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Henriette Worms (geborene Schürmann) * 1877

Bogenstraße 15 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Bogenstraße 15:
Lore-Emma Philipp, Georg Philipp, Louis Worms

Henriette Worms, geb. Schürmann, geb. am 13.7.1877 in Osnabrück, am 6.12.1941 nach Riga deportiert, dort umgekommen
Louis Worms, geb. am 22.1.1876, am 6.12.1941 nach Riga deportiert, dort umgekommen

Bogenstraße 15

Louis Worms war Zeit seines Berufslebens Bankbeamter. Nach dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule absolvierte er erfolgreich eine einjährige berufsvorbereitende Ausbildung an der Stiftungsschule von 1815. Anschließend, da war er sechzehn Jahre alt, begann er im März 1892 eine Lehre bei der Bank W. S. Warburg in der Breitenstraße 15. Ihr Gründer war Wulf Salomon Warburg aus dem Altonaer Zweig der berühmten Warburg-Familie. Zu der Zeit sowie in den ersten Jahren seiner Berufstätigkeit lebte Louis Worms noch in der Wexstraße am Großneumarkt bei seinen Eltern, Moses Worms und seiner Frau Rosalie, geborene Gottschalck. Der Vater war Heildiener, eine Art Krankenpfleger, der ambulant oder in Krankenhäusern arbeitete. Durch die Nachbarschaft lernte Louis Worms vermutlich seine zukünftige Frau kennen. Die anderthalb Jahre jüngere Henriette "Henny" Schürmann wohnte mit ihren Eltern, dem Kaufmann Benedix Schürmann und seiner Frau Bertha, geborene Gabriel, in der Steinwegpassage. Die Familie stammte ursprünglich aus Osnabrück, wo Henriette auch zur Welt gekommen war.

Am 25. Oktober 1901 heirateten Louis Worms und Henriette Schürmann, und am 2.2.1904 wurde ihr erster Sohn geboren. Sie gaben ihm den Namen Adolf. Zweieinhalb Jahre später, am 10.9.1906, kam der zweite Sohn zur Welt. Seine Vornamen Bertold Conrad setzten die alphabetische Reihenfolge der Anfangsbuchstaben A–B–C fort. Zwischenzeitlich war die größer werdende Familie zunächst in die Osterstraße 146 und von dort zwei Jahre später, 1907, in die Sillemstraße 31 gezogen. So führte Louis Worms‘ täglicher Arbeitsweg von Eimsbüttel nach Altona. 1905 hatte es auch eine Veränderung in seinem Berufsleben gegeben: Die Norddeutsche Bank übernahm die Firma W. S. Warburg und machte sie zu ihrer Altonaer Filiale. Zwei Jahre nach der Übernahme wechselte die Bank zudem ihren Sitz und zog von der Breiten Straße in die Königstraße 117.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurde Louis Worms eingezogen und diente bis 1918 als Infanterist. Danach kehrte er zur Norddeutschen Bank zurück und erwies sich im Laufe der Jahre offenbar als so kompetent, zuverlässig und verantwortungsbewusst, dass sein Arbeitgeber ihn 1921 zum handlungsbevollmächtigten Prokuristen und Leiter der Buchhaltung ernannte. Hiermit verbunden war das Privileg einer Dienstwohnung, denn noch im selben Jahr zog er mit seiner Familie aus Eimsbüttel in die Königstraße, in jenes Haus, in dem sich "seine" Bank befand.

