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Willy Fürst * 1874

Gehölzweg 8 (Wandsbek, Marienthal)


HIER WOHNTE
WILLY FÜRST
JG. 1874
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
TOT 19.10.1943

Willy Fürst, geb. 28.11.1874, deportiert am 24.3.1943 nach Theresienstadt, dort am 19.10.43 verstorben

Gehölzweg 8 (Waldstraße 8)

In einer ruhigen Straße in Marienthal vor einem Einzelhaus befindet sich ein Stolperstein, der an Willy Fürst erinnert. Er wurde als Sohn der Eheleute Salomon Lipmann Fürst und Hanna, geb. Wolfsohn, in Hamburg geboren.

Er wohnte unter verschiedenen Hamburger Adressen, wie der Roonstraße 13 oder dem Winterhuder Marktplatz, bis er im Oktober 1919 in die Waldstraße 8 nach Marienthal zog. Ende der 1920er Jahre kaufte er das Haus. Fürst bestritt seinen Lebensunterhalt als Kaufmann und Handelsvertreter; die Branche ist unbekannt. Er war mit der 1887 geborenen Hulda, geb. Hoferichter verheiratet. Sie war evangelisch und stammte aus einer nichtjüdischen Familie.

In den Jahren des Ersten Weltkriegs geriet Willy Fürst mit den Beiträgen für die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Rückstand, was auf schwierige wirtschaftliche Verhältnisse schließen lässt. Möglicherweise gehörte er 1920 der Wandsbeker Gemeinde an, ab 1924/25 jedoch war er nach Auskunft des Finanzamtes als Gemeindesteuerzahler gelöscht, d.h. aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten.

Seit 1934 lebten die Eheleute im Grindelviertel, Beneckestraße 22 I, wo sie auch Zimmer vermieteten. Nachdem das neue Fernsprechbuch 1940 erschienen war, erhielt Willy Fürst eine Vorladung von der Kriminalpolizei. Wie etlichen anderen Juden warf man auch ihm vor, er habe den zusätzlichen Zwangsvornamen – "Sara" bei Frauen bzw. "Israel" bei Männern – nicht eintragen lassen. Am 27. Februar 1941 wandte sich der Präsident der Reichspostdirektion mit Sitz am Stephansplatz an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg. Insgesamt sieben Jüdinnen und Juden hatten es unterlassen, "das Fernsprechamt 2 durch die Angabe der jüdischen Vornamen auf ihre jüdische Abstammung rechtzeitig hinzuweisen". Dabei hatte das Fernsprechamt bei der Neuauflage für 1940 – nach eigenen Angaben – sämtlichen Teilnehmern einen Benachrichtigungszettel zugehen lassen. Demnach hätten – wie es hieß – die jüdischen Teilnehmer über ihre Verpflichtung nicht im Zweifel gewesen sein können, die Berichtigung ihres Eintrags in das Fernsprechbuch selbst zu beantragen.

Anfang März gab die Oberstaatsanwaltschaft den Fall Willy Fürst an die Kripo "mit dem Ersuchen, den Beschuldigten verantwortlich zur Sache zu vernehmen." Zudem erging die Anordnung, auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu erfassen.

Nachdem Willy Fürst eine Vorladung erhalten hatte, schickte er dem zuständigen Polizeirevier in der Feldbrunnenstraße 18 eine handgeschriebene Postkarte.

"Leider bin ich nicht im Stande, auf Ihre Vorladung betr. Fernsprecher heute bei Ihnen vor(bei)zukommen, da ich darmleidend bin. Ich bemerke, dass ich seit ... Juli 40 kein Telefon mehr besitze, vielmehr solches auf Namen meiner Frau überschrieben worden ist. Seit dem 28. Februar ist der Fernsprecher meiner Frau genommen worden, da derselbe vom Fernsprechamt ... per 28.2.41 gekündigt worden ist. Sollten Sie noch andere Fragen an mich zu richten haben, bitte ich einen Beamten zu veranlassen zu mir vormittags von 9–1 Uhr zu kommen. Meine Frau war heute Vormittag bei Ihnen, der betreffende Beamte war aber nicht anwesend.
Ganz ergebenst Willy Israel Fürst, Beneckestr. 22 Hamburg d. 7.4.41."

