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Erna Lackmann, 1939
© Evangelische Stiftung Alsterdorf

Erna Lackmann * 1911

Denickestraße 6 (Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 18) (Harburg, Harburg)


1943 eingewiesen
'Heilanstalt'
Am Steinhof / Wien
verhungert 10.03.1945

Erna Lackmann, geb. am 6.10.1911 in Harburg, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien, dort ermordet am 10.3.1945

Stadtteil Harburg-Altstadt, Denickestraße 6 (Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 18)

Erna Lackmann war das älteste der drei Kinder ihrer Eltern. Ihr Vater war Malermeister, ihre Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch der Volksschule verdiente das junge Mädchen sein erstes Gehalt als Verkäuferin. Sie wohnte in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 18 (heute: Denickestraße 6). 1928 heiratete sie im Alter von 17 Jahren und gebar ein Jahr später ein gesundes Mädchen. Diese Geburt veränderte ihr Leben grundlegend. Während sie vorher als lebenslustig und fleißig geschildert wurde, wirkte sie nun – vermutlich aufgrund einer Wochenbettdepression – eher verschlossenen und apathisch.

Nach einem sechswöchigen Aufenthalt in der psychiatrischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Harburg-Wilhelmsburg, zu dem sie sich kurzfristig entschlossen hatte, ging es ihr vorübergehend besser. Sie litt jedoch weiterhin unter Depressionen, was sie aber nicht hinderte, sich intensiv um das Wohl ihres Kindes zu kümmern.

Ihr Befinden änderte sich jedoch schlagartig, als sie 1933 wegen angeblicher Untreue geschieden wurde. Das Kind wurde ihrem Mann zugesprochen. Sie arbeitete weiterhin als Verkäuferin, blieb aber nie lange in einer Stellung. Ihre psychischen Probleme wurden von Tag zu Tag evidenter. Sie vereinsamte zusehends und führte immer häufiger Selbstgespräche bzw. in der Phantasie Gespräche mit ihrer Tochter Waltraud. Ein er­neuter klinischer Aufenthalt, diesmal in der damaligen "Psychiatrischen und Nervenklinik der Hamburger Universität Friedrichsberg", wo sie sich von Dezember 1937 bis Januar 1938 im Alter von 26 Jahren einer Insulintherapie unterzog, endete abermals ohne positive Folgen. Die Ärzte erklärten sie für schizophren.

Daraufhin wurde Erna Lackmann am 23. Juni 1938 in die damalige "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" eingewiesen, ohne dass sich ihr Zustand in den folgenden Wochen spürbar verbesserte. Drei Monate später wurde die 27-jährige Harburgerin in der Frauenklinik Finkenau in Hamburg-Uhlenhorst zwangsweise sterilisiert. Auch dieser Eingriff hinterließ tiefe Spuren. Während die Patientin vorher nicht zum Sprechen zu bewegen war, wurde sie danach oft "laut" und "frech". In dem entsprechenden ärztlichen Bericht ist außerdem davon die Rede, dass sie "dauernd singt, freche Bemerkungen macht, Personen verkennt und lebhaft halluziniert." Auch eine vorübergehende Entlassung auf Bitten der Mutter führte zu keiner Verbesserung. Nach einem Monat kehrte Erna Lackmann wieder nach Langenhorn zurück. In der Krankenakte wurde bald danach vermerkt: "Pat. liegt stuporös im Bett, isst so wenig, dass Sonderfütterung gemacht werden muss, gibt auf Fragen keine Antwort."

Dieser Zustand führte im August 1939 zu ihrer Überweisung in die damaligen Alsterdorfer Anstalten. Ihre Mutter besuchte sie dort jede Woche und bemühte sich auch hier wieder auf Bitten ihrer Tochter um deren Entlassung, da sie ständig den Wunsch geäußert habe, wieder nach Hause zu wollen. Im April 1941 durfte Erna Lackmann die Anstalt für eineinhalb Jahre noch einmal verlassen. Dann wies das Harburger Gesundheitsamt sie am 14. November 1942 erneut in die Alsterdorfer Anstalten ein mit der Begründung, sie stelle für sich und andere eine Gefahr dar. In der Krankenakte beschrieben die Ärzte sie anschließend als "völlig kontaktunfähig" und "stuporös" (regungslos). Sie musste gefüttert werden und schmutzte ihr Bett nachts immer öfter ein.

Am 16. August 1943 gehörte die 32jährige Erna Lackmann zu den 228 Mädchen und Frauen der Alsterdorfer Anstalten, die in die "Landesheilanstalt Am Stein­hof" in Wien verlegt wurden, da "die Alsterdorfer Anstalten durch Fliegerangriff zerstört sind", wie auf ihrer und den anderen Krankenakten vermerkt wurde.

Der "Steinhof" war 1904 gegründet worden und zählte 1939 mehr als 4000 Patienten, von denen in den Jahren 1940/41 über 3200 in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet wurden. Nach dem offiziellen Stopp der "T4-Aktion" wurde der "Steinhof" unter der Leitung von Hans Bertha, der in den inneren Kreis der T4-Zentrale aufgestiegen war, zu einem Hauptort der dezentralen Tötung behinderter Menschen. Der Tod der Pfleglinge wurde systematisch durch die Überdosierung von Medikamenten, unterlassene ärztliche Hilfe bei Krankheiten oder durch Unterernährung herbeigeführt.

Die zuständigen Ärzte hier bezeichneten Erna Lackmann auf einem nachträglich ausgefüllten Meldebogen im März 1944 als "unverwendbar", was einem Todesurteil gleichkam. Im Dezember 1944 wog Erna Lackmann nur noch 24 kg, nachdem es bei ihrer Ankunft noch 10 kg mehr gewesen waren. Bald danach teilte der Stationsarzt ihrer Mutter mit, dass die Patientin an einer Lungentuberkulose leide und dass mit ihrem "Ableben in den nächsten Monaten oder auch schon in Wochen wohl … gerechnet werden" müsse.

Zehn Wochen später war Erna Lackmann tot. Sie verstarb am 10. März 1945 um 3.00 Uhr nachts im Alter von 33 Jahren. Als Todesursache wurde "Tuberkulose" angegeben.

© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Erna Lackmanns (V167); Wunder u. a., Kein Halten, 2. Auflage; VVN-BdA Hamburg (Hrsg.), Spurensuche.

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