Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Martha Hess (geborene Rosskamm) * 1877

Brahmsallee 6 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Lodz
1942 Chelmno ermordet

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 6:
Julius Behrend, Minka Behrend, Bertha Gansel, Siegfried Hess, Henny Hoffmann, Max Hoffmann, Oswald Pander, James Hermann Schwabe

Siegfried Hess, geb. am 30.4.1869 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 in das Getto Lodz, weiterdeportiert am 7.5.1942 in das Vernichtungslager Chelmno
Martha Hess, geb. Rosskamm, verw. Silberberg, geb. am 30.11.1877 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 in das Getto Lodz, weiterdeportiert am 7.5.1942 in das Vernichtungslager Chelmno

Brahmsallee 6

Martha Hess kam am 30.11.1877 in der Kielerstraße 85, gelegen in der Hamburger Vorstadt St. Pauli, als jüngstes der drei Kinder von Rosalie, geb. van Son, und Sally Rosskamm zur Welt. Vor Martha waren Carl (geb. 9.1.1875) und Henriette (geb. 15.8.1876) in Hamburg geboren worden. Ihr Vater war Mitinhaber eines Bank- und Wechselgeschäftes in der Hamburger Neustadt.

Martha war 19 Jahre alt, als sie am 18. Juni 1897 den Kaufmann Moritz Silberberg (geb. 31.7. 1875 in Felsberg/Melsungen) heiratete. Das Paar zog in die neu angelegte Rappstraße, Hausnummer 12, im bürgerlichen Stadtteil Rotherbaum.

Dort kam am 6.5.1898 der Sohn Kurt als erstes von drei Kindern zur Welt, gefolgt von Edwin (geb. 25.4.1901) und Hellmuth (geb. 26.11.1904). Das Hamburger Adressbuch verzeichnete die Familie Silberberg ab 1911 in der Brahmsallee 18, I. Stock, gemeinsam mit Marthas seit 1901 verwitweter Mutter Rosalie Rosskamm und ihrem ledigen Bruder Carl Rosskamm. Dieser lebte, bis auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in London, immer im elterlichen Haushalt.

Die familiäre Gemeinschaft in der Brahmsallee 18 währte nur wenige Jahre. Rosalie Rosskamm starb, 64-jährig, am 7. November 1918, ihr Sohn Carl Rosskamm war erst 45 Jahre alt, als er ihr am 29. Februar 1920 folgte. Das Ehepaar Silberberg lebte noch bis Ende der 1920er-Jahre in der Brahmsallee 18, zog dann in die Parkallee 3 und von dort 1933 in den Eppendorfer Weg 187.

Die drei Söhne waren mittlerweile verheiratet und wohnten noch einige Zeit in ihrer Nähe. Marthas Schwester Henriette hatte Hamburg bereits im Mai 1900 verlassen und lebte nach ihrer Heirat mit Leopold Jastrow in Berlin, wo sie im Jahr 1939 starb.

Moritz Silberberg wurde am 27. Januar 1934 in das Israelitische Krankenhaus eingeliefert und starb dort am 31. Januar 1934 an den Folgen eines Schlaganfalls. Martha war nun Witwe, wusste aber ihre Familie um sich.

Der älteste Sohn Kurt besuchte bis 1914 die "Oberrealschule vor dem Holstentor" (heute Albrecht-Thaer-Gymnasium). Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Kriegsteilnehmer 1917/1918 in der ersten Kompanie des Ersatz-Bataillons des Landwehr-Regiments Nr. 75, stationiert in Hamburg. Kurt arbeitete danach in unterschiedlichen Positionen als Werbeschrift-Hersteller und Buchhalter. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre betätigte er sich auch journalistisch und schrieb philatelistische Fachartikel, auch veröffentlichte er im "Hamburger 8 Uhr Abendblatt".

Am 31. Mai 1929 heiratete er Lizzi Lichtenhayn (geb. 13.2.1902 in Hamburg). Das Paar wohnte in der Brahmsallee 18. Im Jahr 1935 arbeitete Kurt in der Firma "Chemische Baustoffe GmbH", Jarrestraße 26. Die fortschreitende Entrechtung und Demütigung der jüdischen Bevölkerung verunsicherte das Ehepaar. Kurts Bruder Edwin berichtete später, dass diesem eine Verhaftung nach dem Novemberpogrom 1938 gedroht habe. Um dieser zu entgehen, habe sich sein Bruder versteckt. Kurt kündigte seine Arbeitsstelle und flog im Januar 1939 gemeinsam mit seiner Frau Lizzi nach Amsterdam, von dort reisten sie über Frankreich und Italien zum Fluchtziel Shanghai, das sie per Schiff erreichten. Shanghai entwickelte sich nach dem Novemberpogrom 1938 und noch bis 1941 zu einem der letzten Zufluchtsorte für Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich. Das durch die Flucht nun staatenlos gewordene Ehepaar Silberberg lebte in Shanghai in ärmlichen Verhältnissen.

