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Bereits verlegte Stolpersteine


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Dr. Dorothea Bernstein * 1893

Hauersweg 16 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1941 Lodz
ermordet 05.06.1942

Dorothea Bernstein, geb. 10.8.1893, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort gestorben am 5.6.1942

Lerchenfeld 10 (Gymnasium Lerchenfeld)/Hauersweg 16

Dorothea Bernstein wurde in Tilsit geboren. Seit ungefähr 1919 lebte sie in Hamburg. Als Lehrerin unterrichtete sie von März 1927 bis September 1933 an der Oberrealschule für Mäd­chen am Lerchenfeld, dem heutigen Gymnasium Lerchenfeld. Aus Anlass des 90-jährigen Bestehens des Gymnasiums setzten sich Schülerinnen und Schüler in einer Arbeits­ge­mein­­schaft, die von Schulleiter Hans-Walter Hoge geleitet wurde, mit der Geschichte ihrer Schule von 1933 bis 1945 auseinander. In diesem Rahmen erforschten sie auch das Schicksal von Do­ro­thea Bernstein. Auf Initiative der Schule wurde ein Stolperstein für sie vor ihrer ehemaligen Wirkungsstätte verlegt.

Anlässlich der Einweihung des Stolpersteins am 14. November 2005 hielt die damalige Schü­­lerin Maris Hubschmid folgende Rede:

"Die Geschichte unserer Schule während der schrecklichen Jahre von 1933 bis 1945 ist lange im Dunkeln geblieben. Kaum einem lag daran, in den Nachkriegsjahren und bis in die Sech­ziger- und Siebzigerjahre hinein das Licht auf die dunklen Flecken deutscher Ver­gan­genheit zu richten. Flecken, die da heißen: Wegschauen, Schweigen, die Gefahr nicht er­kennen wollen, Verdrängen. Den Schülern unserer Generation hat man in der Schul­chronik große Lü­cken hin­terlassen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wird darin nur äußerst spärlich behandelt. Einige Anek­doten, einige Daten, viel über Kinderlandverschickung und einiges über die Bom­bar­die­rung 1943 – mehr nicht. Nichts, was darin hinweist auf die Ver­än­de­rungen des Schul­alltags am Lerchenfeld während dieser Zeit, kein Vermerk über Schicksale einzelner Schüle­rin­nen, nur ungenaue Angaben über das Aus-dem-Dienst-Scheiden einiger Lehrer und Lehrerinnen. Vor zwei Jahren haben einige von uns es sich gemeinsam mit unserem Schulleiter Herrn Hoge zur Auf­gabe gemacht, diese Lücken zu füllen. Wir wollten mehr wissen über die Ge­schichte des Gymnasiums Ler­chen­­feld, mehr wissen über eine Ge­ne­­ration, die einmal im selben Alter und am selben Ort eine so andere Schul­zeit erlebt hat, als wir es heute tun. Also haben wir uns auf die Suche begeben. Infor­mationen ge­sucht, Zeit­zeugen gesucht, Ant­wor­ten ge­sucht. Der Stolperstein, den wir heute einweihen, ist Symbol für ein Ergebnis unserer Suche. Er soll er­innern an Frau Dr. Dorothea Bernstein, die von 1927 bis 1933 Lehrerin unserer Schule war, und die 1942 im Kon­zentrationslager […] ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Er soll aufmerksam machen darauf, dass unsere Schule Vergangenheit hat, dass wir alle eine Ver­gan­genheit haben. Er soll mit seinen 10x10 cm eine erste Lücke füllen."

Dorothea Henriette Bernstein wurde am 10. August 1893 in Tilsit in Ostpreußen geboren. Ihre Eltern Aaron und Sophie Bernstein waren beide jüdischen Glaubens.

1914 legte sie ihre Reifeprüfung in Danzig ab, studierte Deutsch, Französisch und Philo­so­phie in Königsberg, München und Hamburg und legte hier 1922 ihre Prüfung für das höhere Lehramt ab. Im gleichen Jahr promovierte sie zum Doktor der Philosophie.

An die Mädchen-Oberrealschule am Lerchenfeld kam sie zunächst als Vertretung für eine er­krankte Lehrkraft, im März 1927, nachdem sie am Oberlyzeum in Altona und an der Helene-Lange-Schule einen Vorbereitungsdienst ab­sol­­viert hatte. Zweieinhalb Jahre später wur­de sie zur außerplanmäßigen Beamtin ernannt. Fräulein Bernstein unterrichtete Fran­zö­sisch und Deutsch in allen Klassen­stufen.

