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Bertha Gangloff (geborene Bloch) * 1904

Marktstraße 5 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
BERTHA GANGLOFF
GEB. BLOCH
JG. 1904
MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1939
RAVENSBRÜCK
"VERLEGT" 30.3.1942
BERNBURG / SAALE
ERMORDET 30.3.1942

Weitere Stolpersteine in Marktstraße 5:
Alice Bloch, Camilla Bloch, Waldemar Bloch, Rosa Bloch, Anni Krümmel

Alice Bloch, geb. 2.8.1917 in Hamburg, inhaftiert am 9.2.1938 im KZ Moringen, verlegt am 21.3.1938 in das KZ Ravensbrück, ermordet am 30.3.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale
Anni (Anna) Krümmel (Krümel), geb. Bloch, geb. 7.10.1912 in Hamburg, verhaftet am 8.8.1938, ermordet am 30.3.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale
Bertha (Berta) Gangloff, geb. Bloch, geb. 22.6.1904 in Berlin, inhaftiert am 9.2.1938 im KZ Moringen, verlegt ins KZ Lichtenburg, verlegt im Mai 1939 ins KZ Ravensbrück, ermordet am 30.3.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale
Camilla (Kamilla) Bloch, geb. 27.3.1914 in Hamburg, inhaftiert am 9.2.1938, KZ Fuhlsbüttel, gestorben am 10.3.1942 (11.3.1942) im KZ Ravensbrück
Rosa (Röschen) Bloch, geb. Itzig, geb. 16.9.1877 in Jastrow, inhaftiert vom 1.7.1937 bis 31.12.1938 in Hamburg, verlegt 1939 ins KZ Fuhlsbüttel, verlegt am 8.4.1939 ins KZ Ravensbrück, ermordet am 1.4.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale
Waldemar Bloch, geb. 25.3.1880 in Frankfurt/Main, verhaftet im Juli 1937, gestorben am 18.3.1940 im KZ Sachsenhausen

Marktstraße 5

Anfang Juli 1937 wurden Rosa und Waldemar Bloch von der Gestapo verhaftet. Am 10. Januar 1938 erging das Urteil gegen die Eheleute "wegen gemeinschaftlicher schwerer Kuppelei in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Beihilfe zur Rassenschande" – so steht es in der auszugsweisen Abschrift des Urteils. Vorausgegangen war, dass sie als Eltern nicht verhindert hatten, dass ihre 35-jährige Tochter Bertha von einem nicht jüdischen Freund in der gemeinsamen Wohnung am Schulterblatt besucht wurde. Bertha und ihre Eltern wurden denunziert. In der Urteilsbegründung wurde darauf verwiesen, dass auch die Töchter Alice, Camilla und Anni sowie der Sohn Walter in Verfahren wegen "Rassenschande" verwickelt seien.

Nach dem Ende der Strafzeit wurden weder Rosa noch Waldemar entlassen, sondern in "Schutzhaft" genommen. Rosa kam über das Konzentrationslager Fuhlsbüttel ins Konzentrationslager Ravensbrück. Dort machte man zwei Gründe für ihre Haft geltend: Sie sei "asozial" und Jüdin. Als sie im April 1939 in Ravensbrück eintraf, war ihre Tochter Alice bereits über ein Jahr in diesem Frauenkonzentrationslager inhaftiert. Fünf Monate später wurde auch Bertha dorthin verlegt. Wann Anni und Camilla in Ravensbrück eintrafen, ist nicht dokumentiert. Zwei Tage nach der Ermordung ihrer Töchter Alice, Anni und Bertha, drei Wochen nach dem Tod ihrer Tochter Camilla, wurde Rosa in Bernburg ermordet.