In der Zeit, in der ihr Vater beruflich aufstieg, absolvierten die beiden Söhne ihre Ausbildung. Über Adolfs Werdegang ist nichts bekannt. Berthold besuchte zunächst die Dr. Anton Rée Realschule am Zeughausmarkt, wo er die Mittlere Reife erwarb und trat dann in die Fußstapfen seines Vaters, indem er eine Banklehre begann. Karriere im "Bankfach" wie der Vater machte er jedoch nicht. Nach Abschluss der Lehre wechselte er vielmehr in die Schuh- und Lederbranche. Von 1923 bis 1927 war er zunächst als Lagerist angestellt. Danach arbeitete er als selbstständiger Reisender mit Garantieprovision, zunächst für die Firma Richard Behrmann am Neuen Steinweg in der Neustadt, ab 1932 vor allem für die Firma Müllner & Co. Ledergrosshandlung. Sie hatte ihren Sitz ebenfalls in der Neustadt, in der Martin-Luther-Straße. Zusätzlich war er für die österreichische Lederfabrik Georg Igl tätig. Mit seiner Arbeit verdiente er im Durchschnitt 400 Reichsmark (RM) im Monat, was einer heutigen Kaufkraft von rund 1.600 Euro (Stand 2010) entspräche. Während sein Vater seit 1913 zur Jüdischen Gemeinde Hamburgs bzw. Altonas gehörte, wurde Berthold Worms 1925 Mitglied.

Im Sommer 1930 gab es eine tief greifende Veränderung in Louis Worms’ Leben. Seine berufliche Tätigkeit fand ein vorzeitiges Ende. Sein Arbeitgeber, die Norddeutsche Bank, war eine Tochtergesellschaft der Disconto-Gesellschaft, zu jener Zeit eine der größten deutschen Bankgesellschaften. Diese fusionierte 1929 mit der Deutschen Bank. Infolgedessen kam es bei der Norddeutschen Bank zu Personaleinschränkungen, von denen auch Louis Worms betroffen war. Am 1. Juli 1930 schickte man ihn – nach 38-jähriger Dienstzeit – in den vorzeiti­gen Ruhestand. Da war er 54 Jahre alt. Seine Jahrespension betrug 6.000 RM brutto, welche die Deutsche Bank wegen "schlechter allgemeiner Lage" zum 1. Januar 1932 auf 5.500 RM brutto reduzierte. Allerdings zahlte sie ihm bis zum Erreichen seines 65. Lebensjahrs am 22. Januar 1941 auch diese zugesicherten Ruhegehälter nicht annähernd aus. Außerdem mussten Louis Worms und seine Familie die Wohnung in der Königstraße verlassen. Sie fanden für die nächsten Jahre eine neue Unterkunft in der Rahlstedter Liliencronstraße.

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde auch das Leben der jüdischen Familie Worms durch die antisemitischen Diskriminierungen und Schikanen immer stärker beeinträchtigt. Nach dem Novemberpogrom 1938 spitzte sich ihre Lage dramatisch zu. Berthold Worms war das erste Familienmitglied, das aus Deutschland floh. So wie etwa 1.000 andere jüdische Männer auch, war er in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Hamburg verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht worden. Nach schweren Misshandlungen kam er knapp zwei Monate später, am 3. Januar 1939, wieder frei. Als er sich am nächsten Tag bei seinem bisherigen Arbeitgeber, der Ledergroßhandlung Müller, meldete, erfuhr er, dass sich diese als jüdischer Betrieb auflösen musste und ihn daher nicht weiter beschäftigen konnte. Damit war er ohne Einkommen, und Ersparnisse besaß er nicht. Nun wollte er Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Am 7. Juli 1939 emigrierte er auf der "Suwa Mari" der NYK Line von London aus nach Shanghai – die einzige legale Möglichkeit, die sich zu diesem Zeitpunkt noch bot.

Auch Adolf Worms floh aus Deutschland. Er hatte jedoch bereits vorher Hamburg verlassen und war nach Stuttgart gezogen. Seine Auswanderung soll von Herford aus erfolgt sein, nachdem es ihm gelungen war, ein Visum für Australien zu bekommen.

