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Geschwister Boas. Sitzend von links: Gerda, Paula und Alfred; Stehend: Leonhard, Margarete und David
© Privatbesitz

Paula Boas * 1897

Eppendorfer Landstraße 28 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
PAULA BOAS
JG. 1897
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET 1944 IN
CHELMNO

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 28:
"Eddy" Marie "Beuth" Aronheim, Gerda Boas, Lisbeth Margot Freund, Georg Paul, Hedwig Paul, Alfred Paul, Hilda Paul

Gerda Boas, geb. 9.10.1910 in Zempelburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 28.6.1944 weiterdeportiert nach Chelmno
Paula Boas, geb. 18.7.1897 in Zempelburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 28.6.1944 weiterdeportiert nach Chelmno

Eppendorfer Landstraße 28

Von den Schwestern Boas sind viele Dokumente erhalten geblieben, aus denen sich ihr Schicksal ablesen lässt. Ihre Geschichte steht exemplarisch für die vielen jüdischen Menschen, die aus kleineren Orten nach Hamburg umzogen, um von hier aus ihre Auswanderung zu betreiben. Sie verkauften ihren Besitz, bereiteten sich in Sprachkursen und Umschulungsmaßnahmen auf eine neue Heimat vor und nahmen Untermieter bei sich auf, um Kosten zu sparen. Im Laufe der Recherche zu Paula und Gerda Boas gelang es frühzeitig, mit einem Angehörigen in Kontakt zu kommen, sodass auch über ihre Familiengeschichte einige Informationen vorliegen.

Auf den Kultussteuerkarteien der Schwestern Boas ist abzulesen, dass diese erst im Februar 1938 aus Bad Harzburg nach Hamburg zugezogen waren. Eine Anfrage an die Stadtverwaltung Bad Harzburg mit der Bitte um Informationen zur Familie Boas wurde mit einem Artikel aus der "Goslarschen Zeitung" vom 24. November 2008 beantwortet. Dieser berichtete von der Enthüllung einer Gedenkplakette am ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der Familie, an der mehrere Nachkommen aus Israel teilgenommen hatten.

Einer von ihnen war David Boas, ein Neffe von Paula und Gerda Boas. Angeschrieben, zeigte er sich sehr interessiert, das Schicksal seiner Tanten zu klären. Während seines nächsten Deutschland-Besuchs kam es zu einem Treffen, und er erzählte, was er über die Familie wusste. Dabei stellte sich heraus, dass die überlebenden Brüder von Paula und Gerda, Davids Vater Leonhard und Alfred, aus Trauer und Schmerz nur selten über die Opfer gesprochen und sehr wenige Erinnerungen weitergegeben hatten. So hatte David Boas nie davon gehört, dass seine Tanten nach Hamburg gezogen und von dort aus deportiert worden waren.

Alfred und Leonhard Boas machten sich ihr Leben lang Vorwürfe und litten unter Schuldgefühlen, weil nicht nur Paula und Gerda, sondern auch ihre Mutter, die dritte Schwester Margarete, deren Mann Schmuel Gotheiner und die Kinder Ruth und Zvi in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern umgekommen waren.

Die Eltern Boas, Hermann und Johanna (Hinde), geb. Cohn, betrieben im westpreußischen Zempelburg ein Geschäft. Die Stadt war ein Zentrum der Tuch- und Schuhmacherei und gehörte von 1815 bis 1920 zu Preußen. Nach dem Versailler Vertrag gelangte sie dann an Polen. 1920 hatte Zempelburg ca. 3500 Einwohnerinnen und Einwohner. Von 1939 bis 1945 gehörte es zum Deutschen Reich. Da die Boas "stolze und patriotische Deutsche" waren, so David Boas, wollten sie nicht unter polnischer Herrschaft leben und zogen nach Bündheim bei Bad Harzburg. In Bad Harzburg lebten damals 33 jüdische Menschen. Dass sie sich in eine spätere Hochburg der Nationalsozialisten begaben, konnten die Boas zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. "Die Boas", das waren außer Hermann und Johanna deren sechs Kinder Alfred, Leonhard, David, Paula, Margarete, Gerda, und eventuell auch schon der Schwiegersohn Schmuel Gotheiner. Auf einem Foto, das wahrscheinlich das Geschäft in Zempelburg zeigt, steht über dem Eingang auf Polnisch "Besitzer Gothajner", vermutlich die polnische Schreibweise für "Gotheiner". Es bestanden also schon damals zumindest geschäftliche Beziehungen zwischen den Familien.

