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Hertha Coutinho * 1903

Brahmsallee 11 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
HERTHA COUTINHO
JG. 1903
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 11:
Bertha Alexander, Rosa Müllner, Emma Tarnowski

Hertha Coutinho, geb. 2.3.1903 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, am 9.10.1944 nach Auschwitz weiterdeportiert und ermordet

Brahmsallee 11

Hertha Coutinho stammte aus einer Familie, deren Wurzeln viele Generationen zurück nach Portugal reichten. Dort und in Spanien wurden Juden durch Zwangstaufen und Verfolgung Ende des 15. Jahrhunderts ihres Glaubens und ihrer Sicherheit beraubt. Anerkennung durch die christliche Bevölkerung erfuhren die unfreiwilligen Neuchristen nicht. In Portugal kam es zu Feindseligkeiten, die im Jahr 1506 ihren Höhepunkt in einem Pogrom in Lissabon erreichten. Zahlreiche Menschen fielen dem zum Opfer. So kam es zu einer Auswanderungswelle, die die Neuchristen dorthin führte, wo die Familien Schutz fanden und sie sich durch kaufmännisches Geschick eine neue Existenz aufbauen konnten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildeten sich Ansiedlungen in Südfrankreich, Italien und den Niederlanden (in Brügge und Antwerpen), ab 1590 ließen sich die "Sephardim", wie sie wegen ihrer Herkunft aus Spanien und Portugal genannt wurden, in Amsterdam, Emden und Hamburg nieder. Der Name Coutinho findet sich bereits im 17. Jahrhundert in Hamburg und Glückstadt.

Am 9. Mai 1894 heirateten Herthas Eltern Solms Coutinho (geb. 27.4.1869 in Hamburg) und Louise Aronson (geb. 22.1.1874 in Leipzig) und bezogen in der Rutschbahn 22 ihre erste gemeinsame Wohnung.
Solms Coutinho war das vierte von neun Kindern ihrer Eltern Isaac (geb. 1836, gest.1903) und Pauline Coutinho, geb. Meyer (geb. 1839, gest. 1907). Der erstgeborene Sohn Salomon (Selomo), geb. 1864 starb nach wenigen Tagen. Das folgenden Kinder hießen Helene (verheiratete Daltrop) (geb. 1867, gest. 1925) und Henry (geb. 1868, gest. 1927). Nach Solms kamen die Geschwister Adolph (geb. 1871, gest.1923), Ida (geb. 1875, gest. 1932), Agathe (geb. 1876, ermordet im Getto Lodz), Annita (geb. 1878, gest. 1880) und Carl (geb. 1880, gest. 1925) in Hamburg zur Welt.
Louise war das erste gemeinsame Kind ihrer Eltern Adolf (geb. 1851 in Plau in Mecklenburg, gest. 1899 in Bergedorf) und Caroline Margarete Aronson, verwitwete Schröder, geb. Frels (geb. 1849 in Friedrichstadt, gest. 1929 in Bergedorf). Drei weitere Kinder wurden in Hamburg geboren, Henny (geb. 1876), Elsa (geb. 1877) und Albert (geb. 1881). Die vier Geschwister hatte noch eine Halbschwester, Auguste Henriette Juliane Schröder (geb. 1871), die die Mutter mit in die Ehe brachte.

Solms Coutinho verdiente den Lebensunterhalt für seine Familie in der väterlichen Firma "Coutinho & Meyer, Lithographische Anstalt und Steindruckerei", und führte sie nach dem Tod des Vaters weiter, bis sie sein Bruder Carl 1910 übernahm. Dieser starb im Dezember 1925, die Firma wurde verkauft. Solms konzentrierte sich auf seine eigene Firma, die "Solms Coutinho Zigarrenagentur", Louise versorgte die Familie und den Haushalt.

Ihr Sohn Sophus, geb. am 26.2.1898, war der älteste der vier Geschwister, geboren in der Rutschbahn 26. Er wurde in der Wahnschaffschule, einer bei jüdischen Eltern bevorzugten Schule bis zur Untersekundareife (10. Klasse, später "Mittlere Reife") unterrichtet. Eine anschließende kaufmännische Lehre bei einem Hamburger Unternehmen musste Sophus wegen gesundheitlicher Probleme aufgeben, konnte sie aber in der väterlichen Zigarren- und Zigarettenagentur fortsetzen. Er blieb über den Tod des Vaters (gest. 29. März 1925) hinaus bis zur Liquidation der Firma tätig und arbeitete danach auf eigene Rechnung als Vertreter für diverse Zigarrenfabriken.

Bereits in jungen Jahren erhielt Sophus ein Geschenk seiner Eltern, das sein weiteres Leben entscheidend beeinflussen sollte: Ein kleines Treibhaus mit drei Kakteen. Daraus entwickelte sich seine Leidenschaft für die Zucht dieser Pflanzen. Er pflegte Kontakte zu den Mitarbeitern und der Leitung des Botanischen Gartens in Hamburg und erweiterte sein Wissen um die Zucht und Pflege von Kakteen. In der elterlichen Wohnung, nun in der Johnsallee 63, war bald nicht mehr genug Platz. Deshalb machte Solms Coutinho seinem Sohn und dem Botanischen Garten 1918 ein wertvolles Geschenk: Er stiftete ein Gewächshaus, wie es hieß für 40.000 Mark, das den Namen seines Sohnes trug. Sophus hatte nun einen Ort, an dem er seine Zucht professionell fortsetzen konnte. (Das Gewächshaus wurde im Kriegssommer 1943 bei den Luftangriffen zerstört.)

