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Johanna Hinda Appel (geborene Freymann) * 1867

Kurzer Kamp 6 Altenheim (Hamburg-Nord, Fuhlsbüttel)

1942 Theresienstadt/Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Kurzer Kamp 6 Altenheim:
Dr. Julius Adam, Sara Bromberger, Therese Bromberger, Friederike Davidsohn, Margarethe Davidsohn, Gertrud Embden, Katharina Embden, Katharina Falk, Auguste Friedburg, Jenny Friedemann, Mary Halberstadt, Käthe Heckscher, Emily Heckscher, Betty Hirsch, Hanna Hirsch, Regina Hirschfeld, Clara Horneburg, Anita Horneburg, Emma Israel, Jenny Koopmann, Franziska Koopmann, Martha Kurzynski, Laura Levy, Chaile Charlotte Lippstadt, Isidor Mendelsohn, Balbine Meyer, Helene Adele Meyer, Ida Meyer, Ella Rosa Nauen, Celine Reincke, Friederike Rothenburg, Benny Salomon, Elsa Salomon, Martha Rosa Schlesinger, Louis Stiefel, Sophie Stiefel, Louise Strelitz, Eugenie Hanna Zimmermann

Johanna Appel, geb. Freymann, geb. am 15.1.1867 in Königsberg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka und ermordet

Kurzer Kamp 6

Johanna Appel, geb. Freymann, wurde am 15. Januar 1867 in Königsberg, Preußen, geboren. Ihre Eltern, Lina, geb. Weinstock, und Leopold Salomon Freymann (geb. 1833), hatten in Königsberg im Oktober 1864 geheiratet. Früh, Johanna war gerade ein Jahr alt, verstarb ihr Vater 1868 in Callao, Peru. Er wurde nur 35 Jahre alt. Möglicherweise war Leopold Freymann eines der vielen Opfer der Gelbfieber-Epidemie, die zu dieser Zeit dort herrschte. Sein Grab befindet sich auf dem Antiguo Cementerio Británico oder Cementerio Israelitade Baquíjano. Nach Lima, Peru, waren einige Mitglieder der Familie Freymann emigriert. Johannas Mutter Lina heiratete in zweiter Ehe Jacob Kaiser in Leipzig. Johanna wuchs dort in der Elsterstraße 45 mit ihren Geschwistern aus dieser Ehe, Siegmund Kaiser (geb. 8.10.1877) und Bertha Kaiser (geb. 14.3.1883) auf.

Im Alter von 23 Jahren, am 27. Juni 1890, heiratete Johanna Freymann in Leipzig den Hamburger Bürger Siegfried Salomon Appel (geb. 13.3.1862 in Hildesheim, Preußen). Siegfried Appels Mutter Sara Sophie, geb. Schnabel (geb. 1832), stammte aus Hamburg und hatte dort am 4. Oktober 1861 den Schriftsetzer Joseph Appel (geb. 19.5.1826 in Hildesheim), Sohn von Sophie, geb. Hammerschlag, und Philipp Appel geheiratet. Die ein Jahr ältere Schwester seiner Mutter Golde, geb. Schnabel (geb. 1831), hatte im Mai 1859 ebenfalls einen Appel aus Hildesheim, Salomon Appel (geb. 11.6.1836), Sohn von Ernestine, geb. Hammerschlag, und Feist Appel, geheiratet. Er hatte im November 1858 den Hamburger Bürgerbrief erhalten. Salomon Appel, genannt Sally, war bereits am 11. Oktober 1873 in Hamburg mit 35 Jahren verstorben, seine Ehefrau Golde, geb. Schnabel, am 18. April 1882. Beide wurden auf dem Grindelfriedhof bestattet. Deren Sohn Leo Appel (geb. 3.3.1860 in Hamburg) war etwa im gleichen Alter wie Siegfried.

