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Hans Stoll bei Wohnungsauflösung Kopenhagen ca. 1937
© Privatarchiv Dreckmann

Hans Stoll * 1912

Heysestraße 5 (Bergedorf, Bergedorf)

Dänemark
tot 9.4.194o auf der Flucht (im Widerstand)

Hans Stoll, geb. 3.2.1912 in Lohbrügge-Sande, gestorben im April 1940 auf der Flucht von Dänemark nach Schweden

Heysestraße 5 (Beethovenstraße 5)

Hans Stoll war eines von acht Kindern des Ehepaars Anna (geb. Modrach) und Emil Stoll. Er erlernte den Beruf des Bankkaufmanns und war zunächst gemeinsam mit seinem älteren Bruder Richard (geb. 1908) Mitglied der SPD-nahen Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Beide Brüder waren 1928 Vorstandsmitglieder der Ortsgruppe Sande-Lohbrügge, wobei Hans Stoll für die jüngeren Mitglieder zuständig war. Die Gruppe unternahm Wanderfahrten in die Umgebung und schulte sich politisch im Sinne der SPD. Auf Jugendtagen in Norddeutschland demonstrierte man für die Rechte von Jugendlichen, für bessere Ausbildung und den Achtstundentag.

Bald jedoch entwickelten sich Differenzen zur Mutterpartei, die vielen im Jugendverband zu "bürgerlich" war – unter anderem hatte die SPD unter ihrem Reichskanzler Müller Ende der 1920er Jahre dem Bau von Panzerkreuzern zugestimmt und damit ein Wahlversprechen gebrochen. Nach 1930 unterstützte die mittlerweile aus der Reichsregierung ausgeschiedene SPD, um eine rechtsradikale Regierung unter Beteiligung der NSDAP zu verhindern, die Regierung Brüning. Diese regierte mit Notverordnungen, die nicht durch das Parlament bestätigt werden mussten. Die SPD tolerierte auf diese Weise unter anderem Kürzungen von Löhnen und bei der Arbeitslosenunterstützung. Die jungen SAJler aus Bergedorf forderten von ihrer Partei ein konsequenteres Eintreten für die Interessen der Arbeiter und waren der Überzeugung, dass das kapitalistische System beseitigt werden müsse. Sie forderten die Einheit der Arbeiter und lehnten daher auch die KPD-Politik ab, die mit ihrer Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) die Gewerkschaften spaltete und mit der "Sozialfaschismus-Theorie" Sozialdemokraten auf eine Stufe mit Nationalsozialisten stellte. Im Herbst 1931 wurden große Teile der Bergedorfer und Sander SAJ-Mitglieder aus der SPD ausgeschlossen. Daraufhin gründeten Richard und Hans Stoll mit anderen die Bergedorfer Ortsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Diese war im Oktober 1931 reichsweit als linke Abspaltung der SPD gegründet worden und nahm auch ehemalige KPD-Mitglieder auf.

Die SAP hatte mit der Machtübergabe an die NSDAP gerechnet und war daher 1933 zu­nächst in der Lage, sich in der Illegalität zu organisieren. Es wurde ein System von Fünfergruppen gebildet, von denen jeweils ein Mitglied Kontakt zu einer weiteren Fünfergruppe hielt. Die Bergedorfer Gruppe um Hans und Richard Stoll, zu der noch Walter Becker sowie Hermann und Michael ("Michel") Pritzl gehörten, erhielt den Auftrag, eine illegale Druckerei aufzubauen. Dies geschah im Wohnhaus der Familie Stoll in der damaligen Beethovenstraße 5 (heute Heysestraße 5). Gesetzt wurden die Texte in Richard Stolls Dachkammer, der Druck fand auf einer Tiegelpresse im Keller statt. Von März bis August 1933 konnten so Parteimitteilungen und die Schrift "Spartakusbrief" gedruckt und illegal in Bergedorf und Umgebung verteilt werden. In den 1980er Jahren berichtete Michel Pritzl über die Druckerei: "Ende Juli/Anfang August [1933] begannen wir mit dem Druck der 2. Ausgabe unseres ‚Spartakusbriefes‘. Beim Setzen in Richards Dachzimmer arbeiteten wir meist schweigend, denn im Haus wohnten ja noch andere Familien. Damals konnte man keinem trauen. [...] Auch Anni und Walter Adams halfen uns. So kam es schon mal vor, dass einer sagte: ‚Gib mir mal ein E her!‘ oder ‚Gib mir mal ein A rüber!‘. Das musste der Schwiegersohn des Nachbarn Barkow, ein gewisser Burmester, gehört haben. Jedenfalls hat uns dieser Strolch verpfiffen."

