Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Emil Josef Thiel * 1909

Metzer Straße 4 (Hamburg-Nord, Dulsberg)


Verhaftet 1935, 1938 und 1939
KZ Fuhlsbüttel
Flucht in den Tod
01.06.1941

Emil Joseph Thiel, geb. am 5.12.1912 in Wandsbek, inhaftiert 1938, 1939–1940, Selbstmord am 1.6.1941 in Hamburg

Metzer Straße 4

Emil Thiel wurde als Sohn des Arbeiters Joseph Thiel und Ehefrau Berta, geb. Stoltenberg, geboren. Nach dem Volksschulabschluss arbeitete er als Bote und später als kaufmännischer Angestellter. Er geriet vier Mal wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen in die Fänge des NS-Regimes – das erste Mal Ende Oktober 1935. Lediglich aus dem Jahr 1938 sind die Strafjustizakten erhalten geblieben, sodass Thiels Leidensweg nur sehr unvollständig wiedergegeben werden kann.

Am 8. März 1938 wurde Emil Thiel, der bei der Berufskrankenkasse der Kaufmannsgehilfen tätig war, von seinem Kollegen Karl Manrodt im Auftrag ihres Arbeitgebers bei der Kriminalpolizei angezeigt. Als Grund gab er an, ihm sei von dritter Seite zugetragen worden, dass Emil Thiel mit einem Mann "in den Betten gewesen sei". Nach seinen Angaben wurde Emil Thiel fristlos entlassen.

Drei Tage später erschien Emil Thiel auf Vorladung zum Verhör bei der Kriminalpolizei im Stadthaus. Er sagte aus, dass er selbst zum 31. März 1938 gekündigt habe, weil seine lang andauernde Beziehung zu einem anderen Mann seinem Arbeitgeber bekannt geworden sei. Diesen Partner hatte er im Café Indra auf der Großen Freiheit kennengelernt. Er gab zu, in den letzten Jahren gleichgeschlechtlichen Verkehr ausgeübt zu haben. Kontakte zu weiteren Männern habe er in öffentlichen Bedürfnisanstalten und auf der Straße aufgenommen. Sexuelle Handlungen habe er stets im Freien praktiziert und nie jemanden mit in die Wohnung genommen. Am 15. März wurde er in polizeiliche "Schutzhaft" genommen und am 19. März 1938 ins Unter­suchungsgefängnis Holstenglacis verlegt.

Die Staatsanwaltschaft klagte Emil Thiel wegen Vergehens gegen §§ 175, 175 a Ziffer 3 an. Die Große Strafkammer VIII des Landgerichts Hamburg, unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Schmarje, sprach ihn am 28. Juni 1938 wegen Vergehens gegen § 175 a frei und verurteilte ihn wegen Vergehens gegen § 175 zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe. Aus dem Urteil: "... Er habe fortgesetzt mit sich selbst gekämpft und habe, um sich abzulenken, viel Sport getrieben und auch das Theater besucht, um auf andere Gedanken zu kommen. Trotz allem sei er ab und zu bis Februar 1938 mit anderen Männern zusammen gekommen und habe, was er zugeben müsse, mit diesen Unzucht getrieben. ... Bei der Strafzumessung fiel zugunsten des Angeklagten ins Gewicht, daß dieser, was ihm durchaus geglaubt werden kann, fortgesetzt gegen seine anormale Veranlagung angekämpft hat. ... er gehört nicht zu den so genannten Strichjungen und er hat auch niemals den Versuch unternommen, sich irgendwie durch die unzüchtigen Handlungen Geld zu verdienen. Andererseits war aber strafschärfend zu berücksichtigen, daß die Vergehen gegen § 175 StGB. mit allen Mitteln bekämpft werden müssen."

Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt, sodass er die Strafe im Männergefängnis Glasmoor bei Glashütte in vollem Umfang verbüßen musste.

Im März 1939 wurde er erneut wegen "widernatürlicher Unzucht" festgenommen und am 10. März in "Schutzhaft" genommen, am 4. Juli 1939 wegen Vergehens gegen § 175 zu einer Haftstrafe verurteilt, die er bis zum 9. September 1940 im Strafgefängnis Fuhlsbüttel absitzen musste.

In Wilhelmshaven fand Emil Thiel Arbeit als kaufmännischer Angestellter bei einer Spedition. Als er auch dort Ende Mai 1941 eine polizeiliche Vorladung zum Verhör erhielt, floh er zu seinen Eltern nach Hamburg. In deren Wohnung in der Metzer Straße 4 im II. Stockwerk in Hamburg-Dulsberg beging er mittels eines geöffneten Gashahns am 1. Juni 1941 Selbstmord.

Da Emil Thiels Lebensmittelpunkt in Hamburg und nicht in Wilhelmshaven lag, ist ein Stolperstein für ihn vor seinem Elternhaus in der Metzer Straße 4 in Dulsberg verlegt worden.

© Bernhard Rosenkranz(†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-8 (Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung), Abl. 2, 451 a E 1, 1 b und Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; StaH 242-1II (Gefängnisverwaltung II), Ablieferungen 13 und 16; StaH 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen), 7560/38; StaH 331-5 (Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle), 970/41; Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann/Gottlieb Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Verlag Lambda Edition, Hamburg 2009, S. 263.

druckansicht  / Seitenanfang