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Julius Cohn * 1896

Grindelhof 64 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JULIUS COHN
JG. 1896
DEPORTIERT 1941
MINSK
???

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 64:
Ernst Reinhold Ascher, Nanni Ascher, Chana Ascher, Carl Cohn, Carmen Cohn, Hans Cohn, Gertrud Ehrenberg, Inge Ehrenberg, Lotte Ehrenberg, Blanka Ehrenberg, Manfred Lewinsohn, Richard Lewinsohn, Max Renner

Carl (Karl) Cohn, geb. am 9.7.1858 in Nordhausen, am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort am 25.7.1942 gestorben
Julius Cohn, geb. am 23.9.1896 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet
Carmen Cohn, geb. Wagner, geb. am 14.8.1896 in Sevilla, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet
Hans Cohn, geb. am 26.5.1925 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, dort ermordet

Grindelhof 64

Der Kaufmann Carl Cohn war der Sohn von Julius und Fanny Cohn, geborene Cahn, und in zweiter Ehe verheiratet mit der aus einer katholischen Familie stammenden Rosa, geborene Burger, geboren am 25. Januar 1871. Carl Cohn war Mitinhaber der Firma Cohn & Bundheim, Elfenbein-Makler. Er und Rosa hatten zwei Kinder: Julius und Margarethe, geboren am 5. September 1898.

Julius, der nach seinem Großvater hieß, war mit Carmen, geborene Wagner verheiratet und zunächst in der Firma seines Vaters ebenfalls als Elfenbein-Makler tätig. Seit 1930 allerdings wurden keine nennenswerten Einnahmen mehr verbucht. Deshalb bat er bei der Wohlfahrtsbehörde um Unterstützung für die Ernährung des kranken Sohnes Hans, sowie um Schuhwerk und einen Anzug. Die Behörde tat sich schwer, aber kleine Beiträge für den Lebensunterhalt gewährte sie. Julius Cohn jr. wurde 1932 denunziert, Nebeneinkommen als Kellner in einem Restaurant trotz Unterstützung durch die Wohlfahrtsbehörde zu erzielen. In Ochsenzoll sollte er darüber hinaus im Sommer 1932 im Wahlkampf für die Deutsche Staatspartei Nebeneinnahmen gehabt haben. Die durch Fusion der ursprünglich linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mit der konservativ-antisemitischen Volksnationalen Reichsvereinigung entstandene Partei hatte sich im Wahlkampf 1930 formiert. Ihr erster Vorsitzender in Hamburg, Curt Platen (Senator für Arbeit seit 1929), stellte gegenüber Paul Neumann (seit 1925 Senator für Wohlfahrt) richtig, dass die Spesen, die Julius Cohn erhalten hatte, kein "Verdienst in nennenswerter Höhe" gewesen seien. Für die Miete (60 Reichsmark [RM] monatlich) übernahm die Staatspartei eine Bürgschaft, außerdem übernahm sie die Begleichung der Mietschulden. Ob Julius Cohn Mitglied der Staatspartei war, lässt sich nicht belegen, weil Mitgliederlisten aus jener Zeit spätestens 1933 vorsorglich vernichtet wurden. Bemerkenswert erscheint immerhin, dass sich der Vorsitzende der Partei für Julius Cohn einsetzte. Da Cohns Ehefrau Carmen evangelisch war, lehnte die Jüdische Gemeinde jede Unterstützung ab. Am 14. April 1936 erklärte Julius Cohn seinen Austritt aus der Jüdischen Gemeinde und beantragte die Anerkenntnis als "Mischling" wegen seiner katholischen Mutter Rosa. Diese galt als "Volljüdin", obwohl sie erst bei der Eheschließung zum jüdischen Glauben übergetreten war. Der 40-jährige Wohlfahrtsempfänger Julius Cohn wurde seit Beginn der NS-Herrschaft mit körperlich schwerer Pflichtarbeit belegt, die an wechselnden Arbeitsstellen zu leisten war. Seit 1935 waren Arbeitsplätze speziell für jüdische Unterstützungsarbeiter eingerichtet worden. In Waltershof mussten sie auf einem Schlickfeld arbeiten, um Sport- und Spielplätze für eine Kindertageskolonie und ein Kleingartengelände anzulegen. Außerdem forderte die Wohlfahrtsbehörde noch bis in den Sommer 1941 hinein die Rückzahlung der von 1930 bis 1936 gewährten Unterstützung.