Die Gestapo verhaftete Sophus Coutinho Im Zuge des Novemberpogroms vom 9./10. November 1938 als einen von fast 900 jüdischen Männern in Hamburg. Die überwiegende Anzahl der Männer wurde unmittelbar vom Polizeigefängnis Fuhlsbüttel aus ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Diese Inhaftierungen sollten die Männer demütigen und zum Verlassen Deutschlands zwingen. Sophus Coutinho war vom 15. November bis 7. Dezember 1938 in Sachsenhausen und später noch einmal vom 1. März bis 8. März 1939 in Fuhlsbüttel inhaftiert. Zur zweiten Verhaftung soll es durch eine Denunziation wegen angeblicher "Rassenschande" gekommen sein. Es gibt keine Hinweise, dass weitere Ermittlungen durchgeführt wurden, aber Sophus Coutinho begriff die erneute Festnahme als letzte Warnung und flüchtete im April 1939 nach Großbritannien.

In London fand er eine Anstellung im Botanischen Garten Kew Gardens trotz der fehlenden gärtnerischen Ausbildung. Seine umfassende Kenntnis der Kakteenzucht war seine Referenz. Er arbeitete bis 1955 in dem Botanischen Garten. Sophus Coutinho starb am 14. März 1974 in Chilliwack, einer Stadt in der Provinz British Columbia, Kanada. Dort lebte sein Neffe Solms Coutinho, der älteste Sohn von Adolph Coutinho, bei dem er zu Besuch war. Er wurde 76 Jahre alt.
Sein Bruder Adolf kam am 3.1.1900 im Reinbeckerweg (damalige Schreibweise) 54 in Bergedorf zur Welt. Bedingt durch mehrere Umzüge der Eltern besuchte er die Wahnschaffschule in Hamburg und wechselte dann zur Hansaschule in Bergedorf. Mit der Untersekundareife verließ Adolf Hamburg im Jahr 1916, wurde "Eleve", also Lehrling in der Landwirtschaft, auf einem Gut in Mecklenburg und vollendete die Ausbildung durch ein landwirtschaftliches Diplom an der Universität Hamburg im Jahr 1922. In dem erlernten Beruf war Adolf bis 1925 tätig, wechselte dann in die Tabakbranche wie sein Vater und sein Bruder. Er heiratete 1927 die nichtjüdische Anna-Elisabeth Schnell (geb. 1906 in Bremen). Zwei Söhne wurden in Hamburg geboren: Der nach Adolfs Vater benannte Solms im Jahr 1928, Bernt folgte 1929. Im Mai 1938 wurde Adolf verhaftet, unter Anklage gestellt wegen angeblicher "Rassenschande" und verurteilt. Seine Haft verbüßte er bis Mai 1942. Bereits zwei Monate später, am 15. Juli 1942, wurde er zusammen mit seiner Schwester Hertha und seiner Mutter Louise ins Getto Theresienstadt deportiert. Adolfs Ehefrau Anna-Elisabeth Coutinho hatte sich 1941 zum Schein von ihrem Mann scheiden lassen, um – so ihre spätere Begründung – sich und die Kinder vor weiterer Verfolgung zu schützen.

Hertha Coutinho kam am 12.3.1903 in der Bogenstraße 23 zur Welt. Von ihr sind wenig biographische Spuren überliefert. Ihre Mutter beschrieb die finanziellen Verhältnisse der Familie als sehr gut, so dass alle Kinder eine fundierte Ausbildung erfahren konnten. Hertha hat vermutlich aber nie eine eigene berufliche Tätigkeit aufgenommen. Die Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde weist sie zwar als "Kontoristin" aus, aber sie zahlte keine Kultussteuer aus eigenem Einkommen. Vermerke bescheinigen, dass sie von der Mutter unterhalten wurde.

Nach dem Tod des Vaters blieb sie wahrscheinlich zur Unterstützung ihrer Mutter in deren Haushalt. Beide und der Bruder Sophus zogen im Juli 1932 von der großen Wohnung in der Johnsallee 63, in der sie seit Ende 1915 gelebt hatten, in die Brahmsallee 11, 1. Stock. Hertha scheint ein besonderes Verhältnis zu ihrem Bruder gehabt zu haben. Sie unterstützte ihn bei seiner Kakteenzucht und auch bei der Präsentation seiner Kakteen bei Pflanzenschauen.

