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Hamfried Rimek * 1896

Lohbrügger Weg 21 (Bergedorf, Lohbrügge)


HIER WOHNTE
HAMFRIED RIMEK
JG. 1896
VERHAFTET 1944
"FEINDSENDER GEHÖRT"
BIS KRIEGSENDE LAZARETT
ZUCHTHAUS FUHLSBÜTTEL
TOT AN HAFTFOLGEN
19.10.1945

Hamfried Rimek, geb. 30.7.1896 in Ottensen, inhaftiert 13.1.1944 Hamburg, gestorben an Haftfolgen am 13.10.1945

Hamfried Heinrich Theodor Rimek wurde am 30. Juli 1896 als neuntes von zehn Kindern des Glasmachers Johann Schiemeck/Rimeck und dessen Ehefrau Barbara, geb. Popek, in der Bahrenfelder Straße 310 in Ottensen geboren. Zwei seiner Schwestern starben im Kleinkindalter. In unmittelbarer Nähe der Wohnung befanden sich die Vereinigten Glashüttenwerke Ottensen, bei denen Hamfrieds Vater arbeitete.

Auf Hamfrieds Geburtsurkunde erfolgte 1920 ein Nachtrag, der besagt, dass auf Anordnung des Amtsgerichts in Altona der Familienname nun Rimek laute. Sein Vater Johann trug den Namen Schiemeck allerdings noch bis 1929. Aus welchen Gründen diese Namensänderung vorgenommen wurde, ist nicht bekannt.

Hamfrieds ältester Bruder legte schon 1911 als Augustin Rimek den Hamburger Bürgereid ab.

1885 waren die Schiemecks, eine aus Böhmen stammende Glasmacherfamilie, nach Ottensen gezogen. Zuvor hatten sie an verschiedenen Orten in Böhmen, in der Lausitz und in Berlin-Charlottenburg gelebt, die alle über eine oder mehrere Glashütten verfügten. Allein in der Zeit zwischen 1879 und 1883 zogen sie von Altenberg in Sachsen nach Haida in Böhmen und weiter nach Berlin-Charlottenburg. Neben Hamfrieds Großmutter, seinen Eltern und seinen drei ältesten Geschwistern fanden sich anscheinend auch noch zwei Onkel, deren Ehefrauen und Kinder in Ottensen ein.

Die kleine Stadt Ottensen entwickelte sich durch die sich verändernden Zollbedingungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem der wichtigsten Industriestandorte Norddeutschlands. Die Ansiedlung von Industriebetrieben wie Glashütten, Zigarrenfabriken und Firmen der Metallindustrie führte zu einem immensen Bevölkerungsanstieg. 1864 waren es 6.643 Einwohner, 1886 schon 18.630 und 1889, als Ottensen seine Selbständigkeit verlor und nach Altona eingemeindet wurde, ca. 23.400 Einwohner. Für all diese Menschen musste Wohnraum geschaffen werden. Auf dem Gelände der Vereinigten Glashüttenwerke Ottensen entstand durch das Nebeneinander von Fabrik- und Lagergebäuden sowie Arbeiterwohnhäuser eine Stadt im Kleinen. 160 Arbeiter lebten mit ihren Familien in werkseigenen Wohnungen. Die Arbeiter gerieten so in ein Abhängigkeitsverhältnis, das sie obdachlos werden ließ, sollten sie ihre Arbeit verlieren. Häufig bestanden diese Wohnungen aus zwei kleinen Stuben, einer ebenso kleinen Küche und einem Flur. Die Sanitäranlagen befanden sich auf dem Hof. Insbesondere, wenn man die große Zahl an Familienmitgliedern betrachtet, zeichnen sich die Wohnverhältnisse durch große Enge aus. Glasmacherfamilien stand kein großes Einkommen zur Verfügung. Glashüttenbesitzer in ländlichen Gegenden verpachteten häufig etwas Land an ihre Arbeiter, damit sie Gemüse anbauen konnten. Das war in der Stadt nicht möglich. Da die Familien in unmittelbarer Nähe zu den Fabriken lebten, waren sie einem ständigen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. 1889 bis 1899 wurden in Altona und Ottensen als Ursachen für 12,5% aller Sterbefälle Schwindsucht und für 13,3% die Erkrankung der Atmungsorgane angegeben. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Glasarbeiter lag bei 35 Jahren.

