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Veilchen Elias (geborene Blum) * 1865

Brahmsallee 13 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
VEILCHEN ELIAS
GEB. BLUM
JG. 1865
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLIKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 13:
Moritz Bacharach, Erna B. Bacharach, Gretchen Fels, Jona (John) Fels, Olga Guttentag, Fanny Guttentag, Bruno Schragenheim, Irma Schragenheim

Veilchen Elias, geb. Blum, geb. am 8.9.1865 in Borken/Hessen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka

Brahmsallee 13

Veilchen Blum wurde 1865 im kurhessischen Borken geboren. Ihre Eltern waren der Schuhmachermeister Joseph Blum und Hannchen Blum, geborene Abt. 1854 zählte die Jüdische Gemeinde des Ortes 120 Personen aus 25 Familien. Borken hatte damals rund 1500 Einwohner und war von der Landwirtschaft sowie dem Braunkohleabbau geprägt. Zwei Jahre nach Veilchen Blums Geburt wurde das Kurfürstentum Hessen und damit auch Borken nach dem Krieg von 1866 von Preußen annektiert.

Veilchen Blum heiratete im August 1892 Markus Elias jun. (1860–1935), wie damals üblich am Wohnort der Braut. Trauzeuge war ihr Bruder oder Cousin Moritz Blum (geb. 21.3.1864 in Borken), der als Kaufmann in Eldagsen lebte, wo sich auch weitere Familienangehörige niedergelassen hatten. Nach der Heirat zog Veilchen Elias, geb. Blum, zu ihrem Mann nach Gudensberg, einem Ort mit 2200 Einwohnern im Bezirk Kassel.

Markus Elias stammte aus dem hessischen Gudensberg, in dem Anfang 1933 die Jüdische Gemeinde 124 Mitglieder zählte und über die Wahlliste "Jüdische Gemeinde" einen eigenen Vertreter ins Stadtparlament entsenden konnte. Hier betrieb Markus Elias als Schuhmacher in der Hornungsgasse 2 ein Geschäft mit Schuhwaren und "Landesprodukten en gros" (wie Roggenstroh, Futterrüben oder Saatkartoffeln). Seine Familie war seit über 150 Jahren in Gudensberg ansässig. Schon der Vater, Kaufmann Itzig Levi Elias (1820–1869), und der Großvater, Handelsmann Marcus Levi Elias (1790–1856), waren hier geboren. Die Eheleute Elias bekamen sieben Kinder, von denen fünf im Kindesalter starben, lediglich die Töchter Helene Baruch, geb. Elias (geb. 1893), und Betti Elias (geb. 1900) überlebten.

Das Zusammenleben und -arbeiten christlicher und jüdischer Einwohner gestaltete sich unproblematisch: Als Veilchen Elias nach Gudenberg gezogen war, unterstützte die gegenüber wohnende Elise Mildner sie im Fachwerkhaus in der Hornungsgasse 2 und im Garten. 1910 inserierte Markus Elias jun. in der "Gudensberger Zeitung": "Schuhwaren-Gelegenheitskauf. Durch Übernahme des Schuhwarenlagers meiner verstorbenen Schwiegereltern verkaufe ich einen großen Posten regulärer Schuhwaren bedeutend unter Preis. (…) Besichtigung ohne Kaufzwang jederzeit gern gestattet." 1919, in Zeiten der Mangelversorgung nach dem Ersten Weltkrieg, inserierten drei der Gudensberger Schuhhändler, Markus Elias jun., Justus Ludwig und Wilhelm Böttger: "Durch Verfügung der Reichsstelle für Schuhversorgung sind Schnürstiefel mit Lederbesatz und Holzsohlen im Preise bedeutend herabgesetzt (…)." Dieses Inserat setzten einer der beiden jüdischen Schuhhändler Gudensbergs und zwei christliche gemeinsam auf. Die Religion hinderte sie nicht an gemeinsamen kaufmännischen oder privaten Unternehmungen. Veilchen Elias engagierte sich während des Kaiserreichs im rund 40-köpfigen Vaterländischen Frauenverein des Ortes und wurde, so erinnerte sich ihre Tochter, in den Vorstand gewählt.

