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Flora Gowa * 1874

Wandsbeker Chaussee 81 ggü. Nr. 96 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
FLORA GOWA
JG. 1874
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 29.5.1943

Flora Gowa, geb. am 3.1.1874 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod am 29.5.1943

Wandsbeker Chaussee gegenüber Nr. 96 (Wandsbeckerchaussee 81)

Auf der Kultussteuerkarteikarte der ledigen Volksschullehrerin Flora Gowa von 1935 steht unübersehbar "Zuschr. a/Albert Gowa, Isestr. 57". Dass eine 61-jährige Lehrerin Briefe von ihrer Gemeinde, der sie eng verbunden war, wie ihre regelmäßigen Beiträge zeigen, nicht selbst in Empfang nahm, verwundert und lässt nach Gründen dafür und nach der Identität von Albert Gowa suchen.

Flora Gowas Eltern, der Kaufmann Emil Gowa und seine Frau Johanna, geborene Jacob, genannt Heymann, gehörten beide hamburgischen jüdischen Familien an. Zwischen 1867 und 1890 brachte Johanna Gowa vier Töchter und vier Söhne zur Welt. Als Flora am 3. Januar 1874 geboren wurde, lebten bereits die sieben Jahre alte Schwester Jenny (geb. 1867) und zwei Brüder, Henry (geb. 1868) und Hugo (geb. 1870). Ihr folgten die Schwestern Paula (geb. 1877) und Rosa (geb. 1879), mit zweijährigem Abstand der oben erwähnte Albert, geboren am 8. November 1881, und schließlich im August 1890 der Nachkömmling Paul.

Floras Vater, Emil Gowa, wohnte bis 1892 in der Hamburger Neustadt und zog von dort nach St. Georg in die Böckmannstraße 27, wo er zehn Jahre später am 26. März 1902 starb. Seine Witwe blieb mit ihren Töchtern Jenny, Flora, Paula und dem erst 11-jährigen Sohn Paul dort. Sie starb am 17. März 1908.

Als Flora schulpflichtig wurde, gab es zwei Armenschulen für jüdische Mädchen, die Vorläufer der "Israelitischen Töchterschule" in der Carolinenstraße. Welche der beiden Schulen Flora besuchte, ist nicht bekannt. Nach der Zusammenlegung beider Bildungseinrichtungen 1884 erlebte Flora mit der Leiterin Mary Marcus eine begnadete Pädagogin, die für ihre eigene Berufswahl entscheidend gewesen sein mag. Ihre Schwestern Paula und Rosa besuchten die "Israelitische Töchterschule" von Anfang an. Flora erhielt eine Ausbildung zur Volksschullehrerin in Hamburg im Lehrerinnenseminar in der Fuhlentwiete 81/83 in der Neustadt. Mit 19 Jahren, am 1. April 1893, begann sie zu unterrichten und wurde nach vier Jahren Junglehrerinnentätigkeit am 1. April 1897 fest angestellt, zwei Jahre danach setzte ihre Pensionsberechtigung ein. 1896 war sie an der Schule Vossberg 19 in Winterhude tätig, im Schuljahr 1899/90 an der Schule Wandsbeker Chaussee 167/68 in Eilbek und danach bis zu deren Auflösung 1924 an der Schule Kantstraße 6 ebenfalls in Eilbek. Sie zog vor dem Ersten Weltkrieg häufig um, bis sie sich 1918 in der Wandsbeker Chaussee 81 niederließ.

Flora Gowa teilte sich die Wohnung mit ihrer Kollegin Margarethe Buchholtz. Nach der Auflösung der Schule wechselte Flora an die Volksschule Wielandstraße 7, während Margarethe Buchholtz an die Mädchenschule Eilbektal 37 versetzt wurde. Flora gehörte sowohl der "Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens", dem Vorläufer der "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft", als auch dem "Verein Hamburger Volksschullehrerinnen" an. Ob sie in diesen Berufsverbänden Funktionen innegehabt hat, ist nicht bekannt.

Mit ihrem Berufsweg nahm Flora Gowa in der Familie eine Sonderrolle ein. Die Schwestern Paula und Rosa wurden Kontoristinnen und Buchhalterinnen, Jenny blieb ohne Berufsausbildung, vermutlich, weil sie als Älteste der Mutter zur Hand gehen musste. Paula Gowa machte sich in der Tornquiststraße in Eimsbüttel mit einem Spiel- und Schreibwarengeschäft selbstständig, in dem Jenny bis zu ihrem Tod 1932 mitarbeitete. Die drei Schwestern hatten bis dahin zusammen in der Straße Grindelberg 7 gewohnt.

Rosa Gowa begann 1894 ihre Berufstätigkeit als Kassiererin und Buchhalterin bei der Modewarenfirma Hirsch & Cie. am Reesendamm und beendete sie zwangsweise 1938 nach dem Novemberpogrom, in dessen Folge auch Paula ihr Spiel- und Schreibwarengeschäft verlor. Die beiden Schwestern teilten sich eine 3-Zimmer-Wohnung in der Isestraße 58 (s. Stolperstein-Broschüre Hamburg Isestraße, S. 52).

