraße. Ilka, das jüngste Kind, wurde deportiert. Für sie liegt ein Stolperstein vor dem ehemaligen "Judenhaus" Heimhuderstraße 17 und vor dem Haus Fernsicht 5 (zu den Kindern von Gertrud Hess s. auch "Stolpersteine in Hamburg-Winterhude" und "Stolpersteine in der Hamburger Isestraße"). Überlebt haben die Enkel von Gertrud Hess, die Kinder waren, als ihre Eltern starben.

Gertrud Hess war eine emanzipierte und selbstbewusste Frau, die zu ihrer Zeit schon Hosen trug. Jedenfalls ist diese Erinnerung in der Familie erhalten. Während ihrer Ehe führte sie ein großbürgerliches Leben mit Kuraufenthalten in Karlsbad und Ferien in Travemünde und Westerland. In Karlsbad hatte sie auch die Familie des österreichischen Feldmarschallleutnants Theodor von Gabriel kennengelernt. Diese Bekanntschaft führte zur Heirat einer Tochter von Gabriel mit dem Sohn Richard Hess. Als die Familie Hess nach 1933 wegen der jüdischen Verfolgung unter Druck geriet, adoptierte Theodor von Gabriel seinen Schwiegersohn Richard, dessen Familie sich jetzt Hess-von Gabriel nannte.

Auch nach der Scheidung konnte Gertrud Hess in gutbürgerlichen Verhältnissen leben. Aus der alten Meldekartei und aus alten Telefonbüchern lässt sich rekonstruieren, dass sie von 1922 bis 1926 in der Eichenstraße 61 wohnte. Bis 1931 lautete ihre Adresse dann Haynstraße 19 und ab 1932 wohnte sie in der Eppendorfer Landstraße 14. An eine große herrschaftliche Eppendorfer Wohnung, in der sie auch Personal hatte, konnte sich noch ein Enkel erinnern. Wann genau sie diese Wohnung räumen musste, ist unbekannt. Ab 1941 lebte sie in der Geffkenstraße 6 und ab März 1942 in dem "Judenhaus" in der Bogenstraße, von wo sie deportiert wurde.

Die Familie Hess war bürgerlich und sehr konservativ. Man lebte nicht nach den jüdischen religiösen Gesetzen, drei Kinder von Gertrud Hess konvertierten zum Katholizismus. Die Söhne Richard und Felix hatten katholische Frauen geheiratet. Die Familie der Tochter Ilka konvertierte ebenfalls zum Katholizismus. In der Kultussteuerkarteikarte von Gertrud Hess findet sich die Bemerkung "glaubenslos". Diese Karteikarte wurde erst 1941 angelegt, als Gertrud Hess zwangsweise wegen ihrer jüdischen Herkunft in die Reichsvereinigung eintreten musste.

Wohl weil die Familie sich vom Judentum gelöst hatte und sehr konservativ-national orientiert war, erkannte niemand die Gefahr, in der sie schwebte. Offenbar konnte sich keiner aus der Familie vorstellen, selbst zum Ziel antisemitischer Maßnahmen zu werden. Im Februar 1942 schrieb Gertrud Hess ein Gesuch an den Hamburger Reichsstatthalter und bat darum, vom Tragen des "Judensterns" befreit zu werden. Aus diesem Brief spricht die ganze Fassungslosigkeit über ihre Entrechtung und Ausgrenzung. Ihre Söhne lebten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, aber Gertrud Hess fühlte sich ihren nichtjüdischen Schwiegertöchtern und den getauften Enkeln sehr verbunden. Den Kontakt zu diesen Familien auf­rechtzuerhalten, erschien ihr unmöglich, wenn sie sichtbar durch den Stern stigmatisiert war.

Nach ihrer Deportation am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt trotzte sie den widrigen Lebensumständen im Getto fast zwei Jahre lang, bis sie im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.

© Björn Eggert, Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Strafsachen, 3650/42; StaH 332-5 Standesämter, 9122 und 1693/1896; StaH 332-5, 8540 und 141/1889; StaH 332-5, 9053 und 14/1890; StaH 741-4, Alte Einwohnermeldekartei; HAB II 1937; Gespräche mit den Enkeln; "Stolpersteine in der Hamburger Isestraße", S. 246ff. und "Stolpersteine in Hamburg-Winterhude" S. 83ff.

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