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Margaret und Felix Hess
© Privatbesitz

Felix William Hess * 1894

Isestraße 139 (Hamburg-Nord, Harvestehude)


gedemütigt / entrechtet
Flucht in den Tod
12.11.1938

Felix Hess, geb. 17.8.1894 in Hamburg, Suizid am 12.11.1938 in Hamburg

Julius Hess (1853–1935) und Gertrud Levy (1871–1944) heirateten im Mai 1889 in Hamburg. Zum 1. Februar 1889 hatte Julius Hess den Hamburger Bürgerbrief und damit auch das Wahl­recht erworben. Voraussetzung dafür war ein Jahreseinkommen von 1200 Mark in fünf aufeinander folgenden Jahren, das er nachweisen konnte.

Die Eheleute Hess zogen in den Alsterkamp 13 in Hamburg-Harvestehude, wo auch ihre vier Kinder geboren wurden: Lothar (1890), Richard (1891), Felix (1894) und Ilka (1896). Bis 1908 war Julius Hess als Hausmakler Teilhaber der Firma "Anton Emden & Julius Hess", die ihre Geschäftsräume in den Großen Bleichen 46 hatte (Gertrud Levys Mutter war in zweiter Ehe mit dem Hausmakler Anton Emden (1849–1926) verheiratet). Ab 1908 betätigte sich Julius Hess als Hausmakler in eigener Firma. Die Ehe hielt nicht, die Eheleute ließen sich um 1918 scheiden. Vermutlich ab Juli 1915 lebte Julius Hess von der Familie getrennt, zunächst drei Monate in Berlin, dann einige Zeit in Hamburg im Hotel Dammtorhof und von Oktober 1916 bis Mai 1920 in der Isestraße 121 (1. Stock). 1920 zog er zusammen mit seiner 24-jährigen Tochter Ilka Hess in den Blankeneser Villenvorort Dockenhuden. 1923 meldete sich dort auch der Sohn Richard an. Ab 1926 verzeichnete das Fernsprechbuch Julius Hess unter der Adresse Rosenhagenstraße 4 in Groß Flottbek.

Der älteste Sohn Lothar war im Ersten Weltkrieg gefallen. Sohn Felix William verunglückte während seiner Schulzeit in Hamburg schwer. Eine Straßenbahn erfasste ihn und verletzte sein rechtes Bein so stark, dass es amputiert werden musste. Die Holzprothese wurde mit einem Lederriemen über der linken Schulter befestigt. Anzunehmen ist, dass Felix Hess nach dem Schulabschluss eine kaufmännische Lehre absolvierte. Im März 1923 heiratete er in Hamburg die gleichaltrige nichtjüdische Margaret Heene. Drei Kinder stammten aus dieser Ehe: Gisela (1924–1933), Claus (geb. 1927) und Renate (geb. 1935).

1925 machte Felix Hess sich als Kaufmann mit einem kleinen Speditionsgeschäft in Hafennähe selbstständig. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929–1931 etablierte er sich wie sein Vater als Hausmakler mit einer eigenen Firma. Die Firma "Felix Hess & Co." mietete Büroräume am Neuen Wall 10 an. Die Wohnadressen Richterstraße 22 (1925–1927), Andreasstraße 27 in Winterhude (1928–1933) und Isestraße 139 in Harvestehude (1935–1938) zeugen von Wohlstand, entstanden aus erfolgreicher Geschäftstätigkeit.

Der Sohn erinnerte sich noch 2009 an die großzügige Wohnung in der Isestraße: "Sie lag im Hochparterre, zur Isestraße hin befanden sich zwei größere Zimmer: das Wohnzimmer mit einem Schreibtisch, wo mein Vater seine Briefmarkensammlung pflegte und, verbunden mit einer Schiebetür, das Esszimmer. Zum Garten hin lagen die beiden Schlafzimmer der Eltern. Zwischen diesen vier Räumen erstreckte sich ein langer Flur. Links und rechts vom Flur reihten sich Badezimmer, Kinderzimmer, Spielzimmer, Küche und Kammer für das Hausmädchen aneinander.

Zu der Wohnung gehörte auch ein großer, schmaler Garten der bis zum Isebekkanal reichte. Wir hatten dort ein Paddelboot liegen." Die Urlaube verbrachte die Familie auf den Nordseeinseln Sylt und Norderney. Daneben waren die Eheleute auch häufiger zur Kur in den westböhmischen Orten Karlsbad und Franzensbad.

Sein vermutlich Anfang der dreißiger Jahre erworbenes Auto Marke Chevrolet ließ Felix Hess wegen seines amputierten Beines auf Handgasbetrieb umstellen. Mit dem Auto fuhr die Familie auch in den Urlaub auf die mit einem Damm verbundene Insel Sylt.