Martha Hess’ Sohn Edwin hatte die in Altona geborene Lizzy Heynemann (geb. 28.2.1901) geheiratet. Sie bekamen einen Sohn, Karl-Heinz (geb. 24.7.1925 in Hamburg). Sein Schicksal, das seiner Ehefrau und seines Sohnes ist in dem Band "Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel. Biographischen Spurensuche" beschrieben worden. Sie wurde am 25. Oktober 1941 ins Getto "Litzmannstadt"/Lodz deportiert und am 12. Mai 1942 im nahegelegenen Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) ermordet.

Hellmuth, Martha Hess’ jüngster Sohn, besuchte ebenfalls die "Oberrealschule vor dem Holstentor" und danach für ein Jahr die Handelsschule Rackow zur kaufmännischen Aus- und Weiterbildung. Die Lehre zum Bankkaufmann im "Bankgeschäft Max Daniel" (siehe Max und Wally Daniel, Hallerstraße 6) schloss sich an, dort blieb er bis Ende 1926. Seine nächste berufliche Station war eine Anstellung bei der "Hypothekenbank in Hamburg", bis er die Kündigung aus "rassischen Gründen" Ende September 1938 erhielt. Infolge des Pogroms am 9. November 1938 wurde Hellmuth verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt, aus dem er am 31. Dezember 1938 wieder entlassen wurde. Die Inhaftierungen sollten die jüdischen Männer in die Nähe von Kriminellen rücken, demütigen und zum baldigen Verlassen Deutschlands zwingen. Hellmuth gelang die Flucht über Großbritannien in die USA im April 1939.

Nachdem damit der letzte ihrer Söhne das Deutsche Reich verlassen hatte, blieb Martha in Hamburg zurück, ebenso wie nach der Emigration von Edwin und Sohn Karl-Heinz nach Uruguay die Schwiegertochter Lizzy.

Martha zog in den Woldsenweg 3, Hochpaterre, zur Familie von Halle, danach in die Hansastraße 57, 1. Stock, in die Wohnung Bundheim und von dort am 1. Februar 1940 in die Brahmsallee 6, 1. Stock, zur Familie Hoffmann. Einen Monat später, am 1. April 1940 folgte ihr Siegfried Hess (geb. 30.4.1869 in Hamburg), der zuvor ebenfalls in der Hansastraße 57 gelebt hatte. Martha Silberberg, geb. Rosskamm, und Siegfried Hess heirateten am 9. Juli 1940. Für den Bräutigam war es die erste Ehe.

Siegfried Hess’ Eltern waren Wolff, dessen Beruf mit "Kleingewerbler" angegeben wurde, und Jette Hess, geb. Wiener. Beide hatten im Juni 1865 geheiratet. Zu Siegfrieds Geburt hatten sie am Neuen Steinweg 76 (Neustadt) gewohnt. Über Siegfrieds Kindheit und Jugendzeit ist nichts bekannt. Aus dem Hamburger Adressbuch von 1918 geht hervor, dass er Mitinhaber des Bankgeschäftes "A. Lewandowsky" war, das seinen Sitz in der Brandstwiete 2/4 hatte. In diesem Bankhaus arbeitete er bereits seit 1892 als Prokurist. 1921 wurde die Firma in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, Siegfried Hess haftete als Gesellschafter allein.

Seit 1935 befand sich die Firma in "Stiller Liquidation" und erlosch am 21. Oktober 1937. Siegfried lebte von einer Rente, die er von dem "Barmer Beamten Verein" bezog. Seine private Wohnung hatte er über viele Jahre am Grindelberg 76 (von 1902 bis 1910) und in der Isestraße 31 (von 1911 bis 1933). Später wechselte er mehrfach, wie es oft bei jüdischen Mietern unter dem NS-Regime vorkam. Vielleicht hatten sich Siegfried und Martha Hess bereits als Nachbarn im Woldsenweg 3 kennengelernt, wo beide zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 lebten.

