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Ehepaar Sigmund und Amalie Baumwollspinner
Sigmund und Amalie Baumwollspinner
© Privat

Salomon (Sigmund) Baumwollspinner * 1889

Oberstraße 3 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
SALOMON
BAUMWOLLSPINNER
JG. 1889
AUSGEWIESEN 1938
ZBASZYN
FLUCHT 1939 SAMBOR
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
BELZEC

Weitere Stolpersteine in Oberstraße 3:
Amalia Rosa Baumwollspinner, Sara Benjamin

Benjamin (Benno) Landau, geb. am 1.5.1893 in Lipica Gorna (heute Ukraine), ausgewiesen am 28./29.10.1938 nach Zbaszyn, mehrfach inhaftiert, am 5.9.1940 ins KZ Dachau, dort ermordet am 31.1.1941
Sara (Sala) Landau, geb. Baumwollspinner, geb. am 5.1.1892 in Sambor (heute Ukraine), deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, dort gestorben am 13.7.1942
Karin Landau, geb. am 13.6.1930 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 11.9.1942 ins Vernichtungslager Chelmno

Hohe Weide 25

Amalia Rosa Baumwollspinner, geb. Nussbaum, geb. am 11.2.1898 in Przemysl (heute Polen), geflüchtet am 17.7.1939 nach Sambor in Polen (heute Ukraine), 1942 in Belzec ermordet
Salomon (Sigmund) Baumwollspinner, geb. am 13.5.1889 in Sambor, ausgewiesen am 28./29.10.1938 nach Zbaszyn, geflüchtet am 17.7.1939 nach Sambor in Polen, 1942 in Belzec ermordet

Oberstraße 3, Harvestehude

"Mein Vater war etwa 1,80 m groß. Er hatte leuchtend blaue Augen, dunkles Haar und einen gepflegten Schnurrbart, der mich immer kitzelte, wenn er mich küsste. Er war charmant, dynamisch, lachte viel und gern. Er war ein intelligenter Mann, großzügig und liebevoll. So wie er können andere Väter nicht sein, dachte ich." "Mutter war ruhig und wesentlich zurückhaltender als Vater, aber sie war fürsorglich, warmherzig und liebevoll. Sie war nur etwa 1,50 m groß und ein wenig mollig. Sie hatte einen hellen Teint, dunkelbraune Augen und seidig glänzendes Haar. Sie war den ganzen Tag zu Hause, kochte und ging täglich frische Lebensmittel einkaufen." So erinnerte sich viele Jahre später die ältere Tochter von Sara und Benjamin Landau an ihre Eltern, für die heute Stolpersteine in der Hohen Weide liegen. Wie war die Geschichte der Familie Landau, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, gequält und ermordet wurde?

Benjamin Landau und Sara Baumwollspinner wurden beide in Galizien in der heutigen Ukraine geboren. Benjamin und Sara waren die amtlichen Vornamen, aber genannt wurden sie mit den Vornamen Sala und Benno, und deshalb sollen diese Namen, die ihre Tochter in ihren Erinnerungen verwendete, auch hier benutzt werden.

Der Weinhändler Benno Landau war der Sohn von Leon und Cipa Landau und stammte aus Lipica Gorna (heute Verkhnya Lypytsya) in Galizien, 50 km nördlich des heutigen Ivano-Frankivsk, in einem ehemaligen "Schtetl" mit wenig mehr als 1000 Einwohnern. Dieser Teil Galiziens war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie; folglich kämpfte Benno Landau von 1914 bis 1918 als Soldat für Österreich-Ungarn. 1921 kam er nach Deutschland. Nach Angaben seiner Tochter hatte er in Wien das Gymnasium besucht und danach eine einjährige kaufmännische Lehre gemacht. In Hamburg haben er und Sala Baumwollspinner im März 1922 geheiratet und dann zusammen in der Bismarckstraße 105 gewohnt. Im März 1923 erfolgte der Eintritt in die Deutsch-Israelitische Gemeinde. Im Abstand von fünf Jahren kamen die beiden Töchter Cecilie (genannt Cilli) und Karin zur Welt. Die Familie besaß die polnische Staatsbürgerschaft. In der Familie wurde zwar Deutsch gesprochen, aber manchmal sprachen die Eltern auch Polnisch oder Französisch miteinander, wenn die Kinder sie nicht verstehen sollten.

