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Gustav Delle
© Bezirksamt Wandsbek

Gustav Delle * 1880

Schloßstraße 60 (Wandsbek, Wandsbek)

KZ Neuengamme
verstorben 1945 an Haftfolgen

Gustav Delle, geb. 20.9.1880, 1933 Haft im KZ Fuhlsbüttel, 1944 Haft im KZ Neuengamme, an den Folgen der Haft am 25.4.1945 verstorben.

Schlossstraße 60 (Bezirksamt Wandsbek)

Der Kommunalpolitiker Gustav Delle ist der einzige nichtjüdische politisch Verfolgte, mit dessen Lebensgeschichte ich mich hier befasst habe. Er wurde 1933 wegen seiner SPD-Zugehörigkeit als politisch untragbarer Oppositioneller inhaftiert, aus dem Dienst entfernt und schließlich ins KZ Neuengamme verbracht.

Am 20. September 1880 im württembergischen Botnang/Kreis Stuttgart geboren, ergriff Gustav Delle nach seiner Schulzeit den handwerklichen Beruf des Malers. Er heiratete die gleichaltrige Luise, geb. Nobes, die ebenfalls aus dem Württembergischen stammte. 1905 wurde die Tochter Grete geboren, die noch zwei Geschwister bekam: Hans und Hilde. 1911 trat Delle in die SPD ein. 1913 zog die Familie laut Meldekarte von Stuttgart nach Wandsbek-Gartenstadt, in die Erikastraße 34, wo sie bis 1916 lebte. Nach weiteren zehn Jahren in der Rosenstraße 71 bezog sie in der Bramfelderstraße 168 vermutlich ein eigenes Haus, das sie bis 1934 bewohnte.

Gustav Delles Karriere entwickelte sich stetig: Er war Stadtverordneter, seit 1919 hatte er die Position eines besoldeten Stadtrats und Dezernenten für das Wohlfahrtswesen in Wandsbek inne. In diesem Amt erwarb er hohes Ansehen, war gleichermaßen kompetent, arbeitsam und beliebt. 1931 kandidierte er erfolgreich zum Zweiten Bürgermeister der Stadt Wandsbek.

Unmittelbar nach der Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten damit, die Opposition auszuschalten und Ämter und Positionen mit eigenen Leuten zu besetzen. Das bekam auch Delle zu spüren, der am 6. März 1933 zusammen mit drei weiteren Wandsbeker Sozialdemokraten festgenommen und als sogen. Schutzhäftling 14 Tage im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert war. Auch Delles Schwiegersohn wurde 1933 aus dem Dienst bei der Stadt Wandsbek wegen "politischer Unzuverlässigkeit" entlassen.

Als Ende April 1933 der Zweite Bürgermeister gewählt werden sollte, wurde die SPD übergangen und dem NSDAP-Kreisleiter Eggers die Position zugeschoben. Da Gustav Delle jedoch (noch) nicht aus dem Amt entlassen war, suchte man nach einem Vorwand, ihn mit juristischen Tricks, sozusagen unehrenhaft, aus dem Dienst zu jagen. Die Federführung übernahm dabei Oberbürgermeister Ziegler. Dieser war jahrelang Zweiter Bürgermeister gewesen, bis er 1931 die Nachfolge des Oberbürgermeisters Rodig angetreten hatte – mit Unterstützung der SPD. Ziegler hatte den Machtwechsel unbeschadet überstanden. Bei der Entlassung Delles demonstrierte der Jurist bereits nationalsozialistische Gesinnung. Er setzte den Hebel beim berüchtigten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an.

Allerdings wählte Ziegler die falsche Begründung, nämlich Paragraph 2. Dieser sah eine Entlassung ohne Ruhegeld vor, wenn bei dem betreffenden Mitarbeiter mangelnde Vorbildung oder Eignung für das Amt vorlag. Das traf auf Gustav Delle jedoch nicht zu, weshalb das preußische Innenministerium in die Angelegenheit eingriff und Einspruch gegen die Begründung erhob. Die Stadt Wandsbek wurde verpflichtet, Delle eine Pension zu zahlen. In der Zurückweisung des Ziegler’schen Ansinnens hieß es, Delles Lauterkeit der Gesinnung und Handlungen, seine einwandfreie Amtsführung und die in 13 Jahren für die Stadt erbrachten Leistungen seien nicht in Zweifel zu ziehen.