Im Archiv der "Goslarschen Zeitung" befindet sich eine Annonce, in der die Eröffnung des "Kaufhaus Boas" am 27. September 1920 in in der Prinz Albrechtstraße 3 in Bündheim bei Bad Harzburg angekündigt wurde: "Baumwollwaren, Kleider– und Anzugstoffe, Blusenstreifen und bessere Damen– Konfektion, Arbeiter– Garderobe, Kurz-, Weiß- und Wollwaren. ... Geschäftsprinzip: Gute Waren zu billigst kalkulierten Preisen bei guter Bedienung."

Von 1920 bis 1936 war das Kaufhaus im Telefonbuch verzeichnet. Eine Anzeige zum zehnjährigen Bestehen betonte: "2 Minuten unterhalb des Bahnhofs".

Der Vater Hermann Boas starb 1927. Die Mutter Johanna Boas leitete das Geschäft, und Alfred war Miteigentümer. Gerda arbeitete als Verkäuferin mit, Paula führte den gemeinsamen Haushalt und half bei Bedarf im Kaufhaus aus. Außerdem gab es Angestellte, wie auf einem weiteren Foto zu erkennen ist.

Die Familie war in Bad Harzburg gut angesehen, manches Mal wurde Kleidung an arme Menschen, die nicht bezahlen konnten, kostenlos abgegeben. Das Kaufhaus florierte, so- dass 1931 eine Filiale in der Herzog-Wilhelmstraße in Bad Harzburg eröffnet werden konnte, die Leonhard übernahm.

Doch schon im nächsten Jahr wurde diese "aufgrund antisemitischer Vorkommnisse" wieder verkauft. Am 26. und 27. September 1931 marschierten anlässlich des "Harzburger Gautages" 1500 Nationalsozialisten durch die Straßen Bündheims und Bad Harzburgs, so die Chronik der Stadt. Wenig später, am 11. Oktober, traf sich auf Initiative Alfred Hugenbergs, des Vorsitzenden der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die "Nationale Opposition" in Bad Harzburg zu einer Großveranstaltung. Dieses Bündnis aus NSDAP, DNVP, Stahlhelm, dem Bund der Frontsoldaten und anderen trat nur bei dieser einen Tagung in Erscheinung, um ihre Geschlossenheit im Kampf gegen die Weimarer Republik zu demonstrieren. Es ging als "Harzburger Front" in die Geschichte ein. Der Tagungsort war gewählt worden, weil die NSDAP an der Regierung des Landes Braunschweig beteiligt war und Störungen durch Kommunisten in der kleinen Stadt nicht zu befürchten waren. Nachdem erste Spannungen bereits in Bad Harzburg spürbar geworden waren, bekämpften sich die beteiligten Gruppierungen kurze Zeit später wieder und traten bei der Reichspräsidentenwahl im März 1932 mit verschiedenen Kandidaten an. Welcher Art die erwähnten "antisemitischen Vorkommnisse" waren, die zur Aufgabe der Filiale führten, ließ sich nicht feststellen.

David Boas jedenfalls ist überzeugt, dass sich sein Vater Leonhard und sein Onkel Alfred unter anderem deshalb zur Auswanderung entschlossen, weil sie die diversen nationalsozialistischen Aufmärsche von ihrem Geschäfts- und Wohnhaus aus in der Nähe des Bahnhofs zu Genüge beobachten mussten. Nach der "Machtergreifung" wurde der Bahnhofsplatz in "Adolf-Hitler-Platz" umbenannt, am 1. April 1933 kam es zum Boykott jüdischer Geschäfte. Auch die Familie Boas war betroffen. Leonhard und Alfred zogen ihre Konsequenzen.

Leonhard Boas verbrachte eine Zeitlang in Berlin – wann genau ist nicht bekannt - und ging dann auf Hachschara in die Tschechoslowakei, um eine landwirtschaftliche Ausbildung zu machen. 1936 emigrierten beide Brüder nach Palästina.

