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Jenny Drucker * 1889

Bornstraße 22 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JENNY DRUCKER
JG. 1889
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Bornstraße 22:
Emma Cohen, Minna Drucker, Ursula Geistlich, Selma Isenberg, Alfred Pein, Emmy Pein, Abraham Schwarzschild, Betty Schwarzschild, Sara Schwarzschild, Ignatz Schwarzschild, Rachel Süss, Clara Weil, Rosa Wolff, Bella Wolff

Jenny Drucker, geb. 28.8.1889 in Hamburg, deportiert 18.11.1941 nach Minsk
Minna Drucker, geb. 18.10.1895 in Hamburg, deportiert 18.11.1941 nach Minsk

Bornstraße 22

Lange bevor das Wohnhaus Bornstraße 22 ein sogenanntes Judenhaus wurde, hatte Familie Drucker dort gelebt und es schon wieder verlassen. Das Gebäude war Anfang des 20. Jahrhunderts als Mehrfamilienhaus errichtet und nach seinem Stifter Louis Levy-Stift benannt worden. Als Bedürftige, die der Deutsch-Israelitischen Gemeinde angehörten, zog die Familie Nathan Druckers 1924 in eine Wohnung im dritten Stockwerk ein.

Nathan Drucker, geb. 21.7.1859 in Hamburg, und seine Ehefrau Anna, geb. Herzfeld, geb. 26.12.1861 in Brüel/Mecklenburg, stammten beide aus Familien kleiner Händler. Sie wohnten bei ihrer Heirat am 11. Mai 1887 in der dicht besiedelten Hamburger Neustadt. Als 1889 ihr erstes Kind, Jenny, geboren wurde, zogen sie in die Marienstraße 21. Auf Jenny folgte 1891 eine weitere Tochter, die jedoch mit zweieinhalb Monaten starb. Die Familie zog in die Peterstraße 7a, wo sich Nathan Drucker als Brothändler niederließ. Dort kam am 14.12.1893 der erste Sohn, Siegfried, zur Welt, 1895 Minna und schließlich 1899 Leopold. Als das Grindelviertel neu erschlossen wurde, wechselte Nathan Drucker mit seiner Familie 1909 in die Rutschbahn 38 und betrieb dort eine Pension.

Über die Kindheit und Jugend von Jenny, Siegfried, Minna und Leopold ist wenig bekannt. Entsprechend der Tradition, besuchten die Söhne die Talmud Tora Schule, die Mädchen vermutlich die Schule in der Carolinenstraße. Außer Minna erhielten die Kinder eine Ausbildung, Jenny als Kontoristin, Siegfried und Leopold als Kaufleute. Minna erledigte vermutlich zusammen mit ihrer Mutter die Hausarbeit im eigenen Haushalt wie in der Pension.

Am 19. Juli 1918 heiratete als erstes der Kinder Siegfried die gleichaltrige Martha Wolff, geb. 24.8.1893 in Hamburg. Ihr erstes Kind, im Jahr darauf geboren, war die Tochter Ruth, ihr folgten 1920 Heinz und 1924 Hannelore. Anna Drucker erlebte Hannelores Geburt nicht mehr, sie starb am 18. Mai 1923 und wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Ihlandkoppel in Ohlsdorf beerdigt.

Nathan Drucker, inzwischen 65 Jahre alt, gab die Pension auf und fand im Louis Levy-Stift ein neues Zuhause für sich und die noch ledigen Kinder Jenny, Minna und Leopold. Ab 1924 wurde er nicht mehr zu Steuerzahlungen an die jüdische Gemeinde herangezogen, d.h. er verfügte über kein nennenswertes Einkommen mehr. Offenbar wurde er durch seine Tochter Jenny unterhalten, die bis zur Weltwirtschaftskrise ein regelmäßiges Einkommen hatte. Über die religiöse Zugehörigkeit zu einem der Kultusverbände ist nur bekannt, dass sich Siegfried Nathan zum Synagogenverband hielt, dann aber zur Neuen Dammtor Synagoge wechselte.

Leopold heiratete eine Nichtjüdin, Johanna Heumann. Sie lebten eine Zeitlang in Düren im Rheinland, bevor sie nach Hamburg zurückkehrten und eine Wohnung in der Bismarckstraße 60 in Eimsbüttel bezogen. Am 28.1.1926 wurde ihre Tochter Ellen geboren.

Nathan Drucker starb am 7. Februar 1930 und wurde neben seiner Ehefrau Anna auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Jenny und Minna Drucker blieben ledig und wohnten zunächst weiter an der alten Adresse.