Benno Landaus zwei Brüder lebten in Berlin. Sie hießen Max (Mechel) und Hermann (Hersch) und wanderten in den 1930er Jahren nach Palästina aus. Max Landau hatte eine Zeit lang als Vertreter im Außendienst für Bennos Weinhandlung gearbeitet. Hermann Landau war körperbehindert; er hatte verkrüppelte Füße. Nachdem er ausgewandert war, ließ ihm Benno Landau orthopädische Schuhe von einem Berliner Schuhmacher schicken, der schon in Berlin für Hermann Schuhe angefertigt hatte. Für den körperbehinderten Hermann muss die Emigration in ein kaum entwickeltes Land wie Palästina sehr schwer gewesen sein.

Der Heimatort von Sala Landau war Sambor – ukrainisch Sambir – und gehörte ebenfalls zu Galizien. Ihre Eltern waren Elias Baumwollspinner und dessen Ehefrau Rachela. Sala hatte vier Brüder und Schwestern. Vor ihrer Heirat lebte sie in Cottbus. Dort wohnten auch Josef Baumwollspinner (geb. 1883 in Sambor) und seine Frau Josefa mit ihren Kindern Erna (geb. 1913), Gotthard (geb. 1918), Alfred (geb. 1920) und Max (geb. 1925). Josef Baumwollspinner, Mitinhaber der Weinfirma Schröder & Co., war ein Bruder von Sala. Er und seine Familie emigrierten 1939 nach Palästina. Ein anderer Bruder, Salomon genannt Sigmund Baumwollspinner, wurde in Hamburg Geschäftspartner von Benno Landau.

Nicht lange nach ihrer Eheschließung zogen Landaus in eine ab 1921 von einer Vorgängerin der heutigen Baugenossenschaft "Kaifu Nordland" gebaute moderne Großwohnanlage in Eimsbüttel. Die Anlage erstreckte sich zwischen U-Bahntrasse und Kaiser-Friedrich-Ufer zu beiden Seiten der Hohen Weide zwischen Bogenstraße und Bossdorfstraße und an der Heymannstraße (früher Liliencronstraße). Landaus wohnten einige Jahre in der Bossdorfstraße 1, Ecke Hohe Weide und dann bis 1937 Hohe Weide 25. Beide Gebäude gehörten zum ersten Bauabschnitt, der im Frühjahr 1922 fertiggestellt worden war. Wie andere jüdische Familien auch, wurde die Familie aus ihrer Wohnung vertrieben. Spätestens zum 31. Dezember 1938 mussten alle jüdischen Mitglieder die Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften verlassen haben. Grundlage war die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12. November desselben Jahres. Landaus zogen in die Hoheluftchaussee 25 in ein Haus mit einem jüdischen Eigentümer namens Heilbut.

Benno Landau war Wein-Großhändler und hatte sein Geschäft und Lager in den 1920er Jahren im Keller des Hauses Henriettenstraße 6. Die Firma B. Landau & Co. war im Juni 1922 gegründet und ins Handelsregister eingetragen worden. Persönlich haftende Gesellschafter waren Benjamin Landau und sein Schwager Salomon Baumwollspinner. Offensichtlich florierte der Handel, man beschäftigte Angestellte und Vertreter. Zusätzliche Räumlichkeiten wurden nötig. Erst dehnte sich die Weinhandlung in der Henriettenstraße aus und nutzte auch die Häuser Nr. 9 und 15, später zog sie in die Lindenallee 28 um. Ende 1922 war in Bingen am Rhein eine Zweigniederlassung errichtet worden und zehn Jahre später eine weitere in Oppenheim. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 geriet die Firma wie alle jüdischen Firmen in Schwierigkeiten. Die Niederlassungen mussten mit Beginn des Jahres 1935 aufgegeben werden. Formal erlosch die Firma in Hamburg erst Ende Januar 1939, aber wohl bereits 1937 wurde das Geschäft geschlossen.

