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Ludwig Boas * 1866

St. Benedictstraße 12 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
LUDWIG BOAS
JG. 1866
VERHAFTET 1941
US-BÜRGER/
KRIEGSEINTRITT USA
GEFÄNGNIS HÜTTEN
INTERNIERT 1942
LAUFEN / OBERBAYERN
FLUCHT IN DEN TOD
22.8.1942

Ludwig Boas, geb. am 14.10.1866 in San Francisco/USA, Selbstmord am 22.8.1942 in Hamburg

St. Benedictstraße 12

Der Spediteur Ludwig Boas wurde am 14.10.1866 in San Francisco geboren und wuchs mit seinem Bruder Richard in den USA auf. Über ihre Eltern ist uns nichts bekannt. Wir wissen auch nicht, wann genau die Brüder nach Hamburg übersiedelten. Richard ließ sich erstmalig 1898, Ludwig 1902 ins Hamburger Adressbuch eintragen.
In den folgenden Jahren lebte Ludwig auf der Uhlenhorst in der Averhoffstraße.

Seine zukünftige Ehefrau Friederike Klingelhöfer wurde am 2.5.1875 in Rotterdam/ Niederlande geboren. Auch zu ihren familiären Verhältnissen, Schul- und Ausbildung fanden sich keine Hinweise. Lediglich in einer Akte gab es einen Hinweis auf eine Schwester Margaretha, bzw. deren Tochter Margot.

Am 20. November 1923 fand die Trauung von Ludwig und der nichtjüdischen Friederike Boas in Hamburg statt, als Trauzeugen fungierten Richard Boas und Siegmund Hesslein. Ab den 1930er Jahren lebte das Ehepaar in Rotherbaum und Harvestehude.

Die Vorfahren der Boas Brüder hatten 1827 in den USA die Firma C. B. Richard Boas & Co. Gegründet. Diese betätigte sich zunächst als Agentur für auswanderungswillige Europäer. Sie erledigten die bürokratischen und finanziellen Formalitäten und standen im engen Kontakt zu den Agenten in den deutschen Auswanderer-Seehäfen. Daraus folgte 1847 die Gründung eigener Agenturen in Hamburg und Bremen. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten sich die Geschäfte kontinuierlich weiter und die Firma Richard Boas & Co. Übersee-Spedition entstand. Zu Beginn der 1920er Jahre meldete sich die Firma im Arbeitgeberverband – Verein Hamburger Spediteure e.V. – als Mitgliedsfirma an. Dieser 1884 gegründete und bis heute bestehende Verein vertrat und vertritt die Interessen der Spediteure auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene sowie gegenüber anderen Verbänden, der Politik und der Öffentlichkeit. Gleichzeitig agiert er als Verhandlungspartner der zuständigen Gewerkschaft.

Die Brüder Richard und Ludwig Boas führten die Spedition als Inhaber. Der Firmensitz befand sich seit 1921 in der Altstadt, im "Richardhaus", welches Richard Boas gehörte, Schauenburgerstraße 14. Mehrstöckige Geschäftshäuser, in denen unterschiedliche Branchen (Kleingewerbebetriebe, Verlage, Rechtsanwälte) ihren Sitz hatten, prägten die Umgebung. In den ebenerdig gelegenen Geschäften befanden sich Friseure, Konditoreien oder Schneidereien. Gleichzeitig besaß die Spedition bis ca. Mitte der 1930er-Jahre ein Freihafenlager auf dem Kehrwieder.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten änderte sich das Leben des Ehepaares Boas gravierend. Friederike Boas schilderte dies nach 1945 wie folgt: "Seit dem Jahre 1933 hatte das Geschäft meines Mannes sehr gelitten, ein starker Rückgang war die Folge und er stand infolge der Judenfeindlichkeit der Hitler-Regierung unter starken Depressionen". Bis zum Jahre 1933 betrug der Bruttoverdienst ca. 25.000 RM. Wir wissen nicht, ob das Unternehmen vom Boykott am 1. April 1933 betroffen war, doch zeitgleich wurden auch Verbände gleichgeschaltet, darunter der Verein Hamburger Spediteure, der sich in "Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei" umbenannte. Ende August 1938 wandte sich die "Reichsverkehrsgruppe" an den Oberfinanzpräsidenten und bat um Aufklärung, "ob die Spediteure, die von den Nationalsozialisten als nicht arisch betrachtet wurden, eine allgemeine Devisengenehmigung besaßen". Es folgte eine Aufzählung von dreizehn Speditionen, zu denen auch Richard Boas & Co gehörte. Alle Firmen erhielten nun Post der "Reichsverkehrsgruppe". Sie sollten die Vermögensverhältnisse, Bilanzen sowie die privaten Verhältnisse der Bevollmächtigten und Geschäftsführer offenlegen. Die Firma Boas brachte die erforderlichen Unterlagen bei, die Inhaber äußerten sich jedoch nicht zu den privaten Verhältnissen, damit stellten sie eine Ausnahme dar.