Die Gruppe hatte jedoch von der Gefahr erfahren und Richard Stoll hatte alle Druckerei-Utensilien gut verpackt in einem Schrebergarten der Familie vergraben. Am 27. August 1933 wurde Richard Stoll in der Wohnung Beethovenstraße verhaftet. Sein Bruder Hans kam davon, weil im Wagen der Gestapo kein Platz mehr war. Die Gestapo wollte auch den Garten der Familie durchsuchen, Richard führte sie aber zu einem zweiten Garten, der ebenfalls der Familie gehörte, aber "sauber" war. Nach schweren Misshandlungen, die ihm unter anderem einen Hörschaden einbrachten, wurde Richard Stoll an die Staatsanwaltschaft übergeben und im Januar 1934 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wurde er freigelassen, fand aber in Bergedorf zunächst keine Arbeit. Nach einer Zeit als Landarbeiter in Mecklenburg kehrte er 1939 nach Bergedorf zurück. Inzwischen hatte er geheiratet und fand Arbeit im Bergedorfer Eisenwerk. Im November 1942 wurde der zuvor für "wehrunwürdig" Erklärte zum "Bewährungsbataillon 999" eingezogen. In Griechenland verwundet, geriet er kurzzeitig in amerikanische Kriegsgefangenschaft und konnte im Juli 1945 nach Bergedorf zurückkehren.

Hans Stoll entkam mit Hilfe von Parteimitgliedern aus Hamburg und Flensburg nach Kopenhagen, wo er auf Michel Pritzl und andere aus der Bergedorfer SAP-Gruppe traf. Unterstützung erhielten sie vom sozialdemokratischen Matteotti-Komitee. Sie lernten Dänisch und diskutierten untereinander und mit anderen Emigranten die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit Kommunisten, aber auch mit dem damaligen SAP-Mitglied Willy Brandt, der im Auftrag der Parteileitung ein Bündnis aller Hitler-Gegner, unter Einschluss des in Deutschland mittlerweile verfolgten "linken" Strasser-Flügels der NSDAP, erreichen wollte. Die Bergedorfer lehnten jedoch ein Zusammengehen mit den nach wie vor faschistischen Strasser-Leuten ab. In seiner Freizeit spielte Hans Stoll gemeinsam mit anderen Emigranten in einer Fußballmannschaft, auch half er zusammen mit Michel Pritzl im linken "Fremverlag" aus. Die Bergedorfer Gruppe lebte zunächst in einer Wohngemeinschaft, die sich aber etwa 1937 auflöste. Walter Becker war nach Schweden gegangen, Michel Pritzl hatte seine Bergedorfer Verlobte Anni und Hermann Pritzl seine dänische Freundin geheiratet. Hans Stoll bezog ein Zimmer zur Untermiete.

Am 9. April 1940 wurde Dänemark von deutschen Truppen besetzt. Die politischen Emigranten begannen sofort, Fluchtmöglichkeiten nach Schweden zu organisieren. Nicht allen gelang der Absprung, Michel Pritzl wurde am 19. April 1940 verhaftet. Nach Haftstationen im dänischen Sammellager, im Hamburger Untersuchungsgefängnis und Konzentrationslager Fuhlsbüttel, verbunden mit entsprechenden Verhören und Misshandlungen, wurde Pritzl schließlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Im August 1942 wurde er entlassen.