Johannas Ehemann Siegfried Appel war bei seinen Eltern in Hildesheim aufgewachsen und mit 18 Jahren im Jahre 1879 nach Hamburg gekommen, um mit holländischer Ware, wie Garn- und Ballenwaren, Trikotagen und Wollwaren, zu handeln. Am 7. September 1886 hatte er am Steindamm 81, Parterre, als alleiniger Inhaber ein Handelsgeschäft, die Firma "Siegfried Appel", gegründet. Der Hamburger Bürgerbrief war ihm am 25. Mai 1888 überreicht worden. Sein zu versteuerndes jährliches Einkommen belief sich zu jener Zeit auf 3.000,- bis 4.000,- Mark.

Zum Frühlingsanfang 1891 wurde Johanna Mutter. Ihr Sohn Leopold, nach ihrem Vater benannt, kam am 22. März 1891 in Hamburg, in ihrer Wohnung am Steindamm 81, 2. Stock, zur Welt.

Johannas Schwiegervater Joseph Appel, der in Hildesheim verwitwet war, zog Ende August 1893 nach Hamburg und lebte noch ein halbes Jahr bei ihnen in der Familie. Am 9. Januar 1894 verstarb er mit 67 Jahren und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hildesheim bei seiner Ehefrau Sara Sophie, geb. Schnabel, bestattet.

Für die Familie Appel kamen schwierige Zeiten. Am 24. Februar 1896 ging die Firma "Siegfried Appel" in Konkurs. Johanna und Siegfried Appel mit Sohn Leopold zogen im November des Jahres in das Grindelviertel, Rutschbahn 16. Leopold besuchte die nahegelegene Talmud Tora Schule, die vor 1911 noch in den Gebäuden Kohlhöfen 19/20 in der Hamburger Neustadt untergebracht war.

Im Jahre 1902 wohnte die Familie in der Heinrich Barthstraße 34; der neue Firmensitz befand sich am Neuen Wall 62. Seit dem 3. September 1905, vermutlich um die Zeit der Bar-Mizwa von Leopold, seiner religiösen Mündigkeit, gehörte die Familie der Deutsch-Israelitischen Gemeinde an.

1909 ging es wirtschaftlich wieder bergauf. Siegfried Appel wurde am 31. Dezember 1908 Inhaber der Exportagentur und Kommmissionsfirma "Appel Siegfried", Graskeller 3. Als Leopold mit 21 Jahren volljährig geworden war, trat er am 30. November 1912 als Gesellschafter in die Offene Handelsgesellschaft (OHG) seines Vaters ein. Die Familie lebte in dieser Zeit in der Brahmsallee 24, drei Jahre später in der Isestraße 71. Während des Ersten Weltkrieges, Leopold war als Soldat eingezogen worden, ruhte das Geschäft vollständig. Siegfried Appel hatte jedoch gut vorgesorgt und konnte in dieser Zeit auf seine Ersparnisse zurückgreifen. Im Zuge der darauffolgenden Inflation ging sein Vermögen jedoch restlos verloren. Siegfried und Leopold Appel versuchten, ihr Geschäft wieder aufzubauen, was ihnen in bescheidenem Umfang auch gelang. Ihr Kontor und die Wohnung befanden sich seit 1925 in der Hansastraße 79. Ihren Börsenstand hatten sie vor Pfeiler 21. Leopold Appel arbeitete darüber hinaus in fester Anstellung noch bei einer anderen Firma.

Am 22. März 1932, seinem 41. Geburtstag, heiratete Leopold Appel in Hamburg Stefany Hammerschmidt (geb. 7.3.1906 in Hamburg). Ihre erste Ehe mit Oscar Weichselbaum war geschieden. Stefanys Mutter Mary Hammerschmidt, geb. Leo-pold (geb. 31.8.1877), stammte aus Barchfeld, Kreis Sonneberg, Thüringen. Ihre Eltern hatten in Gotha 1897 geheiratet und waren mit ihrer sieben Jahre älteren Schwester Carla nach Hamburg gekommen. Das Handelsgeschäft für "Zwirne en gros" des Vaters Hermann Hammerschmidt hatte sich in der Süderstraße 67, Haus 5, befunden. Die Familie Hammerschmidt wohnte in der Oderfelderstraße 11, 3. Stock. Dort war ihr Vater mit 63 Jahren im April 1930 an Herzschwäche verstorben. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel Ohlsdorf bestattet, Grablage S 4, Nr. 165.
Das junge Ehepaar Stefany und Leopold Appel lebte nach der Hochzeit in der Isestraße 43, in der Nähe von Leopolds Eltern, die in Nr. 59 bei Salomon wohnten. Der Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, der 30. Januar 1933, war für die Familie Appel ein glücklicher Tag – ihr Sohn Peter Hermann, Johannas Enkel, wurde geboren.

