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Karl-Heinz Barthel * 1922

Langenhorner Chaussee 623 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


KARL-HEINZ
BARTHEL
JG. 1922
VERHAFTET JUNI 1943
"WEHRKRAFTZERSETZUNG"
ZWANGSARBEIT KETTENWERK
GEFLÜCHTET / VERHAFTET
SONDERGERICHT BERLIN
HINGERICHTET 6.7.1944

further stumbling stones in Langenhorner Chaussee 623:
Otto Berger

Karl-Heinz Barthel, geb. am 27.8.1922 in Berlin, mehrfach verhaftet, verurteilt durch das Sondergericht Berlin, hingerichtet am 6.7.1944 in Plötzensee

Langenhorner Chaussee 623

Als Sohn eines Kaufmanns am 27. August 1922 in Berlin geboren, besuchte Karl-Heinz Barthel eine Volksschule in Berlin-Schöneberg, danach eine Privatschule. Mit elf Jahren wurde er in die Hitlerjugend aufgenommen. In den Askania-Werken Berlin-Mariendorf, seinerzeit das bedeutendste deutsche Unternehmen für Luftfahrt- und Navigationsinstrumente, absolvierte er von 1937 bis 1939 eine Lehre zum Schlosser und Flugzeug-Feinmechaniker. Dann meldete er sich freiwillig zum Wehrdienst. Zwei Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde er – am 12. August 1941 – einberufen und kam in ein Flugausbildungsregiment. Nachdem er zunächst wegen gesundheitlicher Probleme von den Streitkräften pausieren musste, kam er im Juli 1942 zur "Division Hermann Göring", einer großen Fallschirm-Panzer-Formation, die der Luftwaffe unterstellt war und zu diesem Zeitpunkt zur Erholung von den Kämpfen an der Ostfront auf den Fliegerhorsten Schleswigs weilte. (Die Division war später für zahlreiche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in den überfallenen Ländern verantwortlich: Massaker an Dorfbevölkerungen in Italien, die Einäscherung von Warschau und anderes).

Was Karl-Heinz Barthel über die Front erfuhr, was ihn bewegte und welche Einstellung er zum Krieg hatte – all das wissen wir nicht. Die Akten verraten nur sein "abweichendes Verhalten". So wurde Barthel einmal nach unerlaubtem Verlassen des Standorts mit drei Tagen "verschärftem Arrest" bestraft.

Schließlich wurde auch der Rekrut Barthel auf den Führer und auf die Fahne vereidigt und gehörte nun zum "Flugplatzkommando 108/XI (See) Schleswig". Seit der Vereidigung ging Barthel ein Vers, den er in der Arrestzelle gelesen hatte, nicht mehr aus dem Sinn. Als er im Mai 1943 von Schleswig in das 50 Kilometer entfernte Heiligenhafen versetzt wurde, griff er bei einem Gang zur Toilette – es war sein zehnter Tag am neuen Standort – nach seinem Füllfederhalter und schrieb den abgewandelten Spruch aus dem preußischen Fahneneid an die weißgestrichene Holzwand des Aborts:
"Wer auf die deutsche Fahne schwört,
hat nichts mehr, was ihm selber gehört.
Die Fahne hat den Krieg entfacht,
Not, Tod und Grauen uns gebracht."

Ähnliche Abwandlungen des Fahneneids zierten in dieser Zeit etliche Wehrmachtsunterkünfte. Ein Kamerad entdeckte den Reim am folgenden Morgen und machte Meldung. Karl-Heinz Barthels Fassung erfüllte aus der Sicht der Wehrmachtsjustiz den Tatbestand der "Wehrkraftzersetzung". Nach Einholung von Schriftproben wurde der Verursacher ausfindig gemacht. Und weil eine schriftliche Bekundung dieser Art "geeignet war, den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen", verurteilte ein Feldgericht nur wenige Tage nach dem Vorfall Karl-Heinz Barthel zu einem Jahr Gefängnis – seit den Strafverschärfungen nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad ein mildes Urteil für diese Art Kriegssabotage, wenn wir heute an die vielen Todesurteile zurückdenken, die damals wegen weit geringerer Vergehen verhängt wurden. Und wirklich, dem Kriegsgerichtsrat der Luftwaffe Dr. John erschien das Strafmaß zu gering. "Denn die Verbreitung solcher leicht einprägsamen Verse", schrieb John, "bedeutet eine ungeheure Gefahr, die rechtzeitig unterdrückt und daher mit allen Mitteln bekämpft werden muss. [...] Lediglich im Hinblick darauf, dass die Verse nur ganz kurze Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sind und dass sie keine schwerwiegenden Folgen gezeitigt haben, weil sie bei den Lesern allgemein auf brüske Ablehnung gestoßen sind, erschien eine Zuchthausstrafe von 5 Jahren noch als angemessene und ausreichende Sühne für die Tat des Angeklagten." So Dr. John in seiner Begründung des zweiten Feldurteils vom 27. Oktober 1943.