Ab 1933 etablierte sich die NSDAP unter dem Ortsgruppenleiter Ludwig Herbener schnell im Ort. Mit ihr kam der Antisemitismus. Juden wurden nun mit Boykottaktionen und körperlichen Übergriffen zur Aufgabe ihrer Geschäfte und zum Verlassen des Ortes genötigt: "Das Geschäft unseres Vaters kam daher recht bald zum Erliegen. Er konnte in den Jahren 1933–1935 immer weniger verdienen und war, als er im September 1935 zusammen mit uns Gudensberg verließ, nicht mehr in der Lage, für das Geschäft als solches irgendeinen Preis zu erzielen", bestätigten die Töchter 1957. Um für das Haus in der Hornungsgasse 2 (nun umbenannt in Adolf-Hitler-Straße 30) einen adäquaten Verkaufspreis und vertrauenswürdige Käufer zu finden, sprach Veilchen Elias die ihnen nahestehenden Eheleute Mildner an. Sie war es auch, die den Kaufvertrag am 9. Oktober 1935 beim Notar unterzeichnete "mit Vollmacht und Untervollmacht, handelnd für Markus Elias, ihren Ehemann". Ungewöhnlich war auch die umgehende Begleichung des Kaufpreises in bar, was den Eheleuten Elias die sofortige Abreise aus Gudensberg ermöglichte. Helene Baruch präzisierte später: "Ich (…) war am 6.9.1935 nach Gudensberg gefahren, um den 70. Geburtstag meiner Mutter zu feiern. Ich wurde von Nachbarn gewarnt, daß mein Vater in Gudensberg seines Lebens nicht mehr sicher sei. Aus diesem Grunde habe ich meine Eltern veranlasst, schleunigst nach Hamburg zu meinem Ehemann, Siegmund Baruch, zu übersiedeln." Markus Elias war in Gudensberg auf offener Straße von Nationalsozialisten misshandelt worden. Schutz hatte er von den nun nationalsozialistisch ausgerichteten staatlichen Organen nicht zu erwarten. Mehrmals übernachtete der Nachbar und städtische Bedienstete Jacob Mildner (geb. 1896) im Hause Elias, um ihm bei eventuellen SA-Übergriffen beizustehen.

Vermutlich noch im September 1935 zogen die Eheleute zur Tochter Helene Baruch, geb. Elias, dem Schwiegersohn und Holzhändler Siegmund Baruch (geb. 30.1.1884 in Volkmassen) und den drei Enkelkindern Inge (1917), Ellen (1918) und Lisa (1921) nach Hamburg in die Eppendorfer Landstraße 58. Mitte Oktober 1935 wechselten sie in eine eigene Wohnung in der Rutschbahn 24, II. Stock (Rotherbaum). Markus Elias trat am 14. November 1935 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg und dem gemäßigt konservativen Kultusverband "Neue Dammtorsynagoge" bei. Doch nur wenige Wochen nach Geschäftsaufgabe und Hausverkauf starb er am 25. November 1935 in Hamburg in der gerade erst bezogenen Wohnung an den Folgen der Misshandlung. Auf seiner Sterbeurkunde wurde keine Todesursache angegeben. Der Arzt, bei dem Markus Elias seit seiner Ankunft in Hamburg in Behandlung war, diagnostizierte in der Todesbescheinigung eine Arterienverkalkung sowie einen Infarkt; als unmittelbare Todesursache gab er "Herzkrämpfe" an. Markus Elias wurde auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg beigesetzt.