Die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten verstärkten sich nach der Machtübernahme und wurden für die Familie Appel zunehmend belastender. Noch im Herbst 1932 hatten Siegfried und Leopold Appel versucht, die Firma mit dem Export von Knackwürsten für eine Wurstfabrik zu erhalten. Das Geschäft mit dem Import von Straußenfedern, Vogelbälgen, Federkielen etc., was sie bis dahin betrieben hatten, war zum Erliegen gekommen. Seit Jahresbeginn 1933 mussten sie die Rechnungen auswärtiger Fabriken stunden lassen.

Nach dem antijüdischen Boykott vom 1. April 1933 entschloss sich Leopold Appel mit seiner Ehefrau Stefany und ihrem kleinen Sohn Peter im Mai 1933 nach Paris, Frankreich, auszuwandern. Er hatte die Hoffnung, dort neue Geschäftsverbindungen aufbauen zu können. Leopolds Schwiegermutter, Mary Hammerschmidt, die in der letzten Zeit bei ihnen in der Isestraße gewohnt hatte und danach in die Lehnhartzstraße 15 gezogen war, folgte ihnen ein Jahr später ins Exil. 1934 lebten sie in Paris wieder zusammen.

Johanna und Siegfried Appel blieben in Hamburg allein zurück. Für sie wurde das Leben zunehmend schwerer. Einnahmen hatte Siegfried Appel zu dieser Zeit kaum noch; sie waren auf Unterstützung angewiesen. Ihm fiel es schwer, um finanzielle Hilfe zu bitten. Für ihn schrieb im Mai 1933 Alfred Levy von der Kommission für das Wohlfahrtswesen der Deutsch-Israelitischen Gemeinde einen Brief an die Wohlfahrtsbehörde und bat um Beihilfe für das Ehepaar Appel. Johanna und Siegfried Appel konnten die Miete für ihre Wohnung nicht mehr aufbringen. Sie waren gezwungen, im Juni 1933 in die Isestraße 78, Hochparterre, zu Frau S. Sekkel zu ziehen, zur Untermiete für 32,- RM monatlich. Auch diese Miete wurde für sie bald zu hoch und so zogen sie Ende September 1933 ein weiteres Mal um, in die Heidestraße 23 zu Laura Levy. Deren Mutter war verstorben und sie selbst war ebenfalls auf Unterstützung angewiesen. Bei ihr konnten Johanna und Siegfried Appel für 25,- RM inklusive Heizung wohnen.

Weiteren Beistand erhielt Johanna Appel von der Familie ihrer Schwester Bertha Alexander, geb. Kaiser. Bertha war nach ihrer Heirat mit ihrem Ehemann, dem Kaufmann Hugo Alexander, ebenfalls von Leipzig nach Hamburg gezogen und wohnte 1933 in der Schlüterstraße 63. Ihr Sohn, der Rechtsanwalt Dr. Rudolf Alexander (geb. 10.10.1903 in Hamburg), hatte seine Tante Johanna Appel bis zu seinem Berufsverbot und seiner Emigration 1933 nach Palästina unterstützt und tat dies von dort aus auch weiterhin.

Im Dezember 1933 gab Johanna Appel bei der Fürsorgestelle an, dass sie und ihr Ehemann von ihrem Schwager Hugo Alexander mit monatlich 25,- RM unterstützt würden; er hatte für sie Geld bei einem Mitglied der Jüdischen Gemeinde hinterlegt. Johannas Schwester Bertha Alexander und deren Ehemann waren in die Hansastraße 14 umgezogen und bereiteten sich auf die Ausreise nach Palästina vor.