Bereits am nächsten Tag erschien Polizeimeister Müller. Er hielt im Vernehmungsprotokoll fest, dass Fürst kein Kriegsteilnehmer und seit Jahren wegen seiner Krankheit erwerbslos war und von seiner Ehefrau, "die Geld besitzt", unterhalten wurde. Die Eheleute waren kinderlos; Reisepässe hatten sie sich nicht ausstellen lassen. Ganz offensichtlich hegten sie keine Auswanderungspläne. Zur Sache erklärte Fürst: "Ich habe dem Fernsprechamt keine Mitteilung über meinen zusätzlichen Vornamen gemacht, da mir die Bestimmungen nicht bekannt waren. Einen fraglichen ... Benachrichtigungszettel habe ich nicht erhalten. Auch kann sich meine Frau nicht auf eine Benachrichtigung durch die Post entsinnen. Eine böse Absicht meinerseits liegt bestimmt nicht vor, denn ich habe kein Interesse, meinen zusätzlichen Vornamen geheim zu halten."

Im Mai 1941 erging ein Strafbefehl über eine Geldstrafe von 50 RM gegen Willy Fürst. In der Begründung hieß es: "weil Sie ... als Jude deutscher Staatsangehörigkeit fahrlässig nicht im öffentlichen Fernsprechverzeichnis Ihren Vornamen Israel geführt haben, obwohl es im Rechts- u. Geschäftsverkehr üblich ist, den Namen anzugeben." Zudem wurden ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Willy Fürst erhob Einspruch. Als Begründung gab er an, die Zuwiderhandlung sei ihm nicht bewusst gewesen, eine Benachrichtigung habe er nicht erhalten. Weiter führte er aus: "Es ist auch dadurch verursacht, weil mein Name vom Fernsprechamt als arisch angenommen worden ist. Außerdem war es jedes Jahr üblich, dass ich, bevor das neue Verzeichnis gedruckt wurde, eine Postkarte erhielt mit der Anfrage, ob eine Änderung der Anschrift etc. vorgenommen werden soll, auch diese habe ich nicht bekommen. Ich bin mir daher auch nicht bewusst, fahrlässig gehandelt zu haben. Ich bin schon seit 10 Jahren ohne Beschäftigung und bestreite ich meinen Lebensunterhalt durch Vermieten von Zimmern und hatte das Telephon lediglich nur für meine Untermieter gehalten. Ich bemerke noch, dass das Telephon seit dem 1. Juli 1940 auf Namen meiner Frau Hulda, welche arisch ist, umgeschrieben wurde. Ich bitte um Freisprechung, zumal ich im 67. Lebensjahr stehe und auch nicht vorbestraft bin. Hochachtungsvoll Willy Israel Fürst"

Im Juni kam es zu einer öffentlichen Sitzung im Amtsgericht Hamburg unter Landgerichtsrat Dr. Voigt. Fürst gab zu seinen Einkommensverhältnissen an, er würde 50 RM an Mieteinnahmen bekommen.

In der Urteilsbegründung wurde wegen dieser "beschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse", und weil er die Tat zugab, die Geldbuße auf 20 RM gesenkt. Fürst bat nun um Ratenzahlung, die ihm eingeräumt wurde. In der Akte finden sich die Einzahlungsbelege an die Gerichtskasse, Willy Fürst bezahlte seine Strafe und die Gerichtskosten fristgemäß. Seine letzte Adresse lautete Beneckestraße 2–6. Die Häuser des Jüdischen Religionsverbands wurden mittlerweile als sogen. Judenhäuser genutzt, die vor allem ältere Juden beherbergten, bis sie zu einem Transport nach Theresienstadt aufgerufen wurden. Am 24. März 1943 wurde auch Willy Fürst dorthin deportiert. Vielleicht war seine nichtjüdische Frau inzwischen verstorben, vielleicht hatte sie sich von ihm getrennt. Wahrscheinlich traf beides aber gar nicht zu, hatte die Ehe nach nationalsozialistischer Terminologie als "nicht privilegierte" Mischehe gegolten, deren jüdische Ehepartner ohnehin nicht vor einer Deportation geschützt waren.

Willy Fürst wurde am 26. März im Getto Theresienstadt registriert. Er starb dort fast 69-jährig am 19. Oktober 1943.

© Astrid Louven

Quellen: 1; 7; 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen 98/1942; ebd. 332-8 Meldewesen K 4429; AB 1929 II, 1933 VI, 1936 II; RGBl. Teil 1 Nr.130/1938, S. 1044: Verstöße jüdischer Fernsprechteilnehmer gegen die 2. VO zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung v. Familiennamen u. Vornamen vom 17.8.1938; Beate Meyer, Fragwürdiger Schutz, in: dies. (Hrsg.), Verfolgung, S. 79–88, hier: S. 79–82.

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