Benno Landau und sein Schwager Sigmund Baumwollspinner besaßen in Hamburg Immobilien. Zu gleichen Teilen gehörten ihnen die Grundstücke und Gebäude Scheideweg 37/37a und Alsenplatz 5. Das 1932 erworbene Grundstück und Gebäude Gärtnerstraße 54/56 gehörte Benno Landau, seinem Bruder Hermann Landau und Sigmund Baumwollspinner zu je einem Drittel. Nachdem Hermann ausgewandert war, bemühte sich sein Bruder, ihm aus Deutschland praktische Dinge für das tägliche Leben zu schicken und zu diesem Zweck einen Teil der Mieteinnahmen freigeben zu lassen, über die jüdische Eigentümer nicht mehr frei verfügen durften. So gelang es, Hermann auch Abonnements von deutschen Zeitungen zukommen zu lassen. Das Verschicken kosmetischer Artikel wurde nicht genehmigt. Außer den Immobilien in Hamburg besaßen die Geschäftspartner Benno Landau und Sigmund Baumwollspinner gemeinsam zwei Weinberge: den 1932 erworbenen Weinberg am vorderen Goldberg in Oppenheim und den 1935 in Bingen erworbenen Weinberg unter dem Rochusweg.

Familie Landau lebte bis in die 1930er Jahre in gutbürgerlichen Verhältnissen. Die Wohnung in der Hohen Weide war groß und hell, und es gab ein Hausmädchen. Ab 1933 mussten Eltern und Kinder aber die Erfahrung machen, dass sie als Juden ausgegrenzt und angefeindet wurden. Hatten sie vorher noch in deutschen Badeorten wie z. B. Bad Schwartau, Duhnen oder Wyk auf Föhr Urlaub gemacht, reisten die vier nach 1936 nach Dänemark, wo eine freundlichere Atmosphäre herrschte. Die Familie verbrachte die Ferien auch öfter in Sambor, das nach dem Frieden von Riga 1921 zu Polen gehörte. Als Kind hatte Sala dort antisemitische Pogrome erleben müssen, und für ihre Familie war die Judenfeindlichkeit der Polen tägliche "Normalität".

Cecilie Landau besuchte die Jüdische Mädchenschule in der Carolinenstraße, in die im April 1936 auch Karin eingeschult wurde. Sie berichtete, dass sie dort keine unbeschwerte Schulzeit erlebte. Auf dem Schulweg wurde sie als jüdisches Kind beschimpft. Auch die deutschen jüdischen Kinder lachten sie als polnische Jüdin aus. Im April 1939 wurde die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße mit der Talmud Tora Schule für Jungen zusammengelegt. Die beiden Schwestern gingen hier zur Schule. Nach Kriegsende bestätigte die ehemalige Lehrerin Susi Lewinsky, Karin sei eine besonders gute und intelligente Schülerin gewesen.

Benno und Sala Landau überlegten, ob sie ihre Töchter mit einem Kindertransport nach England schicken sollten. Als sie mit Cecilie darüber sprachen und diese nichts davon wissen wollte, wurde dieser Plan fallen gelassen. In den Akten der Talmud Tora Schule findet sich allerdings ein Abgangszeugnis für Karin Landau vom 11. Juli 1939. Seit Ostern 1939 war sie hier Schülerin der Klasse 3 gewesen. Das Zeugnis könnte ein Hinweis auf den erhofften Kindertransport sein. Anders als Bennos Brüder hatten Benno und Sala Landau eine Emigration gleich nach 1933 nicht in Erwägung gezogen. Dieser Gedanke tauchte erst nach der Pogromnacht 1938 auf. Auch eine illegale Ausreise kam für sie nicht infrage. Der Vater hatte alte Geschäftsverbindungen nach Italien, und der italienische Generalkonsul bot ihm Papiere für drei Tage an. Dieses Angebot schlug Benno Landau aus, obwohl die Familie vermutlich auch ohne gültige Papiere in Italien hätte bleiben können.