Noch 1939 waren Louis, Henriette und Berthold Worms von Rahlstedt zurück nach Eimsbüttel gezogen, in die Bogenstraße 15. Vermutlich war diese Wohnung kleiner und günstiger, auch hatte Berthold seine Auswanderung bereits fest geplant und Adolf lebte ohnehin nicht mehr in Hamburg. Im Jahr darauf entschlossen sich auch Henriette und Louis Worms, aus Deutschland zu fliehen und ihrem Sohn Berthold nach Shanghai zu folgen. Als sie 1940 den Auswanderungsantrag stellten, waren sie 63 bzw. 64 Jahre alt. Sie beantragten beim Oberfinanzpräsidenten eine "Unbedenklichkeitserklärung", reichten bei der Devisenstelle Ham­burg den ausgefüllten Fragebogen für die Versendung von Umzugsgut ein und erstellten umfangreiche Listen all der Dinge, die sie nach Shanghai mitnehmen wollten. Da sie über ein Vermögen von mehr als 5.000 RM verfügten, hatten sie im Zuge der finanziellen Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung durch den NS-Staat bereits bis Ende 1939 eine "Judenvermögens­abgabe" von 3.000 RM leisten müssen. In fünf Raten à 600 RM, die ersten vier in bar. Hierfür löste Henriette Worms das Wertpapierdepot auf, das ihr ein Onkel hinterlassen hatte. Außerdem musste das Ehepaar, als es den Auswanderungsantrag stellte, eine Dego-Abgabe von 138 RM entrichten. Louis Worms wollte seine Pension kapitalisieren und sich von der Deutschen Bank 1941 eine Abfindung von rund 14.600 RM zwecks Erledigung sämtlicher Pensionsansprüche auszahlen lassen. Außerdem kündigte er 1940 seine Mitgliedschaft im Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes und ließ sich die 25 Jahre lang entrichteten Beiträge auszahlen. So hofften seine Frau und er, sich in Shanghai eine Existenz sichern zu können. Denn wie sollten sie in ihrem Alter noch Arbeit finden? Doch von der Pensionsabfindung wurden rund 5.800 RM durch das Finanzamt gesperrt, und die restliche Summe musste Louis Worms im Voraus als Darlehen vom jüdischen Hilfsverein in Anspruch nehmen, um sich und seiner Frau den Lebensunterhalt sichern zu können. Denn seit 1938 stand ihnen nur noch ein monatlicher Betrag von 250 RM zu. Obwohl die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten schließlich am 9. Dezember 1940 die Auswanderung genehmigte und das Ehepaar Worms daraufhin Anfang Januar 1941 noch einen Gepäcktransport ins Ausland buchte, teilte Louis Worms der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten am 23. Juli 1941 mit, dass seine Frau und er die Auswanderung nicht durchführen konnten. Sechs Tage später erhielten sie die bereits bezahlte Dego-Abgabe zurück. Fünf Monate später, am 6. Dezember 1941, wurden Henriette und Louis Worms in das Außenlager Jungfernhof des Rigaer Gettos deportiert, wo sie ums Leben kamen.

Berthold Worms gelang es in Shanghai nicht, Arbeit zu finden, um sich seine Existenz zu sichern. Er war vollständig auf Unterstützung durch das Jewish Joint Distribution Comittee angewiesen. Sechs Jahre lang lebte er in völliger Armut, litt durch das ungewohnt schwülheiße Klima und die unzureichenden hygienischen Verhältnisse immer wieder unter Infektionskrankheiten. Offenbar hatte er bereits in Hamburg geheiratet. So wohnte er in Shanghai anfangs noch zusammen mit seiner vier Jahre jüngeren Ehefrau Lydia, geborene Brandes, die aus Leck in Nordfriesland stammte. Doch die Ehe hielt nicht und sie ließen sich in Shanghai scheiden. Im August 1946 verließ Berthold Worms die Stadt und zog nach Australien, nach Sydney, wo sein Bruder Adolf lebte. Dieser hatte bereits 1944 die australische Staatsbürgerschaft beantragt, wie eine Anzeige im Sydney Morning Herald vom 21. Februar 1944 dokumentiert. Berthold Worms arbeitete zunächst drei Jahre lang als Spritzlackierer, später als Vertreter für Stoffe und Strickwaren. Er starb am 21.11.1970.

© Frauke Steinhäuser

Quellen 1; 2 (R 1940/1057 u. FVg 8742); 4; 5; 8; StaH 332-5 Standesämter, 2967 u. 1176/1901; StaH 351-11 AfW, 220176; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 390 Wählerverzeichnis 1930; Sybille Baumbach, Claudia Thorn, Shanghai als Exil für Hamburger Juden; Hochstadt, Shanghai-Geschichten.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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