Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Marga Bernhardt
Marga Bernhardt
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Marga Bernhardt * 1922

Mesterkamp 38 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
MARGA BERNHARDT
JG. 1922
EINGEWIESEN 1927
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 6.1.1944

Marga Marie Sophie Bernhardt, geb. 14.5.1922 in Hamburg, "verlegt" aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", gestorben am 6.1.1944

Mesterkamp 38, Barmbek-Süd

Marga Bernhardt kam am 14.5.1922 in Hamburg zur Welt. Ihre Eltern, der Kraftwagenfahrer Wilhelm Max Bernhardt, geb. am 8.5.1890 in Kappeln, Kreis Schleswig, und Martha Juliane Sophie, geb. Dessaules, geb. am 31.8.1895 in Hamburg, wohnten zu dieser Zeit in der Straße Mesterkamp 38 in Barmbek-Süd. Bei der Heirat am 19. November 1915 wohnten beide in der ABC-Straße 15. Aus der Ehe gingen außer Marga drei Kinder hervor: Wilhelm Walter Ferdinand, geboren am 15.12.1919, Ingeborg, geb. am 3.12.1925, und ein weiteres Kind, das kurz nach der Geburt starb.

Marga musste in ihrer Säuglings- und Kleinkindzeit mehrere Krankenhausaufenthalte überstehen, während derer sie von ihren Eltern getrennt war:

Im November 1922 wurde sie im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek aufgenommen, weil ein Blutschwamm am Kopf operativ entfernt werden sollte. Zu dieser Zeit litt sie unter Krämpfen, bei denen sich "der Körper streckt, steif wird und die Atmung aussetzt."

Ihre Mutter berichtete bei Margas Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), dass sie seit der Geburt Krämpfe erlitten habe. Das Kind wurde von Anfang an mit 2/3 Milch und 1/3 Hafermehl künstlich ernährt, weil es nicht an der Mutterbrust trinken konnte.

Anfang Januar 1923 wurde Marga Patientin im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf. Sie litt an einem Myxödem, einer durch eine Störung im Schilddrüsenhormonhaushalt ausgelösten Hautkrankheit und einer Entzündung des Nasen- und Rachenraumes. Am 8. Mai, etwa vier Monate später, wurde das Kind "gebessert entlassen".
Im Februar/März 1927 wurde Marga mit der Diagnose "Bronchitis" für fünf Wochen im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg aufgenommen.

In ihrer Krankengeschichte wurde festgehalten, sie sei ein "5-jähriges Kind von nur 79 cm Körperlänge." "Mit 4 Jahren [habe es] erst sitzen können. Sprechen u. Laufen kann es überhaupt noch nicht. Appetit mäßig, trinkt noch die Flasche." Wenig später: "Das Kind bleibt nur zur Pflege noch hier. Eine Aufnahme in die Alsterdorfer Anstalten wird den Eltern dringend anempfohlen. Da diese aus Platzmangel noch nicht erfolgen kann, das unglückliche Wesen mit Rücksicht auf die anderen Kinder u. die Unmöglichkeit der nötigen Pflege aber hier nicht bleiben kann, wird es am 23.3. [1927] in unverändertem Zustande wieder zu den Eltern entlassen."

Am 4. November 1927, Marga war inzwischen fünfeinhalb Jahre alt, wurde sie in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen und zunächst "zur Beobachtung" in das Krankenhaus der Anstalt eingewiesen. Beobachtete wurde eine "langsame Entwicklung" und: "Lacht, spielt mit Puppen, Freundlich. Zunge verkleinert sich. Unsauber."

Nach den Angaben in ihrer Patientenakte lernte Marga erst mit sechs Jahren auf einem Stuhl zu sitzen, mit sieben mit Unterstützung zu stehen und mit elf allein zu gehen. Mühsam erworbene Fortschritte sollen immer wieder verloren gegangen sein und hätten erneut eingeübt werden müssen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn ab in die Heilanstalt "Am Steinhof" in Wien, der damaligen "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien". Unter ihnen befand sich auch Marga Bernhardt.

In der Wiener Anstalt notierte das Personal Ende 1943, Marga leide an Durchfall. Wenig später, am 5. Januar, wurde sie als "hinfällig, nicht mehr ansprechbar" beschrieben. Am Tag darauf, dem 6. Januar: "Heute um 10.15 exit.[us] let.[alis]."

Die Pathologin, NSDAP-Mitglied Barbara Uiberrak, notierte im Sektionsprotokoll: "Dysenterie" [Ruhr] und "Marasmus universalis" [schwere Erkrankung, die infolge einer chronischen quantitativen Mangelernährung entsteht].

In der Wiener Einrichtung "Am Steinhof" wurden Patientinnen und Patienten systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem aber durch Nahrungsentzug ermordet. Von den 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf kamen 196 bis Ende 1945 ums Leben.

Die Wiener Anstalt informierte die Direktion der Alsterdorfer Anstalten am 7. Januar 1944 mit einem Telegramm über Marga Bernhardts Ableben. Die Eltern erhielten keine Nachricht. Ihre Adresse war angeblich nicht bekannt.

Stand: August 2020
© Ingo Wille

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2366 Nr. 2368 Geburtsregistereintrag Martha Juliane Sophie Dessaules; StaH 332-5 Standesämter 3268 Nr. 630/1915 Heiratsregistereintrag Wilhelm Max Bernhardt/Martha Juliane Sophie Dessaules; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Patientenakte V 380 (Marga Bernhardt); Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2. Aufl., Frankfurt/M, S. 634; Wunder, Genkel, Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 331 ff.

druckansicht  / Seitenanfang