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Martin Cobliner
© Yad Vashem

Martin Cobliner * 1892

Grindelallee 81 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
MARTIN COBLINER
JG. 1892
OPFER DES POGROMS
10.11.1938

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 81:
Alma Israel, Chaim David Kellmann, Leni Evi Kellmann, Rosa Emma Kellmann

Der "Selbstmord" des Martin Cobliner
von Jürgen Sielemann

[Der nachstehende Beitrag ist erschienen in Ursula Warmser und Wilfried Weinke "Eine verschwundene Welt - Jüdisches Leben am Grindel" zu Klampen Verlag 2006 - siehe Literatur]

Musik wurde in vielen jüdischen Haushalten Hamburgs großgeschrieben. Konzertbesuche und häusliches Musizieren gehörten zu den bevorzugten Freizeitaktivitäten; Eltern sorgten dafür, dass ihre Kinder das Spielen auf einem Instrument erlernten.

Martin Cobliner, ein geschätzter Klavierlehrer, bewohnte seit März 1937 als Untermieter des Arztes Dr, Salomon Klein ein Zimmer im dritten Stock des Hauses Grindelallee 81.1) Um 1921 war Martin Cobliner nach Hamburg übergesiedelt, hatte dort zunächst als kaufmännischer Angestellter gearbeitet und besaß seit 1925 einen Gewerbeschein als Musiklehrer. Die Gewerbepolzei vermerkte damals, dass er keine Musikschule betreiben, sondern sich der "Ausbildung für Private" widmen wolle.2)

Über Martin Cobliner, der am 9.12.1892 als Sohn von Isaac und Ottilie Cobliner in Posen geboren wurde, ist ansonsten sehr wenig bekannt. Laut Reisepassprotokoll war er von mittlerer Statur, dunkelblond und hatte blaue Augen.3)

Als Hamburger Gestapo- und Kriminalbeamte am 10. November 1938 früh morgens ausschwärmten, um so viele "gesunde männliche Juden nicht zu hohen Alters" zu verhaften, als in den Hafträumen untergebracht werden konnten,4) stürmten zwei Kriminalbeamte in den dritten Stock des Hauses Grindelallee 81, um den Arzt Dr. Klein festzunehmen. Am selben Tag erstatteten sie den folgenden Bericht:5)

"Auftragsgemäß sollte am heutigen Tage um 7.15 Uhr der in der Liste unter Nr. 381 aufgeführte Dr. med. Salomon Klein, geb. 3.12.98 in Chrzanow, wohnhaft Grindelallee 81 III., durch die Kriminalobrassistenten Balhorn und Heck festgenommen werden. Es stellte sich jedoch heraus, daß Klein schwer nervenkrank war, und [es] wurde deshalb von einer Festnahme abgesehen. Bei der vorgenommenen Haussuchung wurde eine Wohnungstür verschlossen vorgefunden, bei der der Zimmerschlüssel von drinnen aufsteckte. Auf Befragen erklärte Frau Klein, daß dieses Zimmer an den ledigen Musiker und Juden Martin Cobliner, geb. 9.12.1892 in Posen, wohnhaft seit dem 2.3.1937 in der gleichen Wohnung, vermietet sei.

Frau K. konnte jedoch nicht angeben, ob C. sich noch auf dem Zimmer befand oder ob er bereits (wie fast jeden Morgen) zur Synagoge gegangen war.

Von uns wurde nunmehr laut das Öffnen der Tür verlangt. Trotz mehrmaliger Aufforderung, auch durch Frau Klein selbst, wurde jedoch nicht geöffnet, im Gegenteil, es wurde bemerkt, wie der Schlüssel von drinnen nochmals umgedreht wurde. Es war somit offensichtlich, daß C. nicht öffnen wollte. Nach nochmaliger und mehrfacher Aufforderung, das Zimmer zu öffnen, wurde durch Frau Klein eine kleine, etwa 10 cm große Scheibe über dem Türdrücker eingeschlagen.

Wir öffneten nunmehr die Tür und stellten fest, daß Cobliner bereits aus dem Fenster gesprungen war. Er war nur leicht bekleidet. Durch das 25. Revier wurde sofort die Krankentransportkolonne verständigt, die C. in das Hafenkrankenhaus überführte.

Lebenszeichen gab C. nicht mehr von sich. Wie vom Hafenkrankenhaus mitgeteilt wurde, war Cobliner bei seinem Eintreffen dort bereits verstorben. Eine vorgenommene Durchsuchung des Zimmers ergab nichts Belastendes. Ein Meldeschein des C. wurde vorgefunden und ist dem Bericht beigefügt. Das Zimmer wurde verschlossen und versiegelt (Schlüssel liegt dem Bericht bei). Weitere Ermittlungen über den Selbstmord des C. konnten auf Grund [von] Mangel an Zeit nicht getroffen werden. Kriminalkommissar Struwe wurde fernmündlich sofort in Kenntnis gesetzt."


Seit Februar 2003 erinnert in der Grindelallee 81 ein "Stolperstein" an Martin Cobliner.

© Jürgen Sielemann

1) Einer seiner besonders begabten Schüler war Manfred van Son (geb. 1916). Vgl. Jürgen Sielemann, Aber seid alle beruhigt. Briefe von Regina van Son an ihre Familie 1941-1942, mit einem Vorwort von Miriam Gillis-Carlebach. Hamburg 2005, S. 39.
2) Staatsarchiv Hamburg (im Folgenden StHH), Meldewesen, A 24 Bd. 274, Nr. 21750, Reisepassprotokoll 1922; StHH, 376-2 Gewerbepolizei, Zentralgewerbekartei 1915-1930).
3) StHH, 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 326, Nr. 13279, Reisepassprotokoll 1925.
4) So lautete der um 1.20 Uhr der Gestapo übermittelte Befehl Reinhard Heydrichs. Vgl. Jürgen Sielemann, Fragen und Antworten zur "Reichskristallnacht" in Hamburg. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. 83/1. Hamburg 1997, S. 497.
5) StHH, 331-3 Polizeibehörde - Unnatürliche Sterbefälle, 1939/170.

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