Irma, geb. 24.10.1905, das jüngste der vier Coutinho-Kinder, wurde geboren als die Familie in der Hallerstraße 4 wohnte. Über ihr kurzes Leben ist nichts bekannt. Sie starb, 11-jährig, am 10. 11.1916 an einer Herzbeutelentzündung, vermutlich ausgelöst durch Rheuma. Ihr Grab befindet sich neben dem ihres Vaters Solms auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf. Die Familie hinterließ eine Erinnerung auf dem Grabstein: "Ein kurzer, heller Sonnenstrahl, warst Du in diesem Erdental. In unserer Herzen blieb zurück, Dein sonniges Lachen, Dein lieber Blick."

Hertha, ihre Mutter Louise und ihr Bruder Adolf mussten sich am 15. Juli 1942 dem ersten großen Deportationstransport aus Hamburg in das Getto Theresienstadt anschließen.
Hertha und Adolf wurden bei den als "Herbsttransporte 1944" bezeichneten Deportationen zwischen dem 28. September und dem 28. Oktober 1944 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Hertha erhielt die Aufforderung für den Transport am 9. Oktober, Adolf gleich für den ersten am 28. September 1944. Beide wurden in Auschwitz ermordet.

Nach diesem Massentransport verblieben noch etwa 11.000 Insassen im Getto Theresienstadt, darunter war auch die 70-jährige Louise Coutinho. Sie überlebte die Gettohaft. Nach ihrer Befreiung kehrte sie nach Hamburg zurück und wohnte noch eine kurze Zeit bei ihrer Halbschwester Auguste, verheiratete Böhle, in der Rothenbaumchaussee 114.
Im März 1946 verließ sie Hamburg endgültig und reiste zu ihrem Sohn Sophus nach London, wo sie bis zu ihrem Tod am 9. Februar 1962 lebte.

Weitere Familienmitglieder fanden den Tod durch die Verfolgung im Nationalsozialismus: Grete Marcus, geb. Daltrop (geb. 21.12.1888 in Hamburg) und ihr Ehemann Hugo (geb. 7.12.1873 in Harburg) wurden am 6. Dezember 1941 in das Getto Riga deportiert – siehe: (Stolpersteine in der Kottwitzstraße 14, Eimsbüttel); Gretes Schwester Hedwig Strompf (geb. 30.12.1890 in Harburg) und ihr Ehemann Ferdinand (geb. 30.9.1878 in Wachtl/Mähren) wurden am 9. Juni 1943 in das Getto Theresienstadt deportiert (siehe Stolpersteine in der Lüneburger Straße 28, Harburg).

Stolpersteine erinnern in Hamburg an Hertha Coutinho vor dem Haus Brahmsallee 11, ihren Bruder Adolf vor dem Haus Hansastraße 21 und ihre Tante Agathe Blanck, geb. Coutinho, vor dem Haus Isestraße 36. Henry Coutinhos Witwe Clara, geb. Mendelssohn (geb. 11.10.1873 in Guben/Brandenburg) fand den Tod in Auschwitz, wohin sie nach ihrer Deportation am 15. Juli 1942 in das Getto Theresienstadt verschleppt wurde. An sie wird zukünftig ein Stolperstein in der Husumer Straße 10 (Hamburg Hoheluft) erinnern. Zwei weitere Familienmitglieder, die Cousine Laura Coutinho (geb. 30.10.1868 in Wien/Niederösterreich), deportiert am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt (siehe Stolperstein in der Lenhartzstraße 13) und die Schwägerin Else, geb. Neuburg (geb. 9.12.1886 in Sarstedt), Witwe von Carl Coutinho , deportiert am 6.Dezember 1941 in das Getto Riga (siehe Stolperstein in der Eichenstraße 54 in Eimsbüttel) wurden ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie.

Stand: Mai 2017
© Christina Igla

Quellen: 1; 5; 6; 9; StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft-07942/39; 242-1 II Staatsanwaltschaft II- 13124; 314-15 Oberfinanzpräsident_FVg 4181(Sophus C.); 332-5 Personenstandsunterlagen _8033/673/1916 (Sterbeurkunde Irma C.), _8565/186/1894 (Heirat Coutinho/Aronson), _9142/429/1898 (Geburtsurkunde Solms C.), _8099/481/1929(Sterbeurkunde C.M.A.), _13361/5/1900 (Geburtsurkunde Adolf C. ); 332-8 Melderegister "Toten-und Verzogenenkartei", Film Nr. 4343; 351-11 Amt für Wiedergutmachung_ 2511 (Louise C.), _ 21257 (Sophus C.); 352-5 Todesbescheinigung _ 1916/Sta3/673 (Irma C.), _ 1925/Sta3a/631 (Solms); 353-34 Abrechnung Schutzhaftkosten Gefängnis Fuhlsbüttel; 522-1_Jüdische Gemeinde_995a Band1 und Band2 (Portugiesische Gemeinde Geburtsregister); Hamburger Adressbuch –online– (Jahrgänge von 1877–1943) (Zugriff 20.,21., 22.1.2016); Böhm, Sephardim, in: Juden in Hamburg, S. 21–40; Hoffmann, Schule, S. 103; Studemund-Halevy, Biographisches Lexikon, S. 377f.; Gottwaldt/Schulle, "Judendeportationen", S. 435–439; www.archive.org/stream/gartenfloramonat71rege/gartenfloramonat71rege_djvu.txt (Zugriff am 31.1.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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