In der Fürsorgeakte Julius Cohns befindet sich ein Schreiben von ihm an den Reichsstatthalter Karl Kaufmann vom 16. April 1936:
"Ich erlaube mir nachstehende Beschwerde zu überreichen: Ich bin Wohlfahrtsempfänger der Wohlfahrtsstelle XIII unter der Aktennummer C 2857 Bezirk 323. Ich wurde für den heutigen Tag bestellt, um eine weitere Arbeitskarte für Pflichtarbeit entgegenzunehmen. Nachdem ich bereits im vergangenen Jahr eine Arbeitskarte auf dem Flughafen durchgemacht hatte, erkrankte ich an Ischias und wurde erst jetzt gebessert vom Arzt entlassen. Nunmehr bin ich in der Lage wieder Pflichtarbeit zu leisten. Nun wurde mir heute eine Arbeitskarte für Waltershof gegeben, trotzdem ich dem Beamten erklärte, dass ich Mischling sei mit einem vollarischen Grosselternpaar mütterlicherseits. Außerdem habe ich schon nach den Ausführungsbestimmungen im Flughafen vorübergehend bis zu meiner Wiedererkrankung weiter gearbeitet. Auf meinen Einspruch in Waltershof zu arbeiten wurde mir der Bescheid, dass so entschieden sei und ich dort arbeiten müsste. Man sagte mir zwar, dass ich solange im Flughafen weiter arbeiten sollte, bis ich den Nachweis der Rassenabstammung erbracht habe. Ich erlaubte mir dem Beamten gegenüber die höfliche Frage, wer denn die Kosten für die Besorgung übernimmt, denn bei dem Unterstützungssatz von Reichsmark 17.– pro Woche für mich, meine Frau und mein Kind sei ich leider nicht in der Lage diese Kosten zu tragen. Darauf erwiderte der Beamte: Ich sollte nicht auf Kosten der Wohlfahrt reisen.

Hierin sehe ich eine Beleidigung, denn ich bin nicht durch eigene Schuld zur Wohlfahrt gekommen, sondern durch die gemachte Inflation, die meinen Vater das Vermögen kostete und mir den Anteil. Die Worte des Beamten sind für mich umso kränkender, als ich mir dies als alter Frontkämpfer sagen lassen musste. Ich machte den Beamten darauf aufmerksam, worauf ich die Antwort erhielt: – Die Frontkämpfer müssen sich noch ganz etwas anderes sagen lassen –. Hierauf war es mir nicht mehr möglich mit dem betreffenden Beamten zu verhandeln und ich verließ die Geschäftsräume."

Julius Cohn bat Kaufmann, die Sache zu prüfen und nach Möglichkeit zu beschleunigen. Allerdings rechnete er damit, dass seine Zahlkarte "am Donnerstag, dem 16. des Monats gesperrt sein" würde. Die Akte erhält den Vermerk: "an Sonderdienststelle B–900", was auf weitere Separierung der jüdischen Wohlfahrtsempfängerinnen und -empfänger und auf "Pflichtarbeit" hindeutet.

Fünf Jahre später, am 8. November 1941, wurden Julius, seine Frau Carmen und ihr Sohn Hans nach Minsk deportiert und ermordet.

Julius Cohns Vater Carl und dessen Ehefrau Rosa lebten inzwischen in einem Stift in der Bogenstraße 65 für eine wöchentliche Miete von 4,50 RM. Rosa Cohn starb, 71-jährig, am 22. April 1942. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau, am 19. Juli 1942, wurde der mittlerweile 83-jährige Carl Cohn nach Theresienstadt deportiert und starb dort sechs Tage später, am 25. Juli 1942.

Stand: Juli 2017
© Dieter Wolf

Quellen: 1; 5; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten 1047; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Band 5; Digitales Archiv IST Bad Arolsen, Teilbestand: 1.2.1.1. Dok. ID 111197709, 11197724, 11197726, 11198006 Transportlisten Gestapo; Teilbestand 1.1.42.2. Dok. ID 4966731; Meyer: "Jüdische Mischlinge", S. 96–113; Lohalm: Völkische Wohlfahrtsdiktatur, S. 403–409; https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Senat_1919–1933, (letzter Aufruf: 28.11.14); Auskunft von Dr. J. Froelich, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus, Gummersbach, am 18.11.2014.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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