Die Katastrophe brach über die Familie herein, als Benno Landau am 27./28. Oktober 1938 im Rahmen der "Polenaktion" aus Deutschland in den polnischen Ort Zbaszyn nahe der deutsch-polnischen Grenze abgeschoben wurde. Von dort versuchte er, die Übersiedlung der Familie nach Palästina oder in die USA zu organisieren, aber die Familie bekam kein Einreisevisum. Auch kehrte der Vater nicht so bald nach Hamburg zurück. Erst im Mai 1939 bekam er für kurze Zeit eine Aufenthaltsgenehmigung. Das Zeitfenster für eine mögliche Emigration war sehr klein. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Ausreise galt vom 23. Juni bis zum 31. Juli 1939. Passagepapiere für die Schiffsreise Triest–Haifa lagen vor. Aber die Ausreise scheiterte, vermutlich an fehlenden Papieren. Noch im Juli hatte Sala Landau den Hausstand, verpackt in zwei Lifts, eine Kiste und drei Koffer, der Firma Willi Springer & Co zur Verladung nach Haifa anvertraut und dafür 2500 Reichsmark (RM) bezahlt. Aber es war zu spät. Am 1. September begann der Zweite Weltkrieg. Sofort wurde Benno Landau wie andere polnische Juden in Deutschland von der Gestapo abgeholt und interniert. Er kam ins KZ Fuhlsbüttel, später nach Oranienburg und dann von dort am 6. September 1940 ins KZ Dachau, wo er am 31. Januar 1941 ermordet wurde. Am 21. Febru­ar überbrachten zwei Gestapo-Beamte seiner Frau die angebliche Asche ihres Mannes in einer Zigarrenkiste. Zwei Tage später fand die Beerdigung statt. Rabbiner Carlebach hielt die Totenrede. Das Grab von Benno Landau befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf.

Inzwischen wurden Sala Landau und die Töchter auch aus der Wohnung in der Hoheluftchaussee vertrieben und mussten in möblierte Zimmer umziehen. Diese waren in der Werderstraße 5 (bei Ruben), dann in der Werderstraße 7 (bei Kaplan) und vor der Deportation in der Brahmsallee 15 (bei Behrend). Am 25. Oktober 1941 wurden Mutter und Töchter mit dem ersten Hamburger Transport nach Lodz deportiert.

Nach dem Tod des Vaters wurden die Konten gesperrt. Das Leben gestaltete sich immer komplizierter: wechselnde möblierte Zimmer, nur 100 RM im Monat zur Verfügung, Lebensmittelrationierung, Heimarbeit. Als sie den Deportationsbefehl erhielten, wussten Mutter und Töchter nicht, was sie erwartete, als sie zur Sammelstelle im Logenhaus kamen. Mit dem wenigen Gepäck warteten sie, auf dem Fußboden sitzend, auf das, was mit ihnen geschehen sollte. Im Zug war es eng, die Türen wurden von außen verschlossen. Die Fahrt dauerte mehrere Tage, es war heiß, Kinder weinten. In Lodz warteten SS und Gettopolizei. Die drei bekamen Wohnraum in der Pfauenstraße 24, Wohnung 19 (polnisch: Pawia) zugewiesen. Cecilie lebte eine Zeit lang auch in der Pawia 26. Das war eine kleine Straße im westlichen Teil des Gettos zwischen den Straßen Lutomierska und Wrzesnienska. Die Lebensumstände im Getto waren schrecklich. Acht Personen mussten in einem kleinen Zimmer leben, es gab kaum Nahrungsmittel. Das Getto war ein großes Arbeitslager mit Fabriken und Werkstätten. Cecilie musste Zwangsarbeit leisten. Im Mai 1942 wurden ihre Mutter und Schwester von der Gettoverwaltung auf die Deportationsliste gesetzt. Nur mit Mühe gelang es Cecilie, ein Verbleiben der beiden im Getto zu erreichen. Aber das war nur ein kurzer Aufschub. Im Juli 1942 verhungerte Sala Landau, wie viele ihrer Leidensgenossen im Getto Litzmannstadt. Ihre beiden Töchter begruben sie auf dem Jüdischen Friedhof. Zwei Monate später wurde Karin von Lodz nach Chelmno (Kulmhof) deportiert. Ihre Schwester konnte ihr nicht helfen. Vermutlich wurde Karin in einem Gaswagen ermordet und anschließend verbrannt. Cecilie war etwas älter und nach Meinung ihrer Peiniger arbeitsfähig. Sie wurde zu Arbeitseinsätzen gezwungen und hat überlebt.

Eine letzte Spur aus der NS-Zeit ist ein Schreiben des Beauftragten für den Vierjahresplan, Haupttreuhandstelle Ost, Sonderabteilung Altreich, an den Hamburger Oberfinanzpräsidenten: "Die Jüdin Sara Landau ist Angehörige des ehemaligen polnischen Staates. Damit fällt sie unter die Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17. Sept. 1940 (RGBl. I, S.1270). So ist meine ausschließliche Zuständigkeit für die Beschlagnahme und Einziehung der Vermögenswerte der Genannten gegeben." Nachdem das Vermögen beschlagnahmt worden war, wurde das Grundstück Alsenplatz 5–7 Ende November 1944 auf Anweisung deutscher Behörden an die Eheleute Wilhelm und Margareta Otteni verkauft. Die Etagenhäuser im Scheideweg 35 und 37 waren im Juli 1943 durch Bomben vollständig zerstört worden. Im Zuge des Wiedergutmachungsverfahrens wurden alle Grundstücke nach dem Krieg an die Erben zurückerstattet.


