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Minna Armherr (geborene Jacobsohn) * 1884

Fuhlentwiete 3 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
MINNA ARMHERR
GEB. JACOBSOHN
JG. 1884
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Minna Armherr, geb. Jacobsohn, geb. am 20.4.1884 in Inowroclaw/Hohensalza, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Fuhlentwiete 3 (Fuhlentwiete 39)

Minna Armherr kam 1924 nach Hamburg. Sie gab ihre Wohnung in Berlin-Schöneberg in der Heilbronnerstraße 30 auf und zog zu ihrer Schwester Dorothea Mietlicki, geb. Jacobsohn (geb. 10.4.1879), in die Rothenbaumchausee 27. In Berlin hatte die damalige Geschäftsinhaberin am 10. Dezember 1918 den Kaufmann Johann Josef Armherr (geb. 29.7.1889 in Aachen) geheiratet. Josef Armherr war katholischer Konfession und wohnte damals in Berlin-Wilmersdorf in der Uhlandstraße 73. Er arbeitete als Kunsthändler und war beruflich viel im Ausland unterwegs. So lebte das kinderlose Ehepaar, von gelegentlichen Besuchen abgesehen, räumlich getrennt. Zu ihrem Entschluss nach Hamburg zu ziehen, mag beigetragen haben, dass auch ihre Brüder, Leo Lesser Jacobsohn (geb. 24.6.1881) und Friedrich Jacobsohn (geb. 29.8.1889) in Hamburg lebten. Sie waren ebenfalls mit nichtjüdischen Ehepartnern verheiratet und in der Gastronomie tätig.

Minna Armherrs Eltern, der Glasermeister Georg Jacobsohn und Helene, geb. Marcus (geb. 10.4.1863), stammten beide aus Inowroclaw. In der preußischen Provinz Posen kamen auch ihre Kinder zur Welt. 1904 erhielt die Stadt den deutschen Ortsnamen Hohensalza. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte sie dann zu Polen und hieß wieder Inowroclaw. 1939 von den Deutschen annektiert, wurde sie erneut in Hohensalza umbenannt (heute Inowrocław/Polen). Der Vater Georg Jacobsohn starb in seiner Heimat, die Mutter Helene Jacobsohn folgte ihren Kindern später nach Hamburg, wo sie am 4. März 1939 verstarb.

Minna Armherr, die eine kaufmännische Ausbildung durchlaufen hatte, meldete am 25. Oktober 1924 in Hamburg in der Großen Theaterstraße 37 ein Gewerbe als Gastwirtin an. Ihr Bruder Leo Lesser Jacobsohn betrieb in der Kleinen Theaterstraße 8 die Bierstube "Zur Eule" und später in der Großen Theaterstraße 41 den "Rochus-Keller". Der jüngere Friedrich Jacobsohn, seit 1920 mit Gertrud Zierau (geb. 11.2.1893) verheiratet, war Gastwirt in der Eiffestraße 17 in Hamburg Borgfelde-Hamm. Gastronom war auch der Schwager Miczislaus Mietlicki (geb. 18.10.1879 in Miłosław), der 1916 die älteste der Geschwister, Dorothea geheiratet hatte.

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise geriet Minna Armherr Ende 1928 mit ihrem Lokal in finanzielle Schwierigkeiten, das Inventar wurde gepfändet und das Geschäft geschlossen. Noch im selben Jahr, im Dezember, übernahm sie mithilfe ihres Schwagers Miczislaus Mietlicki, der zu diesem Zeitpunkt ein Lokal in den Colonnaden 37 betrieb, die Wirtschaft zur "Glocke" in der Fuhlentwiete 39. Im folgenden Jahr bezog sie dort eine Wohnung in der vierten Etage. In der 60 qm großen, im altdeutschen Stil eingerichteten Gaststätte wurden zwei Kellner, eine Buffetdame, Spüljungen, ein Koch, zwei Beiköche und mehrere Küchenhilfen angestellt. Der Betrieb lief von morgens 10 Uhr bis spätnachts. Durchgehend wurden warme und kalte Speisen angeboten, die Hühnerbrühe früh am Morgen wurde zur Spezialität des Hauses. 1933 bewohnte Minna Armherr die erste Etage in der Fuhlentwiete. Wie sie die ersten fünf Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erlebte, ob sie von Beginn an von Diskriminierungen und Boykottmaßnahmen betroffen war, darüber liegen keine Berichte vor.

