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Sitzende Auguste Bentheim
Auguste Bentheim
© Privat

Auguste Bentheim (geborene Israel) * 1853

Hallerstraße 42 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
AUGUSTE BENTHEIM
GEB. ISRAEL
JG. 1853
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 30.7.1943

Auguste Bentheim, geb. Israel, geb. 26.5.1853 in Hamburg, deportiert 9.6.1943 nach Theresienstadt, dort am 30.7. 1943 verstorben

Hallerstraße 42

Auguste Gutel Israel wurde am 26. Mai 1853 in Hamburg als Tochter des in Schwerin geborenen Kaufmanns Adolph (Abraham) Israel (1814–1883) und der in Kopenhagen geborenen Emma Israel, geb. Levy (1821–1894) geboren. Einige Jahre vor ihr war die Schwester Julie Gunilde Israel (geb. 7.8.1850 in Hamburg) und einige Jahre nach ihr der Bruder Max Adolph Israel (geb. 16.7.1858 in Hamburg) zur Welt gekommen. Adolph und Emma Israel wohnten von 1863 bis 1883 bzw. 1894 in einem kleinen Haus in der Grindelallee 128 (Rotherbaum), das ihnen laut Adressbuch 1880 auch gehörte. Bis 1871 war Rotherbaum ein Gebiet vor der Stadt. Mit der Aufhebung der Torsperre 1860/61, der Einstufung als Vorstadt 1871 und als Stadtteil 1894 begannen Bauprojekte und Bodenspekulation sowie die Neuanlage und Verlängerung von Straßen den Charakter dieses Gebietes schrittweise zu ändern.

Augustes Vater Abraham ("Adolph") Hertz Elias Israel (geb. 10.1.1814 in Schwerin), war der Sohn des Kaufmanns und behördlich registrierten "Schutzjuden" (mit landesherrlicher Aufenthaltsgenehmigung und Erlaubnis zum Handel) Her(t)z Elias Israel (1765–1829 in Schwerin) und dessen Ehefrau Sara Sophie Israel, geb. Isaac (1771–1847 in Schwerin). Adolph Israel war 1840 nach Hamburg gezogen und hatte 1849 das Hamburger Bürgerrecht erworben. Sein Bruder Elias Hertz Israel (geb. 18.1.1808) war wenige Jahre vor ihm nach Hamburg übergesiedelt. In der Hansestadt hatte Adolph Israel 1843, ein Jahr nach dem Hamburger Brand, zusammen mit Benjamin Ahron Simon (1814–1882) die Firma Simon, Israel & Co. "Lager von englischen Manufacturwaaren en gros" gegründet. 36 Jahre später schied er (1879) aus der Firma und dem Berufsleben aus.

Über die Kindheit, Schul- und Ausbildung seiner Tochter Auguste ist uns nichts bekannt. 1873 heiratete sie den in Berlin geborenen Siegfried Bentheim (1842–1928), der seit 1863 in Hamburg lebte und hier seit 1868 selbständiger Exportkaufmann war. Die standesamtliche Heirat fand am 29. November 1873 statt, die Trauung am 11. Januar 1874 im Israelitischen Tempel leitete Prediger Max Saenger (1821–1882).

Die Eheleute bekamen zwei Söhne, Ferdinand Ernst Bentheim (geb. 1874) und Hugo Bentheim (geb. 1878). Bei der Hausgeburt des Erstgeborenen waren der Geburtshelfer Wolff und die Hebamme Wilhelmine Geschinski (Deichstraße 12) anwesend. Die Wohnadressen von Familie Bentheim lauteten Große Bleichen 76 (1874–1877), Grindelallee 115 II. Stock (1878–1880), Hallerstraße 44 II. Stock (1881–1896), Hallerstraße 42 Parterre (1897–1914) sowie Hansastraße 56 I. Stock (1915–1928). Sie verweisen mit ihrer Lage in einem großbürgerlichen Stadtviertel auf einen gehobenen Lebensstandard. Auch eine Fotografie der beiden Söhne in ausgesucht stilvoller Kleidung mit eleganten Kinderstiefeln und Kragenschleife, aufgenommen in einem Fotoatelier um 1882/1883, bestätigt diesen Eindruck.