Hans Stoll sollte kurz nach Pritzls Verhaftung mit einem Fischerboot nach Schweden gebracht werden. Anni Pritzl berichtete dazu: "Nach Michels Verhaftung kam Hans Stoll zu mir. Es war am Abend vor seiner geplanten Überfahrt nach Schweden. Er wollte eigentlich nicht mit. Er meinte, er hätte so ein seltsames Gefühl, als wenn irgendwas schieflaufen würde. Vor allem wollte er nicht mit einem Strassermann, einem von der ‚Schwarzen Front‘, eigentlich ja einem Faschisten, zusammen fliehen. Er traute dem nicht. Als er mich verließ, war er fest entschlossen, nicht mitzufahren. Andererseits hatte er Gewissensbisse wegen Günther Hopfe, denn der war schon älter, kurzsichtig und unbeholfen. Die Überfahrten nach Schweden waren ja nicht problemlos. Es wurde bei Nacht gefahren. Die Flüchtlinge wurden vor der schwedischen Küste im brusttiefen Wasser abgesetzt. Außerdem wäre ohne ihn das Geld für den Fischer nicht zusammengekommen. [...] Er ist dann wohl doch mitgefahren.

Die fünf deutschen Emigranten sind in Schweden nie angekommen. Der dänische Fischer hat nach dem Krieg erzählt, er habe die Fünf an Bord genommen und vor der Küste abgesetzt. Wir haben später immer wieder darüber nachgedacht und denken heute noch darüber nach, was damals wohl passiert ist. Lange dachten wir, dass die Fünf nach Verrat durch den Strasser-Mann an die Gestapo geraten und von ihr ‚liquidiert‘ worden sind. Der Fischer müsste in diesem Fall aus Angst die Unwahrheit gesagt haben. Aber warum sollte die Gestapo ihre Gefangenen vor den ‚berüchtigten‘ Verhören umbringen, und das 1940? Es könnte sein, dass die Fünf an der schwedischen Küste ertrunken sind, weil der Fischer sie auf einer Sandbank – also zu früh – absetzte. Sie hatten ihre Kleidungsstücke alle übereinander angezogen, weil sie kein Gepäck mitnehmen durften. Vielleicht konnten sie darin nicht an Land schwimmen. Aber es sind zu diesem Zeitpunkt keine Leichen an der schwedischen Küste gefunden worden. Walter Becker hat hierzu von Schweden aus Nachforschungen angestellt."

Näheres ist über die Todesumstände von Hans Stoll bis heute nicht bekannt geworden.

© Björn Eggert, Ulrike Sparr

Quellen: StaH 242-1 II, Abl. 13 (Strafhaft Männer, Karteikarte Richard Stoll); StaH 332-8 (Hauskartei), Film 2466 (Heysestr.5); FZH, Nachlass Blankenfeld 18-2 2.3.5, AvS Hamburg, Mitglieder; Alfred Dreckmann, Wer nicht getauft ist, aufsteh’n!" – Das andere Bergedorf, Hamburg 1987; ders., In Bergedorf war alles ge­nauso (Schlosshefte 9), 2. Aufl. Bergedorf 2004; Bundeszentrale für politische Bildung, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Band 1, Bonn 1995, S.265/266 (StaH: L 328/00062a); VVN (Hrsg.), To­ten­liste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter, Hamburg 1968; Sozialistische Mitteilungen Nr. 85 (Dez. 1945); Für Freiheit und Demokratie, Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ver­folgung und Widerstand 1933–1945, Hrsg. SPD-Landesorganisation Hamburg, Hamburg, 2003, S. 146f.

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