Im Februar 1934 wandte sich Siegfried Appel an die Israelitische Mittelstandshilfe mit der Bitte um Fürsprache bei der Wohlfahrt wegen einer Aufstockung der wöchentlichen Beihilfe in Höhe von 5,- RM. Im Januar 1934 hatte sich sein Verdienst noch auf 43,51 RM belaufen, im Februar waren es gerade einmal 4,60 RM. Nach gründlicher Überprüfung und Bestätigung der Berechtigung, wurde ihm die Beihilfe gewährt.

In dem folgenden Brief der Handelskammer an die Wohlfahrtsstelle wurde Siegfried Appel als eine respektable Persönlichkeit und als ein erstklassiger Experte seiner Firma, Exportagentur und Maklergeschäft in Schmuckfedern, beschrieben. Derartige Federn würden jedoch infolge der derzeitigen Mode kaum noch benötigt, ebensowenig wie Federkiele für Zigarrenspitzen, da die Zigarren so verbilligt seien, dass eine Zugabe von Spitzen kaum noch in Betracht käme. Er sei hauptsächlich für die Firma Fuhrmeister & Co, Alsterdamm 16, tätig und früher vermögend gewesen. Auch der Sohn habe, ebenso wie der Vater, "obwohl er Jude ist", immer eine nationale Gesinnung gezeigt. Leopold Appel sei ehemaliger Kriegsfreiwilliger, Frontsoldat und Inhaber des Eisernen Kreuzes II und des Hanseatenkreuzes. Vermutlich aufgrund dieses Briefes wurde für den 72-jährigen Siegfried Appel eine Unterstützung in Höhe von monatlich 34,- RM bewilligt.
Im März 1934 hatte Siegfried Appel dann über Leopold in Paris noch einige wenige Geschäfte mit französischen Firmen, mit La Voliére und L. Aron, Paris Export, abwickeln können, jedoch lediglich mit einem Netto Verdienst von 43,60 RM.

In dieser Zeit musste sich Johanna Appel, die Gelenkschmerzen und Rheuma in der rechten Schulter hatte, in ärztliche Behandlung begeben. Am 26. März 1935 erlitt sie einen schweren Schicksalsschlag. Nach fast 45-jähriger Ehe verstarb ihr Ehemann Siegfried Salomon Appel im Alter von 73 Jahren. Er war in ihrem Zimmer, Heidestraße 23, 1. Stock, einem Herzschlag erlegen. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde übernahm die Beerdigung auf dem Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf, Grablage O 3, Nr. 245. Sie unterstützte die Witwe Johanna Appel mit einem monatlichen Betrag von 15,- RM; das entsprach dem Betrag, den sie für ihr Zimmer als Untermieterin bei Laura Levy zahlen musste. Von ihr wurde Johanna Appel gelegentlich zum Mittagessen eingeladen. Von der Fürsorgestelle bekam Johanna Appel eine monatliche Unterstützung von 12,- RM.

Der Israelitische Frauenverein, gegründet von Sidonie Werner, kümmerte sich ebenfalls um Johanna Appel und ermöglichte ihr für die Zeit vom 5. bis 20. Juni 1936 einen Erholungsaufenthalt in Bad Segeberg. Der Verein unterhielt dort in der Bismarckallee ein Erholungsheim für jüdische Waisen und Kinder mittelloser Juden – bis zu seiner Auflösung 1939.
Johanna Appels Schwester Bertha Alexander engagierte sich noch 1937 beim Israelitischen Humanitären Frauenverein als Kassenführerin, dann emigrierte auch sie mit ihrem Ehemann zu ihrem Sohn Rudolf Alexander nach Palästina.

Auch der Bruder Dr. Siegmund Kaiser aus Leipzig unterstützte Johanna Appel ab April 1939 mit monatlich 50,- RM, zunächst war es vorgesehen bis November 1940. Er war in Leipzig als Facharzt für Harn-, Haut- und Geschlechtskrankheiten tätig gewesen und im Jüdischen Kulturbund engagiert, bis er seine Zulassung als jüdischer Arzt verlor und im April 1939 über Hamburg nach London, England, emigrierte. Wenige Monate später, nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, war es nicht mehr möglich, Unterstützung aus England zu leisten.