Die 71-jährige Veilchen Elias zog im September 1936 in eine der Erdgeschosswohnungen in der Brahmsallee 13. Das Haus wechselte in den 1930er-Jahren mehrfach seinen Besitzer: Wurde im Hamburger Adressbuch von 1932 noch die Rudolf Karstadt AG als Eigentümer genannt, so war es 1936 die Hamburgische Grundstücks GmbH (Große Reichenstraße 67), 1937 bis 1938 H. Jahn gemeinsam mit dem Inhaber der gleichnamigen Klempner- und Installateurfirma Albert Ripakewitz (Heinrich-Hertz-Straße 113) und ab 1938 Hilda Eversmann (Agnesstraße 13). Auch die Zusammensetzung der Mieter wechselte: Das Adressbuch wies im Erdgeschoss zwischen zwei und vier Mietpartien aus: Friseur Leo Galanski (1936–1940), für den 1941 der kaufmännische Angestellte Walter Ohland einzog, Hausmakler Salomon Eschwege (1936), Kaufmann Paul Sobisch (1937–1942) und die Gesangspädagogin Claire Chodowiecki (1938–1943). Veilchen Elisas konnte keine hohe Miete entrichten, denn mit der Emigration der älteren Tochter im Oktober 1938 scheinen sich ihre finanziellen Probleme verschärft zu haben; auf der Kultussteuerkarteikarte wurde für 1940 "kein Einkommen, kein Vermögen" notiert. Bis Ende 1941/Anfang 1942 konnte Veilchen Elias noch im Haus wohnen; dann wurde sie vom Wohnungsamt zum Umzug in die Kielortallee 22 (Eimsbüttel) genötigt – das Haus Kielortallee 22 war zum "Judenhaus" erklärt worden und diente nun als Sammelquartier für die anstehenden Deportationen. "Deutschen Volksgenossen", zu denen Veilchen Elias aus Sicht der Nationalsozialisten nicht mehr gehörte, war der Zutritt zu "Judenhäusern" untersagt. Der Verbleib der gutbürgerlichen Wohnungseinrichtung (Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche, Bad) aus der Brahmsallee ist nicht bekannt.

Ab September 1941 musste auch Veilchen Elias auf der Straße deutlich sichtbar an ihrer Kleidung einen gelben "Judenstern" tragen. Von den ersten Großdeportationen war sie wegen ihres hohen Alters noch zurückgestellt, wurde dann aber dem ersten Massentransport ins Getto Theresienstadt am 15. Juli 1942 zugeteilt. Auf der Transportliste nach Theresienstadt (Terezin) war Veilchen Elias unter der Transportnummer "VI/1 c 207" registriert. Sofort nach der Abfahrt wurde die Wohnung von der Hamburger Gestapo versiegelt und die Einrichtung vom NS-Staat beschlagnahmt.

Von Theresienstadt wurde Veilchen Elias nach einem Vierteljahr am 21. September 1942 zusammen mit weiteren 1984 Inhaftierten ins Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert. Es ist anzunehmen, dass sie kurz nach ihrer Ankunft dort ermordet wurde – das genaue Todesdatum ist unbekannt.

Der älteren Tochter Helene Baruch, geb. Elias, ihrem Ehemann und den Töchtern gelang im Oktober 1938 die Emigration über die Schweiz, England und Irland in die USA.

1963 schrieb die damals 63-jährige Tochter Betti Eliot, geb. Elias, aus London an den damaligen Bundeskanzler: "Sehr geehrter Herr Dr. Adenauer, ich komme heute mit einer großen Bitte zu Ihnen. (Bitte werfen Sie den Brief nicht in den Papierkorb, bevor Sie ihn gelesen haben. Denn ich muss Ihnen erst ein bisschen von meiner Lebensgeschichte erzählen, ehe ich zu meiner Bitte komme). Ende 19(32) ging ich nach Paris in eine französische Familie, um mein Französisch etwas aufzufrischen. Und dann wollte ich wieder zurück nach Hause fahren (zuhause war Gudensberg, Bezirk Kassel), wo mein Vater ein Geschäft hatte. (…). Meine Mutter war im Vorstand des vaterländischen Frauenvereins seit dem Ersten Weltkrieg. Ich hatte zwei Tanten in Köln, die Schuhgeschäfte in der Severinstraße hatten, als Sie, Herr Dr., Oberbürgermeister waren und ich habe so schöne Jugenderinnerungen an Köln. 1933 wollte ich von Paris aus wieder nach Hause fahren, aber mein Vater schrieb mir, ich solle besser im Ausland bleiben. Es sind fast 30 Jahre und ich habe mich recht und schlecht durchgeschlagen. Ich bin jetzt 63. 1935 fuhr ich nach Hamburg, wohin meine Eltern inzwischen gezogen waren. Meine Schwester war dort verheiratet. Nach 6 Wochen schon starb mein Vater an den Verletzungen, die er in Gudensberg von den Nazis erhalten hatte. Ich sah ihn nicht mehr lebend. 1939 wanderten meine Geschwister nach New York aus, um sich dort eine neue Existenz zu schaffen und ließen Mutter vorläufig in Hamburg zurück. Sie war 77. Niemand hat sie je wiedergesehen. Sie soll in Theresienstadt gestorben sein. Inzwischen war ich 1938 in Rom zum Katholizismus übergetreten, seit 1939 bin ich in England (…)". Ihrer Bitte um finanzielle Unterstützung wurde nicht entsprochen. Betti Eliot, geb. Elias, erhielt weder eine Entschädigung noch eine Rente, da sie während des Nationalsozialismus keinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hatte.