Im Oktober 1938 wurde Minna Armherr zur Aufgabe des Lokals gezwungen, das sie zehn Jahre betrieben hatte. Da aber ein Nachfolger den Kaufvertrag nicht erfüllt haben soll, kam es nicht zum Verkauf und somit nicht zur "Arisierung". In den Hamburger Adressbüchern der folgenden Jahre war in der Fuhlentwiete 39 keine Gastwirtschaft mehr verzeichnet, im Krieg wurde das Gebäude durch Bomben zerstört. Nach erzwungener Geschäftsaufgabe zog Minna Armherr zunächst zu ihren Brüdern in die Schlüterstraße 22. Sie bemühte sich um die Erlaubnis, eine Speisewirtschaft mit Ausschank von alkoholfreien Getränken in der Grindelallee 188, Ecke Hallerstraße, zu eröffnen. Aber angeblich entsprachen die Räumlichkeiten nicht den polizeilichen Anforderungen, ihr Antrag für einen "Mittagstisch für Juden" wurde am 17. November 1939 abgelehnt. Vielleicht lebten sie nun von finanziellen Rücklagen, denn auch das Geschäft ihres Bruders Leo Lesser war geschlossen worden, er hatte zuletzt ein Restaurant in der Fröbelstraße 12 im Stadtteil Rotherbaum besessen. Am 7. November 1938 starb Leo Lesser Jacobsohns Ehefrau Minna Louise, geb. Bramstedt (geb. 12.9.1886), an Leukämie. Sie hatten 1927 in Hamburg geheiratet. Mit ihrem Tod verlor er den Status einer "Mischehe", die ihn später vor einer Deportation in den Osten geschützt hätte. Auch für seine Schwester Minna Armherr gestaltete sich die Situation äußerst ungünstig, da ihr Ehemann Josef Armherr seinen deutschen Wohnsitz aufgegeben hatte, seitdem er seit 1935 in London lebte. Ob Minna Armherr zu irgendeinem Zeitpunkt versuchte, Deutschland zu verlassen, ist nicht bekannt. Ihr Bruder Leo Lesser Jacobsohn wurde am 8. November 1941 ins Getto Minsk deportiert. Für ihn wurde ein Stolperstein in der Schlüterstraße 22 verlegt (s. www.stolpersteine-hamburg.de). Minna Armherr wohnte dann wieder in der Rothenbaumchausee 27 bei ihrer Schwester Dorothea Mietlicki, die seit 1934 verwitwet war. Am 6. Dezember 1941 wurde Minna Armherr nach Riga-Jungfernhof deportiert.

Ihr Bruder Friedrich Jacobsohn war durch seine nichtjüdische Ehefrau zunächst noch vor der Deportation geschützt. Er wurde zum "Arbeitseinsatz" als Luftschutzwart in der Firma Kleemann & Co. in Billstedt dienstverpflichtet. Im April 1942 musste das Ehepaar seine Wohnung in der Schlüterstraße aufgeben. Nur wenige Monate nach ihrem erzwungenen Umzug in die Hansastraße 64 verstarb Friedrich Jacobsohn am 21. August 1942 an einer Lungentuberkulose. Auch Dorothea Mietlicki musste ihre Wohnung in der Rothenbaumchausee verlassen. Sie starb am 17. März 1943 in Hamburg, nach dem Eintrag im Sterberegister in ihrer Wohnung in der Schäferkampsallee 25/27, wo sich jedoch das Israelitische Krankenhaus befand. Friedrich Jacobsohn und Dorothea Mietlicki fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf.

Josef Armherr ging 1948 in London eine zweite Ehe ein, er verstarb am 17. Mai 1951 in Bedford County in den USA.

Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 6; 9; StaH 351-11 AfW 14736 (Armherr, Zosia); StaH 351-11 AfW 7345 (Armherr, Minna); StaH 351-11 AfW 11922 (Armherr, Josef); StaH 351-11 AfW 15205 (Jacobsohn, Gertrud); StaH 332-5 Standesämter 3284 u 396/1916; StaH 332-5 Standesämter 3368 u 445/1920; StaH 332-5 Standesämter 3548 u 43/1927; StaH 332-5 Standesämter 8125 u 520/1934; StaH 332-5 Standesämter 8153 u 527/1938; StaH 332-5 Standesämter 8164 u 102/1939; StaH 332-5 Standesämter 8180 u 396/1942; StaH 332-5 Standesämter 8185 u 160/1943; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; Meyer: Verfolgung, S. 79–87, S. 202; https://de.wikipedia.org/wiki/Inowrocław (Zugriff 16.4.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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