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Ernst Fraenkel * 1872

Lübecker Straße 101 / Wandsbeker Stieg (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER PRAKTIZIERTE
DR. ERNST FRAENKEL
JG. 1872
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 16.6.1943

Dr. Ernst Fraenkel, geb. am 21.8.1872 in Rybnik/Schlesien, am 15.7.1942 in das Getto Theresienstadt deportiert, dort am 16.6.1943 gestorben

Lübecker Straße 101 (Praxis)

Als Ernst Fraenkel 1872 geboren wurde, gehörte die Kreisstadt Rybnik seit einem Jahr zum gerade gegründeten Deutschen Kaiserreich, Unterabteilung Königreich Preußen, Provinz Schlesien (dem heutigen polnischen Slaskie), Regierungsbezirk Oppeln (Opole), im Südwesten des heutigen Polen, in der Nähe zur tschechischen Grenze. Wegen der ergiebigen Steinkohlelager in der Region hatte Fraenkels Heimatstadt im Verlaufe der Industrialisierung Preußens bereits einen kräftigen ökonomischen und demographischen Aufschwung genommen und wuchs noch weiter. Unter den 1890 im Landkreis Rybnik gezählten 80927 Einwohnerinnen und Einwohnern stellten Jüdinnen und Juden mit 1065 Personen (1,3 Prozent) eine beachtliche Minderheit. Als evangelisch galten 3104 Personen, aber mit 76.757 Personen bestimmten die Katholiken eindeutig das konfessionelle Bild des Landkreises.

In diesem Umfeld war Ernst Fraenkels Vater, Dr. Daniel Fraenkel, der örtliche Rabbiner. Seine Mutter hieß Julie und war Tochter des Berliner Rabbiners Rosenstein. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen zwei bekannter wurden: Dr. James Fraenkel (1859–1935), Psychiater, Mitbegründer der modernen Psychotherapie und des Berolinum (1890), der Privaten Heil- und Pflegeanstalt für Gemüts- und Nervenkranke in Berlin-Lankwitz, einer damals höchst fortschrittlichen Einrichtung; Max Fraenkel (1856–1926), Architekt, Regierungsbaumeister in Berlin und spezialisiert auf den Bau von Krankenhäusern und Sanatorien.

Fraenkels entschieden sich, auch den Sohn Ernst zur Höheren Schule zu schicken und ihm eine akademische Ausbildung fern der Heimat zu ermöglichen. Ernst studierte an der Universität München Medizin und schloss das Studium mit 26 Jahren am 7. März 1899 mit der Dissertation "Zur Frage der Verhinderung der Wasserresorption bei einer Aufnahme von Mucilagonosa" ab, einem Thema aus der Dermatologie. Bereits im Jahr zuvor hatte er die ärztliche Approbation bekommen: Ernst Fraenkel war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten.

In Berlin setzte er die berufliche Laufbahn fort; dort lernte er Charlotte Levy kennen, Berlinerin, geboren 1885, Tochter von Gustav und Agnes Levy, aus wohlhabendem Elternhaus. 1906 heirateten sie. Er war nun 34, sie 21 Jahre alt. 1910 kam eine Tochter zur Welt, Stephanie. Sie blieb das einzige Kind und überlebte die Shoa im britischen Mandatsgebiet Palästina, wohin sie 1939 entkommen war. Warum die Familie gleich nach Ende des Ersten Weltkrieges, 1919, nach Hamburg wechselte, ist unbekannt. Aber sie scheint finanziell so gut gestellt gewesen zu sein, dass sich Ernst Fraenkel mit Familie und eigener Praxis in einer Achtzimmerwohnung in der Lübeckerstraße 101 niederlassen konnte, wo er Kassen- und Privatpatienten behandelte.

Er muss sehr fleißig und erfolgreich gewesen sein, Behandlungszeiten waren täglich von 8 Uhr bis 12.30 Uhr und von 16 Uhr bis 19 Uhr, an manchen Tagen kamen bis zu 80 Patienten. Er verdiente sehr gut, entsprechend gepflegt und großzügig war der Lebensstil der Familie, mit großer Bibliothek an Fachliteratur und Schöngeistigem, mit Bechstein-Konzertflügel, einem Pia-nola, umfangreicher Notensammlung usw. Zwar fraß die Inflation von 1923 das beträchtliche Vermögen auf, hauptsächlich Charlottes Mitgift, aber die Praxis lief weiterhin gut und die Familie konnte häufig auf Reisen nach Italien, Spanien und in die alte Heimat Schlesien gehen, besuchte Konzerte und Theateraufführungen. Auch Hausangestellte standen weiterhin zur Verfügung.

Die Situation änderte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Am 1. Mai 1933 wurde jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Behandlung von Kassenpatienten untersagt. Die große Wohnung war nicht länger zu halten, Familie und Praxis zogen in eine kleinere Unterkunft, Lübecker Straße 147. Um die Einbußen wenigstens zum Teil aufzufangen, weitete Ernst Fraenkel die Sprechzeiten am Abend um eine Stunde bis 20 Uhr aus, praktizierte dafür am Vormittag nur noch bis 12 Uhr, eine halbe Stunde weniger. So scheint es ihm gelungen zu sein, dank treuer Privatpatienten finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen. Das zeigen die Aufzeichnungen in der Kultussteuerkarte der Gemeinde: Im Jahr 1930 hatte er 1280 Reichsmark an Kultussteuer bezahlt, 1931/32 waren es 1457 Reichsmark, 1932/33 aber nur 421 Reichsmark, 1935 bereits nur noch 295 Reichsmark, 1937 noch 136,96 Reichsmark. Diese Zahlen entsprechen einer Entwicklung des Einkommens von etwa 11500 Reichsmark im Jahre 1931/32 auf 2400 Reichsmark im Jahre 1937.

