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Ursula Bade * 1941

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


URSULA BADE
GEB. 1.12.1941
ERMORDET 28.8.1944

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Ursula Bade, geb. 1.12.1941 in Hamburg, ermordet 28.8.1944

Die zur Adoption freigegebene Ursula wurde als Kleinkind ermordet, weil niemand einen Platz fand, an dem sie leben konnte. Sie soll zwar – wie Wilhelm Bayer, der leitende Arzt des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort am 5. Juni 1944 diagnostizierte – "eine beträchtliche geistige Unterentwicklung (auf), die man fast als Idiotie bezeichnen könnte" aufgewiesen haben, doch hatte das Encephalogramm keinen deutlichen pathologischen Befund ergeben. Andererseits käme unter diesen Umständen, so Bayer, eine Adoption wohl nicht in Frage, und eine Pflegestelle schien ihm nicht angebracht, dafür aber die Einweisung in eine Anstalt. Ursula Bade gehörte nicht zu den Kindern mit schweren Behinderungen, die der "Reichsausschuss" auf seiner Liste aufgeführt hatte. Warum sie nicht in einer – kostengünstigeren – Anstalt untergebracht wurde und stattdessen zweieinhalb weitere Monate im Kinderkrankenhaus blieb, geht aus den vorliegenden Dokumenten nicht hervor. Vermutlich hätte sie in einer Hamburger Anstalt zu dem Zeitpunkt eine gute Überlebenschance gehabt. Sie wurde offenbar ein Opfer ungeklärter Zuständigkeiten, da die Gau-Adoptionsstelle sie weder zur Adoption vermitteln noch in eine Anstalt einweisen wollte.

Ursula war am 1. Dezember 1941 als Tochter der Platzanweiserin Carla Bade und des Polizeioberleutnants Heinrich Wieck in Hamburg zur Welt gekommen. Sie wurde in der evangelischen Kirche getauft. Ihre letzte Adresse, bevor sie zur Adoption freigegeben wurde, war Buchholz in der Nordheide. Zuständig für sie wurde die Gau-Adoptionstelle im Schlageterring (heute: Südring) in Hamburg-Winterhude.

Über Ursulas erste zweieinviertel Lebensjahre ist uns nichts bekannt. Als sie dann einem Ehepaar in Hamburg-Volksdorf in Pflege gegeben wurde, stellte die Pflegemutter fest, dass sie krank war. Sie hatte Geschwüre am Unterleib und eine leichte Bronchitis. Die Volksdorfer Ärztin E. Schröder wies Ursula ins Kinderkrankenhaus ein. Am 21. März 1944 brachte die Pflegemutter sie in das Pestalozzi-Heim in Wohldorf in der Diestelstraße 30, wo im Herbst 1943 nach der schweren Beschädigung des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort im "Feuersturm" ein Ausweichkrankenhaus eingerichtet worden war. Damit endete diese Pflegschaft nach kürzester Zeit.

Die aufnehmende Ärztin Ingeborg Wetzel stellte fest, dass sich Ursula in einem guten Allgemeinzustand befand. Sie mache aber einen "blöden Eindruck", scheine nicht zu verstehen, wenn sie angesprochen werde, liefe nur an der Hand und sei liebesbedürftig. Am Gesäß habe sie einen abgeheilten Abszess, offenbar eines Furunkels. Wetzels Diagnose lautete "Debilität (erhebliche Intelligenzschwäche), Infekt der oberen Luftwege".

Ursula fiel an den folgenden Tagen durch Verhaltensweisen auf, die wir heute wohl als Hospitalismus deuten würden, der erst durch den Aufenthalt in einer Einrichtung entsteht: Sie spielte nicht, warf sich oft schaukelnd hin und her und stieß dabei unartikulierte Laute aus. Während sie nicht nach vorgehaltenen Gegenständen griff, streckte sie jedoch die Arme aus, sobald jemand an ihr Bettchen trat. Als sie nach nur einer Woche wegen einer Erkrankung an Scharlach auf die Infektionsabteilung in das Stammhaus nach Rothenburgsort verlegt wurde, zeigte sie keinerlei Beziehung zur Umgebung und kein Anlehnungsbedürfnis.

Anfang Mai hatte Bayer der Gau-Adoptionsstelle gegenüber erwähnt, dass die Untersuchung keinen krankhaften Befund ergeben hatte. Mitte Mai fiel dem Pflegepersonal auf, dass Ursula etwas lebhafter wurde, sicherer stand und ging und sich aus ihrem Bett heraus umschaute. Allerdings sprach sie nicht und schien auch nichts zu verstehen. Ob ihr Gehör je geprüft wurde, geht aus den Akten nicht hervor.