1901, Hamfried war fünf Jahre alt, zogen die Schiemecks nach Bergedorf, auf das Gelände der dortigen Glasfabrik Hein & Dietrich und wurden sesshaft. Max, der älteste Sohn von Hamfrieds Bruder Augustin, erzählte Jahre später, dass er als Glasmacherkind unter den anderen Kindern in der Schule als sehr arm angesehen war. Er trug im Sommer meist keine Schuhe und im Winter Holzpantinen.

Der Vater Johann Rimek, so wird in der Familie erzählt, sei taub gewesen. Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass er lesen und schreiben konnte, zumal zu seiner Zeit die meisten Glasmacherkinder schon früh in den Glashütten zu arbeiten anfingen. Die Mutter Barbara unterschrieb die Sterbeurkunde ihrer Tochter Emma Catharina Franziska 1889 noch mit drei Kreuzen, später die der Schwiegermutter ungelenk mit ihrem Namen. Ihre Kinder lernten nun jedoch Lesen und Schreiben. Hamfried besuchte die Schule Am Brink in Bergedorf. Hier wurden die Jungen je nach Herkunft verschiedenen Gruppen zugeordnet. So gab es eine für die Söhne von Handwerksmeistern und Geschäftsleuten, eine für die der Facharbeiter und eine letzte für die der ungelernten Arbeiter. Hamfrieds Brüder lernten alle das Glasmacherhandwerk und heirateten Frauen aus Glasmacherfamilien. Die Ehemänner seiner Schwestern stammten ebenfalls aus Glasmacherfamilien und übten diesen Beruf auch aus. So begann auch Hamfried 1911, nachdem er die Volksschule beendet hatte, eine Lehre als Glasbläser.

Hamfried Rimek nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und erkrankte in Mazedonien an Malaria. Nach Beendigung des Krieges konnte er nicht mehr in seinen erlernten Beruf zurückkehren und war zunächst als "Erdarbeiter" tätig. 1922 heiratete er Gertrud Wilhelmine Paula Meta Harm. Zwischen 1922 bis 1942 bekamen sie sechs Kinder.

Im Zuge der Industrialisierung entstand in Ottensen, aber auch in Bergedorf, schon sehr früh eine starke gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung. Fünf Jahre, nachdem die Familie in Ottensen angekommen war, streikten im Sommer 1890 die Ottensener Glasarbeiter. Bergedorfer Glasarbeiter gründeten einen "Fachverein", um bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen zu können.

Inwieweit die Familie sich hieran aktiv beteiligt hat, ist nicht bekannt. Hamfried Rimek trat 1914 in die SPD ein und schloss sich den freien Gewerkschaften an. Sein ältester Bruder Augustin und dessen Sohn Max waren ebenfalls SPD-Genossen. Später wandten sich ein Schwager und ein Neffe Hamfrieds dem Nationalsozialismus zu, was innerhalb der Familie offenbar nicht einfach war.