Am 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Approbation zum 30. September aberkannt; nur in Ausnahmefällen wurden sie als "Krankenbehandler" für jüdische Patientinnen und Patienten zugelassen. Ernst Fraenkel gehörte nicht zu diesen. Damit war seine Praxis zerstört, ein Platz mehr für einen "arischen" Hautarzt freigeräumt. Das Paar suchte sich erneut eine kleinere und billigere Wohnung und zog im Oktober in den Hegestieg 14 in Eppendorf. Während Tochter Stephanie das Land fluchtartig verließ, unternahmen die Eltern keinen derartigen Versuch. Ernst Fraenkel war inzwischen 66 Jahre alt, seine Frau Charlotte 53, vielleicht nahmen beide an, dass es schlimmer kaum kommen konnte.

Am 6. Dezember 1938 erging vom Oberfinanzpräsidium Hamburg an Fraenkels der Bescheid, eine "Judenvermögensabgabe" von 8500 Reichsmark zu leisten. Unausweichlich kam auch die "Sicherungsanordnung" über das Vermögen, womit ihnen ab dem 3. März 1940 die Verfügung über die eigenen Konten und Wertpapierdepots entzogen war. Die Finanzbeamten gewährten einen Betrag von 350 Reichsmark, den Fraenkels jeden Monat von ihren eigenen Ersparnissen verbrauchen durften, um die Miete zu zahlen und den grundlegenden Lebensunterhalt zu bestreiten. Für Sonderwünsche, etwa eine Brille oder ein Medikament, war ein schriftlicher und begründeter Antrag bei der Finanzbehörde einzureichen. Seit dem 19. September 1941 mussten auch Fraenkels den "Judenstern" tragen.

Am 1. März 1942 erfolgte die Zwangsumsiedlung aus der Wohnung in der Hegestraße in ein Zimmer des "Judenhauses" in der Frickestraße 24. In diesen überfüllten Sammelunterkünften verbrachten Jüdinnen und Juden die letzte Zeit vor der Deportation.

Im Mai erhielten Ernst und Charlotte Fraenkel den Befehl, sich für den 15. Juli auf die "Ausreise" in das Getto Theresienstadt vorzubereiten. Was sie an Mobiliar und Gegenständen noch gelagert hatten, ließen sie versteigern. Den Erlös von 2832,85 Reichsmark bekamen sie nicht ausgezahlt, das Auktionshaus Elsas, Rödingsmarkt 82, überwies den Betrag vorschriftsmäßig sofort auf das gesperrte Konto. Für die Deportation mussten Fraenkels einen "Heimeinkaufsvertrag" abschließen, als wollten sie sich in ein Altersheim einkaufen. Dann zog der deutsche Staat ihr Konto und ihr Wertpapierdepot auf Mark und Pfennig ein. Auf diese Weise wurden ihnen 10.031,04 Reichsmark geraubt.

Am 15. Juli 1942 fuhr der erste Hamburger Deportationszug nach Theresienstadt. Er umfasste 926 Personen. Dabei waren Ernst und Charlotte Fraenkel. Den Rest des Haushalts, den sie in der Frickestraße hatten zurücklassen müssen, versteigerte die Finanzbehörde öffentlich und kassierte einen Erlös von 3553,55 Reichsmark.

Unter den fürchterlichen Bedingungen des Lebens im Getto Theresienstadt starb Ernst Fraenkel nach 11 Monaten, am 16. Juni 1943, gegen 10.15 Uhr an "Adynamia Cordis – Herzschwäche" (Todesfallanzeige des Ältestenrats des Gettos Theresienstadt) im Alter von 71 Jahren.

Charlotte Fraenkel starb fünf Monate später, am 26. November 1943, in Theresienstadt. Sie wurde 58 Jahre alt.

Für Ernst Fraenkel liegt ein weiterer Stolperstein vor seinem letzten freiwillig gewählten Wohnort in der Hegestraße 14 in Hoheluft-Ost. Dort erinnert außerdem ein Stolperstein an seine Ehefrau Charlotte Fraenkel, geborene Levy.

Stand: Mai 2016
© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 3; 5; 7; 8; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident F 553; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident F 554; StaH 351-11 AfW 140610; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden Abl. 1993, Ordner 10, Heimeinkaufsverträge; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 390 Wählerliste 1930; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 992 e 2 Bd. 4; Königlich Preußisches Statistisches Landesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für den preußischen Staat, Jg. 12, 1915; Broche/Carlebach (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, 2004; Meyer (Hrsg.), Verfolgung, 2006, S. 70 ff.; Auskünfte von Yoram Ehrlich, 4.4.2013; Seite "James Fraenkel", in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand 25. Februar 2015, 11:24 UTC, online unter: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=James_Fraenkel&oldid=139196693 (letzter Zugriff 14. August 2015); Seite "Max Fraenkel", in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand: 22. Dezember 2014, 13:46 UTC, online unter: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Max_Fraenkel&oldid=137012342 (letzter Zugriff 14. August 2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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