Sala Landaus Bruder Sigmund Baumwollspinner, der seit 1921 in Hamburg lebte, wohnte 1922 in der Hagedornstraße 53 und, als er eine Familie gegründet hatte, in Eimsbüttel in der Sillemstraße 17. Zuletzt lebte er mit Frau und Sohn im dritten Stock des Hauses Oberstraße 3. Seine Frau Amalia war eine geborene Nussbaum und stammte wie ihr Mann aus dem habsburgischen Galizien, und zwar aus Przemysl, wo Sigmund und Amalia am 15. Februar 1925 heirateten. Da war die Stadt schon polnisch, denn 1918 kam Przemysl an Polen und ist bis heute polnisch. Der gemeinsame Sohn Alfred wurde am 29.12.1925 in Hamburg geboren. Er besuchte die Talmud Tora Schule im Grindel. Auch Sigmund Baumwollspinner wurde wie sein Schwager im Rahmen der Polenaktion nach Zbaszyn ausgewiesen, während Frau und Sohn in Hamburg zurückblieben. Im Frühjahr 1939 erhielt Sigmund die Erlaubnis, für kurze Zeit nach Hamburg zurückzukehren. Die Familie versuchte in die USA zu emigrieren. Im Juli 1939 hatte Sigmund Baumwollspinner eine Passage mit der Hapag nach San Francisco mit 1.000 RM angezahlt. Das Umzugsgut hatte er, wie seine Verwandten, bei der Firma Springer & Co. in zwei Lifts packen lassen und für den Transport 2.700 RM bezahlt. Aber auch diese Emi­gra­tion gelang nicht. Die Pässe der Baumwollspinners wurden mit Wirkung vom 17. Juni 1939 devisenrechtlich gesperrt. Allerdings konnte für den Sohn Alfred ein Platz in einem Kindertransport nach England beschafft werden, er verließ Hamburg im Juni 1939. Ein Bruder der Mutter war mit Familie schon nach England emigriert, Alfreds Onkel arbeitete bei der Jewish Relief Agency und hatte ihm einen Platz verschafft. Unglücklicherweise wurde Alfreds Koffer, in dem sich seine Kleidung befand, geraubt, so dass er nach seiner Ankunft völlig mittellos war. Sigmund und Amalia Baumwollspinner verließen Hamburg kurz nach der Abreise ihres Sohnes und fuhren nach Sambor, Sigmunds Geburtsort. Es kann sein, dass sie von dort zurückkehren wollten, um von Hamburg mit dem Schiff in die USA zu reisen, aber nach Kriegsausbruch am 1. September 1939 war das nicht mehr möglich. Das Ehepaar Baumwollspinner hatte zwar zwei Affidavits für die USA, die Quote für die Einwanderung polnischer Staatsangehöriger war aber bereits ausgeschöpft, und sie mussten warten.

Nach Kriegsbeginn geriet Sambor für kurze Zeit in deutsche Hand, wurde im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes aber von den Sowjets okkupiert. Erst im Sommer 1941 besetzte die deutsche Wehrmacht die Region erneut, und von dem Tag an kam es zu Gräueltaten, Erschießungen und schließlich zur planmäßigen Vernichtung der Juden. Polen und Ukrainer hatten Juden oft als Helfer der Sowjets betrachtet, und nach dem Abrücken der Roten Armee wurden in Sambor im Juli 1941 50 Juden von einer aufgebrachten Menge erschlagen.

Der Kontakt zwischen den Eltern Baumwollspinner in Sambor und dem Sohn in England war nach Emigration und Flucht abgerissen. Im Dezember 1941 konnte Sigmund Baumwollspinner aus Sambor, Lwonska 31, eine Rot-Kreuz-Karte an seinen Sohn schicken, die dieser auch erhielt. Alfred antwortete am 10. April 1942. Am 31. August 1942 ging noch einmal eine Rot-Kreuz-Karte von Sambor nach England. Aber Alfred und seine Eltern sollten sich nie wiedersehen. Zwischen März und Dezember 1942 wurden mehr als 200.000 galizische Juden im Vernichtungslager Belzec im Südosten des polnischen Distrikts Lublin ermordet. Nach Recherchen von Alfred wurden auch seine Eltern von Sambor nach Belzec deportiert und dort im Oktober 1942 ermordet.