Das Ergebnis dieser "Umfrage" fasste die "Reichsverkehrsgruppe" am 27. Februar 1939 in einem Bericht mit der Überschrift "Entjudung Hamburger Speditions-Firmen, mit ausländischen jüdischen Inhabern" an den Oberfinanzpräsidenten zusammen. Dort heißt es unter anderem: "Der Inhaber dieser Firma, Herr Boas, ist Amerikaner und hat es bisher abgelehnt, diese Firma arisieren zu lassen". Zwischenzeitlich war aber der Bremer Filialleiter Fischer Senior als Inhaber eingesetzt worden, die "Arisierung" war somit vollzogen.

Parallel zum Speditionsgeschäft hatte Ludwig Boas Ende der 1920er-Jahre die Firma Alberts Remedy Company mbH gegründet, die mit pharmazeutischen Präparaten handelte.

Ab 1937 konnten die Devisenstellen beim Oberfinanzpräsidenten bei Verdacht auf Vermögensverschiebungen, Konten sperren. Diesen Verdacht hegten sie fast regelmäßig bei jüdischen Firmen, die grenzüberschreitend handelten. Da Ludwig Boas Amerikaner war, fiel seine Firma nicht unter die ab Januar 1939 zu schließenden oder zu "arisierenden" Betriebe. Aber Mitte Mai 1941erhielt er ein Schreiben des Oberfinanzpräsidenten, der ihm Auflagen erteilte. Vermutlich handelte es sich darum, dass eine "Sicherungsanordnung" erlassen werden sollte. Ludwig Boas wandte sich an das amerikanische Generalkonsulat zwecks Beratung. In Beantwortung des Schreibens fragte er am 27. Mai 1941 beim Oberfinanzpräsidenten an, "aufgrund welcher Verordnung oder Paragraphen die Auflage ergehen solle. Oder ob es sich um Diskriminierungen gegen eine gewisse Bevölkerungsgruppe handelt". Gleichzeitig verwies er darauf, "dass die deutschen Handelsverträge eine Diskriminierung noch immer verbieten". Zudem ließ er den Oberfinanzpräsidenten wissen, "dass der Reichsstatthalter derartige an mich gerichtete Auflagen alsbald zurückgenommen hat, da sie unter falschen Voraussetzungen erfolgt sind". Aus einem handschriftlichen Vermerk der Behörde vom 5. Juni 1941 geht hervor, dass von einer "Sicherungsanordnung" abgesehen wurde.

Wenige Monate später begannen mit dem Transport am 25. Oktober 1941 die Deportationen der Hamburger Juden Richtung Osten. Die Brüder Boas als jüdische US-Bürger waren davon nicht betroffen. Ludwig genoss zudem den Schutz einer Ehe mit einer Nichtjüdin.
Doch nach dem Kriegseintritt der USA am 11. Dezember 1941 galten die Brüder Boas als feindliche Ausländer. Ludwig Boas wurde einen Tag später "aus der Badewanne heraus verhaftet", wie seine Frau später berichtete, und in das Polizeigefängnis Hütten in der Neustadt verbracht. Das alte Gefängnis war inzwischen erweitert worden und diente zur Inhaftierung politischer Gegner.
Nach vierwöchiger Haft wurde Ludwig Boas in ein Internierungslager nach Laufen/Oberbayern verlegt. Hier waren zunächst englische und amerikanische Offiziere interniert worden, nun wurde es mit englischen und amerikanischen Zivilisten belegt. Infolge der Haft erkrankte Ludwig Boas schwer und wurde in das Krankenhaus von Laufen verlegt. Friederike Boas erfuhr aus einem Telegramm von der Erkrankung ihres Mannes und reiste nach Bayern. Dank ihrer Anwesenheit und Pflege erholte sich Ludwig Boas, sehr zur Verwunderung der Ärzte, zusehends. Nach seiner Gesundung wurde er entlassen und in Hamburg unter Aufsicht der Gestapo gestellt. Friederike Boas wurde nach eigener Aussage mehrfach bedrängt, doch endlich die Wohnung zu verlassen und in das "jüdische Viertel" umzuziehen.

Diese dramatischen Umstände führten zu Ängsten und Depressionen. Ludwig Boas sah für sich keinen Ausweg mehr, er setzte seinem Leben am 22. August 1942 in seiner Wohnung ein Ende. Dort fand ihn seine Frau.

Nach Überstellung des Leichnams in die Pathologie des Hafenkrankenhauses, stellte der zuständige Pathologe Koopmann fest: "Mann 176 cm groß, ca. 56 kg schwer, Leiche eines alten Mannes" und er vergaß nicht zu erwähnen: "große gebogene Nase (Judennase)". Die Genehmigung zur Bestattung erfolgte am 26. August 1942. Die Urnenbeisetzung fand jedoch aus unbekannten Gründen erst am 20. April 1943 auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt.