Der Vermerk in Barthels Akte "Strafbeginn nach Kriegsende" führte nicht etwa zu seiner vorläufigen Entlassung. Bis zum Beginn des Strafvollzugs kamen die zu Zuchthausstrafen verurteilten Wehrmachtsangehörigen zur "Verwahrung" in Haftstätten der Reichsjustizverwaltung, um sie von dort aus in Arbeitskolonnen bei oft sehr gefahrvollen oder besonders schweren Arbeiten einzusetzen. Vom überfüllten Wehrmachtsgefängnis Altona (das die Luftwaffe auch für Arreste nutzte) wurde der "Z-Gefangene Nr. 325/43" zu Jahresende 1943 ins "Zuchthaus und Strafgefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel" verlegt.

Es ist kein Foto von Karl-Heinz Barthel überliefert, doch vom Zeitpunkt des Haftantritts liegt eine Personenbeschreibung vor, sodass wir uns eine gewisse Vorstellung von seinem Äußerem machen können: Er war 1,71 m groß, schlank, wog 69 kg und hatte dunkelblondes volles Haar. Das Gesicht war schmal-oval, die Stirn mittel, die Augen grau, die mittelgroße Nase war spitz, die Ohren anliegend, der bartlose Mund mittelgroß mit vollen Lippen. Die Zähne etwas lückenhaft, das Kinn oval, doch die Haltung gerade. In Altona hatte sich Karl-Heinz Barthels mit Otto Berger angefreundet, der zusammen mit ihm ins Zuchthaus Fuhlsbüttel überstellt und zu einem Außenkommando in die Munitionsfabrik "Hanseatisches Kettenwerk" in Langenhorn beordert wurde. Hier arbeiteten 4000 Menschen – täglich zehn Stunden im Schnitt – für einen wahnwitzigen Krieg. Die beiden Soldaten wurden in der "Beize 14", einer stark gesicherten Werkabteilung, zur Arbeit eingeteilt. Hier waren alle Türen und Tore während der Arbeitszeit ausbruchsicher versperrt, die Luft stickig und gesundheitsschädigend, die Arbeiter standen unter ständiger Aufsicht. Das Kettenwerk galt als nationalsozialistischer Musterbetrieb. Die Arbeitstage im Kettenwerk waren lang und anstrengend.