Siegfried Bentheim (geb. 1.8.1842 in Berlin, Eltern: Naumann Ferdinand Bentheim u. Tobine geb. Levy) war von 1868 bis 1876 Mitinhaber des Hamburger Tuchwarenlagers Susmann & Co. bzw. Susmann & Bentheim mit Geschäftsadressen Admiralitätsstraße 3 (1869–1872) und Neuer Wall 53 (1873–1876). Ab Februar 1876 führte er unter dem Namen S. Bentheim ein eigenes Exportgeschäft für Textilien und Hüte. Bürge seines ersten Reisepasses im Jahr 1874 war Hermann Elias, Inhaber des Wäschegeschäfts Gebr. Elias (Neuer Wall 53). In den Jahren 1880 und 1881 hielt Siegfried Bentheim sich für einige Zeit beruflich in Russland auf, auch England und Frankreich bereiste er mehrfach geschäftlich. Er war 1910 in die Patriotische Gesellschaft eingetreten, eine seit 1765 bestehende gemeinnützige nichtstaatliche Einrichtung "zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe" in Hamburg. Zu den damals rund 850 ausschließlich männlichen Mitgliedern gehörten zu großen Teilen erfolgreiche Unternehmer und Akademiker.

Die Geschäftsadressen von Firma S. Bentheim lauteten Brodschrangen 5 (1877–1880), Schauenburgerstraße 38 I.Stock (1881–1882), Neuer Wall 78 Haus 4 (1884–1888), Graskeller 16 (1889–1906) und Neuer Wall 95 (1907–1910). Seit 1911 lautete die Firmenadresse Neuer Wall 72/74 ("Paulsen-Haus"); in diesem großen 1907/1908 erbauten Kontorhaus hatten u.a. noch weitere Firmen der Textilbranche Geschäftsräume angemietet. So im Erdgeschoss Gebr. Hirschfeld Mäntelfabrik (gegr. 1893) und Ferdinand Bode Besatzartikel, im Hochparterre Max Wolfson Tuche und Futterstoffe en gros (gegr. 1910) sowie Gaase & Co. Leder- u. Stoff-Handschuhe en gros (gegr. 1889), im I. Stock S. Bentheim und im II.Stock Johannes Unland Seidenwaren-Vertreter (gegr. 1888).

Im April 1919 zog sich der 77-jährige Siegfried Bentheim aus dem Berufsleben zurück ohne seine Firma an einen seiner beiden Söhne weitergeben zu können. Nun wurde er im Hamburger Adressbuch von 1920 erstmalig als Rentner vermerkt. Siegfried Bentheim starb 1928 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Sein Tod wurde vom Kaufmann Arthur Martienssen (1867–1942), der seit 1915 in der Hansastr. 56 II. Stock wohnte, beim zuständigen Standesamt angezeigt.

Augustes und Siegfried Bentheims Sohn Hugo (geb. 27.1.1878) soll nach dem Besuch einer höheren Schule und einer kaufmännischen Lehre, laut mündlicher Familienüberlieferung, mit einer (nicht standesgemäßen) Frau "durchgebrannt" sein. Im Hamburger Melderegister wurde sein Umzug nach Berlin für 1898 notiert; seine einjährige Militärdienstpflicht wurde bis 1901 zurückgestellt. Zwei Tage nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 3. August 1914, heiratete er in Berlin-Friedenau die Wirtschafterin Gertrud Katharina Alma Else Zitzmann (geb. 20.12.1888). Im Zuge der Mobilmachung erhielt Hugo Bentheim in Berlin seinen Einberufungsbefehl zur Kaiserlichen Armee. Er starb am 30. März 1915 durch einen Kopfschuss als Angehöriger des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 3, bei einem Gefecht bei Zwikiele (Rußland).

