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Bernhard Goslar * 1881

Eppendorfer Landstraße 86 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
BERNHARD GOSLAR
JG. 1881
FLUCHT
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 1943
MAJDANEK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 86:
Ruth Riess

Bernhard Goslar, geb. am 1.8.1881 in Hamburg, 1933 Flucht nach Frankreich, am 4.3.1943 aus dem Internierungslager Drancy ins Konzentrationslager Majdanek deportiert und ermordet

Ruth Riess, geb. Goslar, geb. am 7.6.1912 in Hamburg, 1933 Flucht nach Frankreich, am 10.8.1942 aus dem Internierungslager Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet

Eppendorfer Landstraße 86

"Der Schlachter Moritz Gosslar, wohnhaft zu Hamburg, 2 Jacobistraße Nr. 3, jüdischer Religion […] zeigte an, daß von der Sophie, geborener Elias, seiner Ehefrau, jüdischer Religion, wohnhaft bei ihm […] in seiner Wohnung, am ersten August des Jahres tausend acht hundert achtzig und ein, nachmittags um drei Uhr ein Kind männlichen Geschlechts geboren worden sei, welches den Vornamen Bernhard erhalten habe." So lautet der standesamtliche Eintrag zu Bernhards Geburt. Der Familienname "Gosslar" wurde später in "Goslar" geändert.

Bernhard hatte drei ältere Schwestern: Regine, (1876–1924), Elise, geboren 1877 und Selma, geboren 1879. Elise und Selma starben bereits als Säuglinge, Regine heiratete 1898 den Schlachter Jacob Heymann (1869–1919) aus Friedrichstadt. Das Ehepaar bekam zwei Kinder. Der Sohn Alfred (geb. 27.4.1902 in Friedrichstadt) studierte Medizin und betrieb seit 1927 eine Arztpraxis im Ausschlägerweg in Hamburg. Nachdem ihm zum 30.6.1933 aus "rassischen" Gründen die Zulassung als Kassen- und Vertrauensarzt entzogen worden war, lebte er bis zu seiner Auswanderung im März 1934 von Ersparnissen. In den USA konnte er schließlich wieder eine Praxis als Arzt und Geburtshelfer eröffnen. (Er starb 1970 in Utica im Bundesstaat New York.)

Die Tochter Elly (geb. 26.10.1898 in Friedrichstadt) heiratete 1922 den Hamburger Kaufmann Adolf Hirschel und lebte mit ihm in Berlin. Dort wurde 1925 der Sohn Hans geboren. Familie Hirschel konnte in den 1930er-Jahren in die Schweiz flüchten und 1941 über Portugal in die USA gelangen. Alfred hatte für sie gebürgt.

Zurück zu Bernhard. Er besuchte bis zum "Einjährigen" (Mittlere Reife) die Talmud Thora Schule und absolvierte dann eine kaufmännische Lehre in der Hamburger Exportfirma Haberer. Bevor er 1907 gemeinsam mit einem Kompagnon die Importfirma Jastrow & Goslar gründete, arbeitete er als Angestellter in seiner Lehrfirma. Einige Wochen nach seinem dreißigsten Geburtstag heiratete er die ebenfalls jüdische Mary Mehrgut (geb. 22.11.1890), eine Tochter von Schöntje und Samuel Mehrgut und Schwester von Sophie Mehrgut (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Das Paar mietete im Haus Eppendorfer Landstraße 86 eine Wohnung, 1912 wurde die Tochter Ruth geboren. Von 1915 bis zu einer Verwundung kämpfte Bernhard Goslar als Soldat an der russischen Front, dann bis zum Waffenstillstand in Frankreich. Dafür wurde er mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse sowie dem Hanseatenkreuz ausgezeichnet. 1917 starb seine Mutter Sophie (geb. 1849); daraufhin zog sein Vater Moritz nach Friedrichstadt zu Bernhards Schwester Regine. Dort starb er im Dezember 1918, begraben wurde er auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf.

Da auch Bernhard Goslars Sozius eingezogen war, konnte die Firma Jastrow & Goslar während des Krieges nicht weitergeführt werden. Bernhard musste nach seiner Rückkehr als selbstständiger Vertreter verschiedener Importfirmen den Lebensunterhalt verdienen. Später gründete er zusammen mit zwei Teilhabern eine Bausparkasse im Gutrufhaus am Neuen Wall.

Im Sommer 1933 trat er eine Stelle als Geschäftsführer bei einer Bausparkasse in Frankfurt am Main an, die er jedoch nach kurzer Zeit an ein Parteimitglied der NSDAP abgeben musste, wie seine Frau nach dem Krieg schrieb. Und weiter führte sie aus: "Da mein Mann unter den damaligen Verhältnissen keine andere Stellung finden konnte, waren wir gezwungen, auszuwandern und zwar gingen wir im August 1933 nach Paris. Dort konnten wir zunächst keine Erlaubnis zum Arbeiten erhalten und konnten uns dann durch einen kleinen Essplatz mühsam ernähren, bis wir durch den Kriegsausbruch gezwungen waren, alles aufzugeben".