Das Gedenkbuch des Bundesarchivs verzeichnet als Wohnorte für Rosa, Bertha, Anni und Camilla außer Hamburg auch Prettin. In Prettin lag das Frauenkonzentrationslager Lichtenburg. Berthas Gefangenschaft dort ist dokumentiert. Es ist anzunehmen, dass ihre Mutter und Schwestern in Prettin ebenfalls nicht "gewohnt" haben, sondern im Konzentrationslager inhaftiert waren.

Wie sah das Leben der Familienmitglieder vor deren Inhaftierung aus? Die Mutter Rosa Itzig stammte aus dem damaligen Westpreußen – ihr Geburtsort heißt heute Jastrowie. Sie lebte, als sie ihre erste Tochter Ernestine im Mai 1902 bekam, in Berlin. Im folgenden Jahr heiratete sie Waldemar Bloch. Er hatte die Volksschule bis zur ersten Klasse besucht und war von Beruf Zigarrenmacher. Rosa und Waldemar bekamen ihre erste eheliche Tochter Bertha im Juni 1904 ebenfalls in Berlin. 1906 zogen die Blochs nach Hamburg. Ihr Sohn Reinhold wurde im März 1907 geboren. Es folgten die Kinder Heini (Heinrich) 1908, Elsa (Else) 1909, Walter 1911, Anni 1912, Camilla 1914 und Alice 1917.

Die erste Hamburger Adresse der Blochs lautete im Hamburger Adressbuch von 1907 bis 1910: Waldemar Bloch, Arbeiter, Rademachergang 19. Zwischen 1913 und 1918 wird der Hafenarbeiter W. Bloch im Neuen Steinweg 91 in der Neustadt verzeichnet. Waldemar nahm am Ersten Weltkrieg teil und kehrte schwer beschädigt zurück. Ab 1920 weist das Hamburger Adressbuch den Arbeiter Waldemar Bloch in der Marktstraße 5, Haus 1 nach. Bis 1933 oder 1934 war er als Expedient bei der GEG – der genossenschaftlichen "Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine m.b.H." – beschäftigt. Die GEG wurde von der NSDAP gleichgeschaltet: Am 5. Mai 1933 übernahm der Hamburger Gauinspektor Erich Grahl die Führung der GEG mit absoluten Vollmachten. Waldemar Bloch wurde entlassen, weil er Jude war. Danach fand er nur noch aushilfsweise Arbeit u. a. im "Kaufhaus Wagner" in der Elbstraße und wurde vom Arbeitsamt nicht mehr vermittelt. Kurz vor seiner Verhaftung arbeitete er als Packer.

Tochter Bertha heiratete einen Gangloff, mit dem sie im Juli 1925 in Hamburg ihren Sohn Rolf Fedor bekam. Die Ehe wurde geschieden. Mit ihrem Sohn lebte sie als Untermieterin bei den Eltern auf dem Schulterblatt 75, später in der Hausnummer 83. Der Freund, dessentwegen sie der "Rassenschande" bezichtigt wurde, wurde wegen seiner Beziehung zu Bertha zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Verhaftung ihrer Eltern teilte Bertha die Wohnung mit Rolf, Camilla und Alice. Als die Gestapo die drei Schwestern im Februar 1938 festnahm, lief der 12-jährige Rolf zu seiner Tante Else und erzählte, was passiert war. Sie gab ihn sofort in Pflege. Er wurde später in England adoptiert und lebte seither unter anderem Namen.

Bertha wurde zunächst ins südliche Niedersachsen nach Moringen gebracht. Im dortigen Frauenkonzentrationslager war sie bis zu dessen Schließung im März 1938 inhaftiert und wurde – wie die anderen Gefangenen – in das Frauenkonzentrationslager Lichtenburg bei Torgau überstellt. Vor der Schließung Lichtenburgs am 18. Mai 1939 wurden die inhaftierten Frauen nach Ravensbrück verlegt, wobei Berthas Einlieferung aus dem Konzentrationslager Fuhlsbüttel registriert wurde. Im September 1939 wurde sie nach Hamburg gebracht und kehrte am Ende des Monats nach Ravensbrück zurück. Sie blieb bis zu ihrer Ermordung in der Tötungsanstalt Bernburg in Ravensbrück inhaftiert.

Berthas Schwester Anni hatte eine Putzmacherlehre angetreten. Putzmacherinnen waren als Hutmacherinnen und Schneiderinnen für die modische Aufmachung zuständig. Ihre Schwester Elsa erinnerte sich nicht, ob Anni diese Lehre abschloss. Berufstätig war sie als "Tagfrau", was eine andere Bezeichnung für Hausangestellte war. Anni heiratete einen Krümmel. Sie trat am 28. April 1934 in die Jüdische Gemeinde ein. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits geschieden. Sie hatte keine Kinder. Zunächst wohnte sie in der Vereinsstraße, ab November 1936 bei Lüders – so hieß ihre Schwester Elsa nach der Eheschließung – in der Heinrich-Dreckmannstraße, der heutigen Susannenstraße. Vor ihrer Inhaftierung lebte sie in der Böhmkenstraße 30 in der Hamburger Neustadt. Das Melderegister verzeichnete, dass sie nach dem 8. August 1938 unbekannt verzogen war. Im Wiedergutmachungsverfahren wurde daher angenommen, dass sie an diesem Tag verhaftet wurde. Elsa sagte aus, dass sie für einige Zeit im Konzentrationslager Moringen gefangen war. Sehr wahrscheinlich ist, dass sie mit ihren Schwestern in das Konzentrationslager Lichtenburg und von dort nach Ravensbrück verlegt wurde, bevor sie im März 1942 in Bernburg ermordet wurde.

Camillas Schwester Elsa erklärte in ihrem Antrag auf Wiedergutmachung, Camilla habe keinen Beruf gelernt, "da sie ständig krank war". Sie arbeitete als Hausangestellte und wohnte bis Oktober 1932 in der Innocentiastraße 21. Anschließend schied sie wegen ihres Umzugs nach Blankenese aus der Jüdischen Gemeinde aus. Ab 1934 soll sie wieder bei den Eltern gewohnt haben. In der Urteilsbegründung gegen die Eheleute Bloch stützten sich die Richter im Januar 1938 u. a. darauf, dass Camilla in ein Verfahren wegen angeblicher "Rassenschande" verwickelt sei, in dem ihr Partner zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Kurz darauf wurde Camilla am 9. Februar 1938 gemeinsam mit Bertha und Alice von der Gestapo verhaftet. Ihre Schwester Elsa ging davon aus, dass sie ohne Gerichtsverfahren und Urteil inhaftiert wurde. Sie war zunächst im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, später im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück inhaftiert, wo sie im März 1942 starb.

Jüdische Frauen und Männer wurden zum Teil noch lange nach ihrer Ermordung durch Nationalsozialisten in der Bundesrepublik Deutschland stigmatisiert, wenn sie "Rassenschande"-Vorwürfen ausgesetzt waren. So ließ beispielsweise ein Bearbeiter des Amtes für Wiedergutmachung im September 1962 seiner Phantasie freien Lauf und stellte über Camilla Bloch – ohne sich auch nur auf einen einzigen konkreten Hinweis zu stützen – folgende Vermutung an: "... der Verdacht besteht, dass es evtl. an einem echten Arbeitswillen fehlte (evtl. Gelegenheitsprostitution?)". Erst 1998 hob der Deutsche Bundestag die "Rassenschande"-Urteile auf.