1923, zwei Tage, nachdem Kommunisten in Schiffbeck (heute Billstedt) unter anderem das dortige Polizeirevier, das Gemeindehaus und die Post in ihre Gewalt gebracht und Barrikaden errichtet hatten, kam es in Bergedorf zu einer Menschenansammlung vor der Kirche. Zwei Waffengeschäfte wurden geplündert. Die Polizei ging mit Säbeln und Gummiknüppeln auf die Menschenmenge los. Es sammelten sich jedoch immer wieder Menschen an. Die Polizei schilderte die Lage als kritisch. Sieben, zum Teil auch unbeteiligte Menschen, wurden durch Schüsse teilweise schwer verletzt, zwei starben. Polizisten hielten Hamfried Rimek anscheinend noch vor Beginn der großen Auseinandersetzungen auf der Straße an, durchsuchten ihn nach Waffen und nahmen ihn, obwohl sie nichts fanden, vorläufig fest. Ihm wurde vorgeworfen, an "einer öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge, die mit vereinten Kräften gegen die Staatsgewalt Gewalttätigkeiten beging, teilgenommen zu haben". Da die Polizei eine hohe Strafe erwartete und deshalb Fluchtgefahr annahm, verblieb er in Polizeigewahrsam und wurde am 27. Oktober dem Richter vorgeführt. Er bestritt, am Aufruhr beteiligt gewesen zu sein. Erst am 2. November 1923 wurde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Man konnte ihm nichts nachweisen. Andere Verhaftete wurden zu drei Jahren Haft verurteilt.

Für Hamfried Rimek folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit im Wechsel mit verschiedenen Tätigkeiten: So war er Telegrafenarbeiter, Arbeiter in einer Kistenfabrik, im Hafen und einem Blumenzwiebellager, Wachmann und Pförtner in den Bergedorfer Emaillierwerken. Immer wieder erkrankte er ernsthaft an Herz, Lunge und Leber. Er selbst sah diese Erkrankungen als Folgen seiner Malariainfektion an. Seit 1930 wurde er infolgedessen als zu 90% arbeitsunfähig eingestuft und bezog eine kleine Invalidenrente. Aufgrund seiner schlechten Gesundheit, der häufigen Arbeitslosigkeit und der daraus folgenden schlechten wirtschaftlichen Situation der Familie sei er, wie seine Frau Gertrud berichtete, nicht sehr umgänglich gewesen.

Die Situation verbesserte sich in den folgenden Jahren nicht. 1943 wurde er in mehreren Hamburger Krankenhäusern behandelt. Am 13. Januar 1944 wurde er wieder arbeitsfähig geschrieben. An diesem Tag um 8:30 Uhr nahm die Bergedorfer Gestapo Hamfried Rimek fest. Bereits 1941 waren er und der mit ihm am selben Tage festgenommene Arbeiter Wilhelm Dauck aufgrund des Tatvorwurfs, Feindsender abgehört zu haben, von der zuständigen Ortsgruppe der NSDAP in Lohbrügge der Gestapo gemeldet worden. Es konnte ihnen damals nichts nachgewiesen werden. 1944 wurden sie in Haft genommen, bevor die Gestapo die Wohnungen durchsuchte, um Beweismittel sicherzustellen. Dabei wurde das Radiogerät in der Rimekschen Wohnung beschlagnahmt. Kuno, Hamfried Rimeks ältester Sohn, der sich in der Wohnung aufhielt, wurde ebenfalls zum Verhör mitgenommen. Er und auch Wilhelm Dauck bestätigten gegenüber den Beamten, dass Hamfried Rimek seit längerem gemeinsam mit Wilhelm Dauck in der Wohnung der Rimeks den englischen Sender gehört hätten. Später bekräftigte ein Nachbar diese Aussagen. Hamfried Rimek selbst "bequemte" sich erst "nach einer Gegenüberstellung mit Dauck und ernstlichen Ermahnungen" zu einem Teilgeständnis", wie es im Vernehmungsprotokoll hieß. Die Gestapo warf ihm vor, seit 1939 gegen die Rundfunkverordnung verstoßen zu haben. Wilhelm Dauck hätte überdies, wie Arbeitskollegen bestätigten, das Gehörte verbreitet. Gertrud Rimek, Hamfrieds Ehefrau, wurde am selben Tage ebenfalls zum Verhör in Polizeigewahrsam genommen. Sie gab zwar zu, dass ihr Mann Radio gehört habe, hätte jedoch selbst nicht gewusst, dass es sich hierbei um einen Feindsender gehandelt habe. Sie hätte davon nichts bemerkt. Dauck, der eine Weile öfter zu Besuch kam, hätte viel über Politik gesprochen, aber soweit sie wüsste, nie gegen die Regierung. Sie selbst habe sich nie mit politischen Dingen beschäftigt. Ihr Mann sei zwar in der SPD gewesen, stehe dem nationalsozialistischen Staate aber nicht ablehnend gegenüber. Kriminalsekretär Lange hielt sie nicht für glaubwürdig, entließ sie jedoch, da sie die "Mutter unmündiger Kinder" sei. Kuno wurde ebenfalls wieder entlassen, da er angab, seinen Vater ermahnt und jedes Mal mit seiner Schwester die Wohnung verlassen zu haben, wenn Wilhelm Dauck zum Radiohören kam.