Derart belehrt, wandte der Oberbürgermeister nun Paragraph 4 des o.g. Gesetzes an. Danach war derjenige zu entlassen, dessen bisherige politische Betätigung nicht die Gewähr dafür bot, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten.

Der Fall Delle und die Art und Weise, wie mit ihm umgegangen wurde, ließ einige Wandsbeker mit intaktem Rechtsgefühl nicht zur Ruhe kommen. 1934 machte der langjährige frühere Oberbürgermeister Rodig noch einen Versuch und setzte sich für Delles Wiederverwendung im Staatsdienst ein. In seinem Brief an den preußischen Innenminister bescheinigte er Delle hervorragende fachliche Fähigkeiten und die Kunst, bei aller Liebenswürdigkeit das Höchstmögliche an Arbeitsleistung von Untergebenen herauszuholen, wobei sich bewährt habe, dass er aus einem Handwerksberuf käme.

Rodigs Bemühungen blieben nicht nur erfolglos, sie riefen eine höhnische Gegenstellungnahme von Oberbürgermeister Ziegler hervor. Darin hieß es: "Falls Bürgermeister a.D. Delle sich zur Mitarbeit in der Wohlfahrtspflege in seinem jetzigen Wohnort Ahrensburg zur Verfügung stellen will, ist ihm hierfür in der von der NS-Volkswohlfahrt betreuten Winterhilfe reichlich Gelegenheit geboten."

Das aufgeheizte politische Klima, das seine Entlassung begleitete, zwang Delle 1935, seinen langjährigen Wirkungskreis Wandsbek zu verlassen. Er zog mit seiner Familie nach Ahrensburg, Am Tiergarten 16, wo sie das Obergeschoss mit drei Zimmern bewohnten. Das Haus hatte Delle mit Vorkaufsrecht gepachtet, es bestand der Plan, es später zu kaufen.

1944, nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli, wurden im Zuge von reichsweiten Razzien und Verhaftungswellen, der sogen. Aktion Gewitter, auch frühere Oppositions-Politiker inhaftiert. Gustav Delle wurde am 22. August 1944 an seinem Wohnort festgenommen. Der Chef der Gemeindepolizei Gramm und der Polizist Claussen übergaben ihn der Gestapo, die Delle am 27. August ins KZ Neuengamme einwies. Dort musste er sich Experimenten mit reinem Salicyl unterziehen, dem Wirkstoff des Schmerzmittels Aspirin. Bei höheren Dosierungen und längerfristiger Einnahme konnten Magenbeschwerden und Magenblutungen auftreten. Die Nebenwirkungen führten dazu, dass sich ein bereits vorhandenes Magenleiden Delles verschlechterte. Zudem führten ihn körperliche Misshandlungen an den Rand des Zusammenbruchs. Aufgrund der Intervention eines Bekannten, der ihn schätzte, wurde er am 1. November 1944 aus dem KZ entlassen. Es war jedoch schon zu spät. Gustav Delle erholte sich nicht mehr. Er starb am 25. April 1945 in Bad Oldesloe.

Der Sozialdemokrat Heinrich Wichelmann gehörte zu Delles Weggefährten aus der Wandsbeker Zeit. Auch er war 1933 verhaftet worden. Nach dem Krieg arbeitete er als Redakteur des Hamburger Echos, der von der SPD herausgegebenen Tageszeitung. 1955 veröffentlichte er eine Würdigung Delles zum 10. Todestag.

Delles Arbeitsplatz, die städtische Verwaltung des Magistrats Wandsbek, hatte sich im Wandsbeker Rathaus an der Königstraße 12 (Wandsbeker Königstraße) befunden, ebenso wie die Diensträume der beiden Bürgermeister Rodig und Ziegler. Es bestand also eine langjährige Zusammenarbeit nicht nur mit Delles Befürworter Rodig, sondern auch mit dessen Nachfolger Ziegler. Doch seit März 1933 galten frühere Allianzen nichts mehr.

Da das damalige Rathaus nicht mehr existiert, wurde der Stolperstein für Gustav Delle direkt vor dem Eingang des Bezirksamtes Wandsbek, Schlossstraße 60 verlegt.

© Astrid Louven

Quellen: StaHH Meldewesen 332-8 K 4412; AfW 200980; AB VI 1924, 1930, 1931; Herbert Fuchs, Aufzeichnungen anlässlich der Verlegung des Stolpersteins für Gustav Delle (Manuskript), September 2004; Astrid Louven, Juden, S. 190; SPD Wandsbek, S. 40–43.

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