Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Helga Dietz * 1937

Geesmoor 21 (Hamburg-Nord, Groß Borstel)


HIER WOHNTE
HELGA DIETZ
JG. 1937
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM SPIEGELGRUND
"KINDERFACHABTEILUNG
ERMORDET 13.3.1944

Helga Dietz, geb. am 1.7.1937, aufgenommen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 4.2.1942, "verlegt" in die "Wagner- von Jauregg- Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" ("Am Steinhof") am 16.8.1943, gestorben am 13.3.1944

Geesmoor 21, Groß Borstel

Helga Dietz war die ältere Tochter der Eheleute Herbert Eduard Johannes Dietz, geb. am 30.11.1908 in Hamburg, und Marie Therese Dietz, geb. Richter, geb. am 11.2.1907. Die Familie wohnte bei Helgas Geburt in der Straße Hammer Deich 143 im Stadtteil Hammerbrook. Zur Familie gehörte auch Marianne, Helga Dietz‘ eineinhalb Jahre jüngere Schwester.

Helga kam im damaligen Diakonissen- und Krankenhaus Bethesda, Burgstraße 39 im Stadtteil Borgfelde, zur Welt. Bei der Geburt wurde das Zentralnervensystem des Mädchens geschädigt. In der Folge litt Helga Dietz an der Little’schen Krankheit, bei der das Gehirn an seiner normalen Entwicklung gehindert wird.

Helga lebte zunächst bei ihrer Familie, doch im Oktober 1941 wandte sich ihre Mutter an die Hamburger Sozialverwaltung mit der Bitte, die Tochter in einem Heim unterzubringen. Helgas Mutter, die lt. Behördennotiz einen überarbeiteten und erschöpften Eindruck machte, gab bei Helgas Aufnahme im Hamburger Jugendheim an, sie habe in der letzten Zeit viele Schwierigkeiten gehabt und sei der Pflege des Kindes körperlich und seelisch nicht gewachsen, zumal sie noch für Helgas jüngere Schwester sorgen müsse. Sie könne Helga bei Besorgungen nicht mitnehmen und auch nicht allein zu Hause lassen. Außerdem sei Helga zu schwer, um sie in den Luftschutzkeller zu tragen. Überdies sei die Wohnung durch Bomben beschädigt worden.

Helga Dietz begann mit einem Jahr zu sprechen, jedoch stotterte sie zeitweise stark, wie das Hamburger Jugendamt festhielt. Als sie drei Jahre alt war, habe sie alles verstanden, galt als gutmütig und anhänglich. Sie konnte auch anzeigen, wenn sie zur Toilette musste. Der Arzt des Jugendamtes fasste den Bericht über Helga wie folgt zusammen: "Es besteht eine Intelligenzminderung im Grade einer Debilität. Das Kind ist sicher förderungsfähig und wird meines Erachtens später auch hilfsschulfähig werden, erschwerend ist nur seine motorische Ungeschicklichkeit und Unruhe. Charakterlich ist das Kind ebenfalls nicht grob schwierig".

Am 4. Februar 1942 erfolgte Helgas Aufnahme in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf). In den gut 18 Monaten, die Helga Dietz in den Alsterdorfer Anstalten lebte, wurden nur zwei kurze Berichte über ihre Entwicklung angefertigt. Danach war sie "ein großes hageres Kind im geringen Ernährungszustand", habe nur mit Unterstützung gehen und stehen können, ihren Namen und ihr Alter gewusst und dass sie in Groß Borstel gewohnt habe. Im Bilderbuch habe sie fast alle Gegenstände bezeichnen können, sei freundlich und zugänglich, habe schon einen ganz guten Sprachschatz, aber etwas gestottert. Ihr Erfahrungs- und Lebenswissen sei nicht altersgemäß.