Wilhelm Dauck gab in dem Verhör weiterhin an, auch bei Hamfried Rimeks Schwager Karl Reins, dem Ehemann einer von Gertruds Schwestern, Radio gehört zu haben. So wurde auch dieser verhaftet. Alle drei brachte man ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, wie das KZ Fuhlsbüttel offiziell genannt wurde.

Am 9. Mai 1944 verurteilte das Hanseatische Sondergericht in einer öffentlichen Sitzung Wilhelm Dauck zu sechs, Hamfried Rimek zu fünf und seinen Schwager Reins zu zwei Jahren Zuchthaus und Ehrverlust wegen Verbrechens gegen die Rundfunkverordnung. Das Gericht bezog sich in der Urteilsbegründung auch auf die marxistische Einstellung und die politische Vergangenheit der Angeklagten. Hamfried Rimeks Anwalt konnte nichts ausrichten. Laut der Wiedergutmachungsakte verbrachte er aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustandes die Zeit bis zum Kriegsende 1945 im Lazarett des Zuchthauses Fuhlsbüttel.

Hamfried und Gertrud Rimeks sechs Kinder waren 1944 im Alter von einem bis 21 Jahren. Der älteste Sohn Kuno lebte auch nach seiner Lehre bei den Eltern und unterstützte sie, bis er zum technischen Notdienst eingezogen wurde, mit seinem Einkommen als Schlosser und Maschinenbauer. Er wurde jedoch nach der Verhaftung seines Vaters eingezogen, obwohl ein Jahr zuvor aufgrund eines Herzklappenfehlers als wehruntüchtig eingestuft worden war. Eingesetzt war er in der Nähe von Riga, ab 1. Juli 1944 galt er als vermisst. Die Familie verlor damit ihren einzigen Ernährer.

Hamfried Rimek erholte sich nach der Freilassung nicht wieder. Er starb am 13. Oktober 1945 zu Hause im Lohbrügger Weg. Gertrud wurde als Ehefrau von der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten als Mitglied anerkannt. Ihr Ehemann erhielt den Status eines politisch Verfolgten. Sein Name findet sich auf den Gedenkstelen auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung für NS-Opfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

© Bärbel Rimek

Quellen: StaH, 213-11 NS Akte 33/46; D 308/23 Haftsache 1923; 332-5 Geburtsregister Ottensen, 777/1896; 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 21674; Plagemann, Volker, Hrsg.: Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reiches Tor zur Welt. München, 1984, S. 77–79; Dahms, Geerd, Das vergessene Bergedorf neu entdeckt. Hamburg, 1990, S. 33; Altona-Ottensen auf der Hamburgischen Gewerbe- und Industrie-Ausstellung 1889; Altonaer Adressbücher; Stadtteilarchiv Ottensen: http://www.stadtteilarchiv-ottensen.de/pages/schwerpunktthemen/arbeiterbewegung.php; Kultur- & und Geschichtskontor, Hrsg., 850 Jahre Bergedorf. Eine Stadtgeschichte. Hamburg 2012, S. 57; Dreckmann, Alfred: >> Wer nicht getauft ist, aufsteh’n.

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