Ihr Sohn Ferdinand Bentheim (geb. 15.10.1874) beendete 1893 das Gymnasium, wurde 1895 als "untauglich" vom Militärdienst freigestellt, absolvierte eine kaufmännische Lehre und hielt sich als Kaufmann zeitweilig in Argentinien (1899) und England (1906) auf. Er heiratete 1906 in Berlin-Wilmersdorf die ebenfalls jüdische Margarethe "Grete" Hiller (geb. 13.6.1877 in Breslau), Tochter des Kaufmanns Pinto Hiller (1839–1880) und Martha Hiller, geb. Reinert (1850-1916), die seit 1881 mit ihrer Mutter in Berlin lebte. Der Bräutigam wohnte zum Zeitpunkt der Eheschließung in Manchester (27 Warrickroad), wo er für ein amerikanisches Unternehmen als Einkäufer tätig war. An Stelle des verstorbenen Brautvaters war der Stiefvater der Braut Trauzeuge, Kaufmann Daniel Timmendorfer (1847-1909, wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Uhlandstraße 151) anwesend.

Die Eheleute Bentheim lebten von 1906 bis 1914 im Nordwesten von England. Hier wurden auch ihre Söhne Paul Hans (geb. 19.7.1907 in Manchester) und Martin Edwin (geb. 25.8.1909 in Manchester) geboren. Ferdinand Bentheim wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges in verschiedenen britischen Lagern als "feindlicher Ausländer" interniert und kam 1915 wegen Tuberkulose im Rahmen eines Gefangenenaustausches frei. Er reiste im Dezember 1915 über die neutralen Niederlande nach Hamburg zurück und verzog im März 1916 von Hamburg (Hansastraße 56) nach Berlin-Wilmersdorf (Nürnbergerplatz 3 und Holsteinische Str. 44).

Aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes wurde er in ein Sanatorium nach Berlin-Lankwitz (Viktoriastraße 57 – heute Leonorenstraße) gebracht, wo er am 25. Januar 1917 starb. Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee.

Die Ehefrau hatte zusammen mit ihren Söhnen 1915 die Insel verlassen müssen, die nun in Berlin-Wilmersdorf das Bismarck-Gymnasium besuchten. Nach dem frühen Tod von Ferdinand Bentheim arbeitete dessen Witwe als Buchhalterin und Übersetzerin bis sie 1928 in zweiter Ehe den Direktor der Berliner Staatsbibliothek Hermann Hülle (geb. 26.8.1870 in Berlin) heiratete. Vor der Eheschließung ließ sie sich taufen und nahm die evangelisch-lutherische Konfession ihres Ehemannes an. Nach der Pensionierung von Staatsbibliotheksdirektor Hülle zogen die Eheleute am 1. Oktober 1935 von Berlin-Wilmersdorf nach Würzburg. Die Wohnadressen dort lauteten Schellingstraße 13 (1935–1939), Mergentheimer Straße 60 (1939), Winterleitenweg 24 g (1939–1941) und Steinbachtal 36 (1942).

Unterdessen war Auguste Bentheim, auch nach dem Tod ihres Ehemannes, noch bis 1939 in der 6½-Zimmer-Wohnung Hansastraße 56 I. Stock (Jahresrohmiete 2.100 Reichsmark) verblieben, zu deren wertvoller Ausstattung u.a. Teppiche, Gemälde, ein Extraschrank für Silbersachen sowie Porzellan gehörten. In einem eigenen "Leinenzimmer" wurde "in der Winterzeit an dem Leinen gearbeitet" – Leinenstickerei war ab circa 1870 in Deutschland wieder in Mode gekommen. Der Enkel Martin Bentheim konnte 1961 gegenüber dem Hamburger "Amt für Wiedergutmachung" keine Details der Ausstattung mehr benennen. Seine Einschätzung der Wohnungseinrichtung lautete 24 Jahre nach seinem letzten Besuch: "An den Wänden hingen recht kostbare Gemälde anerkannter Meister. Die Fußböden waren mit echten Perserteppichen belegt. Meine Großmutter besass sehr viele Silbersachen, die sie mir oft gezeigt hat. Ich kann mich noch sehr gut an ein Silberbesteck für 24 Personen erinnern. Meine Großmutter hatte einen besonderen Schrank, in welchem die Silbersachen aufbewahrt wurden."