Alfred Baumwollspinner wohnte nach seiner Flucht in England nicht bei seinen Verwandten, die in beengten und finanziell schwierigen Verhältnissen lebten, sondern ein Jahr in einem Camp in Suffolk und dann zwei Jahre in einem youth hostel in Sheffield. Nach Verlassen der Schule erlernte er den Elektrikerberuf. Seine Cousine Cecilie Landau (Lucille Eichengreen) half ihm 1953, in die USA zu kommen. Alfred Baumwollspinner, der heute den Namen Cotton trägt, lebt in Kalifornien.

Die letzte Hamburger Spur der Familie aus der NS-Zeit findet sich – wie so oft – in einer Gerichtsvollzieherakte. Am 6. Oktober 1941 beauftragte die Gestapo einen Gerichtsvollzieher, das beschlagnahmte Umzugsgut von Sigmund Baumwollspinner, einen Lift und eine Kiste, zu versteigern. Die Versteigerung fand am 29. Oktober statt. Einen kleinen Teil erwarb die Sozialverwaltung Hamburg, der größte Teil wurde von Privatleuten ersteigert. Der Bruttoversteigerungserlös betrug 5.243,30 RM.

Die erstgeborene Tochter von Benno und Sala Landau, Cecilie (geb. 1925), hat überlebt und konnte ab Mitte der 1970er Jahre von ihren Erfahrungen und dem Schicksal ihrer Familie und der Familie ihres Mannes berichten. Heute lebt sie in den USA und heißt Lucille Eichengreen. Ihre Erinnerungen wurden 1992 erstmals in dem eindrucksvollen Buch "Von Asche zum Leben" veröffentlicht. Kurz nach Kriegsende hatte sie Deutschland und Europa hinter sich gelassen und 50 Jahre lang nicht mehr besucht. Nach langem Zögern reiste sie dann, zusammen mit ihrem ebenfalls aus Hamburg-Eimsbüttel stammenden Ehemann Dan Eichengreen, auf Einladung des Senats in die Hansestadt, wo sie seither häufiger als Zeugin der Ermordung der Juden in Schulen über ihr Leben berichtete. Die Aufklärung und Förderung der Zivilcourage unter jungen Menschen ist ihr ein wichtiges Anliegen. Anlässlich der Ausstellung "In den Tod geschickt. Die Deportation von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945" wurde Lucille Eichengreen 2009 durch den Ersten Bürgermeister Ole von Beust mit der Hamburgischen Ehrengedenkmünze in Gold ausgezeichnet, wobei der Hamburger Senat ihre Verdienste um die Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung in ihrer Vaterstadt Hamburg würdigte.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 2 (F97 und F97b); 4;5; StaH 213-13, Z 276-4; StaH 214-1, 132; StaH 231-7, A1 Band 123, HRA 28004; StaH 351-11 AfW, 14938, 47265 und 47782; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule Best.Nr. 741-4 Fotoarchiv Sa 1248; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e2 Band 1 Deportationsliste; StaH 741-4 Fotoarchiv, Sa 1248; HAB II 1926 und 1937; HAB IV 1926; HAB IV 1938; USHMM 299/301-302; Lucille Eichengreen, Rückkehr nach Hamburg; dies., Von Asche zum Leben; dies., Rumkowski, der Judenälteste von Lodz; Martin Doerry, Nirgendwo …, S. 220-228; Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung, S. 179f.; KZ Gedenkstätte Neuengamme Videoarchiv 7132/7133; Sascha Feuchert u. a., Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt; KZ-Gedenkstätte Dachau; Deportationsliste Litzmannstadt, Gedenkstätte Lodz Radegast; www.jewishgen.org; www.luckauer-juden.de/Namensverzeichnis.html; Mitteilungen von Alfred Cotton; Manfred Körner u. a., Die Geschichte der Wohnungsbaugenossenschaft Kaifu-Nordland, S. 5ff.; Gesche-M. Cordes, Stolpersteine …, S. 200.

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