Als Jüdin hatte Johanna Appel dem Oberfinanzpräsidenten Rechenschaft über ihr Vermögen ablegen müssen und in dem Fragebogen vom 24. April 1939 vermerkt, dass sie kein Vermögen besitze; so wurde keine "Sicherungsanordnung" veranlasst. Nach Angaben aus der Fürsorgeakte vom Juli 1939 fühlte sich Johannas Vermieterin Laura Levy vereinsamt und bat darum, in ein Heim aufgenommen zu werden – sie wollte zukünftig am liebsten im Mendelson-Israel-Stift wohnen. So kam Johanna Appel im Juni 1940 zusammen mit Laura Levy von der Heidestraße in das Mendelson-Israel-Stift, Kurzer Kamp 6, Wohnung Nr. 11, das inzwischen zum "Judenhaus" bestimmt worden war.

Ihr Sohn Leopold wurde in Frankreich nach dem "Décret-loi", der Gesetzesverordnung vom 12. April 1939, als "Étranger Prestataire", Ausländischer Arbeiter, in der Einschreibungsliste "Livret Matricule" eingetragen und gleich zu Beginn des Krieges, am 6. September 1939 in Colombes, Montargis, interniert. Nach fast drei Monaten, am 28. November 1939, kam er zunächst wieder frei und kehrte – nach späteren Aussagen seiner Ehefrau – nach Paris zurück. Im April 1940 wurde Leopold Appel erneut verhaftet und nach der deutschen Besetzung am 14. Mai 1940 von Buffalo, einem Stadion und Sammellager bei Paris, in das Lager Bassens bei Bordeaux, Gironde, gebracht.

Zu dieser Zeit wurden die deutschen Staatsbürger und alle Ausländer, die keine feste Staatsangehörigkeit hatten, aber als Deutsche geboren waren (Deutsche, Österreicher und Saarländer), an Sammelplätzen zusammengezogen. Davon betroffen waren Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren sowie gleichaltrige Frauen, die ledig waren oder keine Kinder hatten.
Nach Dokumenten des "Bureau de Recrutement des Étrangers Prestataires", Büro der Rekrutierung für Ausländische Arbeiter, kam Leopold Appel am 15. Mai 1940 in das Camp St. Antoine, Albi, Département Tarn, in den Midi Pyrènées, und wurde dort der Gruppe 318, "Groupement des Prestataires du Camp Saint-Antoine" zugeteilt. In seiner Kleiderliste, "Liste des Effets Distribués", ist eingetragen, dass er eine Pellerine (Umhang), Flanell und eine Decke erhalten habe. Er leistete verschiedene Arbeitseinsätze: vom 10. Juli 1940 bis 27. Juli 1940 "au casern et affecti", vom 20. August 1940 bis zum 24. November 1940 "a la cie apartementale du train du tarn". Am 25. November 1940 kehrte er in das "camp Antoine", Gruppe 318, zurück. Leopold Appel zählte zu den jüdischen Exilanten, die in Internierungslagern gesammelt, zu Arbeiten rekrutiert und jeweils den vom Vichy Regime am 27. September 1940 geschaffenen "Groupes de Travailleurs Etrangers, GTE" zugeteilt wurden.

Die in den französischen Lagern der "Dritten Republik" internierten spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge, jüdischen Exilanten, polnischen Soldaten und belgischen Flüchtlinge wurden als billige Arbeitskräfte in der französischen Industrie und Landwirtschaft eingesetzt. Sie standen unter Bewachung, litten unter der notdürftigen Unterbringung, mangelhafter Ernährung und Hygiene. Viele kamen in den Lagern zu Tode. Jeder Arbeiter sollte eine Arbeiterlebensmittelkarte mit höherer Fettration (550 Gramm statt 450 Gramm pro Monat), Brotration (300 Gramm statt 275 Gramm pro Tag) und Fleischration (260 Gramm statt 180 Gramm pro Woche) bekommen. Die tatsächlich ausgeteilten Rationen sollen jedoch erheblich kleiner gewesen sein, da die teils korrupte Vichy-Verwaltung, die Lagerleitung und das Wachpersonal sich daran bereichert haben sollen. Ob Leopold Appel als nichtqualifizierter Arbeiter mit den dafür vorgesehenen 50 Centimes pro Tag entlohnt wurde, dies entsprach dem Lohn eines gewöhnlichen Soldaten, oder unbezahlte Arbeit leistete, ist nicht bekannt.
Nach den Anmerkungen des "Service" Nr. 623 wurde er am 12. Februar zum Leiter der Gruppe 3 delegiert, "du delege du chef de groupement 3", und am 14. Februar 1941 der Gruppe 311 "Groupeenexécution" zugeteilt. Vermutlich sollte er endgültig in ein Konzentrationslager abgeschoben werden. Nachdem bei einem Arztbesuch im Februar 1941 seine Arbeitsunfähigkeit anerkannt worden war, wurde Leopold Appel am 3. März 1941 in das Internierungslager Gurs eingeliefert. Am 27. März 1941 wurde er dort als "Prestataire N-J, Nr. 182 CTE" aufgelistet und in Dokumenten des "Inspecteur-Chef Vignau" vom Juli 1941 als Packer in einer Papierfabrik für Zigaretten, katholisch mit jüdischer Herkunft, und als gesund verzeichnet.

Auch Leopold Appels Schwiegermutter Mary Hammerschmidt hatte zwei Monate im Lager Gurs verbringen müssen. Von der Resistance an der Muette, Pasay, besorgte Stefany Appel für ihren Sohn, ihre Mutter und sich falsche Papiere. Sie hieß nun "Suzanne Appel, geborene Hammer" und stammte aus Zürich. Ihren Sohn Peter, genannt Pierre, ließ sie zu seinem Schutz seit dem 18. Mai 1941 im katholischen Glauben aufwachsen. Der achtjährige Pierre erhielt von Monsieur l’Abbé Cléry, Curcé, in der "chapelle Ste Genevieve, paroisse Ste Jeanne de Chantal" die heilige Kommunion. In ständiger Angst und unter großen Entbehrungen lebte Stefany Appel mit ihrem Sohn in Paris. Ihre Mutter Mary Hammerschmidt, der, wie im "Deutschen Reichsanzeiger" vom 7. Juni 1941 veröffentlicht, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, hatte sich geweigert, falsche Papiere anzunehmen.

Nach späteren Aussagen seiner Ehefrau soll Leopold Appel von Gurs weiter nach Toulouse und "Soler" verlegt worden sein. Dokumente belegen, dass er am 26. August 1942 in das Internierungslager Rivesaltes im Département Pyrénées-Orientales abgeschoben wurde. In einer Transportliste vom 31. August 1942 ist er unter Nr. 257 mit dem Beruf "Bobineur au papier", Zigarettendreher, verzeichnet.

Wenige Tage später, am 1. September 1942, wurde sein Name im Centre D’Herbergementde Rivesaltes auf die Liste Nomina Nr. 1, Nr. 173, zum Abtransport im Convoi nach Drancy bei Paris gesetzt. Am 7. September wurde er im Durchgangslager Drancy unter der Nr. 10 auf der "Abschubliste" für den Transport am 9. September aufgeführt. Nach seinem Leidensweg durch die Internierungslager wurde Leopold Appel am 9. September 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet. Er war 51 Jahre alt (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Ob Johanna Appel vom Schicksalsweg ihres Sohnes, ihres Enkels, ihrer Schwiegertochter und deren Mutter Kenntnis hatte, ist nicht belegt. Johanna Appel wurde am 19. Juli 1942 aus dem Mendelson-Israel-Stift nach Theresienstadt deportiert. Am 21. September 1942, zwei Wochen nach der Deportation ihres Sohnes nach Auschwitz, wurde Johanna Appel nach Treblinka weiterdeportiert und ermordet. Sie war 75 Jahre alt.

Mary Hammerschmidt wurde in der Nacht zum 10. Februar 1943 in ihrer Pariser Wohnung, Quai St. Blériot 164, verhaftet und – wie ihr Schwiegersohn vor ihr – in das Lager Drancy verbracht. Am 2. März 1943 wurde sie von Drancy nach Lublin-Majdanek deportiert und ermordet. Sie war 65 Jahre alt. Ein Stolperstein erinnert an sie in der Lenhartzstraße 15 in Hamburg-Eppendorf.

Johanna Appels zehn Jahre jüngerer Bruder Siegfried Kaiser blieb nach Kriegsende in England. Er verstarb im Alter von 81 Jahren im Juni 1951 in Doncaster.

Nach dem Krieg erhielt Stefany Appel in ihrer Wohnung in Paris Besuch von einem Franzosen, der ihr mitteilte, dass Leopold Appel ihm in Auschwitz ihre Adresse gegeben habe, mit der Bitte, sie zu besuchen, falls er selbst nicht zurückkehren sollte. Er sei kurz vor der Befreiung im KZ Auschwitz gestorben, wahrscheinlich an Typhus. Johanna Appels Schwiegertochter Stefany Appel verließ 1946 mit dem 13-jährigen Peter, genannt Pierre, Frankreich. Mit dem Schiff S/S La Deirada gelangten sie von Le Havre nach New York und weiter mit dem Flugzeug nach Guayaquil, Ecuador. Dort lebte ihre zuvor aus Hannover ausgewanderte Schwester Carla mit Ehemann Hermann Herzfeld und den Kindern Herbert (geb. 1920), Wolfgang (geb. 1922) und Ulrich (geb. 1925). Später emigrierten sie alle in die USA nach New York; Stefany Appel mit ihrem Sohn im Juni 1947.