Für Markus Elias wurde 2012 in der Straße Rutschbahn 24 ein Stolperstein verlegt.

Stand: September 2016
© Björn Eggert

Quellen: StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1938/3029 (Sicherungsmaßnahmen, Vermögen Helene Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 8131 u. 534/1935 (Sterberegister 1935, Marcus Elias); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 892 (Helene Baruch); StaH 351-11 (AfW), 893 (Betti Elias); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1935 Standesamt 3 Nr. 534 (Markus Elias); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkarteikartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Siegmund Baruch, Veilchen Elias, geb. Blum, Salomon Eschwege; Hessisches Staatsarchiv Marburg, Standesamt Borken (Hessen), Heiratsnebenregister 1892 (HStAMR Best. 920, Nr. 828), einsehbar im Internet unter www.lagis-hessen.de; Stadtarchiv Springe, Meldeakten aus Eldagsen (Blum); Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Internet (Veilchen Elias, geb. Blum); Staatsarchiv Hamburg, Gedenkbuch. Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995, S. 90; Jüdischer Friedhof Ohlsdorf, Gräberkartei (Grabstelle 03-176 Markus Elias); Yad Vashem, Page of Testimony (Gedenkblatt, 2011); Handelskammer Hamburg, Firmenarchiv (Siegmund Baruch, HR-Nr. A 17027); Hamburger Börsenfirmen, 1935, S. 43 (Baruch, Siegmund, gegr. 1912, Mönckebergstr. 17, zugeschnittene Kisten); Hamburger Adressbuch (Straßenverzeichnis, Brahmsallee 13) 1937–1941; Handbuch für den Gau Kurhessen der NSDAP, Kassel 1934, S. 25 u. 29 (Kreis Fritzlar, u.a. Gudensberg); Gudensberger Zeitung (Inserate von Markus Elias jun.) 1910, 1911, 1912, 1916, 1921, 1922; Kurhessische Landeszeitung, 5.5.1938 (Gudensberg – Ein fünfjähriger, zäher Kampf gegen das Judentum in der Stadt Gudensberg ist nun endlich von Erfolg gekrönt); Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 22.3.2012 (Reise in die Vergangenheit. Lisa Eyck war zu Gast in Gudensberg, aus der ihre Familie einst vertrieben wurde); Arbeitskreis Synagoge Gudensberg e.V., Aus dem Alltagsleben der jüdischen Gemeinde in Gudensberg (Ausstellung und Broschüre), November 1988; Initiative Stolpersteine für Gudensberg; Hans-Peter Klein, Stammbaum der Familie Levi-Elias, unveröffentlicht, 2012/2014; Charlotte Heil, Judenverfolgung und Arisierung in den 30iger Jahren – am Beispiel eines Hausverkaufs in Gudensberg, Hausarbeit im Geschichtsleistungskurs, unveröffentlicht, 2005; http://de.wikipedia.org/wiki/Borken_(Hessen) (eingesehen am 27.11.2014)

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