Das Verhältnis zur Religion der Vorväter war bei Felix Hess bereits recht distanziert und mehr ererbt als gelebt. Lediglich für die Jahre 1922 und 1923 sind Zahlungen an die Deutsch-Israelitische Gemeinde dokumentiert. Nach der Heirat mit der Katholikin Margaret nahm die Trennung vom Judentum konkrete Formen an: Die Kinder wurden katholisch getauft, und 1929 trat Felix Hess offiziell aus der Jüdischen Gemeinde aus. Am 21. Juli 1936, mittlerweile war er zum Katholizismus übergetreten, wurde in der katholischen St. Elisabeth-Kirche in der Hochallee 61 (Harvestehude) eine kirchliche Trauung der Eheleute abgehalten, die auch mit einer Urkunde bestätigt wurde. Dies mag in den Zeiten des Nationalsozialismus auch ein Versuch gewesen sein, sich vor antisemitischen Anfeindungen zu schützen. Im gleichen Jahr am 24. Mai hatte der Sohn hier seine heilige Kommunion erhalten.

Dennoch verschärfte sich die Situation für Familie Hess zusehends. Die Nationalsozialisten machten deutlich, dass sie Felix Hess weiterhin als Juden einstuften, sodass er unter antijüdischen Repressalien zu leiden hatte. Allmählich dachte auch Familie Hess an Emigration, zwei Cousins von Felix Hess, der Berliner Bankier Julius Epstein und der Kaufmann Julius Grün, waren bereits 1933 in die USA ausgewandert und rieten zur Ausreise. Mit dem Novemberpogrom 1938 spitzte sich die Situation dramatisch zu. Margaret Hess, geb. Heene, reiste zu ihrer Schwester Anni nach Berlin, die mit der NSDAP sympathisiert haben soll und mit dem damaligen Oberst der Luftwaffe und Abteilungsleiter im Reichsluftfahrtministerium (Berlin), Fritz Mensch (1886–1966), verheiratet war. Auch eine ihrer beiden Töchter war mit einem Wehrmachts-Offizier verheiratet. Obwohl der familiäre Kontakt nicht mehr der beste war, wollte Margaret Hess versuchen, über Menschs Verbindungen zu staatlichen Stellen die Auswanderung ihrer Familie in die USA zu beschleunigen.

Felix Hess blieb in der Wohnung Isestraße zurück. Sein Sohn beschrieb die Ereignisse, die zum Tod seines Vaters führten, im Jahre 2009 so: "Meine Mutter war in Berlin, um Wege zu finden unsere Auswanderung zu beschleunigen. Mein Vater saß an seinem Schreibtisch und telefonierte mit Verwandten und Freunden und war natürlich über die Pogromnacht vom 8. auf den 9. November unterrichtet. Er wusste wohl, wer von seinen jüdischen Freunden schon abgeholt war. Er gab Anweisung an unser schwedisches Kindermädchen, dass wenn Herren (Gestapo) kämen, die nach ihm fragen sollten, sollte sie sagen, dass er nicht zu Hause wäre.

Er nahm seine beiden Kinder in den Arm und küsste sie und ging nach hinten in sein Schlafzimmer und schloss sich ein. Die Gestapo kam und sagte, dass sie wiederkommen würde. Im Schlafzimmer nahm er dann Veronal. Die Gestapo kam wieder. Die Tür zum Schlafzimmer wurde aufgebrochen, und mein Vater bewusstlos ins Eppendorfer Krankenhaus transportiert. Er starb dort am 12. November 1938 um 6:30 morgens ohne das Bewusststein wieder erlangt zu haben." Felix Hess wurde auf dem Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf beigesetzt.

Sein drei Jahre älterer Bruder Richard Hess, verheiratet mit einer Katholikin und ebenfalls zum katholischen Glauben konvertiert, starb am 31. Mai 1939 im Untersuchungsgefängnis Hamburg.

Seine Schwester Ilka Feis, geb. Hess, wurde am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz deportiert, wo sich ihre Spur verliert. An sie erinnern "Stolpersteine" an der Fernsicht 5 (dort wohnhaft 1927–1939) und in der Heimhuder Straße 17, einem "Judenhaus", wo sie 1940 einquartiert wurde.

Die 70-jährige Mutter Gertrud Hess, geb. Levy, wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert und am 15. Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. An sie erinnert in der Bogenstraße 27 (Eimsbüttel) ein "Stolperstein".

Die Söhne von Richard und Felix Hess kamen nach dem Tod der Väter in ein Schweizer Internat, das Institut Rosenberg. Ihre Mütter hatten dies organisiert. Ab Februar 1943 war es nicht mehr möglich, für "Halbjuden" Devisen zu bekommen. Deshalb wurden die Jungen zurückgeholt nach Garmisch bzw. Innsbruck.

1946 wanderte der Sohn Claus Hess in die USA aus, 1954 kehrte er als US-Staatsbürger mit der US-Armee nach Deutschland zurück. Er blieb hier. Seine Mutter Margarete Hess, die ebenfalls einige Jahre in den USA gelebt hatte, zog zurück nach Deutschland.

© Björn Eggert/Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 4; StaH, 332-8 (Alte Einwohnermeldekartei); Julius Hess; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 366 (Felix Hess & Co.); Auskünfte von Herrn C. H. (Bayern), September u. Oktober 2009; Auskünfte von Herrn H. M. (Schweiz) zu General Mensch, Oktober 2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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