Ein Grund für die Heirat mag, außer der persönlichen Verbundenheit, das gemeinsame Anliegen gewesen sein auszuwandern. Auf Siegfried Hess’ Kultussteuerkarte hatte der Angestellte der Jüdischen Gemeinde den Hinweis: "Shanghai Okt. 40" eingetragen. Dorthin waren bereits Marthas Sohn Kurt und dessen Ehefrau Lizzy ein Jahr zuvor ausgewandert. Doch aus unbekannten Gründen konnten Martha und Siegfried Hess den Plan nicht verwirklichen. Ihnen war keine lange gemeinsame Zeit vergönnt, zudem mussten sie noch einmal die Wohnung wechseln. Ab September 1940 lebten sie in der Schlüterstraße 63, IV. Stock, bei Brummer.

In Hamburg wurde 1941 die erste Deportation von Jüdinnen und Juden durch die Gestapo vorbereitet. Am 25. Oktober 1941 verließ der erste Transport mit der Reichsbahn die Stadt vom Hannoverschen Bahnhof aus. 1024 Menschen kamen ins Getto "Litzmannstadt", das die Deutschen in der Stadt Lodz eingerichtet hatten. Zu ihnen gehörten Martha und Siegfried Hess und Marthas Schwiegertochter Lizzy Silberberg.

Auch im Getto gingen sie ihre letzten Wege gemeinsam: Die Familienmitglieder wohnten noch kurze Zeit unter der Adresse Müllerstraße 4/42 (heute Chopina Fryderyka). Siegfried und Martha Hess wurden am 7. Mai 1942 mit einem Transport ins 60 Km entfernte Vernichtungslager Chelmno verschleppt und vermutlich noch am gleichen Tag in den Gaswagen getötet. Lizzy Silberberg ereilte das gleiche Schicksal am 12. Mai 1942.

An Lizzy Silberberg erinnert ein Stolperstein am Schulterblatt 134, an Martha und Siegfried Hess vor dem Haus Brahmsallee 6.

Edwin Silberberg und sein Sohn Karl-Heinz überlebten in Uruguay.
Hellmuth Silberberg konnte sich in den USA eine neue Existenz aufbauen. Am 1. November 1986 starb er im Alter von 81 Jahren.
Kurt und Lizzy Silberberg gelang es im März 1947, unterstützt durch die amerikanische jüdische Hilfsorganisation "JOINT", von Shanghai aus in die USA einzureisen, wo sie 1952 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten. Aus Kurt und Lizzy Silberberg wurden Curtis und Lissie Silbey. Curtis Silbey starb am 9. Dezember 1955. Seine Witwe ging eine neue Ehe ein.
Familie Brummer, mit der Martha und Siegfried Hess zuletzt die Wohnung in der Schlüterstraße 63 für ein Jahr teilten, wurde ebenfalls am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz deportiert und ermordet. An sie erinnern fünf Stolpersteine vor dem Haus Schlüterstraße 63.

Stand: September 2016
© Christina Igla

Quellen: 1; StaH 231-7_Handelsregister_ B1995-124 (Bankhaus Lewandowski); 314-15 Oberfinanzpräsident_R1939-2380; _ FVg 8194; 332-03_Zivilstandsamt_B36/2187;332-5 Personenstandsregister 1914/5588/1877 (Geburtsurkunde Martha Rosskamm), 8602/233/1900 (Heiratsurkunde Henriette Rosskamm), 8584/295/1897 (Heiratsurkunde Martha R. + Moses Silberberg), _024/55/1934 (Sterbeurkunde Moritz Silberberg); 332-8 Melderegister "Toten- und Verzogenenkartei", Film Nr. 6831, Hausmeldekartei Filme Nr. 2358, 2370 (Woldensweg), 2427, 2440 (Brahmsallee), 2443 (Hansastraße); 351-11 Amt für Wiedergutmachung _20531,-28980,-3659;352-5_1934 StaAmt2a Nr. 55 Todesbescheinigung Moses Silberberg; 522-1 Jüdische Gemeinde _Deportationslisten 992e2-1; Hamburger Adressbuch-online- Zugriffe am 6.9.2015, http://www.albrecht-thaer-gymnasium.de (Zugriff am 6.9.2015), www.death-records.mooseroots.com/d/n/Howard-Silbey (Zugriff 5.9.2015), www.tracingthepast.org (Zugriff am 6.9.2015), www.stolpersteine-hamburg.de (Biographie für Lizzi Silberberg, geschrieben von Susanne Lohmeyer), Zugriff am 11.9.2015; Jüdisches Museum Berlin (Hrsg.), Heimat, S. 123; Archiv Lodz, Unterlagen aus dem Getto Lodz, zu Martha und Siegfried Hess.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang