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Wolf Danciger * 1869

Heider Straße 18 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)


HIER WOHNTE
WOLF DANCIGER
JG. 1869
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN

Weitere Stolpersteine in Heider Straße 18:
Regina Danciger

Regina Danciger, geb. Dawidowitz, geb. am 8.11.1878 in Zloczew, Polen, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Wolf Danciger, geb. 1869 in Widawa (Polen), ausgewiesen nach Bentschen/Zbaszyn am 28.10.1938

Heider Straße 8 (früher Heidestraße)

Regina (Rifka/Rivka/Rywka) Danciger wurde am 8. November 1878 in Zloczew in der Nähe von Łódź in Polen als Regina Dawidowitz geboren. Sie war verheiratet mit dem 1869 in Widawa, Polen, geborenen Kaufmann Wolf Danciger. Das Ehepaar hatte fünf Töchter: Sara Sonja, geboren am 22. April 1898, verheiratete Amstein, wohnhaft in Berlin, Frymeta (Fimetta), geboren am 21. Dezember 1899, Jochaweta, geboren am 13. November 1903, Blima (Bluma), geboren am 25. Oktober 1906, und Dora (Dwora/Devora), geboren 29. April 1910. Mit Ausnahme von Sara Sonja, die in Zloczew zur Welt kam, wurden alle anderen Töchter in Widawa geboren.

Die Familie besaß die polnische Staatsbürgerschaft und gehörte dem jüdischen Glauben an. Reginas Ehemann Wolf war tief religiös.

Als die Familie Danciger nach Deutschland einwanderte, lebte sie zunächst im liberalen Altona in der Straße Schulterblatt 35, ab etwa 1934 in der Heidestraße 18 (heute Heidestaße 8) in Hamburg.

Das Ehepaar Danciger betrieb ein Geschäft für Korsetts in der Hoheluftchaussee 127. Dieses Geschäft war auch am Sonnabend geöffnet. An diesem Tag stand Regina Danciger im Laden, weil eine Tätigkeit Wolf Dancigers am Shabath mit seinen religiösen Pflichten nicht zu vereinbaren war. Die Familie führte zusätzlich ein Schuhreparaturgeschäft unter derselben Adresse, jedoch unter dem Namen von Dwora Danciger. Im Hamburger Adressbuch und auf der Kultussteuerkarte werden auch Sonja und Regina Danciger für das Korsettgeschäft und Blima für das Schuhreparaturgeschäft als Inhaberinnen genannt.

Familie Danciger litt ab 1933 wie alle Menschen jüdischer Herkunft unter den ständig anwachsenden Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmaßnahmen durch die Nationalsozialisten. Dies dürfte Blima Danciger veranlasst haben, Hamburg zu verlassen. Sie emigrierte 1937 nach Belgien und heiratete dort am 27. Oktober desselben Jahres Aron Rosenblum. Das Ehepaar hatte eine Tochter, Judith. Die Familie überlebte, indem sie unter unwürdigen Bedingungen von Versteck zu Versteck wechselte.

Wolf Danciger gehörte zu den rund tausend Hamburger Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die am 28. Oktober 1938 von Kräften der Ordnungspolizei und der Gestapo verhaftet, mit der Eisenbahn vom Bahnhof Hamburg-Altona deportiert und nahe der polnischen Stadt Zbąszyń (deutsch: Bentschen) auf brutale Weise über die deutsch-polnische Grenze getrieben wurden. Das Schicksal der meisten von ihnen ist nicht dokumentiert. Eine Minderheit der Ausgewiesenen erhielt in der ersten Hälfte des Jahres 1939 die Erlaubnis zur Rückkehr nach Hamburg unter der Bedingung, innerhalb weniger Wochen zu emigrieren.