Um 1933 nutzte Jenny ihre Ersparnisse für den Erwerb eines einfach ausgestatteten Papier- und Schreibwarengeschäfts. Es lag im Kellergeschoss des Hauses Bismarckstraße 60, wo es 30 Jahre zuvor Franz Pohlmann eröffnet hatte. Jenny handelte außer mit Papier- und Schreibwaren mit Zeitschriften und Modeheften und betrieb ein öffentliches Telefon. Minna führte ihren gemeinsamen Haushalt, so gut es ging.

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und den nun einsetzenden Repressionen gegen Juden sanken die Einkünfte aus dem Geschäft und fielen 1934 unter die Steuergrenze. Bereits im Oktober 1933 war Jenny Drucker die Fernsprechzelle weggenommen worden, und sie erhielt immer weniger Zeitschriften und Modehefte geliefert. Die beiden Schwestern wandten sich mit der Bitte um Unterstützung an die jüdische Gemeinde, die sie jedoch mit der Begründung ablehnte, es lägen derzeit zu viele Hilfsgesuche vor. In ihrer Not beantragte Minna Drucker im November 1933 Fürsorgeunterstützung und wurde am 15. Dezember 1933 bei der Wohlfahrtsstelle aufgenommen. Nach zehn Jahren auf der dritten Etage im Louis Levy-Stift zogen Jenny und Minna Drucker am 11. Januar 1934 zu ihrem Bruder Leopold in die Bismarckstraße 60, und Siegfried Drucker bezog gleichzeitig mit seiner Familie eine Wohnung in der ersten Etage im Louis Levy-Stift.

Minna Drucker wurde auf ihre Arbeitsfähigkeit hin geprüft mit dem Ergebnis, dass sie aufgrund ihrer Krankheit nur für leichte Hausarbeit einsetzbar war. Mal hieß es, sie leide an Wassersucht, ein andermal, es handle sich um Fettsucht. Bei einer Körpergröße von 154 cm wog sie über 130 kg. Ab 9. März 1934 erhielt sie für zwei Monate Unterstützung zum Lebensunterhalt in Höhe von 3 RM pro Woche, danach 5 RM, und dabei blieb es bis September 1937. Darüber hinaus wurde für ihre gesundheitlichen Belange gesorgt, z.B. für feste höhere Stiefel, damit sie sicher gehen könne.

Jenny Drucker wandte sich wegen einer Unterstützung ihres Papierwarengeschäfts ebenfalls an die Wohlfahrtsstelle. Diese forderte im Mai 1935 bei der "Detaillistenkammer" ein Gutachten an. Die Sachverständigen für Einzelhandelsgeschäfte kamen zu dem Schluss, dass Umsatz und Gewinn des Geschäfts zu gering seien, um die Existenz seiner Inhaberin zu sichern und sich dies auch wegen seiner Lage und geringen Größe in Zukunft nicht ändern werde. Deshalb sei eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht möglich.

Ende Oktober 1935 verließ Leopold Drucker Hamburg, Jenny und Minna konnten sich ab Sommer 1936 nur noch eine Kellerwohnung in der Bismarckstraße 46 leisten. Ihr Bruder Siegfried half ihnen bei den Anträgen an die Wohlfahrtsstelle. Nach nur sechs Wochen, eventuell erst später, hier sind die Dokumente unklar, konnten sie im Oppenheimer-Stift in der Kielortallee 22 eine Hochparterrewohnung beziehen.

Die Wohlfahrtsstelle suchte nach Wegen, um Minna Drucker aus der Fürsorgeunterstützung entlassen zu können. Bis jetzt leistete die jüdische Gemeinde nur "Winterhilfe" und andere unterhaltspflichtige und zahlungsfähige Angehörige gab es nicht. Unterstützungsarbeit konnte Minna nicht annehmen, dies scheiterte an ihren gesundheitlichen Einschränkungen, wie sowohl vom Hausarzt als auch vom Vertrauensarzt bestätigt wurde. Dennoch leistete Minna ab September 1936 mit gesundheitlich bedingten Unterbrechungen solche Unterstützungsarbeit, d.h. leichte Arbeit im Haushalt, die mit wöchentlich 2,25 RM vergütet wurde. Eventuell handelte es sich hierbei um ihre Arbeit im Haushalt und im Geschäft ihrer Schwester, da nun keine Scheuerfrau mehr kam. Im September 1937 wurde die Unterstützung eingestellt.
Jenny Drucker lag wegen eines Unterschenkelbruchs 17 Wochen im Krankenhaus und konnte danach nur mühsam gehen, war zudem nervlich "gestört". Wer in der Zeit den Laden betreute, ist nicht bekannt.