In der "Harzburger Chronik" wird auf Seite 291 berichtet, dass "die Haustochter Gerda Boas 1934 mit zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nach Polen verzogen seien." Bei den erwähnten Kindern handelte es sich wahrscheinlich um Margaretes Kinder Ruth und Zvi. Vermutlich waren die Eltern von Ruth und Zvi, Gerdas Schwester Margarete Gotheiner und ihr Mann Schmuel Gotheiner, schon vorher nach Polen gezogen, und Gerda brachte die Kinder nach. Wie lange Gerda dort blieb, bevor sie nach Bad Harzburg zurückkehrte, ist nicht bekannt. Auch Johanna, die Mutter der Schwestern Boas, hat Bad Harzburg irgendwann verlassen und ist zu Margarete und ihrer Familie gezogen.

1937 starb der dritte Sohn der Familie, David, in einer Klinik in Berlin an Krebs. Paula Boas organisierte seine Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof Weissensee.

In den Akten eines "Konsulenten" ist ein Briefwechsel mit Paula Boas erhalten, in dem es um das Wohn- und Geschäftshaus in der Prinz Albrechtstrasse 3 ging. Interessant sind Paulas Adressen: Am 2. Juni 1938 schickte sie einen Brief aus der Hamburger Isestraße 54. Sie wohnte bei Rosenkranz, einer aus Goslar zugezogenen Familie. Vielleicht war Paula zu diesem Zeitpunkt besuchsweise in Hamburg, um eine Wohnung zu suchen? Der nächste Brief - vom 9. Juni 1938 - kam aus der "Villa Tannenhof", Bad Harzburg, dann einer vom 10. Juni 1938 aus Seesen. Ihr Aufenthaltsort am 16. Juni 1938 war "Haus Dietrichsberg" in Altenau/Oberharz, am 4. Juli 1938 schließlich schrieb sie unter der Adresse Eppendorfer Landstraße 28. Es ist also zu vermuten, dass sie eine Weile zwischen Hamburg und dem Harz pendelte, bevor sich beide Schwestern endgültig in Eppendorf niederließen.

Von dort aus betrieben Paula und Gerda ihre Auswanderung. Das Wohn- und Geschäftshaus in der Prinz Albrechtstrasse wurde im Mai 1939 verkauft – für 38.000 RM. Der Briefwechsel über diese Transaktion mit den zuständigen Stellen zog sich über Monate hin. Aus einer Aufstellung des Oberfinanzpräsidiums geht hervor, dass 15.000 RM des Verkaufserlöses auf eine Hypothek von Gerda entfielen, und 10.000 RM auf das Altenteil von Johanna Boas, die ihren Anteil allerdings auf ihren Sohn Alfred übertragen hatte. Dieser lebte zu der Zeit bereits in Palästina. Alle diese Teilsummen wurden unter Sicherungsanordnung gestellt. Außerdem bestand von Paula eine Hypothekenforderung über 6000 polnische Zloty gegen das Grundstück der Frau Margarete Gothajner in Sepolno, [dem früheren Zempelburg] – ein Hinweis darauf, dass diese Schwester in Polen lebte oder zumindest dort Besitz hatte.

Wie alle Jüdinnen und Juden mussten auch Paula und Gerda Boas fortan ihre Ausgaben und Einnahmen nachweisen und die Summe, die sie für ihren Lebensunterhalt benötigten, beim Oberfinanzpräsidium beantragen. Aus dem erhalten gebliebenen Dokument sind für Paula Boas folgende Kosten ersichtlich:
Wohnungsmiete, Heizung, Gas, Wasser, Elektrizität RM 65
Lebensunterhalt einschl. Bekleidung RM 110
Sonstiges RM 75
sowie für Berufszwecke (Heilmassage) RM 60

Paula Boas hatte, um für das Ausland beruflich nützliche Kenntnisse zu erlangen, einen Kurs in Heilmassage bei Frau Dr. Meier-Ahrens in der Oderfelder Straße besucht.

Gerda verfügte nicht über eigene Barmittel, weil sie ihre Hypothek noch nicht zurückbekommen hatte. Sie lebte von ihrer Schwester, sodass der gesetzliche Vertreter für beide Schwestern schließlich 500 RM monatliche Lebenshaltungskosten beantragte.