Ursula Bade sollte jetzt entlassen werden, doch fehlte der Gau-Adoptionstelle eine Unterbringungsmöglichkeit für sie. Der vorgesehene Adoptivvater hatte nach einem Gespräch mit der Stationsärztin Lotte Albers über Ursulas geistige und körperliche Entwicklung von der Adoption Abstand genommen. Am 1. Juni 1944 notierte die Ärztin, dass es Ursula gut gehe, sie aber noch nicht abgeholt werden könne – offenbar, weil niemand sie haben wollte.

Bald darauf erkrankte Ursula an Masern, die ohne Komplikationen verliefen, lag danach aber teilnahmslos im Bett. Um sie wieder zu kräftigen, ordnete Bayer Mitte Juli eine zweiwöchige Malaria-Kur (s. o. Erläuterungen) an, die jedoch keine Besserung brachte. Die nächsten drei Wochen verliefen unverändert. Ursula blieb fieberfrei und blass, hatte aber guten Appetit.

Am 25. August 1944 trug Bayer der noch unerfahrenen Assistenzärztin Ortrud von Lamezan – sie war erst am 1. August in die Klinik eingetreten – auf, an Ursula eine Myelographie (s. o. Erläuterung) durchzuführen. Nach dem Krieg äußerte sie im Ermittlungsverfahren dazu, dass sie "die Jodipineinspritzung nicht vorgenommen" habe, "weil ich damals noch als Ärztin zu unerfahren war. Die Jodipineinspritzung hat Frl. Dr. Albers oder Frl. Dr. Wetzel vorgenommen. Welche Dosis Jodipin gespritzt ist, weiß ich nicht. Nach der Injektion ist das Myelogramm durch Röntgenbild gefertigt worden." Die Untersuchung wurde in der Fieberkurve vermerkt, ebenso die zwei Tage später erfolgende Kontrolluntersuchung. Eine handschriftliche Bemerkung von Bayer unter den Verlaufsnotizen "Myelogrammwirkung beim cerebral anormalen Kind? Jodipinwirkung?" war an die Ärztin gerichtet. Diese Fragen sollte eine Myelographie beantworten.

Obwohl Ursula Bade zur besseren Verträglichkeit am Tag der Myelographie und am Tag zuvor jeweils 1 ccm Luminal erhalten hatte, erbrach sie anschließend mehrere Male, war unruhig, schrie viel, hatte aber keine Lähmungen erlitten. Das Erbrechen endete nach drei Tagen, aber ihr floss eine blutig-wässrige Flüssigkeit aus Nase und Mund. Am Morgen des 28. August 1944 starb sie an "cerebraler Affektion, Pneumonie". Fünf Tage später zeigte die Studentin Hannelore B. aus Bergedorf den Tod beim Standesamt Billbrook an.

Ursula wurde ermordet, wahrscheinlich durch eine von Ortrud von Lamezan verabreichte Luminal-Injektion, wie eine Schwester behauptete, oder durch die tödlichen Folgen der Myelographie, die ohne diagnostischen Nutzen für Ursula angeordnet worden war.

Ursula verbrachte 160 Tage im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort, in denen sie keinen Besuch erhielt. Ihre letzten Lebenstage waren qualvoll. Da sie niemandem persönlich wichtig war, konnte sie für die Ausbildung einer Assistenzärztin instrumentalisiert werden. Sie wurde zwei Dreiviertel Jahre alt.

Hätte der "Reichsausschuss" die Genehmigung zur Beobachtung und "Behandlung" Ursulas erteilt, hätte er die Kosten übernommen. So enthält ihre Akte einen umfangreichen Schriftverkehr wegen der Krankenhauskosten, der über das Kriegsende hinausging. Es gab keine Krankenkasse als Kostenträger, die Gau-Adoptionsstelle hatte keine Mittel, die Sozialverwaltung fühlte sich nicht zuständig und trat an den Vater heran, der mehrere Raten zahlte, bis er kurz vor Kriegsende in den Kämpfen vor Harburg getötet wurde. Ob die vom Krankenhaus eingeschalteten Rechtsanwälte bei Ursulas Mutter und Onkel Erfolg hatten mit ihren Forderungen, ist nicht bekannt.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht NSG, 0017-004; 332-5 Standesämter, 1237+168/ 1944; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/1, 63 UA 10.

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