Stefany Appel, geb. Hammerschmidt, heiratete in ihrer neuen Heimat 1950 Joseph Henry Kraft, der ihren und Leopold Appels Sohn Peter, den einzigen Enkel von Johanna Appel, adoptierte.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; StaH, 231-10 Vereinsregister, B 1973-48; StaH, 231-11 Handelsregister, B 15233 Siegfried Appel; StaH, 314-15 Oberfinanzpräsident, FVg 2014 Stefanie Kraft (verw. Appel), FVg 8033 Kallmann Appel, R 1939/2490 Johanna Appel; StaH, 332-3 Zivilstandsaufsicht, Sterberegister, C 143 Nr. 6414/1873 Salomon Appel, C 46 Nr. 3807/1868 Abraham Lion Schnabel; StaH, 332-5 Standesämter, Geburtsregister, 2246 u. 848/1891 Leopold Appel, 14674 u. 146/1906 Stefany Hammerschmidt; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 8730 u. 554/1919 Hermann Herzfeld u. Carla Hammerschmidt, 8780 u. 724/1923 Oskar Weichselbaum u. Stefany Hammerschmidt, 13797 u. 88/1932 Leopold Appel u. Stefany Hammerschmidt; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 116 u.1574/1882 Golde Appel, 356 u. 60/1894 Joseph Appel, 8102 u.184/1930 Hermann Hammerschmidt, 9873 u. 257/1935 Siegfried Appel; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, AIf 166 Nr. 14670 Siegfried Appel, BIII 30070 Siegfried Appel; StaH, 342-02 Militärersatzbehörden, D II 28 Bd.1; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 150167 Appel, Johanna geb. Freymann, 1530 Alexander, 13634 Leopold Appel, 30395 Stefany Kraft (verw. Appel), 300133 Peter Kraft (früher Appel), 3375 Mary Hammerschmidt; StaH, 352-5 Gesundheitsbehörde, Todesbescheinigungen, 1930 Sta 3 184 Hermann Hammerschmidt, 1935 Sta 3a 257 Siegfried Appel; StaH, 376-2 Gewerbepolizei, Spz VIII C 31, Nr. 1263; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden Geburtsregister, 696 c Nr. 1/1831 Golde Schnabel, 696 c Nr. 114/1832 Sara Schnabel, 696 e Nr. 143/1860 Leo Appel; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Heiratsregister, 702 b Nr. 11/1830 Abraham Schnabel u. Betty Meyer, 702 d Nr. 25/1859 Salomon Appel u. Golde Schnabel, 702 d Nr. 12/1861 Joseph Appel u. Sara Schnabel; StaH, Hamburger Börsen Adressbuch, A 909/0022 Nr. 11 1912/13, A 902/0017, 1926; Standesamt Hamburg 3, Geburtsregister, 39/1933 Peter Appel; Standesamt Leipzig I, Geburtsregister, 1245/1883 Bertha Kaiser, Heiratsregister, 853/1890 Siegfried Appel u. Johanna Freymann; Datenbankprojekt des Eduard-Duckesz-Fellow und der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie, Ohlsdorf 1931–1939, O 3-245, http://jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html, eingesehen am: 15.2.2022; Auskünfte Claudia Hinze, Stadtarchiv Leipzig, Standesamt Leipzig I, Nr. 853, 1890 u. Standesamt Leipzig I, Nr. 1245, 1883; Auskünfte Birgit Stuke, ITS Arolsen, Copy of Doc. No. 11187254#1 (1.1.9.13/0001/0085), in conformity with the ITS Archives, Lager Rivesaltes, Transportlisten, Copy of Doc. No. 11181309#1 (1.1.9.1/0038/0100), in conformity with the ITS Archives, Abschub-Listen, B.d.S Frankreich; Copy of Doc. No. 11187254#1 (1.1.9.13/0001/0085), in conformity with the ITS Archives, Lager Rivesaltes, Transportlisten, in conformity with the ITS Archives, Copy of Doc. No. 11189489#1 (1.1.9.9/0012/0008) Juden, deportiert vom Durchgangslager Drancy zum Konzentrationslager Lublin-Majdanek 2.3.43, Copy of Doc. No. 11189509#1 (1.1.9.9/0012/0028), in conformity with the ITS Archives, Juden, deportiert vom Durchgangslager Drancy zum Konzentrationslager Lublin-Majdanek 2.3.43, Zentrale Namenkartei, in conformity with the ITS Archives;
Auskünfte Cathie Bertrant, Marie Landelle, Jérôme Ramirez, Archives départementales des Pyrénées Atlantiques, Dokumente AD64-72W57, AD64-72W129; Inge Grolle/Christina Igla: Stolpersteine in Hamburg Grindel I. Biographische Spurensuche, Hamburg 2016, S. 238–243 (Leopold Appel); Maria Koser/Sabine Brunotte: Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost. Biographische Spurensuche, 2 Bde., Hamburg 2011, Bd. 1, S. 188 (Mary Hammerschmidt); Leon Trahtemberg Siederer: La Immigration Judia al Peru 1848–1948, Lima, Peru, 1987, S. 303; Ruth Fabian/Corinna Coulmas: Die deutsche Emigration in Frankreich, München u. a. 1978, http://www.corinna-coulmas.eu/german/die-deutsche-emigration-in-frankreich.html#_Toc196546423, eingesehen am: 15.2.2022; https://ressources.memorialdelashoah.org/zoom.php?code=208566&q=id:p_196343&marginMin=0&marginMax=0&curPage=0, eingesehen am: 16.3.2022; Elias Appel, https://ressources.memorialdelashoah.org/notice.php?q=noms_tous%3A%28Appel%29%20AND%20id_pers%3A%28%2A%29&spec_expand=1&rows=20&start=10, eingesehen am: 28.3.2022; Leopold Appel, geb. 1891, https://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=4931, eingesehen am: 15.2.2022; Heirat 19.10.1864 Königsberg Freymann, Salomon aus Königsberg, Kaufmann und Weinstock, Lina, aus Königsberg, https://jewsineastprussia.de/wp-content/uploads/2018/11 /Marriage_Koenigsberg_1856-1864.pdf, eingesehen am: 16.3.2022; Les Camps D’Internement Français en 1939–1944, Les Groupes de Travilleurs Etrangers, http://www.apra.asso.fr/Camps/Fr/GTE. html, eingesehen am: 15.2.2022; https://familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-894V-ZX83?wc=MFK4-KP8%3A1030134801%3Fcc%3D1923888&cc=1923888, eingesehen am: 22.12.2013; http://www.juden-insachsen.de/index.php?option=com_wrapper&view=wrapper&Itemid=26; http://www.mjp.org.pe/WEB3/Libros/LIBRO14.pdf; http://yehudeiperu.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1567:freymann-emilio&catid=6:f&Itemid=11. Herzlichen Dank an Judith Herzfeld!
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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