Die Brüder Albert und Paul Gowa gingen ins Kaufmännische. Beide nahmen am Ersten Weltkrieg teil. Paul heiratete 1915 Bertha, geborene Steinhilber, und starb bereits im Alter von 27 Jahren im November 1918. Hugo, verheiratet mit Flora, geborene Strauß, wanderte nach New York aus und kehrte 1925 besuchsweise noch einmal nach Hamburg zurück, wo er mehrere Monate bei seinem Bruder Albert wohnte. Albert Gowa war seit Sylvester 1915 mit der Kölnerin Elfriede, geborene Marx, verheiratet; aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder hervor. Seine Stellung als Prokurist verschaffte der Familie ein gutes Auskommen. Er gehörte schon vor dem Ersten Weltkrieg der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an, während seine Schwestern Flora, Paula und Rosa erst 1924 der Gemeinde beitraten. Henry, seit 1908 verheiratet mit Clara, geborene Voß, war Mitinhaber der Buchdruckerei Grossard & Gowa. Nach seinem Tod am 7. Januar 1928 nahm sich Albert der noch unmündigen Kinder seines Bruders an. Ihm fiel auch die Aufgabe zu, seiner Schwester Flora beizustehen.

Aus gesundheitlichen Gründen wurde Flora Gowa mit 53 Jahren am 1. September 1927 pensioniert. Sie litt an Diabetes und verlor allmählich ihre Sehkraft. Ihre Pension reichte nicht aus, um in der bisherigen Weise weiter zu leben. Eine Einsparmöglichkeit sah sie bei ihrem Beitrag zur Jüdischen Gemeinde. Sie wandte sich zunächst mit der Bitte um eine Ermäßigung ihrer "Kirchensteuerabgabe" an das Finanzamt, der stattgegeben wurde. Weitere Anträge, die sie mit den Ausgaben aufgrund ihrer Krankheit, der "Unterstützung bedürftiger Glaubensgenossen" begründete, wurden sporadisch bewilligt.

Sieben Jahre nach ihrer Pensionierung, im Jahre 1935, entschlossen sich Flora Gowa und ihre ebenfalls vorzeitig pensionierte Kollegin zum Umzug in eine gemeinsame 5-Zimmer-Wohnung in der Grindelallee 83. Dass Margarethe Buchholtz "evangelisch-arisch" war, spielte zwischen den beiden zu dem Zeitpunkt noch keine Rolle.

Flora Gowa war nicht mehr in der Lage, selbst zu schreiben. Zunächst erledigte ein Fräulein S. Benjamin aus der Oberstraße 3 ihren Schriftwechsel mit der Jüdischen Gemeinde, dann übernahm ihn kurzzeitig Margarethe Buchholtz. Auch eine Augenoperation 1936 half nicht. Bis zu seiner Emigration im Dezember 1938 erledigte ihr Bruder Albert den Schriftwechsel für sie. Albert Gowa wurde nach dem Novemberpogrom 1938 sechs Wochen lang im KZ Sachsenhausen inhaftiert und mit der Auflage entlassen, umgehend Deutschland zu verlassen. Ihm gelang noch im Dezember die Ausreise in die USA.

Vermutlich aus gesundheitlichen Gründen trennte sich Flora Gowa 1940 von Margarethe Buchholtz, die bis zu ihrem Tod am 30. Juni 1942 in der ehemals gemeinsamen Wohnung zurückblieb. Flora lebte während der nächsten drei Jahre im Samuel Lewisohn-Stift im Kleinen Schäferkamp 32, das sich zu einem "Judenhaus" wandelte. Aus ihrer weiter reduzierten Pension zahlte sie deutlich über dem Grundbetrag liegende Beiträge an die Jüdische Gemeinde.

Ihre Schwestern Rosa und Paula, 62 und 64 Jahre alt, wurden auf die Ersatzliste für den ersten Transport in den Osten gesetzt und am 25. Oktober 1941 in das Getto von Lodz deportiert. Ob Flora danach noch von ihren Schwestern hörte, ist nicht bekannt. Sie musste ihre Ersparnisse von 2145,09 RM dem Jüdischen Religionsverband in Hamburg für den "Heimeinkauf" in das so genannte Altersgetto von Theresienstadt übereignen, der den Betrag seinerseits an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland überwies. Damit sollten alle im vorgeblichen Altersheim anfallenden Kosten abgegolten werden. Zusammen mit 28 Bewohnern und Bewohnerinnen des Samuel Lewisohn-Stifts, unter ihnen die Kollegin Louise Grün aus Hamburg-Hohenfelde, verließ Flora Gowa Hamburg am 15. Juli 1942 mit dem ersten Großtransport von 926 Personen in das Getto von Theresienstadt. Sie starb dort am 29. Mai 1943 im Alter von 69 Jahren.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 7; 9; AB; StaH 332-5 Standesämter 934-40/1928, 1906-1793/1877, 1952-1318/1879, 2007-4307/1881, 8112-471/1932, 8180-301/1942, 332-7, K 6145; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 2305, 3337, 4143, 5285; 522-1 Jüdische Gemeinden 992 d Steuerakten Band 10, 992 e Deportationslisten Band 1 und 4 Abl. 1993, Ordner 10 (Einzahlungen für Heimeinkaufsverträge 1942); Verzeichnis der Hamburger Volksschullehrer und -lehrerinnen des Stadt- und Landgebiets 1896–1915; Hamburgisches Lehrerverzeichnis 1920–1963.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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