Anscheinend betrieben Bernhard und Mary einen Mittagstisch und boten eventuell noch weitere Mahlzeiten an. Wahrscheinlich zählten andere Flüchtlinge zu ihren Gästen. Über gastronomische Erfahrungen verfügten beide nicht. Mary hatte bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr die Dr. Loewenberg Schule besucht und anschließend eine Ausbildung in Buchführung erhalten. Nach ihrer Heirat hatte sie als Hausfrau und Mutter gewirkt, bis sie 1927 für mehrere Textilfirmen als Vertreterin tätig geworden war. Von 1931 bis zu ihrer Auswanderung hatte sie Wäsche und Strickwaren von ihrer Wohnung aus vertrieben. In Paris schien auch die Tochter Ruth in dem kleinen Familienbetrieb mitgeholfen zu haben. Als deren letzte Tätigkeit ist "Restaurantangestellte" verzeichnet. Ruth hatte in Hamburg 1932 am "Lyzeum Fräulein Witt" das Abitur abgelegt, dann eine kaufmännische Fachschule besucht und als Kassiererin gearbeitet.

Im Mai 1940 wurde die Familie im Lager Gurs interniert und bald darauf auseinander gerissen. Mary überlebte in den folgenden Jahren die Konzentrationslager Recebedou und Nexon. Im März 1943 musste sie sich im Krankenhaus von Limoges, das für die Gefangenen von Nexon zuständig war, einer Operation unterziehen. Anscheinend gelang ihr von dort die Flucht, denn während der nächsten Monate tauchte sie bei einem Bauern unter, der der Résistance nahe stand. Sie hat "in dessen Scheune geschlafen, und wenn Nachforschungen zu befürchten waren, in einem nahen Walde und war teilweise dann darauf angewiesen, von Kastanien zu leben". Diese Monate empfand sie als schrecklich: "Mein Leben war immer von der Furcht bedroht, von den Nazis aufgegriffen zu werden und habe ich richtig menschenunwürdig hausen müssen, um mich den vielfachen Razzien zu entziehen" schrieb sie später. Unterernährt und krank wurde sie schließlich bis zur Befreiung im Krankenhaus von Limoges versteckt. (Nach dem Krieg wanderte sie in die USA aus und heiratete dort Hermann Messer, ebenfalls ein Überlebender der Shoah. Mary Messer starb am 27. Januar 1963.)

Ruth muss in Frankreich geheiratet haben, denn sie wurde in den dort erhaltenen Dokumenten unter dem Familiennamen Riess registriert. Anfang 1941 überstellte man sie von Gurs in das Lager Rivesaltes, dann zurück nach Gurs. Dort ist "div." (divorcée) – also geschieden – auf ihrer Karteikarte vermerkt. Sie wurde am 10. August 1942 aus dem Durchgangslager Drancy bei Paris mit Konvoi Nr. 17 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Bernhard Goslar war nach späteren Angaben seiner Frau von August bis Dezember 1940 im Konzentrationslager Verney inhaftiert, wurde von dort zurück nach Gurs überstellt, kam im Oktober 1941 ins Konzentrationslager Recebedou und im November 1942 nach Nexon. Ende Februar 1943 registrierte man seine Ankunft, aus Gurs kommend, im Durchgangslager Drancy. Am 4. März 1943 wurde er mit Konvoi Nr. 50 nach Majdanek im besetzten Polen deportiert und ermordet.


Stand: Mai 2019
© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 5; 8; StaH 332-5_2006; StaH 332-5_2221; StaH 332-5_1878 ; StaH 332-5_1914; StaH 332-5_1961; StaH 332-5_54; StaH 332-5_85; StaH 332-5_2905; StaH 332-5_770; StaH 351-11_12893; StaH 351-11_26358; schriftliche Auskunft Archives du Mémorial de la Shoah, Paris, vom 28.9.2017; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Friedrichstadt, E-Mails vom 13.2.2018 und 23.2.2018; ancestry.de zum Tod von Dr. Alfred Heymann, Zugriff 2.3.2018; ancestry.de Passagierliste S.S. "Exeter" von Lissabon nach New York 18.4.1941, Zugriff 2.3.2018; schriftliche Auskunft Dr. Daniel Teichman, Zürich, E-Mail vom 16.3.2018; schriftliche Auskunft Jacques Pons, Archives départementales, Département des Pyrénées-Atlantiques, E-Mail vom 19.6.2018.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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