Aus dieser Zeit sind auch diverse Arzt- und Zahnarztrechnungen erhalten. Beide Schwestern nahmen Englischunterricht, "wg. Auswanderungsangelegenheit" wurden 15 RM für nicht näher bezeichnete Zwecke vom Oberfinanzpräsidium erbeten. Alle Namen auf den Quittungen erzählen eigene Schicksale, die noch zu recherchieren wären. Das Gleiche gilt für das alte Ehepaar, das Paula und Gerda als Untermieter bei sich aufgenommen hatten – Isidor und Rosalie Kurzmann. Sie starb im Februar 1941, er wurde als 71-jähriger im Dezember 1941 nach Riga deportiert. Über ihr Leben ist bisher wenig bekannt.

Gerdas Auswanderungsvorbereitungen waren im August 1939 so gut wie abgeschlossen. Nun beantragte sie die Freigabe von 626,25 RM für ihre Schiffspassage nach England und von dort nach New York. In einem Schreiben an die Devisenstelle hieß es, sie beabsichtige, in "die Vereinigten Staaten von Nordamerika auszuwandern und zunächst einige Zeit in England Aufenthalt zu nehmen. Einreiseerlaubnis der englischen Regierung liegt vor".

Für ihre Auswanderung hatte Gerda wie gefordert ein umfangreiches "Umzugsgutverzeichnis" ausgefüllt. Daraus ist einiges über sie abzulesen: Sie muss eine sportliche Frau gewesen sein – außer Skiern, einem Skianzug und Tischtennis[schlägern?] sind auch ein Turn- und ein Badeanzug aufgelistet. Dazu kamen Berufskittel und Berufsschuhe. Als ihr Beruf war Masseurin angegeben. Wann und wo sie eine Ausbildung gemacht hat, ist nicht bekannt. Paula scheint dann ihrem Beispiel gefolgt zu sein.

Im Umzugsgutverzeichnis waren selbst Staubtücher und Topflappen anzugeben. Neben all den verschiedenen Wäschestücken, die zu Gerdas Aussteuer gehörten und vor 1933 angeschafft worden waren [für nach 1933 angeschaffte Gegenstände war eine Extrasteuer fällig], hat sie handschriftlich angefügt :"Ich war zu der Zeit verlobt". Wem sie ihr Herz geschenkt hatte und warum die Ehe nicht zustande gekommen war, wird nie mehr geklärt werden können. Und die 25 jüdischen Gebetbücher, die im "Liftvan", dem Umzugscontainer, mitreisen sollten? Dazu kamen noch drei Gebetbücher im Hand- und fünf im Reisegepäck. War Gerda sehr fromm, oder handelte es sich um alte Familienstücke, die ins Ausland gerettet werden sollten?

Vermutlich wollte Gerda Boas ihre Schwester, deren Auswanderungspapiere noch nicht vollständig waren, nicht allein zurücklassen. Sie reiste nicht aus, sondern wartete auf Paula. Wenig später, mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, saßen dann beide Frauen in Hamburg in der Falle. Gerdas eingelagertes Umzugsgut war nach dem Krieg übrigens nicht mehr aufzufinden. Wahrscheinlich wurde es, wie das vieler anderer Auswanderungswilliger, bei einem Bombenangriff zerstört.

In der Chronologie der vorliegenden Dokumente folgte am 14. Mai 1940 ein Brief von Paula an die Devisenstelle. Sie erkundigte sich, "welche Reichsbankanstalt und welche Devisenstelle für den Wohnsitz Litzmannstadt (Lodsch) jetzt zuständig ist". Anscheinend wollte sie jemandem (im besetzten Polen) Geld schicken – ein weiterer Hinweis darauf, dass dort Familienangehörige lebten.

Im Februar 1941 eröffnete Gerda einen Betrieb für Massagebehandlung für jüdische Patientinnen und Patienten. Jede dort verdiente Mark musste sie auf ihr "Sicherungskonto" einzahlen – im ersten Monat 2.53 RM !

Acht Monate später wurden die Schwestern ins Getto "Litzmannstadt" deportiert. Laut "Ablieferschein" vom 29. November 1941 erhielt ein Auktionator den Inhalt ihrer Dreizimmerwohnung am 2. Dezember zur Versteigerung.