Helgas Mutter besuchte ihr Kind in den Alsterdorfer Anstalten. Ein Urlaub nach Hause wurde Helga verwehrt, weil sie gerade Windpocken hatte. Durch die weiteren Kriegsereignisse wurden die unregelmäßigen Besuche der besorgten Mutter gestoppt. Am 1. August 1943 schrieb sie an Schwester Martha in den Alsterdorfer Anstalten: "Leider sind wir gezwungen gewesen wieder aus Hamburg zu flüchten. Unser Heim ist kein Heim mehr. Auf großen Umwegen sind wir Donnerstag wieder bei den Großeltern gelandet, wo wir nun wohl wieder bleiben. Wie geht es Helgali? Liebe Schwester Martha schreiben Sie mir wohl mal wie es Helga geht. Die Sorgen sind jetzt so groß. Mein Schwiegervater hat in [unleserlich, Anm.] auch alles verloren, ich weiß nicht ob er noch lebt. Unser Vati ist in Russland an der Front. Ich kann von hier aus so schlecht was erfahren. Wie ist doch alles grausam. Aber wir sind so machtlos und müssen warten. Hoffentlich geht alles besser als wir denken mit dem Krieg zu Ende. Marianne freut sich, dass sie wieder bei Oma und Opa sein kann. Liebe Schwester Martha grüßen Sie Helgali recht herzlich und sagen Sie ihr sie soll immer schön artig essen, dann kommt Mutti bald wieder. Recht herzliche Grüße" (Unterschrift der Mutter).

Weil die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") Schäden erlitten hatten, bat der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit vier Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" im Rheingau, die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau sowie in die "Wagner- von Jauregg- Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" ("Am Steinhof") verlegt. In dem Transport von 228 Mädchen und Frauen am 16. August 1943 nach Wien befand sich auch Helga Dietz.

Am 17. August 1943 wurde Helga in der Frauenabteilung des Pavillons 24 der "Wagner von Jauregg- Heil und Pflegeanstalt der Stadt Wien" aufgenommen. Dort wurde sie ab sofort im Bett verwahrt.

Am 10. Oktober 1943 schrieb Helgas Mutter nach Wien: " … da sich meine Tochter Helga Dietz aus Hamburg in ihrer Anstalt befindet, möchte ich herzlich darum bitten, ob ich nicht Nachricht bekommen könnte wie es der kleinen Helga geht. Vielleicht könnte ich mich mit der Schwester, die Helga versorgt, in Verbindung setzen. Leider ist es mir unmöglich, Helga persönlich zu besuchen. Erwarte nächsten Monat unser drittes Kindchen. Mein Mann hat leider Gottes sein junges Leben für sein Vaterland lassen müssen. In Hamburg konnten wir Helga oft besuchen, das Kind hing sehr an uns. Nun möchte ich im Sinne meines Mannes für die Kinder weiter sorgen. Wäre Ihnen sehr dankbar, wenn mein Wunsch erfüllt würde."

Helgas Aufnahmediagnose ist in der Antwort vom Arzt Podhajsky an Frau Dietz wie folgt zusammengefasst: "Ihre Tochter wurde am 17.8.1943 in h. o. Anstalt gebracht. Leider handelt es sich um einen hochgradigen Schwachsinn, so dass mit einer Änderung kaum mehr zu rechnen ist. Sie ist leider auch unrein, sehr pflegebedürftig. Vorderhand befindet sie sich dauernd zu Bett."

In der Wiener Anstalt "Am Steinhof" wurden Patientinnen und Patienten systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem durch Nahrungsentzug ermordet. Von den 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf kamen 196 bis Ende 1945 ums Leben.

Helga Dietz starb am 13. März 1944 im Alter von sieben Jahren angeblich an "Bronchopneumonie" (Lungenentzündung).

Nach Erhalt der Todesnachricht ersuchte Helgas Mutter telegrafisch um Einsegnung ihrer Tochter durch einen Pastor und fügte hinzu: "Treffe Donnerstag den 16. März um 8 Uhr 54 in Wien ein – Beerdigungskosten für Helga Dietz trage ich."

Stand: August 2020
© Ingo Wille

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 362; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 283 ff. (darin insbesondere S. 331 ff.); Waltraud Häupl, Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940-1945, Wien 2008, S. 58 f.

druckansicht  / Seitenanfang