Der NS-Staat bemächtigte sich schrittweise und systematisch ihrer Vermögens- und Wertgegenstände. Dafür hatte er Gesetze erlassen, die der Plünderung einen legalen Anstrich geben sollten. Durch eine staatliche Vermögenssperre wurde üblicherweise die Verfügungsgewalt über das Girokonto (außer einem genehmigten festgelegten "Freibetrag") und das Wertpapierdepot entzogen; mit Sondersteuern wurden große Teile des jeweiligen Vermögens eingezogen. Bei Auguste Bentheim fehlt eine entsprechende Akte des Oberfinanzpräsidenten, dennoch kann von einem solchen Ablauf ausgegangen werden.

Das "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1939 entzog Juden den Mieterschutz. Die Zusammenlegung in zu "Judenhäusern" erklärten Gebäuden wurde von örtlichen Wohnungsämtern und Gestapodienststellen zusammen vorbereitet. Die 86-jährige Auguste Bentheim musste zum 1. Juli 1939 (laut Hauskartei) bzw. 6. September 1939 (laut Kultussteuerkartei) ihre Wohnung verlassen. Als Ersatz wurde ihr ein Zimmer in der Haynstraße 10 II. Stock zugewiesen, das aber nicht als "Judenhaus" galt.

Auguste Bentheim wohnte dort zur Untermiete bei dem Textilwarenvertreter Franz Hirsch (1885–1951), dessen Ehefrau Charlotte Hirsch, geb. Heicke (1897–1971) und ihren beiden Töchtern Elsbeth (geb. 5.11.1920 in Hamburg), die als Stenotypistin arbeitete und Edith (geb. 6.3.1924). Familie Hirsch, die der evangelisch-lutherischen Kirche angehörte, hatte die 6½-Zimmer-Wohnung erst zum 31. Mai 1939 bezogen, vorher hatten sie in der Cäcilienstraße 10 (Winterhude) gewohnt. Die NS-Rassekriterien stuften sie als "privilegierte Mischehe" ein, dennoch wurde Franz Hirsch für drei Wochen ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel verschleppt. Zwei weitere Untermieterinnen wurden zeitgleich mit Auguste Bentheim in der Wohnung einquartiert: Lina Bernstein, geb. Gattel (geb. 27.5.1869 in Sommerfeld/Niederlausitz) aus der Eppendorfer Landstr. 24 und Gertrud Brühl, geb. Treumann (geb. 20.5.1870 in Waaren/Mecklenburg) aus der Haynstraße 15 – vermutlich eine Schwägerin von Arthur Martienssen.

Wo die umfangreiche Wohnungseinrichtung der Bentheims aus der Hansastraße 56 verblieb, ist unbekannt. Im Hamburger Adressbuch von 1941 waren gegenüber dem Jahr 1939 in allen Wohnungen des Hauses Hansastraße 56 neue Mieter verzeichnet. In der Bentheim-Wohnung im I. Stock war bereits 1940 Hauptmann Erich Eggebrecht (geb. 11.04.1899) angegeben, der im Februar 1939 von Kiel zur Wehrwirtschaftsstelle Hamburg I versetzt worden war; in seiner Personalakte findet sich leider keine detaillierte Hamburger Wohnanschrift. Im III. Stock war 1941 Oberleutnant Julius Hentschel eingezogen. Für die Erdgeschosswohnung des Arztes Raphael Möller (geb. 8.11.1895 in Hamburg), der 1939 in die USA emigrierte, und Witwe Sarah Möller waren keine neuen Mieter verzeichnet.

Im April 1941 musste Auguste Bentheim laut Hausmeldekartei aus der Haynstraße 10 in die Hochallee umziehen. Ihre nächsten, ebenfalls nicht freiwillig gewählten Adressen lauteten Klosterallee 24 bei Marcus sowie Laufgraben 37 Paulinenstift ("Judenhaus").

Auguste Bentheim wurde 90jährig am 9. Juni 1943 aus dem "Judenhaus" Beneckestraße 6, in das sie für die Deportation eingewiesen worden war, in das Getto Theresienstadt deportiert. Dort starb sie sieben Wochen später, am 30. Juli 1943, im "Siechenzimmer" (Gebäude L 315, Zimmer 09) an Lungenentzündung und Herzschwäche, wie es in der offiziellen Todesfallbescheinigung hieß.
Sie wurde 1957 vom Amtsgericht Hamburg im Zuge der Restitution für tot erklärt auf den 8. Mai 1945.

Der Stolperstein für Auguste Bentheim wurde nicht am letzten frei gewählten Wohnort in der Hansastraße 56 verlegt, da dieser Teil der Straße infolge der Nachkriegsbebauung mit den Grindelhochhäusern und Grünflächen neu gestaltet wurde. Für den im November 2018 verlegten Stolperstein wurde deshalb das davor von den Bentheims über 17 Jahre bewohnte Haus in der Hallerstraße 42 gewählt.


Wie erging es Auguste Bentheims Familienangehörigen?

Ihre Schwiegertochter Margarethe Hülle lebte mit dem zweiten Ehemann in Würzburg. Im Oktober 1937 überprüfte die Gestapo aufgrund einer Denunziation des SA-Obersturmführers (= Oberleutnant) Schug erstmals den jüdischen Familienhintergrund von Margarete Hülle. Durch die Ehe mit ihrem christlichen Ehemann unterlag Margarete Hülle nicht allen vom NS-Regime erlassenen Verfolgungsvorschriften gegen Juden. Hermann Hülle starb am 18. April 1940 in Würzburg. Damit verlor Margarete Hülle den schützenden Status einer "Mischehe" und war nun den allgemeinen antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt.

Um die bisherige Wohnung halten zu können, vermietete sie ein Zimmer. Ihr zweiter Untermieter, Feldwebel Erwin Steingräber (geb. 1920), denunzierte sie im März 1941 bei der Gestapo wegen Vermietung an einen "Deutschblütigen" und wegen Korrespondenz zu ihren Söhnen ins feindliche England. Das Protokoll vermerkte: "Er bitte, gegen die Hülle entsprechend vorzugehen. Dieselbe habe, wie er in Erfahrung gebracht, das Zimmer zum 1.4.1941 abermals weitervermietet und außerdem auch freundschaftlichen Verkehr mit deutschen Volksgenossen."

Die Gestapo verhörte sie und drohte im Wiederholungsfall mit Lagerhaft. Zur Abschreckung ließ der Gestapomitarbeiter das Verhörprotokoll samt eines drohenden Schlusssatzes unterschreiben: "Ich nehme zur Kenntnis, dass ich ab 5.4.41 an Deutschblütige nicht mehr vermieten darf und dass ich bei Nichtbefolgung dieser staatspolizeilichen Auflage mit Einweisung in ein Konzentrationslager zu rechnen habe." Eine weitere Denunziation, unterzeichnet mit "Die Nachbarschaft. i.A. Schmitt" vermutlich vom Mai 1942, betraf das Fehlen eines Judenstern an ihrer Kleidung, das verbotene Benutzen der Straßenbahn und ihre Mitgliedschaft in der NS-Volkswohlfahrt (NSV), in die sie 1934 zusammen mit ihrem Ehemann eingetreten war.

Dieses Denunziationsschreiben endete mit dem Wunsch "sie dorthin zu bringen, wohin sie gehört." Der entsprechende Aktenvermerk der Gestapo-Außenstelle Würzburg an die nächsthöhere Gestapostelle in Nürnberg vom 4. Juni 1942 lautete lakonisch: "Mit Rücksicht darauf, dass die Hülle schon bei Alter ist und in nächster Zeit evakuiert wird, habe ich von der Verhängung staatspolizeilicher Massnahmen Abstand genommen." Margarethe Hülle wurde am 23. September 1942 von Würzburg ins Getto Theresienstadt deportiert, wo sie am 5. April 1943 im Alter von 65 Jahren starb.

Auguste Bentheims Bruder Max Israel (geb. 1858) hatte nach dem Besuch der "Lehranstalt" (Realschule, Hohe Bleichen 38) von Dr. phil. Wichard F. Lange (1826–1884) eine kaufmännische Lehre absolviert und war von 1878 bis 1888 erst Volontär und später Einkäufer bei der Fima Heinssen & Martienssen in Manchester/ England gewesen. Er war anschließend Inhaber der 1888 gegründeten und 1941 zwangsweise im Handelsregister gelöschten Exportfirma Stapel & Israel "Ausfuhrhandel nach Übersee" (Große Bleichen 31, seit 1929 im Wohnhaus Hochallee 104). 1890 hatte er das Hamburger Bürgerrecht erworben.

Max Israel erlitt nach der Deportation seiner Schwester Auguste 1943 einen Gehirnschlag, an dessen Lähmungsfolgen er 1947 starb. Er war seit 1891 mit Louise, geb. Magnus (geb. 31.1.1873 in Hamburg, Tochter des Arztes Otto Magnus 1837–1902 und Franziska Magnus geb. Kettenbach 1853–1911, beide christlicher Konfession) verheiratet. Louise Israel, geb. Magnus (1873–1963) war zwei Jahre zuhause unterrichtet worden und hatte dann acht Jahre die Schule von Dr. Theodor Zimmermann in der ABC-Straße 56 besucht, 1889 wurde sie konfirmiert. Die Eheleute hatten drei Kinder: Adolph (geb. 1892), Erna (geb. 1893) und Emma (geb. 1898). Der Sohn Adolph Otto Israel (geb. 9.9.1892), war im Ersten Weltkrieg als Leutnant mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet worden, als Kaufmann arbeitete er von 1919 bis 1924 als Prokurist in der väterlichen Firma. Adolph Israel war christlich erzogen worden, die Rassenideologie der Nationalsozialisten stufte ihn dennoch als Juden ein, womit auch für ihn die Ausgrenzungen, Entrechtungen und Beraubungen des antisemitischen NS-Staates galten. Adolph Israel beging am 23. Januar 1941, vier Tage nach der Scheidung von seiner nichtjüdischen Ehefrau, Selbstmord.
Für ihn wurde ein Stolperstein in der Werderstraße 49 (Harvestehude) verlegt.

Augustes Nichte Alice Bendheim, geb. Israel (geb. 5.7.1875 in Hamburg), Tochter ihrer Schwester Julie Gunilde Israel, geb. Israel (1850–1924) wurde am 19. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt und am 29. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert, wo sie ermordet wurde.
An sie erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Hochallee 104 (Harvestehude), das Max Israel 1907 erworben hatte.

Auguste Bentheims Enkelsöhne emigrierten nach England: 1933 Martin Bentheim und 1935 Paul Bentheim/ Benton (1907–1988) und überlebten so den Holocaust.


Stand: April 2019
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 4 (S. Bentheim, HR A 914; Stapel & Israel, HR A 1083); StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 44 (Arthur Martienssen, HR A 10825); StaH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Todesfälle), 1941/510 (Adolph Otto Israel); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht 1866-1875), B Nr. 105 (Heiratsregister 1873, Siegfried Bentheim u. Auguste Israel, Nr. G 698); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht 1866–1875), A Nr. 187 (Geburtsregister 1874, Ernst Ferdinand Bentheim, Nr. 7493); StaH 332-5 (Standesämter), 8927 u. 260/1878 (Geburtsregister 1878, Hugo Bentheim); StaH 332-5 (Standesämter), 7785 u. 2391/1882 (Sterberegister 1882, Benjamin Ahron Simon); StaH 332-5 (Standesämter), 7787 u. 186/1883 (Sterberegister 1883, Adolph/Abraham Israel); StaH 332-5 (Standesämter), 8551 u. 332/1891 (Heiratsregister 1891, Max Adolph Israel u. Louise Magnus); StaH 332-5 (Standesämter), 8173 u. 46/1892 (Geburtsregister 1892, Adolph Otto Israel); StaH 332-5 (Standesämter), 7886 u. 1067/1894 (Sterberegister 1894, Emma Israel geb. Levy); StaH 332-5 (Standesämter), 8077 u. 12/1924 (Sterberegister 1924, Julie Gunilde Israel geb. Israel); StaH 332-5 (Standesämter), 8094 u. 616/1928 (Sterberegister 1928, Siegfried Bentheim); StaH 332-5 (Standesämter), 8173 u. 46/1941 (Sterberegister 1941, Adolph Otto Israel); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), Bürgerrecht, Ad. Israel (1849 Bürgerrecht Nr. 614, geb. in Schwerin, 35 Jahre alt, Kaufmann), Max Ad. Israel (1890 Bürgerrecht Nr. 17616, geb. 16.7.1858, Kaufmann), Georg Friedrich Theodor Bentheim (1860 Bürgerrecht Nr. 919, geb. 4.4.1828 in Hamburg, Roleau-Maler); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925, K 4226 (Hugo Bentheim, Ernst Ferdinand Bentheim, Margarete Bentheim geb. Hiller; Theodor Bentheim geb. 4.4.1828 Hamburg); StaH 332-8 (Meldewesen), A 51 Film B 2353 (Hausmeldekartei Haynstraße 10); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 45 (Reisepassprotokoll 1874, Siegfried Bentheim Nr. 15); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 49 (Reisepassprotokoll 1880, Siegfried Bentheim Nr. 64); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 50 (Reisepassprotokoll 1880, Siegfried Bentheim Nr. 718); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 51 (Reisepassprotokoll 1881, Siegfried Bentheim Nr. 717); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden 1856-1920), D II 11 Band 1 (Max Adolf Israel); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden 1856–1920), D II 75 Band 1 (Ernst Ferdinand Bentheim); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden 1856-1920), D II 91 Band 1 (Hugo Bentheim); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 2266 (Louise Israel geb. Magnus); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 32384 (Auguste Bentheim geb. Israel); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 1131 (Arthur Martienssen); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 19282 (Charlotte Hirsch geb. Heicke); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Auguste u. Siegfried Bentheim; Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Internetdatenbank (Siegfried Bentheim, Grab S4-143; Julie Gunhilde Israel geb. Israel, Grab A10-53); Centrum Judaicum, Beisetzungsregister Jüdischer Friedhof Berlin-Weissensee, Ferdinand Bentheim (Feld T, Abt. IV, Reihe 13); Stadtarchiv Schwerin, Volkszählungsliste Schwerin 1819 (Haus Nr. 655, Schmiedestraße 15, Kaufmann Herz Israel), Vormundschafts- und Nachlassgericht Nr. I-46 (1829 Vormund Wolf Israel, 1836 Vormund Samson Elias Israel); Staatsarchiv Würzburg, Gestapostelle Würzburg G 2342 (Margarete Hülle, 1937-1942); Nationalarchiv Prag, Ghetto Terezin/Theresienstadt, Todesfallanzeige Auguste Bentheim; Bundesarchiv Militärarchiv, BArch, PERS 6/9826 (Personalakte Erich Eggebrecht); Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Internetdatenbank (Lina Bertha Bernstein geb. Gattel, Gertrud Brühl geb. Treumann, Margarete Hülle geb. Hiller); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (S. Bentheim, HR A 914; Stapel & Israel, HR A 1083); Hamburger Börsen-Adressbuch 1885 (S. Bentheim, Börsenst. v. Pf 3); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 49 (S. Bentheim), S. 199 (Gaase & Co), S. 424 (Arthur Martienssen), S. 633 (Stapel & Israel, Kaufmannshaus), S. 671 (Johannes Unland), S. 722 (Max Wolfson); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 672 (Arthur Martienssen), S. 991 (Stapel & Israel, Kaufmannshaus); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 376 (Franz Hirsch, Vertr., gegr. 1910, Cäcilienstr. 10), S. 550 (Arthur Martienssen); Hamburger Adressbuch (Simon, Israel & Co.) 1844, 1845; Hamburger Adressbuch (Adolph Israel) 1850, 1857, 1860, 1862, 1863, 1865, 1867, 1869; Hamburger Adressbuch (Susmann & Bentheim) 1869–1870, 1872–1876; Hamburger Adressbuch (Grindelallee 128) 1870, 1876, 1880, 1883; Hamburger Adressbuch (Hallerstraße 44) 1885, 1893; Hamburger Adressbuch (Hallerstraße 42) 1898, 1914; Hamburger Adressbuch (Hansastraße 56) 1939–1941; Hamburger Adressbuch (Bentheim) 1874–1878, 1880–1885, 1887–1890, 1895–1897, 1900, 1906–1908, 1910–1916, 1918–1920, 1927; Hamburger Adressbuch (Stapel & Israel), 1925, 1928–1930; Hamburger Adressbuch (Arthur Martienssen), 1915–1916, 1918, 1920, 1924, 1932, 1934–1938; Jahrbuch der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Patriotische Gesellschaft) 1910 bis 1912, Hamburg 1913, S. 54 (Siegfried Bentheim); Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ein Gedenkbuch, Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914–1918, Hamburg 1932, S. 132 (Bentheim, Hugo, 6/L.I.R.3, gestorben 30.5.1915); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Hamburg 1998, S. 372 (Stapel & Israel, Hochallee 104); Frauke Steinhäuser, Stolpersteine in Hamburg Grindel II, Biografische Spurensuche, Hamburg 2017, S. 32 (Katasterplan des Grindelviertels 1900, ohne Hausnummern); Reiner Strätz, Biografisches Handbuch Würzburger Juden 1900–1945, Würzburg 1989, S. 275–276 (Margarete Hülle geb. Hiller); Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt, Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S. 362/363 (Dr. Raphael Möller); https://www.geni.com/people/Valentin-Hiller/6000000031693160538 (Pinto Hiller, Martha Hiller, Daniel Timmendorfer, eingesehen 13.6.2018); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939) Auguste Bentheim, Charlotte Hirsch geb. Heicke, Franz Hirsch, Hermann Hülle, Margarete Hülle geb. Hiller, Hugo und Gretchen Marcus, Arthur Martienssen; www.ancestry.de (Heiratsregister Nr. 442 Berlin-Wilmersdorf 1906, Ferdinand Bentheim und Margarete Hiller; Geburtsregister Nr. 754 Breslau 1876, Ernst Hiller; Heiratsregister Nr. 211/1914 Berlin-Friedenau, Hugo Bentheim u. Gertrud Katharina Alma Else Zitzmann; Sterberegister Nr. 255/1915 Berlin-Friedenau, Hugo Bentheim); www.stolpersteine-hamburg.de (Alice Bendheim geb. Israel); Informationen von D. B. (u.a. Foto von Auguste Bentheim, Lebenslauf Paul Bentheim).

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