Auch aus "Litzmannstadt" gab es noch Lebenszeichen der Schwestern. Paula Boas` Arbeitskarte aus dem Jahr 1943 ist erhalten. Demnach war sie zuerst im Unternehmen 82 – Handstrickerei – als Stickerin beschäftigt, danach ab 7. Juni 1944 im Unternehmen 61 (Papiererzeugung). Die Schwestern waren in der Sulzfelder Straße 3, Wohnung 24 untergebracht.

Am 28. Juni 1944 verließ Transport Nr. 78 mit 803 Menschen das Getto in Richtung Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno. Gerda und Paula hatten die Transportnummern 83 und 84.

Dass sie überhaupt so lange überleben konnten, lag an dem Gesuch, das sie wie viele andere vor der ersten geplanten "Aussiedelungsaktion" im Mai 1942 stellten. Sie baten um Zurücknahme ihres "Ausreisebefehls", der – wie wir wissen, und wie die Gettobewohnerinnen und -bewohner wohl ahnten – ihre sofortige Ermordung bedeutet hätte. Aus dem Brief der Schwestern an die "Ausweisungs-Kommission" ergibt sich eine erstaunliche Geschichte. Paula und Gerda schrieben:" Wir […] wohnen jetzt mit unserer Mutter, Schwester und ihren 2 Kindern zusammen, wir waren lange Jahre von unseren Angehörigen getrennt, dieselben sind schon über 2 Jahre hier im Getto und es war uns eine Schicksalsfügung, dass wir wieder mit unseren Angehörigen vereint wurden, der Mann unserer Schwester ist seit Kriegsausbruch verschollen und wir ernähren uns und unsere Familienangehörigen durch Pflege, Heilmassage [!] und Fusspflege. […] [Wir] bitten inständigst uns mit unserer alten Mutter, unserer Schwester mit ihren 2 Kindern zusammen zu lassen. Wir wollen gerne unsere ganze Arbeitskraft in den Dienst der Getto-Sache stellen und bitten nochmals ganz flehentlichst um Bewilligung unseres Gesuchs. Ergebenst Paula Boas Gerda Boas."

Ihr Gesuch hatte Erfolg, für dieses Mal blieben sie verschont und konnten im Getto bleiben. Im Melderegister des Gettos verzeichnet: Die Mutter Johanna Boas, geboren am 24. Februar 1868, war wie Margarete Gotheiner aus der Bierstraße 13, Lodz, zu Paula und Gerda in die Sulzfelder Straße gezogen. Dort starb sie am 6. August 1942. Daraus wird deutlich, dass die beiden mit den Kindern bereits einige Zeit in Lodz gelebt hatten. Der erwähnte David Boas kannte bisher weder das Geburts- noch das Todesdatum seiner Großmutter. Nun gibt es auch Geburtsdaten zu seiner Tante Margarete - geboren am 19. Oktober 1903, und deren Tochter Ruth - geboren am 18. Mai 1933. Weitere Daten liegen nicht vor. Ob die beiden gemeinsam mit Paula und Gerda Boas in oder auf dem Weg nach "Kulmhof"/Chelmno ermordet wurden oder schon vorher starben oder "ausgesiedelt" wurden, ist nicht bekannt.

Margaretes Sohn Zvi sieht auf Fotos zwei bis drei Jahre älter aus als seine Schwester. Von ihm sind keinerlei Daten vorhanden. Falls er im September 1942 jünger als zwölf Jahre war – und dies gilt auch für seine Schwester – dürfte er im Rahmen der September-Deportationen, als die SS alle Kinder verschleppte, abtransportiert worden sein.

Stand November 2014
© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 2; 4; StaHH 314-15 OFP R 1939/2697 und 2698 sowie Fvg 7264; wikipedia.org/wiki zu Zempelburg – Sepolno Krajénskie, 4.7.2009; Meier, Harald, Kurt Neumann, Bad Harzburg: Chronik einer Stadt, Hildesheim 2000; Goslarsche Zeitung vom 24.11.2008; wikipedia.org/wiki/Harzburger_Front, Zugriff 4.7.2010; mündliche Auskunft David Boas vom 1.3.2009; Auskünfte Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mails vom 4.5. 2010, USHMM, RG 15083 301/155 391-392, sowie vom 5.7. und 6.7.2010, schriftliche Auskunft Jüdischer Friedhof Weissensee, Berlin, E-Mail vom 12.3.2012.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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