Leopold Drucker emigrierte im Herbst 1938 mit seiner Familie nach Peru, Heinz wanderte Ende 1938 nach Australien aus. Siegfried Drucker wurde nach dem Novemberpogrom 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert, am 17. Dezember wieder entlassen und sofort ins Israelitische Krankenhaus gebracht. Er litt an Diabetes, was während der Haft nicht behandelt worden war, und starb am 28. Januar 1939. Im selben Monat gelangte Hannelore mit einem Kindertransport nach Schweden, sodass Martha Drucker allein mit der Tochter Ruth zurück blieb. Sie erhielten Witwen- und Waisenrente.

Am 31. Dezember 1938 musste Jenny Drucker ihr Geschäft als "nichtarisches" Unternehmen schließen. Sie und Minna hatten sich zuletzt durch den Verkauf des ohnehin geringen Warenbestandes und von Leihbibliotheksbüchern eben über Wasser gehalten. Der Versuch, das Inventar zu verkaufen, scheiterte an dessen Alter und an einem Überangebot auf dem Markt: es gab zu viele kleine Geschäfte, die aufgaben.

Anfang 1939 gab es weitere Änderungen in Jenny und Minna Druckers Leben wie für die noch im Deutschen Reich lebenden Juden allgemein. Sie mussten Kennkarten mit einem deutlich sichtbar eingestempelten J tragen und als Frauen ihrem Vornamen ein "Sara" hinzufügen, wenn er nicht als jüdischer Name erkennbar war. Für sie als Jüdinnen wurde beim Wohlfahrtsamt die Sonderdienststelle B zuständig. Dort wurde am 21. Febr. 1939 festgehalten: "Minna und Jenny Drucker sind in gleicher Weise als mittellos anzusehen.
Bisher konnte die Miete aufrecht erhalten werden, da ein Zimmer für 18 RM vermietet ist und auch die Erlöse aus dem Verkauf der Warenbestände zur Begleichung der Miete dienten.

Kündigung des Obdachs zum 1.3.1939. Sie suchen jetzt beide ein billiges und geeignetes Obdach und hoffen, bis zum Datum durch die ausgehängten Obdache bei der Jüd. Gemeinde eine kleine bescheidene Wohnung zu finden."
Gleichzeitig beantragten die Schwestern die Erstattung der Kosten für die Kennkarten mit dem "J" à 3 RM.

Am 5. Dezember 1939 starb Martha Drucker, zehn Monate nach ihrem Ehemann. Die Tochter Ruth absolvierte eine kaufmännische Lehre und erwartete ihr erstes Kind. Sie zog am 1. Januar als Letzte der Familie Drucker aus der Bornstraße 22 in die Kielortallee 22, wo inzwischen beide Tanten wohnten. Nach der Geburt der Tochter Mathel, die auf wundersame Weise die NS-Herrschaft überlebte, zog sie in die Sillemstraße 3b in Eimsbüttel (s. www.stolpersteine-hamburg.de, Biographie Ruth Drucker).

Als die Deportationen zum angeblichen Aufbau im Osten im Herbst 1941 begannen, wurde als erste aus der Familie Ruths Tante Paula Wolff, die ledige Schwester ihrer Mutter Martha, am 25. Oktober in das Getto von "Litzmannstadt"/Lodz verbracht. Sie war 49 Jahre alt. Am 18. November 1941 wurden Jenny und Minna Drucker mit ihrer Nichte Ruth in das Getto von Minsk deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren, Jenny im Alter von 52, Minna im Alter von 46 und Ruth im Alter von 22 Jahren.

Dass Mathel überlebte, verdankte sie dem beherzten Eingreifen ihrer Großmutter Gottlieb. Sie wurde von ihren Großeltern adoptiert und gelangte als Mathilde Gottlieb mit ihren Adoptiveltern nach Australien, wo sie in Melbourne als verheiratete Mathilde Rivenell lebte.

Stand: Oktober 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 332-5 (Standesämter); 351-11 (AfW), 14143 Paula Wolff, 15619 Siegfried Drucker, 43844 Heinz Drucker, 46526 Hannelore Tobias; 351-14 (Fürsorge), 1103; Birgit Gewehr, Ruth Drucker, in: Stolpersteine in Hamburg-Altona, Hamburg, 2015.
Zur Nummerierung häugi genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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