Alice Bloch besuchte die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße von 1924 bis Ostern 1934. Ihr Wunsch war es, Fotolaborantin zu werden. Da sie Jüdin war, bekam sie keine Lehrstelle. Als Arbeiterin hatte sie nur geringe Einkünfte. Einige Zeit wohnte sie in der Glashüttenstraße 26, anschließend auf dem Schulterblatt 85. Alice hatte einen Verlobten. Gegen ihn wurde auf Grund einer Anzeige wegen "Rassenschande" ermittelt. Die Ermittlungen wurden im Dezember 1935 eingestellt. Alice wurde zunächst im Jugendlager Moringen gefangen gehalten und im März 1938 ins Konzentrationslager Ravensbrück verlegt. Das Amt für Wiedergutmachung vermutete später wegen eines Vermerks aus dem Januar 1941 auf ihrer Kultussteuerkarte, dass Alice sich eventuell "nach der Strafverbüßung noch kurze Zeit in Freiheit befunden hat, bevor sie nach Ravensbrück verbracht worden ist". Sie wurde am selben Tag wie ihre Schwestern Anni und Bertha in der Tötungsanstalt in Bernburg mit Gas vergiftet.

Heini wurde erstmals Anfang Oktober 1929 bei der Jüdischen Gemeinde als Bäcker steuerlich veranlagt und zog vierzehn Tage darauf aus der Lerchenstraße 8 nach Berlin. Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Walter wurde 1935 die Eheschließung mit seiner nicht jüdischen Verlobten standesamtlich untersagt und er wurde wegen "Rassenschande" zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Strafe galt im September 1938 als verbüßt. Anschließend überstellte ihn die Gestapo ins Konzentrationslager Buchenwald. Mit der Befreiung des Lagers kam auch er frei. Wenige Monate später heiratete er schließlich seine Verlobte. Der gelernte Filmvorführer Reinhold wohnte bis mindestens 1930 mit seinen Eltern in der Marktstraße 5. Später war er mit einer Christin verheiratet und hatte mit ihr eine siebenjährige Tochter. Am 15. November 1939 stürzte er aus dem 2. Stock seines Hauses auf die Straße. Für die Jüdische Gemeinde starb er schon im Jahr zuvor – im Oktober 1938 notierte sie folgenden kryptischen Vermerk auf seiner Kultussteuerkarte: "Austritt durch Relig. Tod".

Elsa wurde im Dezember 1941 nach Riga deportiert, überlebte das Getto und kehrte nach Hamburg zurück. Von den neun Geschwistern lebten 1950, als ein Antrag auf Wiedergutmachung gestellt wurde, noch Ernestine, Elsa und Walter. Ungeklärt bleibt für uns, wessen Kinder Waldemar Blochs Enkelkinder Helga und Rita waren, zumal uns ihre Nachnamen nicht bekannt sind. Alle beide wurden auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt. Bekannt ist, dass eine Rita Bloch, geboren am 28. April 1932, und eine Helga Bloch, geboren 1929, am 1. November 1941 aus Berlin in das Getto von Lodz deportiert wurden.

© Christiane Jungblut

Quellen: 1; 4; 5; 8; AB 1922; StaH 213-1 OLG, Oberlandesgericht Verwaltung, Abl. 8, 143 E, L 4 a; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 020817 Bloch, Alice; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 160977 Bloch, Röschen; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 250380 Bloch, Waldemar; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 270314 Bloch, Kamilla; StaH 362-6/10, TT 19; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 390 Wählerliste 1930; Gedenkstätte Lichtenburg, AV Li 906G; 911G; Sammlungen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück/Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, RA Band 35 Bericht 398; RA Nr. VIII/2 (Kopie); RA Nr. XVI/3 (Kopie); RA Nr. IV/1, MF 135, Nr. 54, Zugangsliste vom 28.4.39 (Kopie); Przyrembel, "Rassenschande", 2003, S. 495; KZ-Gedenkstätte Moringen, Geschichte, http://www.gedenkstaette-moringen.de/geschichte/geschichte.html (14.2.2009); Arbeitskreis Schloss und Gedenkstätte Lichtenburg e.V., Geschichte, http://www.lichtenburg.org/13.0.html (14.2.2009); Bösche/Korf, Konsumgenossenschaften, http://www.zdk-hamburg.de/download/ Chronik_ZdK.pdf (19.2.2009).

Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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