Zeitzeugen beschreiben sie als sozial engagierte Lehrerin, deren Unterricht streng, aber ausgezeichnet war. Sie gehörte zu den jüngsten Kolleginnen und stand den Problemen ihrer Schülerinnen sehr aufgeschlossen ge­gen­über. Eine ehemalige Schülerin erinnerte sich daran, dass Frau Bernstein jeden Mor­gen einem Mädchen, dessen alkoholkranker Vater sie stark ver­nachlässigte, ein Frühstück mitbrachte.
Die Schüler schätzten ihre Art. Es heißt, man erlaubte sich in ihrer Gegenwart Bemerkun­gen, die man gegenüber anderen Lehrern nicht zu äußern gewagt hätte. Am 25. September 1933 wurde Frau Dr. Bernstein auf Grund §3 des Reichsgesetzes zur Wie­derherstellung des Berufs­beam­ten­tums vom 7. April desselben Jahres ohne jedes Gehalt in den Zwangsruhestand versetzt […]

Am 1. Juni 1939 wurde sie an der letzten jüdischen Schule Hamburgs eingestellt, die aus der Zu­sammenlegung der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde mit der Talmud Tora Oberrealschule für Jungen hervorgegangen war und sich "Volks- und Höhere Schule
für Juden" nennen musste. Diese Schule wurde von der Reichsvereinigung der Juden in Deutsch­land unterhalten […] Die­se war allerdings kaum noch zahlungsfähig und sah sich gezwungen, viele der letzten jüdi­schen Lehrer zu entlassen. So bekam Dr. Dorothea Bern­stein im Juni 1941 das Kündi­gungs­schreiben und schied am 16. Juli 1941 gänzlich aus dem Schuldienst aus.

Eine Lehrerin namens Dr. Duhne, zu der Frau Bernstein engen Kontakt hatte, berichtet von einem Anruf, in dem Dorothea Bernstein ihren Abtransport für den kommenden Tag ankündigte. Sie soll gesagt haben, sie habe noch einmal eine warme, menschliche Stimme hören wollen.
Am 25. Oktober 1941 wurde Frau Dr. Bernstein mit dem ersten Deportationszug und 1033 anderen Juden nach Lodz (ehemals Litzmannstadt) in Polen deportiert [...]

Seit dem Jahr 2000 verlegt der Künstler Gunter Demnig sogenannte Stolpersteine und er­innert so an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. […] Der Stolperstein, den wir heute für Dorothea Bernstein einweihen, unterscheidet sich etwas von den meisten anderen. Statt der üblichen Zeile ,Hier wohnte‘ sind auf ihm die Worte ,Hier lehrte‘ eingraviert. Wir haben ihn bewusst hier verlegen lassen, um auszudrücken, dass Frau Bernstein als Lehrerin und Mensch an unserer Schule unvergessen ist. Und um deutlich zu machen, dass sie für uns hier hergehörte, an diese Schule, und dass sie damit für immer ein Teil unserer Schule und der Ge­schich­te des Gymnasiums Ler­chen­feld bleiben wird. ,Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist‘, sagt Gunter Demnig. Mit diesem Stein vor unserem Schul­eingang wollen wir die Erin­ne­rung an diesen Menschen, Frau Dr. Dorothea Bern­stein, die einst hier lehr­te, lebendig halten. [...]"

Ein weiterer Stolperstein für Dorothea Bern­stein liegt im Hauersweg 16, vor ihrer letzten Woh­nung, die sie selbst wählen konnte. Ihre allerletzte Adresse in Hamburg vor ihrer De­por­­tation war die Klosterallee 11, wo sie zur Un­ter­miete wohnte. Dorothea Bernstein starb am 5. Juni 1942 in Lodz. Künftig wird es noch einen weiteren Ort des Gedenkens geben. In der Nachbarschaft des Gym­nasiums Lerchenfeld entsteht ein Neubaugebiet. Dort wird der Dorothea-Bernstein-Weg an sie erinnern.

© Ingrid Budig

Quellen: 1; 5; 8; Arbeitsgemeinschaft des Gymnasiums Lerchenfeld, Hamburg; Hamburger Wochenblatt, Wochenzeitung für Barmbek, 29.4.2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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