Karl-Heinz Barthel und Otto Berger waren sich bald einig: Dieser Zehn-Stunden-Fron und dem strengen Reglement für die Strafgefangenen mussten sie entkommen. Sie weihten einen Mithäftling, den 20-jährigen Ernst Gravenhorst, vom Beruf Elektrotechniker, der "wegen Fahnenflucht" zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, in ihre Pläne ein. Ernst Gravenhorst, 1923 in Hamburg geboren, war mit seiner Einberufung im Oktober 1941 Infanterist geworden. Seit Mai 1943 – so die Akten – hatte er in Hamburg dem Grenadier-Ersatz-Bataillon (motorisiert) 90 angehört, wo ihm irgendein Vorkommnis (von dem wir keine Kenntnis haben) die Zuchthausstrafe eintrug.
Die drei planten, einen der kalten dunklen Januarabende für ihren Ausbruch zu nutzen. Am 4. Januar 1944 um 18:30 Uhr war die Gelegenheit günstig; für 100 Arbeiter in drei großen Werkhallen hatte nur eine Person, der "Kommandoführer" Kopp, die Aufsicht. Die drei jungen Männer durchstießen im Schutz des höllischen Fabriklärms mit Stemmeisen die provisorische Trennwand zu einer externen Toilettenanlage, entwichen in den Hofbereich und überstiegen das Außengitter des Firmengeländes. Doch Gravenhorst hatte bei der Hast durch die Dunkelheit seine beiden Kameraden aus den Augen verloren. Während Barthel und Berger in die Winternacht entkamen, wurde er von der Werkswache aufgegriffen. Karl-Heinz Barthel und Otto Berger hingegen liefen zu Fuß nach Eppendorf und kleideten sich bei einem Bekannten in der Erikastraße ein. Sie fuhren – vorsichtshalber getrennt – mit den wenig kontrollierten Nachtzügen in ihre Heimatstadt Berlin. Erst nach zehn Tagen trafen sie sich in Berlin – wie vereinbart – wieder. Um überleben zu können, verübten sie nun – auch mithilfe von Bergers 17-jähriger Freundin Carola Wahrholz – mehrere Laden- und Garageneinbrüche sowie Autodiebstähle, übernachteten in einem ausgebrannten Luftschutzkeller und mieteten sich schließlich ein Zimmer. Hier gaben sie sich als Leutnant und Oberleutnant aus, wobei sie ihre geschorenen Köpfe mit einem Verband umwickelt hatten und erklärten, sie seien "kriegsbeschädigt" und stünden kurz vor ihrer Entlassung aus der Wehrpflicht. Als sie am 10. Februar 1944 abermals in einem gestohlenen Auto (ein Fahrzeug der Volkswohlfahrt) durch Berlin-Charlottenburg fuhren, wurden sie von der Kriminalpolizei angehalten und verhaftet. Barthels kam zur Untersuchungshaft in das Strafgefängnis Berlin-Tegel, Berger in die Haftanstalt "Zellengefängnis" Berlin-Lehrterstraße. Der Staatsanwalt Grassow erhob am 29. März 1944 Anklage. "Als Volksschädlinge und gefährliche Verbrecher" hätten die Angeklagten die Situation der häufigen Bombenalarme für ihre Einbrüche und Diebstähle ausgenützt. Er beantragte für die geständigen Täter wegen ihrer "besonders schweren Volksschädlingsverbrechen" die schwerste zu Gebote stehende Strafe.

Irgendwann zwischen April und Juni 1944 – die genauen Daten sind nicht bekannt – fand in Berlin-Moabit die Hauptverhandlung statt. Das Sondergericht beim Landgericht Berlin verurteilte Otto Berger und Karl-Heinz Barthel zum Tode. In Plötzensee wurden sie am 6. Juli 1944 hingerichtet. Beide zur selben Stunde. Barthel wurde 21 Jahre alt, Berger 23 Jahre.

Mithäftling Ernst Gravenhorst, der bei dem Ausbruch aus dem Kettenwerk gefasst worden war, wurde im Februar 1944 in eines der Emslandlager überführt (Strafgefangenenlager VII, Esterwegen). Im Juli 1944 in die "Bewährungstruppe 500" gepresst, kam er ab April 1943 an der Ostfront zum Einsatz. 1948 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft in Tallin nach Hamburg zurück, wo er als kaufmännischer Angestellter sein Auskommen fand.

Was aus Otto Bergers Freundin Carola Wahrholz geworden ist, ist nicht bekannt.

Die Stolpersteine wurden im Mai 2019 an jenem Ort verlegt, von wo aus Karl-Heinz Barthel und Otto Berger die Flucht aus dem Kettenwerk gelang. Sie erinnern daran, dass seit November 1942 im Kettenwerk auch Strafgefangene aus dem "Straf- und Jugendgefängnis Glasmoor" und dem Zuchthaus Fuhlsbüttel in der Kriegsproduktion eingesetzt waren

© René Senenko

Quellen: StaH, 242-1 II Personalakte Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel, 3705 Barthel, Karl-Heinz; BArch, Standort Eichborndamm Berlin (ehem. Deutsche Dienststelle/WASt), Sign. B 563/08711, S. 114; E-Mail-Auskünfte und Gesprächsnotizen nach Telefonaten mit dem pensionierten Archivar von Malchow (Mecklenburg), Dieter Kurth, vom 11.2.2019 und 4.11.2019; E-Mail-Auskunft von Dr. Elke Strang vom Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig, vom 25.3.2019; E-Mail-Auskunft von Wolfgang Thiele vom Gemeinschaftsarchiv der Stadt Schleswig und des Kreises Schleswig-Flensburg vom 25.3.2019. Weitere Hinweise erhielt ich dankenswerter Weise von Prof. Dr. Detlef Garbe, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte.

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