Die Nationalsozialisten ließen nicht locker. Sie setzen den neuen Inhaber namens Fischer Senior bei Richard Boas & Co., weiter massiv unter Druck, da dieser es ablehnte, den Firmennamen zu ändern. Selbst der Reichsstatthalter schaltete sich ein (Januar 1944) und monierte bei seinen Beamten, "wieso bisher nichts geschehen sei ?" Die finanzielle Lage der Spedition war schlecht, es arbeiteten dort nur noch drei Angestellte, von ehemals dreizehn, doch immerhin bestand sie noch.

Richard Boas war mit Edith, geb. Bucknam, verheiratet. Tochter Gertrud(e) kam am 9.6.1895 in New York/USA zur Welt. Sie heiratete später am 26. September 1914 in Hamburg den Amerikaner Frederick Irving Blake, geb. 12.12.1879 in Searsport/USA als Sohn von Daniel Henry und Emma Nora, geb. Ford. Er arbeitete als Geschäftsführer. Das Ehepaar pendelte zwischen den USA und Europa (Hamburg) hin und her. Während ihrer Aufenthalte in Hamburg wohnten sie u.a. in der Eppendorfer Landstraße, bei den Eltern von Gertrud in der Parkallee und Ende 1914 im Hotel Atlantic. Rechtzeitig zur Geburt ihrer Tochter Mildred, am 8.9.1915, reisten sie in die USA. Zwei Jahre später kam Sohn Frederick am 4.10.1917 in New York/USA zur Welt. Die Hausmeldekartei gibt Auskunft darüber, dass das Ehepaar sich zuletzt vom Mai bis Oktober 1921 in Hamburg aufhielt, über spätere Aufenthalte fanden sich keine Hinweise.

Richard Boas verstarb vermutlich Mitte/ Ende der 1930er-Jahre infolge seelischer Aufregungen, bedingt durch die Verfolgungsmaßnahmen. Über den weiteren Lebensweg der Witwe Edith Boas fanden sich keine Spuren. Möglicherweise zog sie zur Familie in die USA.
In seinem Testament setzte Richard Boas die Tochter Gertrud als Erbin des Grundstücks in der Schauenburgerstraße 14 ein. Dazu stellte im September 1942 der "Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens" fest, dass sich das Grundstück "im feindlichen Eigentum" befände. Sodann wurden die Gerichte bemüht. Das Hanseatische Oberlandesgericht entschied im Oktober 1942, das Grundstück unter "Verwaltung" eines Rechtsanwaltes zu stellen. Das "Richardhaus" wurde während des Krieges komplett zerstört.

Nach 1945 – die Firma existierte immer noch – bezog sie neue Büroräume im Levantehaus Mönckebergstraße, später wechselte sie in die Straße Raboisen. Anfang der 1970er-Jahre übernahm Fischer Junior die Geschäfte. Bis zur Insolvenz Anfang der 1990er-Jahre logierte die Spedition in der Pelzerstraße.

Friederike Boas verstarb am 8. April 1948 in Hamburg. Am 21. April 1948 wurde ihre Urne in der Grabstelle ihres Mannes beigesetzt. Als Erbin setzte sie ihre Nichte Anna Maria Margot Adrian, geb. Klingelhöfer, ein. Margot Adrian war am 22.4.1900 als Tochter der Kassiererin Margaretha Klingelhöfer in Altona zur Welt gekommen. Über ihren weiteren Lebensweg und den ihrer Mutter fanden sich keine Hinweise. Margot heiratete zu einem unbekannten Zeitpunkt den Altonaer Hermann Adrian, später lebte das Ehepaar in Grumberghoven/Köln. Dort starb Margot Adrian am 19. Juni 1986.

Stand Mai 2016

© Sonja Zoder

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 232-5 Amtsgericht Hamburg – Vormundschaftswesen 2398; 314-15 OFP Oberfinanzpräsident R 1939-2314, Band 3/ R 1941/103; 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1-1607; 332-5 Standesämter 13459-1141/1900 Altona, 8698-355/1914, 6614-797/1923, 8180-436/1942; 332-8 Meldewesen 741-4 K 4247; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 2611, 54598; AB Altona und Hamburg; Hamburger Friedhöfe, Beratungszentrum Ohlsdorf Mail von Manuela Ehrhardt am 8.3.2016; Franz Determann Mail vom 1.4.2016; URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Großneumarkt; https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Fuhlsbüttel; https://de.wikipedia.org/wiki/Laufen_(Salzach); https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg jeweils am 11.01.2016. Der ehemalige Mitarbeiter in Bremen, Franz Determann, überließ uns freundlicher Weise obige Visitenkarte.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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