Wolf Dancigers Schicksal ist ungeklärt. Seine Tochter Frymeta erklärte in den 1960er Jahren, "Mein Vater Wolf Danciger ist 1938 nach Polen abgeschoben worden und dort umgekommen." Dagegen könnte ein Ermittlungsbericht der Zollfahndungsstelle Hamburg vom 7. Februar 1939 sprechen. Darin wird zu einem Radio-Apparat, der in einem Verzeichnis aufgeführt war, vermerkt: "Es handelt sich um ein hochwertiges, neuzeitiges Radiogerät im Wert von RM 298,-- welches nicht wie von D. am 28.1.1939 angegeben, vor 1½ Jahren beschafft wurde, sondern am 15. Mai 1938 gekauft worden ist." Wenn hier Wolf Danciger gemeint sein sollte, wäre er aus Zbąszyń vorübergehend zurückgekehrt. Weiter heißt es in dem Ermittlungsbericht, dass die Mitnahme eines Radiogerätes im Wert von 298 RM zu versagen sei. "Danciger ist polnischer Staatsangehöriger. Sollte der Jude Danciger auf die Mitnahme des Apparates besonderen Wert legen, und sich freiwillig bereit erklären, eine Dego-Abgabe in Höhe von RM 600,- zu entrichten, so ist gegen die Freigabe des Apparates nichts einzuwenden." (Die Dego-Abgabe war zur Zeit des Nationalsozialismus bei "Auswanderungen" an die Deutsche Golddiskontbank zu entrichten.) Danach verliert sich Wolf Dancigers Spur.

Außer der Deportation Wolf Dancigers belasteten die Familie auch die Ereignisse des Pogroms vom 9. November 1938. Angriffe auf die beiden Geschäfte der Dancigers oder Zerstörungen sind zwar nicht überliefert, der durch die Pogromnacht entstandene psychische Druck wird aber in jedem Fall immens gewesen sein.

Familie Danciger traf ein weiterer Schlag, als mit der Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 23. November 1938 die endgültige Schließung aller jüdischen Geschäfte und Firmen zum 1. Januar 1939 angeordnet wurde. Sie musste ihre beiden Geschäfte spätestens zum Jahresende 1938 schließen. Folglich fehlen im Hamburger Adressbuch von 1939 die Einträge über das Korsett- und das Schuhreparaturgeschäft.

Regina Danciger litt an einer einer psychischen Erkrankung, über die Einzelheiten nicht überliefert sind. Möglicherweise war sie durch die zunehmenden Diskriminierungsmaßnahmen gegen jüdische Menschen seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ausgelöst worden. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Staatskrankenanstalt Langenhorn Anfang 1935 wurde sie am 31. August desselben Jahres erneut in Langenhorn eingeliefert. Ihre Tochter Frymeta erinnerte sich im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens: "... meine Mutter ist durch die Verfolgung wahnsinnig geworden und sie wurde in der Anstalt Langenhorn eingeliefert, und wurde sie von dort aus nach Polen deportiert, und ist sie dort umgekommen."

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Die Angaben der überlebenden Töchter von Regina Danciger in den Wiedergutmachungsverfahren nach dem Kriege deuten darauf hin, dass sie keine zutreffenden Informationen über den Sterbeort ihrer Mutter hatten. In den dokumentierten Sterbemitteilungen anderer in Brandenburg ermordeter Jüdinnen und Juden wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm oder Cholm verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Von Regina und Wolf Dancigers Töchtern Blima (s.o.) und Frymeta wissen wir, dass sie den Holocaust überlebt haben. Frymeta Danciger heiratete Hersch Slominsky und bekam mit ihm 1926 den Sohn Leon. Die Familie verließ Hamburg im Jahre 1933 und hoffte, sich in Belgien vor der nationalsozialistischen Verfolgung schützen zu können. Näheres ist nicht bekannt.

Jochaweta, die Nachemja Goldfluss geheiratet hatte, war nach eigenen Angaben gegenüber den belgischen Dienststellen ununterbrochen seit 1932 in Belgien ansässig. Demgegenüber wurde sie noch bis 1938 als Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Hamburg geführt. Über Internierungen oder Deportationen von Jochaweta und ihrem Ehemann aus Belgien haben wir keine Informationen. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs befinden sich keine Einträge für Sara und Dora Danciger.


Stand: November 2018
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie-Maßnahmen" ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 314-15 Oberfinanzpräsident 3236 Wolf Danciger; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1498 (Danciger), 3851 (Danciger), 36299 (Rosenblum Danciger); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; Dokumentationszentrum Kazerne Dossin, Belgien, Auskünfte über Szimeta und Jochaweta Danciger sowie Nachemja Go.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen"

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